„Wo kommst Du her?“, wurde bei uns im Fabrikdorf nicht gefragt. Wozu auch? Da wohnten die Kaczmareks neben den Mazurs, und dazwischen die Eschelbergers und Hannichs. Manche hatten noch diese schweren slawischen Silben, und viele waren gebildeter und klüger als die langsameren Einheimischen und kamen aus großen Städten in den Sudeten. Das Rechtschreibprogramm macht übrigens „Sudeln“ draus, weil das Wort schon nicht mehr so geläufig ist. Es ist ein Wort von den deutschen Herkünften.
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Ich bin eben noch aus der Generation, in der man nicht gefragt hat „Wo kommst Du her?“, sondern „wo liegt er?“, der Bruder, der Onkel, der Vater, oder „wo hat es dich erwischt?“, wie unsere verkrüppelten Väter sich gegenseitig nach dem Ort ihrer prägenden Lokation fragten. Auf der allgegenwärtigen Landschaft des Todes war Kreta die größte Landfläche, weil die Hälfte der Männer dort geblieben waren, gefolgt von Russland und Narvik und Frankreich und Polen, die Geographie war Grauen und Verlust.
Später kamen dann einzelne Ungarn und Tschechen und viel später dann die Türken, die übernahmen die schlechten Wohnungen, und dann kamen die Rumänen und Russen. Die haben sich alle schwer getan, am Anfang. Und der war meist ein Leben lang. Ja, es gab schon auch die Alteingesessenen, aber deren Töchter mussten auch einen von den Neuen nehmen, weil die Hoferben und ihre Brüder irgendwo geblieben waren, und so waren die alten Trennungen überholt worden durch das irgendwie Leben-müssen. „Die große Völkermühle“ nennt Carl Zuckmayer den Rheingraben, weil sich da alle gefunden haben.
„Da war ein römischer Feldhauptmann, ein schwarzer Kerl,
braun wie ne reife Olive, der hat einem blonden Mädchen Latein beigebracht.
Und dann kam ein jüdischer Gewürzhändler in die Familie,
das war ein ernster Mensch,
der ist noch vor der Heirat Christ geworden und hat die katholische Haustradition begründet. Und dann kam ein griechischer Arzt dazu,
oder ein keltischer Legionär,
ein Graubündner Landsknecht,
ein schwedischer Reiter,
ein Soldat Napoleons,
ein desertierter Kosak,
ein Schwarzwälder Flözer,
ein wandernder Müllerbursch vom Elsaß, ein dicker Schiffer aus Holland,
ein Magyar, ein Pandur,
ein Offizier aus Wien, ein französischer Schauspieler,
ein böhmischer Musikant
– das hat alles am Rhein gelebt, gerauft, gesoffen und gesungen und Kinder gezeugt.“
Es war nicht nur am Rhein so und hat auch nicht aufgehört.
Zuwanderung beginnt nicht mit den Gastarbeitern, wie neuerdings immer so getan wird. Die Tabuisierung der eigenen Geschichte führt nur zu Blindheit. „Woher kommst Du?“ hat früher weniger interessiert. Weil es ums Überleben ging. Wenn bei uns die Fabriksirene heulte, nicht um 6 Uhr und nicht um 12 Uhr und nicht um 18 Uhr, sondern zwischendurch in der Nacht oder mitten am Tag, dann rannten die Frauen alle, gleich welcher Herkunft zum Werkstor, weil es ihrer hätte sein können, den es erwischt hat. Ich bin groß geworden unter der Generation „Lebst Du noch?“. Das war die Frage und nicht „Wo kommst Du her?“. Die große Angst ist der große Gleichmacher.
Diese Frage hat mir erstmals Alexander Mann gestellt. KGB-Aufpasser auf einer Reise durch die zerfallende Sowjet-Union. Wir hatten uns auf einem Schiff über den Baikal-See angefreundet. Mein Urgroßvater kam irgendwoher aus Russland zum Eisenbahnbau nach Oberbayern und blieb da hängen. Sein Urgroßvater wanderte aus Schlesien zum Bau der Eisenbahn nach Sibirien. „Dein Vorfahr war schlauer als meiner“, sagte Alexander in die rote, untergehende Sonne über dem weiten Wasser hinein. „Wo kommst Du her“ ist Glück oder Pech, je nachdem.
Neuerdings wird die Frage öfter gestellt. In den Abiturklassen werden die, die meinen Namen tragen, gefragt: „Kommst Du aus Russland?“ Die Frage ist neuerdings wichtig. Die Klassen sortieren sich nach Ethnien. Tonangebend sind die Macho-Türken. Sie werden in Schach gehalten von den Jungs aus Russland und Kroatien, Geschichte wiederholt sich in der Oberstufe. Türkische Mädchen sind schlau und still und viele verschwinden mit 16, kommen nach den Ferien nicht mehr zurück. Ein paar deutsche Bubis ducken sich weg. Ihnen hat man die Geschichte ausgetrieben, gründlich. Die ständig gepredigte Identitätspolitik zwingt Jugendliche in Identitäten, die sie vielleicht gar nicht wollen, in denen sie eingesperrt werden. Integration geht anders. Irgendwo kommst Du an und da bist du. Und „Wo kommst Du her?“ zu Fragen ist erlaubt, wenn Du dafür stehst, wo Du bist. Es macht dich aus, aber es ist nicht alles.
Lesen Sie auch die anderen Teile unserer Serie „Wo kommst du her?“:
Gut getroffen, sehr geehrter Herr Tichy. Zu meiner Schulzeit gab es keine Frage nach der Herkunft, Queen war ebenso Freddie Mercury wie das Schubert Oktett F-Dur in unterschiedlicher Darbietung! Meiner Ansicht nach muß man sich damit abfinden, wie jüngst zum Neujahres-Empfang des Hamburger Abendblatt im „Vier-Jahrenzeiten-Hamburg“. Was für eine abgestandene zusammen gedrängte Masse an verwahrloster Gesellschaft, das dort vor die Kamera trat? Der sogenannte Hamburger Ehrenbürger vom Otto Versand und Fegebank im Interview? Irre, was nicht nur diese Leute vor laufendem Mikrofon auf Einladung des Hamburger Abendblatts absondern? Man darf gespannt sein, was sich Medien noch so alles einfallen lassen, um Z-Prominenz dicht an dicht gedrängt klatschen zu hören?
Ich bin eine Generation jünger als Sie. Bei uns war das etwas anders. Zur Schule gegangen in Fallersleben, bestanden unsere Gymnasialklassen zu 90% aus Deutschen, leicht erkennbar an den Namen. Kinder von Gastarbeitern aus Italien hatten wir genau einen in der Klasse – Giovanni. Kein Wunder, bei der Nähe zum VW Werk. Bei unseren Eltern noch teilweise als Spaghetti-Fresser abwertend bezeichnet, hatte sich das Bild der Italiener in unserer Generation bereits massiv verändert. Die Italiener passten zu uns sehr gut und mit Zunahme der italienischen Restaurants mauserten sie sich zu unseren Lieblingseinwanderern. In der Oberstufe genau eine Exotin – Tochter einer aus Südafrika zurückgewanderten Familie. Und was in den Jahren danach nach Deutschland kam, war meistens kein besonderes Thema mehr. Ob Ausländer oder nicht – egal. Es war eher interessant, mal zu hören, wie es in anderen Ländern läuft.
Das Ganze ist gekippt, als massenweise Türken in das Land einfielen. Zum Glück zuerst nur in den Großstädten. Anfangs noch eher gleichgültig betrachtet, wandelte sich das Bild sehr schnell. Und zwar wegen des Benehmens und des Verhaltens der Türken. Das Mißtrauen wuchs. Die Kultur paßte überhaupt nicht zu uns und so ist es eben wie es ist: Der größte Teil der Türken lebt ihre Türkei in Deutschland weiter. Auch die woll(t)en mehrheitlich keine gemeinsame Gemeinschaft mit den Deutschen bilden.
Was seit 2015 passiert, hat einen riesigen Tsunami an Fremdenfeindlichkeit beschert. Da kamen nur noch Menschen, die mit unserer Kultur und unserer Art zu leben, nichts gemeinsam hatten.
Und darum glaube ich, dass es kein friedliches und „gemeinsames“ Deutschland mehr geben wird. Und das beste Beispiel dafür sind die deutschen Türken, Kinder der dritten oder vierten Generation hier, die sich nach wie als Türken fühlen und extremer handeln und reagieren, als jemals ihre Eltern und Großeltern. Kulturmischungen funktionieren nicht bei Masseneinwanderungen.
Das wird empfunden wie Landnahme oder ein verdeckter Krieg.
So ganz stimmt das nicht, Herr Tichy. Es ist schon eher Birnen mit Äpfeln vergleich. Wenn Sie in den Kirchenbüchern auf Familysearch nachschauen, dann werden Sie sehen, dass die ältesten und häufigsten Eintragungen (ca. 1600 bis Ende 1800) des Namens Tichy in der Zips vorkommt. Dieses Gebiet um Schmöllnitz, Göllnitz wurde von bayrischen Siedler besiedelt und es kamen viele Schlesier hinzu. Die Siedler haben bis zur großen Flucht 1945 bayrischer Mundart gesprochen. Viele dieser deutschen Siedler mit zum Teil polonisierten Familiennamen sind um 1800 ins unbewohnte Banater Bergland umgesiedelt, wo sie Ortschaften gegründet, eine Bergbauindustrie geschaffen haben (Wolfsberg, Steierdorf) und kamen bis Ende der 90er nach Bayern zurück. Sie haben über Jahrhunderte hinweg über Böhmen, Zips, Banat die bayrische Mundart erhalten. Auf YouTube unter „Heimat hier, dort Heimat Wolfsberg Garana Anfang der 90er“ zu finden. Siebenbürger Sachsen stammen ursprünglich aus dem mittelalterlichen Luxemburg und sie haben über 800 Jahre hinweg die Luxemburger Mundart bis heute gepflegt, genauso wie Banater Schwaben die alemannische Mundart. Man kann das alles nicht in einem Topf mit Gastarbeiter hineinwerfen. Von Rumänen zu schreiben, ist ein Schmarrn. Ethnische Rumänen kommen erst seit 2007 als EU Bürger hierher. Gerade vor diesen Rumänen sind die meisten Banater und Siebenbürger von dort weg und sie erleben das jetzt in Bayern zum zweiten Mal, dass Rumänen über sie herkommen.Es gibt mittlerweile mehr ethnische Rumänen in der Bundesrepublik als Siebenbürger und Banater Deutsche. Was die Geschichtsschreibung auch hier auf Tichys Einblick verschweigt, ist die Tatsache, dass die Bundesrepublik, den Banater und Siebenbürger Deutschen seit 1998 die Einreise als Aussiedler verweigert, während man gleichzeitig die ganze Welt Hände klatschend ins Land hineinlässt.Diese Ablehnung ist die größte Schande seit Bestehen der Bundesrepublik. Während der Spiegel und anderen Medien Geschichten erfinden, um die Migration von Fremden zu begründen, wird der eigentliche Skandal um die deutsche Minderheit seit 24 Jahren verschwiegen. Eltern dürfen nicht zu ihren Kindern, Kinder nicht zu ihrer Eltern. Der Bruder, der vor 1998 Aufnahme fand, ist Aussiedler, während man selber ab 1998 ausländerrechtlich behandelt, die Einreise als Deutsche verweigert wird. Jetzt sind es die Ukrainer, bald sind es wieder die Kosovarer , die Serben und es werden Moldawier folgen, überall wo ein wenig Unruhe in der Welt herrscht wird, als Vorwand genutzt, um Migration zu begründen. Selbst Siebenbürger und Banater, die vor 1998 als Aussiedler Aufnahme fanden, müssen bis heute ihr Dasein in der Bundesrepublik der Gesellschaft gegenüber begründen, so als ob sie Fremde wären. Der Nobelpreisträger Stefan Hell wird auf Wikipedia als „Rumäniendeutscher“ geführt, so als ob das eine Identität wäre, als ob seine Vorfahren mal nach Rumänien ausgewandert wären und es sich dabei allein um Deutschstämmige ohne jede Bindung zur deutschen Kultur wie bei Donald Trump handeln würde. Cem Özdemir wird auf Wikipedia als ein deutscher Politiker geführt, während Klaus Johannis als rumänischer Politiker geführt wird, obwohl dessen Großeltern wegen der deutschen Volkszugehörigkeit nach Sibirien 1945 deportiert wurden, um für die Schäden den Zweiten Weltkrieges zu bezahlen.
„Die Klassen sortieren sich nach Ethnien. Tonangebend sind die Macho-Türken. Sie werden in Schach gehalten von den Jungs aus Russland und Kroatien“
Sie kennen sich gut aus, Herr Tichy.
In der Tat muss man das Macho auftreten türkischer Gangs bestätigen.
Zoff mit Einem, heißt Zoff mit der Gang.
Inzwischen auch arabischer und russische Gangs, wobei es bei denen vereinzelt, sogar Deutschstämmige und andere Nationalitäten gibt als Mitläufer, je nach Zufall des Lebens. Einige Türkengangs sind dadurch froh, sagen zu können, „seht doch her, wird sind doch gar keine türkische Gang“.
Nicht nur in der Schule, sondern überall wo sich die Gangs treffen, in der Diskothek, auf der Straße, beim Fusballpublikum, usw., überall wo sie in Gruppen auftreten.
Deswegen ist man bei uns in Diskotheken dazu übergegangen, nie gleichzeitig Türken und Russen einzulassen.
Die Türsteher haben die Ausweise verlangt, unter dem Vorwand das Alter zu überprüfen und haben schlichtweg nach eigenem Gutdünken, nach dem Namensklang entschieden, wer Türke ist und wer Russe ist.
Kluge Gedanken! Vielleicht könnte man noch ergänzen, dass die Frage „Wo kommst Du her?“ zumindest für die zweite Generation assimilationsfähiger Zuwanderer ohne optische Markierung meistens entfällt. Slawen sind so betrachtet assimilationsfähig, Türken nicht. Interessant auch die Beobachtung, dass Franzosen oder Japaner sich durch die Frage „Wo kommen sie denn her?“ so gut wie nie diskriminiert fühlen. Der Franzose hat mir immer stolz geantwortet „aus Paris!“
Leider assoziiert der Fragende mit der Herkunft seines Gegenübers unbewusst die sozioökonomische Leistungsfähigkeit und Historie dessen Ethnie. Der höflich-zurückhaltende Mann aus Tokio steht für eine der leistungsfähigsten Ethnien auf diesem Planeten, der schwarze Mann aus Haiti für ein seit Generationen in der Hölle schmorendes Volk. Das Kollektiv färbt immer auf das Individuum ab, weshalb ich mich während meiner Auslandsjahre in all den Ländern, gegen die meine Großeltern Krieg geführt hatten, gerne als Boris G aus Basel vorgestellt habe. Schweizer genießen überall auf der Welt Sympathie.
Bei uns in einer städtischen Verwaltung ist die Frage „woher kommst du“ nicht mehr erlaubt.
Die Frage wurde als rassistisch verunglimpft, nach der Herkunft darf man nicht mehr fragen, alle mussten eine entsprechende Onlineschulung gegen Diskriminierung durchlaufen.
Früher hatte man so übrigens den neuen Kollegen mit genau dieser Frage kennengelernt und beide Seiten hatten so ein Gesprächsthema, mit dem man sich freudig austauschen konnte. Niemand hatte bisher die Frage als diskriminierend empfunden.
Am besten man spricht überhaupt nicht mehr mit Kollegen, welche Migrationshintergrund aufweisen. Man könnte ja irgendwas verfängliches sagen. Männer und Frauen und Diverse bleiben am besten auch unter sich…
Unglaublich, wie verblödet die Politik geworden ist.
Das Problem ist die empirisch bestens belegte Sozialhierarchie innerhalb diverser Gesellschaften. Für die USA lautet diese Hierarchie: Weiße Europäer>Nordostasiaten>Latinos>Afroamerikaner, was so ziemlich exakt die sozioökonomische Leistungsfähigkeit der Ethnien widerspiegelt und eben deshalb kränkend wirkt. Und wer will schon gerne gekränkt werden?
Unglaublich, die menschliche Dummheit.
Das löst man so, indem man ein „Kennenlern Gruppentreffen“ veranstaltet, in dem sich jeder nach seinem Verständnis vorstellt, ohne Nachfragen.
Mich hat die Frage nie gestört, wenn sie aus informativer Neugier zum Kennenlernen gestellt wurde.
In der Tat kann man die Frage auch beleidgend und entwürdigend stellen.
„Wo kommst du denn her“?
Diese Frage ist weder beleidigend noch entwürdigend, egal wie sie gestellt wird.
Es ist eine einfache Frage, welche aus Neugier und/oder Interesse an der ethnischen Herkunft eines Menschen gestellt wird.
Sie dient zur Kontaktaufnahme, drückt Interesse aus, kann durch entsprechende Gegenfrage ein Gespräch eröffnen.
Wer sich dadurch beleidigt fühlt oder sogar entwürdigt, der schämt sich offenbar seiner Herkunft. Denn die Antwort:“Ich bin hier geboren, aber mein Vater/Mutter kommt aus …“ ist doch nun wirklich nicht ausgrenzend, sondern eine Tatsachenfeststellung.
Die Bayern haben uns Flüchtlingskinder auch ohne die Frage „wo kommst du her“ sofort als „Zuagroaste“ aus folgenden Gründen erkannt:
1. Nachname
2. Vorname (nach den gefallenen Brüdern unserer Eltern benannt)
3. Dialekt
4. Religion (evangelisch)
Wie konnte man sich schnell integrieren?
1. Sprache (Dialekt) lernen
2. Leistung (beim Sport: Fussball, Schifahren)
Mein Heimatland ist das Homeland, und ich habe eine Weile zwecks Studiums im bayerischen Exil gelebt.
Unvergessen, wie uns auf einer Veranstaltung der Verwaltung (Station im Referendariat) so ein Hansel unsere Gruppe mit einer lustigen Formulierung begrüsste: „…Teilnehmer aus so exotischen Orten wie Neuss und Novosibirsk.“
Für die Bayern war das wohl irgendwie dasselbe. Nördlich des Weißwurschtäquators, alles die gleichen exotischen Saupreissen.
Ob all dieser rassistischen Ablehnung durch die Barzis bin ich natürlich – genau wie unsere so rassistisch benachteiligten Zuwanderer – voll auf die Barrikaden gegangen. Voller Stolz auf meine migrantische Saupreissen-Herkunft habe ich ihnen z.B. erklärt, warum es Brötchen heißt, nicht Semmel und schon gar nicht Wecken.
Selbstverständlich habe ich bei jeder Gelegenheit den bekloppten Dialekt der Einheimischen veralbert. Evangelisch getauft bin ich übrigens auch, aber ich bin noch was viel Schlimmers, ich bin Atheist.
Integrationsprobleme noch und nöcher. Traumatisch.
Ich weiß allerdings bis heute nicht, warum deswegen alle so rumzicken. War ne schöne Zeit.
„Wo kommst du her“? Eine Frage die mich nie gestört hat, im Gegenteil, wenn der Fragende zuhören wollte, musste er viel Zeit mit sich bringen.
Aber die allerwenigsten haben mich je gefragt, „Wo kommst du her“.
Denn sie hatten Angst vor sich selber, die Frage zu stellen.
Sie blieben lieber mit ihrem (un)Wissen im Bereich der Vorurteile.
„Im Übrigen gab es ja noch viele, bei denen die Väter weg waren oder bei den etwas Älteren nicht mehr wiedergekommen oder „draußen geblieben“ waren; Vaterlosigkeit hatte viele Gründe und überhaupt wurde Vaterland ja bald verboten.“
Und eine menschenwürdiges Grab haben sie auch nie erhalten, noch nicht einmal in der Erinnerung der Allgemeinheit, denn, sie waren ja alle Mörder und Verbrecher die freiwillig und mit Freude „dahingezogen“ sind. Diese Schäbigkeit kann man auch nur einer „jungen Generation“ erzählen, denn es hat sie niemand gefragt ob sie wollen.
Auch mich hat nie ein Großvater auf seinen Knien geschaukelt. Sie waren schon lange vor meiner Geburt in den stalinistischen Arbeit-KZ ermordet worden. Der eine noch vor Kriegsbeginn, der anderen nach Kriegsende, aus dem Zivilleben heraus, denn für die Armee waren sie schon zu alt und Politik hat sie nie interessiert.
Auch sie haben nie ein Menschengrab bekommen, denn die Toten hat man einfach verschart wo am nächsten Tag Steinhaufen drüber lagen, oder aus dem fahrenden Zug geworfen.
Sie hatten die falsche Nationalität, zur falschen Zeit, am falschen Ort.
Meine beiden Omas habe ich nie herzhaft lachen sehen.
Ich erlaube mir nach der kurzen, familiär-wurzeligen Einordnung ein längeres Zitat, weil für uns Deutsche, Herr Tichy, eben die von Ihnen geschilderte Geschichte immer noch einen wesentlichen Teil des einigenden Grundstocks bildet. Und diese Geschichte ist eben deutsch, und die kann von später aus fremden Ländern hierher Gezogenen nicht geteilt, nicht übernommen werden, und wenn sie der deutschen Pässe ein Dutzend hätten.
Ich bin Allgäuer (grad no so, wie mir ein Kompagnon aus Pfronten nicht müde wird, mitzuteilen) mit pommerschen, weichselländischen, unterfränkischen und schwäbischen Wurzeln. Sogar mit russischem Migrationshintergrund, welchem aber durch die Einbürgerung mit Preußen-Adler-Stempel vor 99 Jahren der Garaus gemacht wurde (rührt vielleicht daher auch – bei aller Ablehnung des jetzigen Krieges – meine Faszination für die russische Kultur und das Bedauern, daß die Geschichte diesen beiden Ländern so übel mitgespielt hat?). Mit aus Stettin vertriebenen Großeltern. Mit wohl drei Urgroßvätern, die im 1. Weltkrieg waren, und beiden Großvätern im 2. Weltkrieg. Wer weiß das schon so genau.
Da aber immer wieder die Frage gestellt wird, oft mit einer erheblichen Süffisanz, was denn genau „deutsch“ sei, ist meine Antwort darauf: „Deutsch ist des Vaters Land, und der Mutter Sprache.“ Und was mein Heimatland angeht, hat ein mir unbekannter Autor dazu folgende Sätze geschrieben:
„Vom Vaterland
Drei Dörfchen und die Quelle eines kleinen Flusses markieren die Himmelsrichtungen, in die sich das 1871 entstandene kaiserliche Deutschland ausgedehnt hat. An der Ostseeküste, hoch oben im fernen Ostpreußen, direkt unter der russischen Grenze, liegt das winzige Dorf mit dem beziehungsvollen Namen Nimmersatt, „wo das Reich sein Ende hat“. Es bildet den nördlichsten Punkt des Reiches. Bei Isenbruch, an der Grenze zu den Niederlanden, ist der westlichste Pflock eingeschlagen. Dort, wo die Stillach in den Allgäuer Alpen entspringt, südlich des alten Weilers Einödsbach, geht es, ohne die Landesgrenze zum Habsburgerreich zu überschreiten, auf reichsdeutschem Boden nicht mehr weiter nach Süden. Das östlichste Dorf, am Fluß Szeszuppe gelegen, heißt Schilleningken und liegt bei dem Landstädtchen Schirwindt. Jenseits des Flusses dehnt sich unabsehbar die Weite Rußlands, ja Asiens. Von Ost nach West sind es 1250, von Nord nach Süd 1200 Kilometer. Das Klima ist mild, die Natur den Menschen freundlich gesonnen.
Die knapp fünfzig Millionen deutsche Staatsbürger sind zu drei Fünfteln alleinige Untertanen ihres Kaisers und preußischen Königs. Über den kleineren Rest herrschen zusätzliche drei Könige, sechs Großherzöge, fünf Herzöge und sieben Fürsten. Dazu kommen noch die runde Million Bürger dreier Freier Städte und die gut anderthalb Millionen des Frankreich nach verlorenem Kriege entrissenen „Reichslandes“ Elsaß-Lothringen, auch sie sind dem Kaiser natürlich untergeben. Alle zusammen leben sie auf über einer halben Million Quadratkilometern im Zentrum des Kontinents – Blonde im Norden, Schwarzhaarige im Süden, schon immer am selben Ort Wohnende, aus anderen Ländern Zugewanderte, Hiergebliebene. Das stolze Reich ist an der Fläche der viertgrößte und von der Bevölkerungszahl her der zweite Staat in Europa.
Unzählige Kriege hat das Land seit dem Mittelalter hinter sich, Hungersnöte, Epidemien, Unruhen, Aufstände und Revolutionen. Alle seine Bewohner, Niederdeutsche, Pommern, Westfalen, Ostpreußen, Schlesier, Thüringer, Sachsen, Hessen, Schwaben, Franken, Pfälzer, Bayern und viele andere sprechen ein und dieselbe Sprache. Das Land kann stolz sein auf seine Dichter, Musiker, Maler und Philosophen, seine Wissenschaftler, Baumeister und Erfinder. Beinahe einträchtig leben in Dörfern und Städten zusammen: dreißig Millionen evangelische Christen, fast achtzehn Millionen Katholiken und andere Christen, eine halbe Million Deutsche jüdischen Glaubens und Vertreter fremder Religionen und Gottlose auch.
Eine einheitliche, mehr oder weniger demokratisch verfaßte Republik ist das Reich bis jetzt nicht geworden, und die Monarchie, anderswo in Europa längst abgeschafft oder wenigstens auf dem Weg hin zur einen Repräsentationsmacht, will es am Ende einer zweitausendjährigen Epoche hierzulande noch einmal wissen.
Im Inneren sind alle Grenzen gefallen, und an den alten Handelswegen fordert kein Herr über ein winziges Territorium mehr seine Abgaben, von denen er lebt. Flüsse sind schiffbar gemacht, Kanäle durchziehen das Land, vor allem die Eisenbahn transportiert gewaltige Mengen an Gütern und Personen. Alles beherrschende Industriezentren sind entstanden an Ruhr, Saar und Oder, Kohle, Eisen und Stahl bilden die Grundlagen, auf denen sich Maschinenbau, Elektro- und Chemieindustrie und bald auch die Automobilproduktion entwickeln. Die Hafenstädte an Nord- und Ostsee sind die Tore zur großen Welt. Die Städte wachsen über ihre alten Festungsgürtel hinaus und wetteifern um den Ruf, die modernste im ganzen Land zu sein. Auf den Dörfern hingegen geht das Leben noch den Gang, den es seit Jahrhunderten gegangen ist, und aus diesen Dörfern kommt immer noch die beste Saat für die Zukunft des Reiches. „Fürchte Gott, tue Recht und scheue niemanden“ ist den Bewohnern von Stadt und Land ein ehernes Gesetz.
Da liegt es nun im leuchtenden Glanze seiner Wiesen und Wälder, seiner Dörfer und Felder, seiner Städte und Flüsse, seiner Täler und Höhen, seiner Berge, Seen und Küsten unter einem hohen und weiten, tiefblauen Sommerhimmel – ein schönes und friedliches Land.“
(Aus: G. Drommer, Die Wahrheit der Bilder – Im Kaiserreich 1871-1918, S. 20-21, Verlag Faber & Faber)