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Ein Szenario im Rückblick

Was wäre, wenn 1989 Schröder, Lafontaine und Fischer regiert hätten?

07.10.2020

| Lesedauer: 4 Minuten
In Bonn hätte ein Krisenstab unter der Leitung des Kanzlers Schröder getagt. Lafontaine, Superminister für Finanzen, Wirtschaft und Frieden hätte seinen kurz zuvor bereits öffentlich gemachten Vorschlag wiederholt. Die beste Lösung für alle sei es, endlich den Realitäten in Europa Rechnung zu tragen.

Das wiedervereinigte Deutschland feierte die dreißigste Wiederkehr des formalen Untergangs der DDR und ihres Aufgehens in der Bundesrepublik Deutschland. Dies stand am Ende einer langen internationalen und nationalen Entwicklung, die zur Schwächung der kommunistischen Herrschaft in der Sowjetunion und schließlich zum Zusammenbruch des bankrotten Systems auch in Moskaus Vorhof geführt hat. Das in der Folge des Zweiten Weltkrieges geteilte Deutschland stand im Mittelpunkt der dramatischen Ereignisse.

Die Zügel in Bonn hatten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und sein Koalitionsvize Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) fest in der Hand. Beide waren sich in Einem absolut einig: Die Wiedervereinigung Deutschlands in freier Selbstbestimmung ist obererstes Ziel. Das ganze Deutschland vereint und fest eingebunden in die Europäische Union und das transatlantische Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika bei gleichzeitig guter Partnerschaft mit der Sowjetunion. Viele Hürden mussten durch geschickte Diplomatie und gegenseitiges Vertrauen bis zum Erreichen dieses Zieles überwunden werden.

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Doch man stelle sich vor, im Kanzleramt am Rhein hätte als Nummer 1 Gerhard Schröder, assistiert von Oskar Lafontaine und im Bunde mit dem Grünen Josef Fischer gesessen. SPD wie Grüne hatten das Gebot des Grundgesetzes zum Streben nach der Wiedervereinigung Deutschlands längst aufgegeben und die Zweistaatlichkeit akzeptiert, das Bestehen des Unrechtsstaates DDR in Kauf genommen.

Doch die Auflockerungen und Reformschritte des neuen sowjetischen KP-Chefs Gorbatschow waren auch an den Satellitenstaaten Osteuropas einschließlich der DDR nicht spurlos vorbeigegangen. Die Menschen schöpften Hoffnung auf Veränderungen bei ihnen, zumal die wirtschaftliche Situation immer bedrückender wurde. Hunderttausende Deutsche in der DDR hatten Ausreiseanträge in die Bundesrepublik gestellt. Immer mehr Menschen suchten in den bundesdeutschen Botschaften in Budapest, Warschau und Prag Zuflucht. Auch sie hatten nur einen Wunsch: Die Ausreise in den Westen.

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Also stellen wir uns die kontrafaktische Geschichte des Herbstes 1989 unter einer Regierung Schrödere-Lafontaine-Fischer vor:

In Bonn tagt ein Krisenstab unter der Leitung des Kanzlers Schröder. Oskar Lafontaine, Superminister für Finanzen, Wirtschaft und Frieden wiederholt seinen kurz zuvor bereits öffentlich gemachten Vorschlag. Die beste Lösung für alle sei es, endlich den Realitäten in Europa Rechnung zu tragen. Als erstes müsse das Festhalten an einer gemeinsamen deutschen Staatsangehörigkeit aufgegeben werden. Die Deutschen in der DDR würden damit von einer Minute zur anderen Ausländer. Zugang zur und Aufnahme in der Bundesrepublik könnten sie ab sofort nur nach positiver Prüfung eines Asylantrages gewährt bekommen. Dazu würden allerdings auch nur eng begrenzte Kontingente vorgesehen. Auch werde die Abwicklung in enger Übereinstimmung mit den Sicherheitsorganen der DDR vor sich gehen. Versuchten Grenzübertritten sei mit aller Härte entgegenzutreten.

Den DDR-Bürgern in den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik sei ein Zeitpunkt vorzugeben, bis zu dem sie die Gebäude zu verlassen hätten. Kämen Betroffene dem nicht nach, würden die Regierungen der betreffenden Staaten um Amtshilfe bei der Räumung der Botschaftsgebäude gebeten. Der Regierung der DDR sei zuvor mitzuteilen, wann diese Maßnahmen erfolgten, um ihre Bürger entsprechend in Empfang nehmen zu können. In der Runde lösen Lafontaines Vorschläge allgemeine Zustimmung aus. Einzelne Bedenken, es könnte vielleicht in der DDR zum Chaos kommen, quittiert Schröder mit der Bemerkung: „Das kriegen Erich Honecker und der Egon Krenz schon hin.“ Insbesondere mit Letzterem stand der Kanzler seit längerem im guten Kontakt. Auch Lafontaine verfügt über beste Kontakte zu seinem saarländischen Landsmann Honecker und anderen SED-Spitzen. Fischer zeigte sich desinteressiert. Für ihn war das ganze Deutsch-Deutsche Thema ein Stück reaktionäre Vergangenheit und von der Geschichte überholt. Die entsprechenden Beschlüsse erfolgten dann einstimmig.

UNHISTORISCHE UND UNAUFRICHTIGE FEIERSTUNDE
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In der DDR verbreitete sich diese Entscheidung wie ein Lauffeuer. Im ersten Moment wirkte das Land wie eingefroren. Erst nach und nach wurde den Menschen bewusst, was geschehen war. Nur Stunden später verhängte die DDR-Führung den Ausnahmezustand über das gesamte Land. Eine Verhaftungswelle ungeheuren Ausmaßes rollte an. Betroffen waren an erster Stelle Bürgerrechtsgruppen, hartnäckige Ausreiseantragssteller und andere vom Staatssicherheitsdienst als unsichere Kantonisten eingestufte Personen. Die Sowjettruppen verblieben in ihren Kasernen. Gleichzeitig verkündete der zum Nachfolger Erich Honeckers ernannte Egon Krenz baldige Reformschritte in allen Bereichen. Insbesondere soll die Versorgung der Bevölkerung mit Konsumgütern schnell verbessert werden. Noch am gleichen Tage wendet sich Krenz an die westliche Welt, die DDR im Sinne der Erhaltung des Friedens und der stabilen Nachkriegsordnung materiell zu unterstützen. Jeder Gedanke an die deutsche Einheit wäre brandgefährlich, zumal in der Bundesrepublik erste Proteste gegen die Beschlüsse der Bundesregierung laut werden.

CDU, CSU und FDP riefen zu Demonstrationen auf. In Berlin berufen sich die West-Alliierten auf ihre Zuständigkeit für Sicherheit und Ordnung in der Stadt. Am darauffolgenden Tag trifft Bundeskanzler Schröder in Bonn mit der Premierministerin Großbritanniens und dem Präsidenten Frankreichs, Margret Thatcher und François Mitterand, zusammen. Am späten Nachmittag stößt auch Egon Krenz zu dieser Runde, der als erstes erklärt, dass jeder seiner Schritte mit den Genossen in Moskau abgestimmt worden sei und auch weiterhin werde. Die Beratungen ziehen sich durch die ganze Nacht. Am Ende steht ein sofortiges Hilfspaket von 60 Mrd. DM an die DDR. Die Hälfte davon zahlt die Bundesrepublik, je 15 Mrd. kommen aus London und Paris. Krenz bedankt sich im Namen der DDR und ihre Bürger mit Tränen in den Augen bei seinen neuen westlichen Freunden.

NUR NICHT AN DIE POLITIK RüHREN
Der Leserbrief zum Gestern in der DDR als Mahnung an das Heute in der Berliner Republik
Thatcher und Mitterand erklären während eines vertraulichen Mittagessens in der britischen Botschaft, dass der Krug einer neuen Größe Deutschlands noch einmal an allen vorübergegangen sei. Die Menschen in der DDR trauen ihren Augen nicht. Die Regale der HO-Kaufhallen sind mit einem Mal gefüllt. Selbst elektronische Unterhaltungsgeräte, die man nur von Fotos kannte, waren plötzlich für wenig Geld zu haben. Die Menschen zogen sich in ihre Nischen zurück. Unübersehbar hatte die Stasi alles unter Kontrolle. In Moskau herrschte unter den Gegnern Gorbatschows freudige Erregung. Der Erhalt der DDR und damit die Schwächung des Westens gab auch ihnen neue Kraft. Eilends wurde ein Spitzentreffen des Warschauer Paktes nach Moskau einberufen. Kurz nach Rückkehr der kommunistischen Spitzenkader in ihre Hauptstädte wurde auch dort jede Form von Aufbruch zum Stillstand gebracht.

Mittlerweile hatte man sich auch in Washington wieder gefasst. Die Haltung der Bundesrepublik wie auch Großbritanniens und Frankreichs stellten das Wertekonzept der NATO in Frage. Zudem stand eine Stabilisierung des sowjetischen Blocks und seiner Diktatoren nicht auf der Agenda des amerikanischen Präsidenten George Bush (senior). Der Westen geriet in eine Krise, zumal immer klarer wurde, dass nur durch eine dauerhafte massive wirtschaftliche Unterstützung des Ostens die Stabilität aufrechterhalten werden konnte.

Lassen wir das Szenario, das längst nicht alle Aspekte berücksichtigt, an dieser Stelle enden. Bekanntlich hießen die Verantwortlichen damals nicht Schröder, Lafontaine und Fischer, sondern Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher.

Manchmal kommt es eben doch auf Personen an.

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19 Kommentare

  1. Denkbare SPD-Kanzler wären seinerzeit Schmidt, Vogel und Rau gewesen. Schmidt oder Vogel hätten (zumal Genscher auch dann Außenminister gewesen wäre) im wesentlichen genauso gehandelt wie Kohl (Brandt hätte als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale die rote Schmierseife gegeben). Rau hätte zur Zauderei geneigt; das hätte allerdings dazu geführt, daß Bush und Gorbatschow die Sache bei Hot Dog und Borschtsch unter sich geklärt hätten.
    So ganz zupackend war die Bundesregierung damals nun auch wieder nicht. Zweimal hat Gorbatschow Königsberg für ein paar Mark zum Kauf angeboten, zweimal haben sich Kohl und Genscher nicht getraut.

  2. Halte ich für durchaus realistisch.
    Ich gebe zu, dass auch ich damals vor 1989 gesagt habe, erkennt doch endlich an, dass die DDR ein eigener Staat ist.
    Aktuell muss ich sagen, dass das eine falsche Ansicht war – Menschen machen eben Fehler. Heute bin froh, dass es eine Wiedervereinigung gab. Nur wie diese Wiedervereinigung ablief, dazu gibt es bis heute keine ordentliche Bereinigung.
    Die versäumten „Nürnberger Prozesse“ in Bezug auf die SED (Linke) haben den Westen nun dermaßen in Gefahr gebracht, dass sich die Situation in Deutschland darstellt wie sie ist. Trojanische Pferde in allen öffentlichen Stellen, negative Unterwanderung und Einflussnahme allerorten.
    Kohl mag mit der Wiedervereinigung Recht gehabt haben, aber er hat völlig unterschätzt was es heißt, die offenen Arme auch den Tätern in der DDR entgegen zu strecken. Da war er schlicht zu naiv und schwach.

  3. 60 Milliarden ??? Das ist doch echt preiswert … die „nicht bezahlten Rechnungen“ nach Target II betragen mehr als 2 Billionen € … damit hätte die DDR noch 33 Jahre „gerettet“ werden können … wir hätten also noch 3 Jahre vor uns … OMG

  4. „Was wäre, wenn …“ – das Szenario klingt wie ein Albtraum!
    Leider ist die politische Einstellung, die damals von Wiedervereinigung nichts wissen wollte, noch heute überaus aktuell. Für Grüne und Linke sind Begriffe wie Nation und Patriotismus nach wie vor Fremdworte – bis hoch zu unserem Bundespräsidenten, den Tomas Spahn jüngst mit gutem Recht als „vaterlandslos“ bezeichnete. Frau Merkel soll die Worte „deutsches Volk“ nach ihrer Vereidigung nie mehr in den Mund genommen haben …
    Ja, es kommt gewaltig auf die Personen an, wie Geschichte verläuft. Und Helmut Kohl war für die Einigung ein einziger Glücksfall!

  5. Ehrlich gesagt halte ich als Zeitgenosse von 1989 diesen Beitrag nicht nur für kontrahistorisch, sondern auch kontrafaktisch. Hätten die DDR-Bürger damals nur etwas später aufgemuckt, in Bonn hätte ein Kanzler Lafontaine regiert, der 1989 in allen Umfragen klar vor Kohl lag – und nicht Schröder, der seinerzeit gerade frisch gewählter Ministerpräsident von Niedersachsen geworden, und wohl kaum nach Bonn ins Kabinett von Oskar, mit dem er nie richtig klarkam, gewechselt wäre. Eine rotgrüne Koalition wäre kaum wahrscheinlich gewesen, denn Lafontaine war immer schon Alphatier und hätten die graue Eminenz der Grünen, Otto Schily, kaum neben sich geduldet. Dazu war der Kampf zwischen Fundis und Realos, der die Grünen seinerzeit ebenso lähmte wie der Konflikt zwischen Linksnationalen und Nationalliberalen heute die AfD, nicht entschieden. Linksradikale wie Jutta v. Ditfurth oder Rainer Ebermann waren noch einflussreiche Mitglieder. Der Aufstieg Joschka Fischers, der damals noch in Wiesbaden gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Hanau kämpfte, erfolgte erst nach der Zäsur des Bundestagsrauswurf von 1990 – den aber hätte es ohne Wiedervereinigung nie gegeben, denn mit ihrer Ablehnung einer deutschen Wiedervereinigung bildeten die Grünen seinerzeit recht gut den Zeitgeist der Altbaugebiete von Hamburg bis München ab. Wer weiß, wie sich die Grünen ohne die Ereignisse von 1990 überhaupt entwickelt hätten, ob es zum Beispiel der SPD gelungen wäre, das linksakademische Bürgertum besser von der Abwanderung an die Ökos zu hindern. Björn Engholm war eigentlich der Posterboy linker Akademikerinnen, der Robert Habeck heute ist. Politisch gesehen ist aus meiner Sicht vor allem die SPD der Verlierer von 1990.
    Wollen wir also kontrahistorisch sein, gehen wir besser von einem erneuten Wendemanöver der FDP aus, Gerhard Baum hätte schon genug gegen Genscher intrigiert, der dann mit dem Verspechen, wieder Außenminister sein zu dürfen, umgefallen wäre.
    Ich bestreite, dass eine Mehrheit der linken und linksliberalen Deutschen keine Wiedervereinigung wollte. Es gab seinerzeit noch zahllose Sozialdemokraten, die vor dem 2. Weltkrieg sozialisiert worden waren, also Jahrgänge, die in der Zeit des 1. Weltkrieges oder davor geboren worden und als „normale Gesamtdeutsche“ sozialisiert worden waren. Ein gutes Beispiel dafür dürfte gerade Willy Brandt sein. Sie lehnten eine gewaltsame Wiedervereinigung sicher ab – aber was sie vor allem nie waren, waren Atlantiker oder Proamerikanisten. Die Illusion, die DDR sei in Wahrheit das „bessere“ Deutschland, hatten sie nie. Das dachten sie in den Astas der Unis und bei den Medien. Vor allem. Da waren die Grünen schon damals die Lieblingspartei. Ich bestreite nicht, dass die damals jungen Westdeutschen – also solche wie ich damals – die deutsche Zweistaatlichkeit weder für schlimm noch für etwas zu überwindendes hielten. Die DDR war für uns schlicht kein Thema, nicht existent. In meiner Familie gab es natürlich Familienbande über die Mauer hinweg, aber das erübrigte sich damit, dass meine Eltern meinem Cousin in Roßlau zu Weihnachten eine Lewis Jeans und Toblerone Schokolade schickten. Mein Fokus war Disko, Frauen und eventuell einmal quer durch die USA fahren. Was ein Mittzwanziger halt so im Kopf hat. Ich fand als Westberliner die Mauer zwar irgendwie blöd – aber sie war für jemanden wie mich halt „immer so da“ gewesen – so wie der heute 15jährige deutsche Mittelschüler es nicht anders kennt, als dass dreiviertel seiner Klasse Türken oder Araber sind und ihn „Kartoffel“ nennen. Woher soll er wissen, wie es anders sein könnte?
    Da waren die westdeutschen Katholen und Christdemokraten schon aus ganz anderem Holz als die alten Sozen. Sie waren nicht „gegen“ die DDR – sie empfanden sie schlicht nicht als „Deutschland“. Darf ich ein Beispiel nennen? Es gab mal ein Länderspiel der DDR-Auswahl in den 80ern, ich habe vergessen was es war, gegen die der BRD. Im Fernsehen, ARD, der Moderator: „Heute abend, meine Damen und Herren, übertragen wie das Länderspiel Deutschland gegen die DDR“ DEUTSCHLAND. GEGEN. Die DDR. „Deutschland“ war für diese Kohorten zwischen Reihenhaus und Dorfkrug ausschließlich die BRD, meinetwegen noch das schon damals ziemlich teure Westberlin. Sie wollten nach EUROPA, die Briten und Amerikaner waren ihnen als Streitkräfte lieber als die Bundeswehr, wo sie ihre Söhne verweigern ließen. Wer ging damals zum Bund und riss die 16 Monate ab? Die Söhne der Malocher, also der SPD-Wähler.
    Weiter: Wer saß 1986 im Flugzeug und rettete mit etlichen Milliarden Honeckers Regime? Ein SPD-Mann? Nein – es war Franz-Josef Strauß, Kanzler war, na? Richtig: Helmut Kohl.

    Zurück zu Oskar und Hans-Dietrich. Lassen wir es 1990 sein, in der DDR beginnt es zu gären, Ausreiseanträge werden en masse gestellt. Die ersten Botschaftsflüchtlinge werden aus Budapest und Prag gemeldet. Gorbatschow fliegt nach Ostberlin, wo er Honecker klarmacht, dass es ein zweites „1953“ nicht geben wird.
    Was würde hinter den Kulissen in Bonn ablaufen? Ronald Reagan, der zu Bundeskanzler Lafontaine kein gutes Verhältnis hat, fordert den US-Botschafter in Bonn auf, um einen Termin bei Lafontaine zu bitten. In der vertraulichen Unterhaltung im Bundeskanzleramt macht dieser Lafontaine klar, dass die USA kein Interesse an einer Fortdauer der deutschen Teilung haben. Sie erwarten einen Zerfall der UDSSR entlang ethnischer Linien schon bald, und wollen dafür den Rücken freihaben, da sie ihre Interessensphäre mindestens bis an den Bug, vielleicht sogar bis an die Krim ausdehnen wollen. Die Elbe und der Fulda Gap haben ausgedient, Checkpoint Alpha macht dicht.
    Krisensitzung im Bundeskanzleramt. Genscher wiegelt ab, dass seien bloß Sprüche, Mitterand und Thatcher würden das nie mitmachen, alles gut. Heimlich lässt er aber seinen Referenten Kontakt zu Kirchenleuten in Halle aufnehmen, um zu recherchieren, wie es um die Grundbucheintragung ehemaliger Immobilien der Familie Genscher steht. Beim BND herrscht Hochbetrieb, man versucht festzustellen, ob die Stasi ihre Schläfer in den westdeutschen Geheimdiensten und Verwaltungen aktiviert. Lafontaine gibt im Fernsehen seine Sprechblasen ab, dass die deutsche Wiedervereinigung nicht auf der Tagesordnung stünde. Dann ruft er den sowjetischen Botschafter an. Dieser Anruf verändert alles. Denn der sagt ihm klar, dass die Sowjetunion die DDR nicht länger als ihr Interessengebiet ansehe, man setze darauf, dass die Genossen in Ostberlin die Lage genau analysierten und daraus kluge Schlüsse zögen. Außerdem sehe man sich außerstande, die DDR länger finanziell am Leben zu halten. Mit seinem russischen Akzent macht er, scheinbar leichthin und ironisch, am Ende eine Bemerkung: „Härrr Bundeskanzlärrr, wollen Sie die DDR nicccht kaufen? Das Londoner Abkommen wäre erledigt“
    Lafontaine begreift. Den Sowjets, die selbst vor der Pleite stehen, geht es vor allem um Geld. Milliarden, viele Milliarden, dann zieht die Sowjetarmee ab, für den Rest sorgt dann die Dynamik des Zerfalls der DDR. Ihr könnt sie haben. Lafontaine ruft Honecker an. Wie immer plaudert man eine Weile in tiefem Saarmoselfränkisch über Neunkirchen und die Saar und diese Metzgerei in Dillingen, die es immer noch gibt, dann fragt Lafontaine Honecker, wie er sich vorstelle, dass es in der DDR weitergehe. Was Erich, der Neunkirchner, Oskar, dem Saarlouiser, sagt, lässt letzteren zutiefst ratlos zurück. Was wäre wohl besser für seinen westdeutschen Staat? Eine kollabierende, wohlmöglich in einen Bürgerkrieg versinkende DDR, oder sie der Sowjetunion abzukaufen, um sie dann, wenigstens eine Weile, als eigenständiger Staat weiterlaufen zu lassen? Das also wird sein Plan. Der Botschafter in Ostberlin wird nach Bonn zitiert.

    Wie es wohl ausgegangen wäre? Die Idee, die ich bei führenden Sozis dieser Zeit vermuten würde, wäre, mit Hilfe einer Pseudowiedervereinigung Deutschland wieder aus der transatlantischen Zwangsjacke herauszuführen, um sie in eine Art Superschweiz zu verwandeln. Lafontaine wusste, dass es dafür in der bürgerlichen Mittelschicht eine Mehrheit gegeben hätte. Gleichzeitig wäre das Land der schon damals heftigen Umverteilung innerhalb der EG entkommen.
    Wer hat also gewonnen, mit Kohl, in der Realität? Deutschland? Urteilen Sie selbst. Ich sage: Deutschland ist wie Bielefeld. Das gibt es doch gar nicht. In der realen Welt. Dank der CDU.

  6. Obiges Gedankenspiel hinkt. Der Straußsche Milliardenkredit wäre nie gekommen, nach Tschernobyl hätte die halbkommunistische Westregierung die DDR genervt ihre KKW abzuschalten, die Oppositionsbewegung wäre anders verlaufen, die Botschaftsfluchten hätten nicht stattgefunden. ADM wäre jetzt Bezirksparteisekretärin oder Ministerpräsidentin von Meck-Pomm. Würde die DDR noch existieren? Ich wage das zu bezweifeln.

  7. Interessantes Szenario, Herr Gafron.
    Schade, dass Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, es mit dem richtigen Personal zu bestücken.
    Schröder wurde 1990 erst zum Ministerpräsident in Niedersachsen gewählt und spielte damals in der Bundespolitik noch keine entscheidende Rolle.
    Kanzlerkandidat der SPD 1987 war Johannes Rau (damals noch entschieden gegen Rot-Grün), im Jahr 1990 Oskar Lafontaine (für Rot-Grün). Hätte die SPD 1990 den Kanzler gestellt, wäre es Johannes Rau oder Oskar Lafontaine gewesen, Schröder wäre damals noch nicht einmal als Minister in Frage gekommen.
    Ähnlich bei den Grünen, die damals in einem massiven Richtungskampf zwischen Fundis (um Jutta Ditfurth, Verena Krieger und Thomas Ebermann) und Realos (um Otto Schilly, Hubert Kleinert & Joschka Fischer) heillos zerstritten waren und in dem – bis zum Wahldebakel 1990 die Fundis die Oberhand behielten. Dazwischen gab es meiner Erinnerung noch die Strömung um Ralf Fücks & Ludger Vollmer, die sich weder bei Fundis noch Realos verorten ließ. Hätten die Grünen damals tatsächlich Einfluss auf die Politik der Bundesregierung nehmen können, hätte jedenfalls kein Joschka Fischer die Strippen gezogen. Bundessprecher waren damals meiner Erinnerung nach Ralf Fücks und Verena Krieger.
    Aber Ihre Quintessenz stimmt natürlich:
    Es war ein Glücksfall der deutschen Geschichte, dass der damalige Kanzler Helmut Kohl und nicht Johannes Rau oder Oskar Lafontaine hieß (auch nicht Schmidt, Strauß, Albrecht oder Späth) und der damalige Außenminister Genscher und nicht Vollmer oder Fücks.
    Eine Tragik der deutschen Geschichte ist dagegen, dass all das, was CDU-geführte Regierungen unter Adenauer bis Kohl (inkl. der sozial-liberalen Koalitionen) aufgebaut haben, von CDU-Regierungen unter Frau Merkel sinnlos zerstört worden ist.
    Und auch wenn sich die Führung der Grünen heute mit Habeck & Baerbock ein für die deutschen Wähler „attraktiveres“ Antlitz als mit Ditfurth & Co. gegeben hat, regierungsfähig sind sie bis heute nicht.

  8. Gott sei Dank ist es so nicht gekommen. Ich freue mich noch immer über das Ende der von mir gehassten DDR. Allerdings, die aktuelle Entwicklung hätte ich mir nie träumen lassen. In vielen Punkten sind wir wieder in die DDR zurückgekehrt, furchtbar.

  9. Interessantes Gedankenspiel. Da die UdSSR sich nicht sofort aufgelöst hätte, wäre auch der Comecon-Wirtschaftsraum weiterhin mehr oder weniger intakt geblieben und die Zombie-Unternehmen der DDR hätten weiterhin sehr viele ihrer Produkte unterbringen ( nicht in einem Marktsinn verkaufen ) können. Ob und wie lange dies funktioniert hätte wäre sehr ungewiss. Die genannten DM 60 Mrd. hätten aber nicht lange gereicht, um die Konsumbedürfnisse der DDR-Bürger zu bedienen, und gleichzeitig Modernisierungen in den intern hochverschuldeten DDR-Firmen zu finanzieren. Weder Bonn, noch Paris und London, wären bereit und in der Lage gewesen eine Dauersubvention in zweistelliger Milliardenhöhe aufzubringen. Nach spätestens 1 – 2 Jahren hätte sich eine neue Lage ergeben, die auch auf die eine oder andere Weise zu einer Vereinigung von BRD/DDR geführt hätten. Wie lange sich die damalige Bonn-Regierung hätte halten können wäre auch sehr unsicher. Kurzfristig wäre sehr viel anders verlaufen. Heute, 25 statt 30 Jahre später, wäre es wahrscheinlich trotzdem sehr ähnlich.

  10. Ja, dieses Szenario wurde 1952 schon mal Realität. Dem Adenauer gingen die Mitteldeutschen so was am A vorbei, daß er den Vorschlag Stalins, der zur Vereinigung geführt hätte, eiskalt ablehnte. Österreich und Finnland sind mit Stalins Angebot nicht schlecht gefahren.

  11. Nicht unwahrscheinlich – ich kann es immer noch nicht fassen, was die Genossen 89 vor hatten: Sonderwritschaftszone.

  12. Hm, lassen Sie es uns weiterspannen. Frau Dr. Merkel wäre nie Kanzlerin geworden, Herr Gauck nie Bundespräsident. Die DM hätte nicht für die Wiedervereinigung dran gegeben werden müssen, die Wehrpflicht würde evtl. noch existieren und die FAZ wäre noch eine konservative Zeitung? Berlin wäre geteilt geblieben, im Westen gäbe es noch keinen Mietendeckel einer Bausenatorin von der Linkspartei. Nur die Energiewende, veranlasst von den Grünen, wäre ähnlich „professionell“ umgesetzt worden wie aktuell, aber 2015 wäre uns eventuell erspart geblieben.

    Also, ich weiß nicht, langsam fange ich an, die Sache von der anderen Seite zu betrachten…^^

  13. Sorry, was soll so eine Spekulation? Wie wir wissen, ist nicht mal die Vorstellung eines Ministers Lafontaine unter Schröder realistisch.

    Fest steht allerdings, dass uns ohne Wiedervereinigung eine Kanzlerin Merkel nebst zahlreichen DDR-Funktionären in wichtigen staatlichen / gesellschaftlichen Positionen und damit der Niedergang der BRD höchstwahrscheinlich erspart geblieben wäre.

  14. Was wäre, wenn 1989 Schröder, Lafontaine und Fischer oder die GRÜNEN regiert hätten?

    Hier einige Zitate:
    • Nach vierzig Jahren Bundesrepublik sollte man eine neue Generation in Deutschland nicht über die Chancen einer Wiedervereinigung belügen. Es gibt sie nicht.“
    – Gerhard Schröder, 11. Juni 1989

    • „Die Forderung nach der Wiedervereinigung halte ich für eine gefährliche Illusion. Wir sollten das Wiedervereinigungsgebot aus der Präambel des Grundgesetzes streichen.“
    – Joschka Fischer, 27. Juli 1989

    • „Vergessen wir die Wiedervereinigung. Halten wir die nächsten 20 Jahre die Schnauze darüber.“
    – Zwischenruf Joschka Fischers im Bundestag, Oktober 1989

    „Diejenigen, die von Wiedervereinigung daherreden, haben aus der Geschichte nichts gelernt … das Wiedervereinigungsgetöse unterminiert alle vernünftigen Ansätze einer vernünftigen deutsch-deutschen Politik und geht … am Selbstbestimmungsrecht der Menschen hüben wie drüben vorbei.“
    Eichel (SPD) November 1989

    Die GRÜNEN
    „Zwei deutsche Staaten sind besser als einer. Allenfalls Konföderation, aber keinesfalls Wiedervereinigung.“

    „Alle reden von der Wiedervereinigung – wir Grünen reden vom Wetter“.

  15. „Die Zügel in Bonn hatten der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und sein Koalitionsvize Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) fest in der Hand.“

    Tut mir leid, das ist ein Gerücht. Dem halte ich mein Gerüchte entgegen, daß Kohl damals völlig überfordert und desinformiert und vor allem an der Leistung der „Ossis“ auch völlig deinteressiert war. Kohl betrachtete die DDR als Beutedeutschland und genau so gestaltete er auch seine Politik. Am Ende meinte er sogar, er hätte damit irgendwas zu tun gehabt 😀

    Ich will damit nicht sagen, daß die DDR den Verbrechern Schröder und Fischer besser in die Hände gefallen wäre, aber der Pfälzer, der Lispler und Manni Krause gehörten schon zum Schlimmsten was Ostdeutschland damals nach der SED passieren konnte. Genau daraus wuchs auch die Enttäuschung und Politikverdrossenheit.

    Das ist meine Meinung und ich bin im Westen groß geworden, ohne jeden Bezug zum Osten. Ich kann mich aber gut an die bleierne Zeit unter Kohl erinnern, in der Stillstand zum Fortschritt erklärt wurde. Das alles im Nachhinein zu romantisieren wird den Tatsachen nicht gerecht.

    • Es stimmt schon, man sollte die Ära Kohl nicht verklären. Aber auch mir – seinerzeit Kohlverächter – passiert es heute mitunter, dass ich mich angesichts der letzten 10 Jahre nach damals zurücksehne. Es gab vor 89 in der BRD eine durchaus akzeptable Mischung aus Konservatismus, sozialer Verantwortung, stabiler Ökonomie und wohldosierter Liberalität. Wusste man seinerzeit gar nicht so vollumfänglich zu schätzen, man war ja dran gewöhnt.

    • Weil Sie im Westen ohne Bezug zur DDR Realität groß geworden sind ist Ihre , ich formuliere vorsichtig, höchst seltsame, realitätsferneMeinung fast nachvollziehbar.

    • @Cosa Nostra:

      Sie können über Helmut Kohl viel Negatives sagen und etliches davon ist berechtigt, aber dass er mit der ganzen Thematik „nichts zu tun“ gehabt hätte, ist einfach falsch. Die Bundesrepublik Deutschland hätte ohne die Rückendeckung der USA nicht einen einzigen Zollbeamten in die DDR schicken können, ohne dass ihnen von der gesamten NATO so etwas von auf die Finger geklopft worden wäre, dass ihr hören und sehen vergangen wäre. Bitte vergessen Sie nicht, dass die Gründung der NATO damals und überwiegend auch heute genau drei europäische (der Schutz Nordamerikas durch Europäer war es nicht) Gründe hatte:

      1. Die Russen draußen halten.
      2. Die Franzosen drinnen halten.
      3. Für uns das wichtigste: Die Deutschen unten halten.

      Wir hatten eh schon Frankreich und Großbritannien gegen uns bei der Wiedervereinigung . Die Entscheidungsträger damals hatten den zweiten Weltkrieg noch mit erlebt, da wäre ohne ein klares Bekenntnis zur Wiedervereinigung von Westdeutschland gar nichts gegangen, denn dann hätten sich die USA den Schuh höchstwahrscheinlich auch nicht angezogen.

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