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Die Zombie-Wirtschaft

Nach Corona könnte das Wohlstandskoma kommen

20.06.2020

| Lesedauer: 5 Minuten
Die Corona-Pandemie erschüttert eine bereits geschwächte europäische Wirtschaft. Der wirtschaftspolitische Versuch, die Wirtschaft zu stabilisieren, führt seit Jahrzehnten dazu, dass die Fähigkeit der Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit durch neue Technologien zu steigern, geschwächt bleibt.

Die wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Bundesregierung zielen nicht nur darauf ab, die von der Corona-Pandemie und dem Lockdown ausgehenden wirtschaftlichen Schäden und Einkommensverluste bestmöglich auszugleichen. Mit dem deutschen 1,3 Billionen Euro Rettungsschirm, den geplanten EU-Rettungspaketen über 540 und 750 Milliarden Euro und dem nun von der Bundesregierung verabschiedeten 130 Milliarden Euro Corona-Konjunkturpaket, will man auch die wirtschaftliche Rezession unterdrücken, die sich vor Corona abgezeichnet hatte. So soll verhindert werden, dass sich aufgestaute Probleme, die aus den wirtschaftspolitischen Rettungs- und Stabilisierungsorgien der letzten Jahrzehnte resultieren, nicht manifestieren. „Man hat des Guten schon zu viel getan“ beklagt der frühere Präsident des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn mit Blick auf die Rettungs- und Konjunkturprogramme.

Die Corona-Pandemie erschüttert eine bereits geschwächte europäische Wirtschaft. Schon im letzten Jahr war ein konjunktureller Rückgang spürbar. Die deutsche Wirtschaft ist gleich mehrmals an einer technischen Rezession vorbeigeschrammt und die Industrie befand sich in einem konjunkturellen Abschwung. Seit Anfang 2018 war die deutsche Industrieproduktion bereits um sechs Prozent gefallen und die Automobilindustrie, die seit Jahrzehnten die wirtschaftliche Konjunktur trägt, verzeichnete sogar ein Produktionsminus von 20 Prozent. Die üppigen Corona-Hilfen sorgen nun dafür, dass unprofitable Unternehmen, die während konjunktureller Krisen üblicherweise aus dem Markt ausscheiden, am Leben bleiben. Dadurch findet die, in einer konjunkturellen Krise üblicherweise erfolgende Kapitalentwertung, kaum statt. Die Profitabilität bleibt schwach und viele Unternehmen fehlen dann die finanziellen Möglichkeiten, um ihre Investitionen in technologische Neuerungen steigern zu können.

Der wirtschaftspolitische Versuch die Wirtschaft unter Aushebelung dieser Kapitalentwertung zu stabilisieren, führt seit Jahrzehnten dazu, dass die Fähigkeit der Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit mittels risikoreicher und kostspieliger Einführung neuer Technologien zu steigern, geschwächt bleibt. Das wurde trotz des langanhaltenden konjunkturellen Aufschwungs nach der Finanzkrise 2008 deutlicher. Der konjunkturelle Aufschwung wurde in Europa durch eine aggressive Niedrigzinspolitik, eine massiv steigende Staatsverschuldung sowie regulatorische Eingriffe, die darauf abzielten, auch unprofitable Unternehmen vor dem Kollaps zu schützen, regelrecht erzwungen. Der Aufschwung blieb auch in Deutschland nach der schnellen Rückkehr auf das Niveau vor der Krise kraftlos und viele Euroländer haben die wirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise noch immer nicht überwunden. Auch in Deutschland blieben die für einen dynamischen Aufschwung erforderlichen Investitionen so niedrig dass das Potenzialwachstum, also die bei normalem Auslastungsgrad mögliche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts, in Deutschland im Jahr 2019 bei nur noch 1,4 Prozent lag. Das Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartete damals, dass es bis 2024 auf nur noch ein Prozent sinken wird.

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Die schwache Investitionstätigkeit hat noch einen weiteren problematischen Effekt. Die Arbeitsproduktivität, die ausschlaggebende Kenngröße für die Entwicklung des Massenwohlstands wächst seit Jahrzehnten immer langsamer und stagniert mittlerweile. Darauf machte der Sachverständigenrat, der der Bundesregierung in wirtschaftlichen Fragen zur Seite steht, bereits in seinem Jahresgutachten 2016 aufmerksam. Im „Nationalen Produktivitätsbericht“ aus dem Jahr 2019 machten die Wissenschaftler nun unmissverständlich klar, dass Produktivitätswachstum „langfristig der entscheidende Faktor für materiellen Wohlstand“ sowie für die zunehmenden „individuellen Entfaltungsmöglichkeiten“ sei.

Arbeitsproduktivitätssteigerungen führen dazu, dass Waren und Dienstleistungen mit einem verringerten Arbeitseinsatz hergestellt werden können. Eine gesamtgesellschaftliche Verdopplung der Arbeitsproduktivität bedeutet, dass das gleiche Waren- und Dienstleistungsangebot mit nur der Hälfe der Arbeitszeit aller Werktätigen erzeugt wird. Während der Nachkriegsexpansion von 1950 bis 1973 nahm die Arbeitsproduktivität um durchschnittlich 5,9 Prozent pro Jahr zu, was eine Verdreifachung des gesellschaftlichen Wohlstands bedeutete. Produktivitätssteigerungen sind daher die unmittelbare Voraussetzung für steigende Reallöhne, deren Entwicklung gehemmt bleibt, solange die Produktivitätsschwäche nicht überwunden wird.

Die gesamtwirtschaftliche Stagnation der Arbeitsproduktivität ist paradoxerweise die wesentliche Ursache für die vordergründig gute Entwicklung der deutschen Wirtschaft seit der Finanzkrise 2008. Obwohl die wirtschaftliche Wertschöpfung, in den letzten zehn Jahren nur um etwa 1,5 Prozent pro Jahr gewachsen ist, haben sich die Unternehmen zu wahren Jobmaschinen entwickelt. Der Grund ist, dass es den Unternehmen kaum gelungen ist, steigende Umsätze durch die Einführung arbeitssparender Methoden, wie etwa die Automatisierung von Prozessen oder die Einführung neuer Herstellungsmethoden, zu bewältigen. Daher mussten sie, um den steigenden Kundenbedarf zu befriedigen, mehr Personal einstellen. So ist die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung mit etwa der gleichen jährlichen Rate gestiegen, wie die zusätzliche Wertschöpfung. Seit 2008 sind diese Jobs um 6 Millionen (darunter über 4 Millionen Teilzeitstellen) auf 33,5 Millionen angestiegen.

Die gute Beschäftigungsentwicklung hat dem Staat eine regelrechte Geldschwemme beschert. Die Einnahmen der Sozialversicherungen sind deutlich gestiegen, während die Ausgaben gleichzeitig gesunken sind. Zudem hat die steigende Lohnsumme und die stabile Arbeitsmarktsituation den Konsum und die Konjunktur angetrieben, was wiederum zu deutlich steigenden Staateinnahmen beigetragen hat. Ein Übriges bewirkten die geldpolitisch erzeugten negativen Zinsen, so dass der Staat grundsolide erscheint. So gelang es ohne größere Anstrengungen, die Staatsschulden seit 2012 sogar absolut zu reduzieren.

Die Kehrseite dieser wirtschaftlichen und fiskalischen Stabilisierung, ist die von der Stagnation der Arbeitsproduktivität ausgehende, schleichende Wohlstandserosion. Seit Mitte der 1990er Jahre sind die Reallöhne in Deutschland durchschnittlich um nur etwa ein halbes Prozent jährlich angestiegen. Besonders problematisch ist die Entwicklung beim am geringsten entlohnten Drittel der Beschäftigten. Im Jahr 2015 lagen die realen Stundenlöhne dieses unteren Drittels niedriger als 20 Jahre zuvor.

Das wirtschaftliche Fundament dieses Erfolgs ist also brüchig. Die Corona-Krisenbekämpfung zielt einseitig darauf ab, die Wirtschaftslage der letzten Jahre wiederherzustellen und beschleunigt so die weitere Erosion der wertschöpfenden Kapazitäten. Die Wirtschaft bleibt dann nicht nur von der Dauerstimulierung durch die niedrigen Zinsen der EZB abhängig. Sie wird zunehmend abhängig von staatlichen Subventionen, um auch unprofitable Unternehmen über Wasser zu halten und negative Dominoeffekte zu verhindern. Hinzu kommt eine zunehmende Abhängigkeit von staatlicher Regulierung, die die bestehenden Unternehmen und deren Geschäftsmodelle zuungunsten neuer Wettbewerber schützt.

Diesen Ansatz verkörpert die erst kürzlich verabschiedete „Industriestrategie 2030“ von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier. Es ist ein Teufelskreis entstanden, in dem eine durch niedrige Profitabilität und stagnierende Arbeitsproduktivität fundamental geschwächte Wirtschaft immer neu Stützpfeiler benötigt, die das Gefüge jedoch immer fragiler machen und weitere Stabilisierungsschritte notwendig erscheinen lassen. Für die Erwerbstätigen sind das keine guten Aussichten: Zu ausbleibenden Wohlstandseffekten wegen stagnierender oder zukünftig vielleicht sogar fallender Reallöhne – wie bereits heute in Japan – kommen noch die negativen Arbeitsplatzeffekte wegen niedrigen oder gar rückläufigen Wirtschaftswachstums.

Das größte Hindernis, das einem wirtschaftspolitischen Kurswechsel, der die Produktivitäts- und Investitionsschwäche adressieren könnte, entgegensteht, ist der große Erfolg der wirtschaftspolitischen Ausrichtung der letzten Jahrzehnte. Die staatliche Stabilitätspolitik war sehr erfolgreich in der Verhinderung und Eindämmung wirtschaftlicher Krisen und bei der Einhegung destabilisierender Effekte, die von technologischen Umbrüchen hätten ausgehen können. Die Aushöhlung wohlstandssteigernder Effekte erscheint vor allem für politische Entscheidungsträger in Anbetracht der wirtschaftlichen Performance der letzten Jahrzehnte hinnehmbar. Das hat 2017 das damals von Wolfgang Schäuble geführte Bundesfinanzministerium gut auf den Punkt gebracht. Es anerkannte durchaus das Problem sinkenden Produktivitätswachstums und dessen negativen Effekt auf die Reallöhne. Trotzdem hielt es „das sinkende Wachstum der Arbeitsproduktivität als Ergebnis des Beschäftigungsaufbaus der vergangenen Jahre […] angesichts der historisch niedrigen Arbeitslosigkeit [für] vertretbar.“ Bisher hat sich an dieser Einschätzung leider weder bei den Ökonomen noch in der Politik viel geändert. Anders ist die überschwänglich positive Bewertung des Corona-Konjunkturpakets wohl kaum zu erklären.


Alexander HornDie Zombiewirtischaft. Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind. Edition Novo, 377 Seiten, 15,00 €.

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30 Kommentare

  1. Die asiatischen Länder, die seit Jahren führend bei PISA, TIMSS, den Mathe- und Physikolympiaden sind und obendrein über Millionen dieser Talente verfügen, haben dafür andere Probleme. Offensichtlich. Denn sonst müßten sie schon längst alles abgeräumt haben. Häufig sind sie gefangen in einer Kultur der Unterordnung, was der freien Entfaltung und dem innovativen Geist abträglich ist. Kreativität und unkonventionelles Denken sind aber für die Lösung hartnäckiger Probleme Grundvoraussetzung.

    • Die asiatischen Wirtschaften sind zumeist Papiertiger die ohne ausländisches Know-how gar nicht laufen würde.

  2. „, dass die Fähigkeit der Unternehmen, ihre Wettbewerbsfähigkeit mittels risikoreicher und kostspieliger Einführung neuer Technologien zu steigern, geschwächt bleibt.“
    Die Fähigkeiten sind sicherlich nicht verloren gegangen, aber wie soll ein Unternehmen seine Aktionären erklären, jetzt viel eigenes Geld in die Hand zu nehmen und deshalb möglicherweise eine geringere Dividende auszuschütten? Insbesondere noch, da eine Subvention aus Steuergeldern sehr wahrscheinlich sein wird. Wozu also selbst ins Risiko gehen, wo doch seit Jahren Verluste sozialisiert sind und Gewinne privatisiert?
    Zum Wohlstandskoma: ich war mit dem Rad unterwegs, vorbei an einer schönen, ruhigen Neubausiedlung. Die hübschen Einfamilienhäuser sind mindestens doppelt so groß, als das Häuschen, das meine Generation, Ü60, sich leisten konnte. Auf jeden Fall dreimal größer als Omas Kleinhäuschen. In den Gärten junge Familien, 30-40 jährige, mit 1-2 Kindern und vor jedem Haus 2 Autos. Ein zweites Auto konnten wir uns erst leisten, als mein Jüngster bereits 6 Jahre alt wurde und ich meine Arbeitszeit erhöhen konnte. Urlaubsreise erst, als der Jüngste 8 Jahre alt wurde. Es galt schon immer, was Du ererbst oder erheiratest, kannst Du niemals erarbeiten. Was es der Wohlstandsgeneration so schwer macht, ist der unglaubliche Anspruch und die mangelnde Bereitschaft auf irgend etwas zu verzichten.
    Wenn ich mir die Entwicklungen in meiner Firma so anschaue: eine handvoll an Spezialisten, viele einfache Jobs werden ausgelagert oder durch Roboter ersetzt. Roboter werden nicht nur in der Produktion eingesetzt, inzwischen werden viele Buchhalterjobs, Sachbearbeiterjobs etc. durch Roboter ersetzt. Wenn ich mir dann auch noch anschaue, wie wenig meine jüngeren Kollegen und Kolleginnen bereits sind, Prozesses E2E zu betrachten, bei Sachverhalten in die Tiefe zu gehen, bei Problemen in die Analyse zu gehen und nicht einfach nur die Hotline anzurufen, dann werden sich Viele in den unteren Lohngruppen wieder finden. Digital native ist mehr, als am Smartphone zu wischen, eine App zu bedienen oder eine Aufgabe nach vorgegebenen Prozessen / Anweisungen zu erledigen.

  3. *

    Wer die Schuld nur bei Anderen sucht – der Politik – übersieht leicht, dass Finger auf ihn zurück zeigen:

    wir sind ein altes Volk geworden – *noch nie, waren wir so alt wie heute*

    und

    Wachstum Produktivität und Investition hin oder her, das macht uns nicht jünger – wir haben im Schnitt die Fuffzich überschritten…

    deshalb hilft nicht die Politik sondern

    https://brand-history.com/sujet/500/12507.jpg

    Ihr Haus- und Staatsapotheker läßt grüssen

    ***

  4. Wär doch klasse, dann können alle guten Wohlstandskinder ihren tollen Antikapitalistische Traum verwirklichen 😉

  5. Die Verengung auf Ihre zwei Szenarien ist nicht zwingend.

  6. Der Text des Autors ist wirtschaftstheoretisch nicht zu beanstanden, bedarf dennoch einigen Widerspruchs. Das Grundproblem kapitalistischer Ordnungen bleibt, daß die Interessen von Unternehmern und Kapitalbesitzern nicht identisch sind mit denen von nichtvermögenden abhängig Beschäftigten, die durchweg lebenslang nicht in der Lage sind, nur durch reinen Kapitalkonsum zu leben. Ihr Einkommen reicht zumeist nur aus, um bestenfalls alle Ausgaben zu tätigen, nicht aber nachhaltig Vermögen aufzubauen. Entgegen allen anderen Behauptungen war das in Deutschland seit der industriellen Revolution auch nie anders, auch nicht in den goldenen Jahren der BRD (allenfalls etwas leichter als heute), was die exzessiv hohe Mieterquote der Deutschen beim Wohnen verdeutlicht – aber auch die fast totale Abhängigkeit fast aller Senioren von steter staatlicher Alimentation namens Rente oder Pension.

    Der abhängig Beschäftigte hat den primären Anspruch, daß sein Einkommen nicht etwa sehr hoch, sondern! – stetig und langfristig planbar ist. Stellt man einen Arbeitnehmer vor die Alternative, eine zwar eher unattraktive oder langweilige Tätigkeit auszuüben, die ihn jedoch zugleich eine praktisch hundertprozentige Sicherheit gewährleistet, dass er bis zum Altersversorgungseintritt keinerlei Befürchtung haben muß, dass die Lohnzahlung jemals ausbleibt oder er ohne Beschäftigung ist, so wird er in 90 % aller Fälle dieses dem Risiko vorziehen, zwar sehr viel zu verdienen, aber mit absoluter Sicherheit und unplanbar jederzeit auch mit längerfristigem Nulleinkommen bedroht zu sein. Dazu muß er nur einen kleinen Seitenblick auf seine Kinder werfen, um wissend zu nicken. Wäre es anders, hätte zum Beispiel der öffentliche Dienst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance, tatsächlich ist er auch und gerade bei den jüngeren Alterskohorten beliebter denn je.

    Im Gegenteil: Die Jahre seit ca. Mitte der 1980er Jahre sind für die Mittelschicht eine einzige, sich verdichtende Erfahrung geworden, daß Einkommen und Einkommenssicherheit nicht mehr planbar sind, daß zwischen Haus, Garten, zwei Autos und Kinder und jährlichem Urlaub im Süden einerseits (also dem gewöhnlichen Verständnis von Mittelschichtleben) und Hartz IV, Kleinstwohnung im Plattenbaughetto und kein Geld mehr auf dem Konto ab dem Monatszwanzigsten nur ein einziges, ein lausiges Jahr ALG1 liegen. Liegen können. Ich behaupte, das 80 bis 90 Prozent der deutschen Mittelschicht dieses Damoklesschwert über sich schweben fühlen, die heute unter 50jährigen kennen es zeitlebens gar nicht mehr anders. Sicher, es gab ein paar Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, wo das anders war. Auch ich bin in so einer Reihenhaussiedlung der Beamten, Facharbeiter und Ingenieure bei der örtlichen Industrie aufgewachsen, in denen eine Sicherheit und soziale Ausgeglichenheit herrschte, die sich heute keiner mehr vorstellen kann oder ihr melancholisch hinterhertrauert. Den Deutschen im Osten geht das – Stasi und Mauer hin oder her – mit der Arbeitsplatzsicherheit in der DDR, den geringen sozialen Unterschieden in der Gesellschaft damals doch genauso. Sie haben hinsichtlich der harten Bauchlandung uns im Westen nur 30 Jahre voraus, Corona wird unsere (westdeutsche) Treuhandanstalt sein. Und wie im Osten werden die Billionen doch keine Massenarbeitslosigkeit verhindern können. Überall geht es los, die Presse ist schon voll davon.

    Wer also Kapitalabbau und Disruption über Innovation fordert oder als unerläßlichen Treiber für Wohlstand identifiziert, muß sich klar sein, daß in aller Regel davon nur kleine Eliten profitieren. Die digitale Technik als scheinbarer Nachfolger der montanbasierten Industrie im Westen hat nur eine Schicht kosmopolitischer Anywheres geschaffen, von denen ein sehr kleiner Teil obszön reich wurde, der Rest als prekär beschäftigte moderne Nomaden durch komplett angeglichene Metropolen vagabundiert. Der Rest ist ihr Paket- und Essensfahrer. Die Deutschen sahen sich in der Tat einem Arbeitsmarkt gegenüber, der ausreichende Mengen an Arbeit, aber kaum noch anspruchsvolle bereithält. Die scharfe Linksdrift der Gesellschaft ist die logische Folge davon.

    Insoweit reicht es nicht, in einer Krise wie dieser einfach alle unmodern gewordenen Unternehmen pleitegehen zu lassen und darauf zu hoffen, das auf diesen Trümmern neues spießt. Das wurde den Deutschen schon einmal versprochen, uns im Westen in den 80ern, denen im Osten in den 90ern. Und was kam bei raus? Alles, was wir kaufen made in China, Samsung und Apple, und Produkte mit deutschen Markenzeichen, produziert in der Türkei oder Slowenien. Und bei uns Callcenter und DHL. Die Ostler hofften auf „blühende Landschaften“ und bekamen stattdessen das Fernpendeln von Gera nach Frankfurt am Main. Nein, dieses Narrativ trägt nicht für die, die nichts haben außer ihrem Monatseinkommen. Und leider, Herr Horn, fürchte ich, geben Merkel und Lagarde diesen Dünnhäutigen die überzeugendere Antwort. Schauen Sie sich die Wahlergebnisse an. Wie sagte Fassbender so schön? Angst essen Seele auf. Die Menschen wollen keine „Chancen“, sie wollen Sicherheit für ihr kleines, kurzes Leben. Und jedem Besenstiel, der ihnen das verspricht, den werden sie wählen.

    Nicht, daß sie nicht trotzdem in der Sache recht hätten. Was aber, wenn Sie erst recht bekommen, wenn es keiner mehr erlebt? Fragen Sie den Selbstständigen Ihres Vertrauens, wie es ihm in den letzten drei Monaten gegangen ist, mit Corona und der notwendigen Kapitalentwertung.

    • Ich gebe Ihnen insofern recht, als dass die Mehrheit der Menschen Sicherheit vorzieht. Und wer kann es ihnen verdenken? Wenn es allerdings gar niemanden mehr gibt, der bereit ist Risiken einzugehen, wird das für eine Gesellschaft dauerhaft auch in den Untergang führen. Ein Beamtenstaat existiert nicht lange. Ohne Risiko und die Bereitschaft neue Wege zu gehen gibt es keinen Fortschritt. Und ohne Fortschritt wird man von anderen Gesellschaften, welche Risiken eingehen und daher Fortschritt erleben überholt und beiseite gedrängt. Man mag Sozialdarwinismus für moralisch falsch halten. Auf der gesellschaftlichen Ebene ist es aber ein Fakt, dass solche stillstehenden, risikoscheuen Gesellschaften/Völker/Staaten/etc untergehen. Ein Blick in die Geschichte genügt.

      PS: Dass die Schwierigkeit Vermögen aufzubauen Schuld eines kapitalistischen Systems sein soll, kann ich so nicht nachvollziehen. Das liegt aktuell doch wohl eher an der enormen Abgabenlast (>60%), die nichts mit dem Wirtschaftssystem zu tun hat. Und historisch ist es ebenfalls falsch. Ich kenne in der Geschichte keine planwirtschaftlich organisierten Gesellschaften, die langfristig Wohlstand und Vermögen für Viele hervorgebracht hätten. Auch waren die reichen Unternehmer, welche seit der Industrialisierung den Weg nach oben geschafft haben, in den seltensten Fällen identisch mit der alten Adelselite. Die kamen fast alle aus dem sich seit der Renaissance entwickelnden Bürgertum.

      • Ich glaube nicht, daß T.H.’s Kommentar eine Fürsprache für mehr Sozialismus ist.
        Und Sie haben natürlich recht, eine vitale Gesellschaft braucht unbedingt die Risikofreudigen, um vorwärts zu kommen. Deswegen bin ich froh, daß es noch solche Typen wie Elon Musk gibt.

  7. Ich meine, warum haben die Unternehmen nicht in die Arbeitsproduktivität, sprich Digitalisierung im Produktions- und Verwaltungsprozess, investiert? Noch weit vor Covid-19?
    Mal ehrlich! Haben wir die Köpfe dazu überhaupt, in Informatik und den damit verbundenen Berufsgruppen, die überhaupt in der Lage wären, Industrie-4.0 technisch umzusetzen? Und wie sieht die Zukunft aus? Schreiben nach Gehör im skurrilen Pädagogen-Panel en vogue, bis auch der letzte Schüler das Abitur mit der Note 1 ein akademisches Studium beginnt, das nach kurzer Zeit wieder beendet wird.
    Und dann noch die Abermillionen, uns die als Fachkräfte angepriesenen Neubürger, die mit Sicherheit nicht zur Steigerung des BIP beitragen werden.
    Die Vernunft ist doch spätestens im Orkus des Irrglaubens gelandet, spätestens nach 2011, als infolge des Fukushima-Tsunami Phillipsburg quasi in die Luft gesprengt, und ein voll funktionstüchtiges Kernkraftwerk mit Gewalt vom Netz genommen wurde…wie irre ist das denn? Und wer glaubt, dieses Land würde noch einmal zurückkehren zu Frieden und Wohlstand, dem wünsche ich viel Spaß bei diesem Traum! Möge er oder die weiterträumen, wenn dann irgendwann im Winter der Blackout kommt. Bei Dunkelheit träumt es sich noch besser.
    Deutschland hat doch den Verstand verloren!

    • Industrie-4.0? Was soll denn das sein? diese hohlen Phrasen kaschieren nur, daß es seit 20 Jahren gar keine nennenswerten neuen Wertschöpfungsinnovationen gibt.

      • …die werden jetzt im Fernen Osten oder den USA oder oder…gemacht. Seit 2005 sind um die 7 Millionen Akademiker MINT und Techn. Fachkräfte ausgewandert.

    • Haben wir die Köpfe für IT? NEIN. Ich kann es aus meinem Berufsalltag beobachten. Selbst große Unternehmen arbeiten teilweise mit Infrastruktur und Methoden wie aus den 90ern. Wenn etwas neues eingeführt wird dann nur nach politischer Gefälligkeit und ohne korrekte Schulung der Mitarbeiter.

  8. Herr Zetsche meinte einst:“mit den Flüchtlingen könnten wir ein neues Wirtschaftswunder erleben“, oder so ähnlich…..ich warte immer noch drauf

    • Flüchtlinge sind auch ein teil des verkopften aber verzweifelten Versuchs das System künstlich am weiterrollen zu halten. Siehe mein Kommentar oben.

    • Wiederaufbau nach deren Randale will auch bezahlt werden. Passt doch. Großartige Zeiten für Glaser.

  9. Bei den Lock-Down-Entscheidungen haben Risiko-Abwägungen mE keine Rolle gespielt. Es scheint nicht nur der Kanzoerin darum gegangen sein, unschöne Fernsehbilder zu vermeiden; dies war wohl die Furcht vieler Politiker.

    Nachdem Deutschland versäumt hatte, zu einem frühen Zeitpunkt Eineisende zu untersuchen, Einreisebeschränkungen zu erlassen bzw die Grenzen ganz zu schliessen, vollzog man eine Vollbremsung von Wirtschaft und Gesellschaft. Man geht wohl nicht fehl in der Annahme, dass mit früheren Grenzkontrollen und Zurückweisungen, ausreichend GUTEN Atemschutzmasken und umfassenden Tests (- bei allen Einreisenden und wöchentlich wiederholt in allen Altersheimen sowie Krankenhäusern) bessere Ergebnisse mit erheblich weniger ökonomsichen Schäden erreicht worden wären.

    • Es war früh klar, wer die Risikogruppe ist. Diese hätte man gezielt und effektiv schützen können/müssen. Der epidemische Verlauf von Covid-19 entspricht der einer normalen Grippe, kommt im Frühjahr und verschwindet im Sommer. Außerdem gab es schon sehr früh starke Indizien dafür, daß in der Bevölkerung eine gewisse Grundimmunität vorhanden ist. Daher die sehr vielen sehr milden Verläufe.

  10. Wäre Corona nicht gekommen, man hätte es glatt erfinden müssen, um die seit zwanzig Jahren währende Fehlentwicklung in der Wirtschaft und Finanzen zu vertuschen.
    Übrigens, schon seit 3 Jahren laufen „Abfindungsprogramme“ zur Personal Reduzierung in der Automobilindustrie, ganz unbemerkt von der Öffentlichkeit, weil man der Öffentlichkeit Sand in die Augen streute wie groß die Erfolge doch wären.
    Nun kennen wir ja die „wahre“ Ursache, wie man und belehrt hat, es sind „Corona“ und „Rassismus“, welche die „hervorragende“ Arbeit dieser Regierung Merkel kaputt gemacht haben, zumindest das was diese Regierung noch übrig gelassen hat vom selber Kaputtmachen.

  11. Das systemische Grundproblem ist: Es gibt gar keine „risikoreiche und kostspielige neue Technologie“. Computer und Internetrevolution sind über 20 Jahre alt. danach kam kein nennenswerter Innovationszyklus mehr. Deshalb der seit 10 Jahren verzweifelte Versuch mit Energiewende, Dämmwahn, E-Auto und Co. künstliche Märkte zu errichten. Oder die Produktqualität massiv weiter zu senken, wie man ja täglich erleben darf.
    Oder wie jetzt versucht wird mittels Antifa alles kriegsgleich abzureißen.

  12. Wenn es Deppen in Berlin gibt, denen eine ebenso nutzlose wie hirnrissige Schnüffel-App 68 Millionen Euro wert ist, kann das Wohlstandskoma nicht weit weg sein.

    • Die Bundesjustizministerin Frau Lambrecht (die Frau mit dem Fake-Verfolgungswahngesetz) hat ihnen doch versichert, dass niemand beschnüffelt wird. (für so dumm wird das Volk gehalten)
      Glauben sie das nicht? (ich nicht)
      Denn würde die App nicht verfassungswidrig „schnüffeln“ gegen GG Art. 2 und Art.11(Grundrecht der Bewegungsfreiheit) ergibt die App ja keinen Sinn, denn genau das soll sie ja tun, „erschnüffeln“ mit wem ein Bürger Kontakt hatte. Diese App verstößt als gegen das Datenschutzgesetz und gegen das Grundgesetz.

    • Diese App „schnüffelt“ so wenig, daß sie eigentlich kaum noch einen Sinn ergibt.

  13. Eine gute Analyse, der man aber beifügen muss, dass ein weiterer Pfeiler(wenn nicht der Hauptpfeiler) der oberflächlich positiven Wirtschaftsentwicklung aus der Sonderkonjunktur durch den rasanten Aufschwung in China bestand, mit sehr guter Auftragslage für die verbleibenden deutschen Kernindustrien. Diese Industrien waren auch eine zeitlang Profiteure der EU-Osterweiterung mit dem Aufbau von Fertigungsanlagen. Deutschland war (!) als Drehkreuz und Investitionsgüterlieferant, anders als F und I, bis jetzt zumindest teilweise sogar ein Gewinner von Produktionsverlagerung.
    Gerade deswegen kommt mir das nachfrageorientierte Hilfs-Programm unserer Regierrung so hirnrissig vor. Denn die Konsumprodukte, die man damit kaufen soll, werden ja kaum noch in Deutschland hergestellt. Autos soll man ja auch keine mehr kaufen. Verfolgt man, welche Firmen gerade dichtmachen oder stark abbauen, dann scheint es, die letzten heimischen Produzenten von Elektronik, Textilwaren…. verabschieden sich. Das Konjunkturprogramm wird also für Amazon, Apple und China aufgelegt. Auf neusentstehende, innovative Industriebereiche braucht man in Deutschland nicht zu hoffen, die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ersticken den Unternehmergeist jenseits des planwirtschaftlichen Ökobusinesses.

  14. ……warum so wenig fundamentalkritik??

  15. „Nach Corona könnte das Wohlstandskoma kommen“

    Was nicht hätte alles schon kommen sollen.
    Sorry, ist genau son Quatsch wie die Klimahysterie.

    Merkel noch da
    EU/Euro noch da
    Strom noch da
    Verbrenner noch da
    Die Leute sind in Kauflaune (vielleicht einfach mal rausgehen!)
    Nix Wirtschaftskrise, selbst der Sprit wird wieder Teurer
    Die Börsen freuen sich

    Aber ja bestimmt, irgendwann wird irgendwas passieren.
    Genauso wie irgendwann, irgendwo, irgendwie mal der echte Sozialismus siegen wird…..

    Sorry, normalerweise feier ich TE, aber diese Untergangsartikel sind auch nicht besser als die Klimajünger, zu Hülf, wir werden alle sterben.
    Und hey, damit haben sie zumindest Recht.

    • In der Weimarer Republik war auch Party angesagt. Was danach kam wissen wir.

  16. Herr Horn,
    für Unternehmen und deren Verantwortungsträger ist es effizienter, seine Ressourcen darauf zu verwenden, einen Weg zur „Bazooka“ zu finden, als bessere Produkte oder Verfahren zu entwickeln. Wer letzteres tut und dabei fernab der „Bazooka“ landet, wird bestraft, weil sein Wettbewerber mit staatlich geschöpftem Geld länger durchhält. Wettbewerb auf der Produktebene findet nicht mehr statt. Die europäische Marktwirtschaft ist bereits vollständig von Bürokraten und Ideologen verzerrt. „Erfolgreich“ sind zunehmend Unternehmen, die politisch korrekt handeln und Produkte herstellen, die die machthabende Funktkionärskaste für notwendig erachtet.

  17. Ich finde das okay. Es plärren ja ständig alle nach Klimaschutz… Und das wirksamste Mittel zur Reduktion des CO2 Ausstoßes, ist nunmal ein schrumpfender Wohlstand für die breite Masse. Wie gewünscht, so geliefert. Man sollte allerdings auch die Hartz IV Leistungen erheblich reduzieren.

    • Irgendwie wie bei den „Flüchtlingsbürgen“. Im Überschwang des Gefühl des Gutmenschentums gebürgt, als sie dann tatsächlich ein paar Tausende oder Zehntausende Euros zahlen sollten, machte es dann nicht mehr so viel Spaß. Am Ende mussten sie auch nicht zahlen. Der „Staat“ zahlte alles.
      Hier auch: Hüpfen fürs Klima ist geil. Arm sein fürs Klima ist nicht mehr so cool.

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