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Die etwas andere Sicht

Salzburger Festspiele 2018: Die Zauberflöte

von Gastautor

09.08.2018

| Lesedauer: 4 Minuten
Die Zauberflöte ist ein Renner an den größten Opernhäusern der Welt wie auch auf Provinzbühnen. Sie ist einfach zu gut, um zu enttäuschen. Sollte man meinen. Das nur schwer vorstellbare gelingt aber den Salzburger Festspielen.

Mozarts Zauberflöte ist ohne jeden Zweifel der hell leuchtende Stern eines Genies. Wer das musikalisch-technische Potential zu einer Aufführung mit auch nur ein bisschen Geschmack vereinigen kann, wird dieses Werk kaum an die Wand fahren können. Die Oper ist ein Renner an den größten Opernhäusern der Welt wie auch auf den Provinzbühnen. Sie ist einfach zu gut, um zu enttäuschen. Sollte man meinen. Das nur schwer vorstellbare gelingt aber den Salzburger Festspielen 2018. Durch Verschlimmbesserungen aller Art, brutale Eingriffe in das Werk und Fehlbesetzungen der Rollen schafft man es, Mozarts leuchtendes Gestirn in ein plump-fettiges Fastfood Produkt auf Mickymaus Niveau zu transformieren.

Wenn die Zauberflöte kritisiert wurde, dann immer wegen des Librettos von Emanuel Schikaneder. Die Geschichte ist von großer Schlichtheit und fällt selbstverständlich weit hinter die da Ponte Libretti zurück. In Salzburg reichte diese Schlichtheit selbst mit Hilfe der Texteinblendungen immer noch nicht aus. Nein, es bedurfte auch noch eines Großvaters, der den drei Knaben die Ge-chichte erzählt. Wie Jürgen Kesting in der FAZ richtig kommentiert, hat sich die Inszenierung ganz und gar dem Kinderverstand von Comic-Liebhabern angeschmiegt, jeden „höheren“ Sinn aber eskamotiert. Ziel der Aufführung ist offenbar, alles auszutreiben, was die Aura des Werks ausmacht: dass das Theater am Ende der Aufführung den „Goldtraum einer Societas humana“ (Ernst Bloch) beschwört.

Dass die Handlung von Opern immer in bestimmte Zeiten versetzt werden müssen, in die sie auch auf Teufel-komm-raus nicht hineinpassen wollen, ist mittlerweile im Regietheater Standard. Nach einem schon mal reichlich schief gegangenen Salzburger Rosenkavalier hat die Versetzung in die Zeit des ersten Weltkriegs nun leider die Zauberflöte erwischt. Wirkliche Kriegsbilder erscheinen aber nur in der Prüfungsszene als irritierende und mit der Handlung nicht im geringsten verbundene Video-Einblendungen, während der Rest der Oper von einer Tingeltangel slapstick Nummer in die nächste rauscht. Um das von Kesting angesprochene Infantilisierungsprogramm abspulen zu können, kann natürlich die Versetzung in die Zeit des ersten Weltkriegs nicht durchgehalten werden. Was würde denn das gaudi-lüsterne Publikum sagen? So kommt es, dass sich die Figuren in einem wüsten Durcheinander präsentieren müssen. Sarastro kommt daher, als wäre er als Dr. Mirakel Hoffmanns Erzählungen entsprungen. Tamino kommt mit einem lächerlichen aufgepappten Schnurrbart wie ein Operettensoldat der österreichisch-ungarischen Monarchie daher, während Pamina offenbar wieder einer ganz anderen Epoche entstammt. Sie sieht nämlich aus wie Alice Cooper, und man fragt sich, was für ein Bild von ihr Tamino (Dies Bildnis ist bezaubernd schön) gesehen hat, und wieso er nicht sofort nach der ersten Begegnung mit ihr die Flucht ergreift. Ebenso wie Pamina scheint auch der “Mohr” Monostatos eher einer Geisterbahn entsprungen zu sein. Weiß gepuderte Visage unter einer eisgrauen Stachelmähne. Von der Schikaneder’schen Originalfigur ist hier natürlich nichts mehr übrig geblieben. Die Erscheinung wäre eine Beleidigung für einen jeden wirklichen Mohren. Aber so einer kommt zum Glück gar nicht mehr vor. Weil die Zauberflöte ja bekanntlich ein rassistisches Stück ist (Originaltext: Alles fühlt der Liebe Freuden, schnäbelt, tändelt, herzt und küßt; und ich sollt‘ die Liebe meiden, weil ein Schwarzer häßlich ist! Ist mir denn kein Herz gegeben? Bin ich nicht von Fleisch und Blut? Immer ohne Weibchen leben, wäre wahrlich Höllenglut!) musste hier etwas umgestaltet werden. Aus dem Schwarzen wurde in Salzburg ein Diener (!): weil ein Diener häßlich ist. Generell macht das zwar ebenso wenig Sinn wie der Schikaneder Text, aber in Salzburg hat man sich immerhin bemüht, den aktuell auftretenden weiß-verschimmelten Monostatos aus der Rocky-Horror-Picture Show so scheußlich wie möglich zu halten.

Dass nicht alle Experten dem Gedanken einer rassen- und gendergerechten Umgestaltung unserer Klassiker folgen mögen, zeigt Tim Ashley, wenn er fragt: Yet are directors justified in attempting to rid The Magic Flute of all this? No, in my opinion. To get shot of Monostatos’s blackness, you effectively have to rewrite the opera for starters, and as a result The Magic Flute ceases to be The Magic Flute as Mozart imagined it, wanted it, and left it. No one in their right mind would con- template the comparable treatment of any of the Shakespeare plays that now present us with similar problems: a white Othello and a non-Jewish Shylock would, I suspect, be considered perverse, even by those who place themselves among the plays‘ detractors. So why on earth should we treat Mozart’s operas any differently? To examine and present his racism in a theatrical context should not, under any circumstances, be equated with condoning it.

Auf den Bühnen im deutschsprachigen Raum scheinen Bedenken dieser Art keine große Rolle mehr zu spielen. Wer vor gendergerechten Änderungen der Sprache und vor der Simplifizierung der ursprünglichen Sprache durch “leichte Sprache” nicht zurückschreckt, der wird wohl kaum Probleme damit haben, die musikalischen Werke unseres Kulturerbes dem Zeitgeist entsprechend “umzufrisieren”.

Leider finden sich in der Zauberflöte noch weitere Anstößigkeiten, die einen Schlag ins Gesicht der politisch korrekten und gendergestählt aufgeklärten Zuschauer darstellen. Junge Frauen dürfen hübsch, alte müssen hässlich sein. Wie kann man dieses Modell der Grausamkeit und Ungerechtigkeit noch weiter zulassen? Die in Salzburg vorgeführte, in ein altes Weib verwandelte, Papagena geht auf Stelzen und entlässt Staubwolken (!) aus ihrem Haar. Pfui und nochmal pfui! Wie konnte so etwas die Zensur passieren? Hier gilt es der Vernetzung mit weiteren Anti-Diskriminierungs- und sonstigen Befreiungsbewegungen (#Mefive?). Falls es zu einer Wiederaufnahme der aktuellen Inszenierung kommt, könnte man an mehreren wichtigen Stellen chirurgisch eingreifen und die Zauberflöte damit ernsthaft aufführungsrobust machen.

Opernfreunde der alten Schule erzittern ob dieser Perspektiven. Schlimm genug, sollte man nun denken. Aber es kommt noch dicker, wenn man sich die Besetzung der Salzburger Zauberflöte ansieht. Die Königin der Nacht, in hausbackenster Aufmachung, traf nur wenige der Spitzentöne. Man muss fairerweise einräumen, dass hier eine Einspringerin für die erkrankte Albina Shagimuratova gesungen hat. Man fragt sich allerdings auch, wieso sich Salzburg bei den exorbitanten Eintrittspreisen und dem ganzen Festspielrummel für solche Fälle keine erstklassige Riege von Ersatzsängern leisten kann. Matthias Goerne ist ein hochintelligenter Musiker und ein verdienter Liedinterpret des Stimmfachs Bariton, ihm aber die Rolle des Sarastro zu geben, grenzt an völliges Verasgen. Sarastro ist ein Bass, der v.a. in der Tiefe über ein großes Volumen verfügen muss: Franz Crass, Gottlob Frick, Josef Greindl, Matti Talvela, Matti Salminen waren Sänger, die das erfüllten.

Fanden sich für Salzburg keine vergleichbaren Stimmen? Kaum zu glauben. Wieso Matthias Goerne? Und wieso gibt der sich für so etwas überhaupt her? Besetzt man den Sarastro mit Matthias Goerne, könnte man die Rolle das nächste mal konsequenterweise gleich für Andreas Scholl oder Philippe Jaroussky neu bearbeiten. Im gegenwärtigen Rausch der Gendergerechtigkeit wäre das bestimmt ein Erfolgsgarant. Da der Respekt vor dem Werk sowieso nicht mehr gegeben ist, wie man an den Eingriffen in den Text und an der Zugesellung bzw. Weglassung von Rollen sieht, könnte man den Salzburger Weg nuancierter verfolgen und z.B. die Instrumentierung auf E-Gitarren, Synthesizer und Schlagzeug umstellen und Sängern mit schmäleren Stimmen ein Mikrofon umschnallen. Szenen umzustellen und etwa die Ouvertüre nach dem zweiten Akt zu spielen, hat sich, wie die Bayerische Staatsoper gezeigt hat, durchaus schon etabliert. Das Eis ist gebrochen. Wir dürfen uns daher noch auf viel Innovatives auf den Opernbühnen freuen.

Prof. Dr. Josef Bayer, Allgemeine und Germanistische Sprachwissenschaft, Universität Konstanz.

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20 Kommentare

  1. Herrlich, lieber Herr Professor! Wie heißt es doch bei Schickaneder: „De-er Vogelfänger bin ich ja …, hei hopsassa“. Was aber fängt so ein Fänger im Roggen? Vogel oder Vögel? Also musste es doch eher lauten: „Der Vögelfänger bin ich ja …“ Dass das richtig ist, ersieht man aus einem Loblied vom Wolferl an seine Constanze: Ja, kochen kann sie, die Constanze, sehr gut sogar – und vogeln, mit viel Geschrei – u-und Geld ausgeben. Er hat also „vogeln“ gesagt, nicht etwa „vögeln“. Warum? Ganz einfach: Das kömmt aus dem Italienischen, wo einer sagt zu seiner Angebeteten: Ti voglio tanto bene. Der Deutsche, unmächtig wie so oft, liest das „voglio“ mit dem „g“, begreift nicht, dass das beim Italiener stumm ist wie unser „h“ bei „wohl“ – und schon meint er, das habe was mit den Zwitschermätzchen zu tun.
    So erkennt man: Der Vogelfänger ist gar nicht so sehr auf die blöden Vögel aus, sondern vielmehr: „Ein Mädchen oder Weibchen, wünscht Papageno sich … .“. Wäre das mal was für ein Seminar für germanische Sprachwisse unter besonderer Beachtung der italienischen Einflüsse auf die nördlich der Alpen? Wo’s doch so schön mediterran zugeht am Bodensee, denn, so Oskar von Wolkenstein zu den Zeiten des Konstanzer Konzils (1414 – 1418): „Denk‘ ich an den Bodensee, so tut mir gleich der Beutel weh“. Mama mia, porca miseria.

  2. 2019 will man die Zauberflöte parallel zu Salzburg auch in Wacken aufführen. Die Musik dazu wird von der lokalen Feuerwehrkapelle und Heavy Metal gespielt. Für die Kostüme ist der Karnevalsverein von Mainz verpflichtet worden. Inszenierung und Regie werden der Theaterwissenschaftlerin Claudia Roth übertragen. Alle Männerrollen werden von Trans- Bi- oder Multisexuellen gespielt. Als Bühne wird der übliche Schlammacker in Wacken dienen, damit werden alle Gesichter automatisch schwarz, genial. Endlich beommen die wirklich Progressiven eine Chance.

  3. Nur keine Panik,
    bereits die Staatsoper Hamburg hat es geschafft, die Zauberflöte vollständig zu entzaubern.
    Obwohl es sich bei einigen Werken geradezu verbietet, bemerkt man immer häufiger, dass dem Zeitgeist gefolgt wird und man der Versuchung erliegt, durch Provokationen Akzente zu setzen, wo es an adäquatem künstlerischen Vermögen mangelt.
    Nebenbei bemerkt: Es gibt kaum noch Bühnendarbietungen, bei denen die Akteure ohne Verstärkertechnik auskommen. Warum ist das so? Steckt da auch der Zeitgeist dahinter oder ist es mangelnde Ausbildung oder mangelndes Vertrauen in die Fähigkeiten der Akteure, den Raum mit ihrer Stimme auszufüllen?

    • Propaganda wurde doch schon immer sehr lautstark unters Volk gebracht, da reicht die Stimme der Akteure nicht mehr!

  4. „Man fragt sich allerdings auch, wieso sich Salzburg bei den exorbitanten Eintrittspreisen und dem ganzen Festspielrummel für solche Fälle keine erstklassige Riege von Ersatzsän
    gern leisten kann. “
    Das ist echt witzig. Ich habe mit Aufführungen zu tun, für die kein einziger der Akteure nur einen einzigen Pfennig bekommt, obwohl alle über ein Jahr geprobt haben, bis es zur Aufführung kommt. Das ganze Geld des voll besetzten Hauses geht an den Verein, der falsche Noten liefert und ein Playback, das noch niemals was von Takt gehört hat und der Rest an die ganzen Gebühren für die Auftrittsplätze. Es passierte uns tatsächlich, dass der Hauptsänger und Darsteller eine Kehlkopfentzündung bekam und weinend da saß: Es geht nicht mehr. Wir schufen es in einer Nacht, dass sein Gesang von anderen gesungen wurde, die das in einer Nacht hinbekamen und das waren ein ausgebildeter Opernsänger und ein Rocksänger und beide klangen nicht ähnlich. Dem Publikum wurde die Situation erklärt und es war sehr begeistert und lobend, weil wir einen Ausweg gefunden haben. Und es ist richtig, dass solche Häuser mit überbordendem Einkommen keine perfekte Zweitbesetzung haben und es ist ja gelradezu ein Glück, wenn sie sich noch ein Orchester leisten, statt nach Playback und Klicker zu spielen.

  5. Bei arte kann man sich die Aufführung ansehen, man vergleiche nicht nur die seltsame Inszinierung und die Königin der Nacht Emma Posman mit der unglaublichen Präsenz von einer Diana Damrau (YouTube). Au weia.

  6. Hatte kürzlich eine Aufführung im TV für wenige Sekunden gesehen. Die drei Damen unten in aufgebauschten Hosen oder Röcken, oben Uniformjacken. Ich glaube, ich hatte auch Gewehre gesehen. Das war’s dann. Einfach eklig diese profilierungssüchtigen Regisseure. Der Gipfel war für mich Amphitryon in Wehrmachtsuniformen.

    • Zitat: „Der Gipfel war für mich Amphitryon in Wehrmachtsuniformen.“
      Um die unsägliche Margot Käßmann wieder einmal zu bemühen – da sieht man, aus welcher Richtung der Wind weht.
      Diese ganze, bis zum Erbrechen unerträgliche, tagtägliche Nazi-Zeit-Präsentation in Medien, ‚Kunst‘ und Politik zeigt mir, daß da eine zwar latente, aber sehr stark ausgeprägte Sehnsucht der Akteure nach dieser Zeit und der sich daraus für sie ergäbenden Möglichkeiten gleich denen in jener Zeit besteht.
      Wenn ich andauernd über etwas oder jemanden spreche, so denke ich intensiv daran. Und wenn ich an irgendetwas ständig denke, so habe ich eine insgeheime triebhafte Sehnsucht danach.

  7. Ich wollte mir eigentlich die Übertragung der Aufführung in 3sat anschauen, habe jedoch nach nicht mal einer halben Stunde abgeschaltet wegen der katastrophalen Darstellung der Figuren und der unerträglichen Opa-Erzählungen.
    Sowas braucht kein Mensch!

  8. Parallel zur postfaktischen Epoche der Merkelpolitik findet auf den Bühnen seit einiger Zeit ein postmodernes Destruktionstheater statt. Aus eigenem Erleben kann ich von klassischen Stücken berichten, die um Episoden und Personen ergänzt und erweiter wurden, Personen aus verschiedenen Epochen und Stücken gemixt wurden. Warum schreiben die Regisseure kein eigenes Theaterstück?

  9. Tja, so macht man aus der Zauberflöte eine Flauberzote. Habs nicht gesehen, aber diewortreiche Schilderung sagt mir, daß mir in den Hintern ein Monogramm gebissen hätte, wenn ich für die Tickets Geld ausgegeben hätte – gibt auch gute DVDs und Heimkinoanlagen für nahezu das gleiche Salär. Da ist das Geld besser aufgehoben.
    Über bizarre Inszenierungen kann ich mich gerne aufregen, muß aber nicht – warum muß man zwangshaft Stoffen der Vergangenheit portieren, statt die Zeit von damals zu verstehen lernen?

  10. Ich kann mich dem nur anschließen. Ich habe nach der Sarastro Arie „in diesen heiligen Hallen“ den Fernseher abgeschalten. Es war nicht mehr zu ertragen. Der „Rot/Grüne Mainstream Mißbraucht Mozart. Auch das Dirigat war sehr oberflächlich.

  11. Für mich ist die Zauberflöte ein so tiefgehendes Drama, dass man eben das Requiem als andere Oper daneben stellen kann.
    Gleichzeitig ist es ein Märchen, ein Spiel und Schikaneder hat sicher nicht gewusst, was Mozart aus dem Text machte, so wenig wie übrigens da Ponte.
    In gewisser Weise ist Mozarts Genie das auch trotz der Texte.
    Ich dachte zu allererst wegen Pamina an Olympia.
    Doch man kann aus Shylock einen Nicht-Juden machen, solange er ein Wanderer zwischen Kulturwelten bleibt.
    Man kann aus Monostatos einen anderen Schwarzen machen, einen des Klerus, einen, der alleine ist.
    Man kann sehr viel und einer Regisseurin erlaube ich von meiner Seite sehr viel, vor allem, wenn sie eine Amerikanerin ist.
    Man schaue sich die Aufführung von Händels Giulio Cesare von Peter Sellars neben einer normalen für uns gängigen Opernaufführung an.
    Wichtig dafür sind excellente Stimmen, gerade wenn die Inszenierung gewöhnungsbedürftig ist.
    Ich bin leider so genervt, dass ich nicht offen für diese Inszenierung gewesen wäre.
    Ich habe also auf sie verzichtet als ich Pamina sah.
    Ich brauche jetzt mehr Märchen.
    Aber es ist die Zauberflöte aus der Sicht einer Frau, also hochspannend und wie ich schon mal sagte, hat diese Oper bei mir auch ein tiefes Misstrauen gegenüber Männern „geweckt“, denn mit meiner Mutter geht niemand so um.
    Das hat Sir Simon Rattle beachtet, der die Königin der Nacht nicht zerstörte.
    Nun kann man nicht immer alles in eine Erzählung packen. Ich habe meinen Frieden mit Mozart gemacht, als ich spürte, dass das Requiem die Annahme der Nacht/des Todes sein könnte und wieder ganz anders als der Text vermuten lassen könnte.
    Man muss es nur als Oper, als Erzählung sehen.
    Man darf vor allem Mozart trauen. So eine Musik IST der Himmel auf Erden.
    Mehr kann frau/man von einem Mann nun auch nicht verlangen.
    RESPECT

  12. Vielen Dank, für diese ‚Abrechnung‘ mit einem völlig verhunzten, von Haus aus wundervollem Klassiker!

    Nachdem ich mich einmal hatte bequatschen lassen, mir eine ‚total moderne‘ Inszenierung des Barbiers von Sevilla anzutun, weiß ich, warum ich nur noch die klassischen Inszenierungen ansehe, anhöre und genieße ?

  13. Wir haben die Aufführung bei ARTE gesehen. Das die Königin der Nacht nicht so ganz spitze war , hat man sofort gehört. Meine Frau meinte dann , daß im Nachspann auf die Erkrankte Hauptbesetzung hingewiesen wurde. Sarastro fand ich stimmlich auch etwas schwach auf der Brust , ist aber auch wirklich ’ne schwierige Tonlage.
    Tamina dagegen hatte für mich eine schöne Stimmfarbe.
    Ansonsten : Monostratos in weiß , meine Güte ! Wirklich albern. Man kann Dinge auch mal belassen wie sie sind und notfalls aus Ihrer damaligen Zeit heraus erklären.
    Die drei Knaben haben allerdings hübsch gesungen.

    Der harschen Generalkritik würde ich mich aber nicht anschließen. Es ist halt ein Singspiel. Für mich schon immer mehr ein Märchen mit unterhaltendem Charakter denn ernsthafte Dramatik. Riesenschlangen , Zauberglockenspiele , Vogelfänger lassen das Ganze doch eher wie einen Schwank erscheinen. Heilige Hallen hin oder her.
    Daher fand ich den Dreh mit der Gutenachtgeschichte eigentlich ganz nett. Da würde ich mich nicht groß aufregen.
    Das Bühnenbild fand ich auch nicht so arg schlimm. Irgendwas Neues will man halt machen. Das wichtigste an der Zauberflöte ist gewiß nicht die besonders tiefsinnige Botschaft , es sind halt die schönen Melodien. Und die bleiben uns zum Glück für alle Zukunft unverändert erhalten.

    • Zudem hat Mozart auch das mir unbekannte Singspiel „Der Schauspieldirektor“ geschrieben.
      Wovon wir sicher ausgehen dürfen ist, dass die Regisseurin sich mit dem Schaffen Mozarts auseinandergesetzt hat.
      Sie hätte aber, statt für das Schlussbild mit Königin der Nacht das entsetzliche Foto von der Hinrichtung eines Vietnamesen zur Vorlage zu nehmen, auch daran denken können, dass Mozart die Königin nur in ihren ihr eigenen Bereich verbannt, die Nacht eben.
      Ihre Tochter wird Teil einer befriedeten Gesellschaft, allerdings unter dem Anführer Sarastro, also einer patriarchalischen Welt.
      Der Königin will Mozart den Sonnenkreis nicht überlassen, dafür sieht er die Nacht vornehmlich als Schrecken des Todes und der Gefahren.
      Das ist schon eine gewisse Unausgewogenheit.
      Es sind „Imaginationen des Weiblichen“. Ich empfehle das Buch der kürzlich verstorbenen Silia Bovenschen.
      Es muss für die Männer der Frühzeit ein Drama gewesen sein, dass die Sonne unterging, während sich die Frauen sehr früh begannen auf den Mond zu beziehen, der aber nun mal tags nicht zu sehen ist.
      Wie nun die offensichtlich räumlich und zeitliche Differenz des Weiblichen und Männlichen ertragen lernen, wenn man oder frau sie als je nur man oder frau selbst offensichtlich nicht beherrschen kann?
      Man muss sich eben einerseits bezüglich nehmen und nur immer als Teil einer Macht erkennen und kann über das Mysterium der Vereinigung des Männlichen und Weiblichen mit in der Folge Kindern, die Zeit (Isis/Horus)also, trefflich sinnieren.
      Erst einen Papageno, dann eine Papagena, da scheint schon Streit vorprogrammiert, der aber in die höchsten Gefühle mündet.
      Man bedenke einmal die Zeit Mozarts, noch damalige Macht des Klerus und vergegenwärtige sich die ungeheure Anstrengung mit der Mozart in dieser Oper eher alles verbarg, denn offenbarte.
      Und man weiss dann auch, warum ich diese Macht dem Klerus nicht wieder zugestehe.
      Für die Transzendenz, wider die Gottesstaaten.
      Es gibt zwei wunderbare Bände zum 250. Geburtstag Mozarts
      „Mozart. Experiment Aufklärung im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts“ und den gleichnamigen Essayband zu der Mozart-Ausstellung, herausgegeben von Herbert Lachmayer. Beide Bände im Hatje Cantz Verlag erschienen.
      Mozart ist auch wunderschön, ebenso aber eine Offenbarung des Göttlichen als Leben der Menschen, für mich vollendetes HUMANUM, Leben, das Paradies auf Erden. Deshalb ist es so naheliegend, wenn an dem Ort, an dem die Zauberflöte erklingt, die Menschen tanzen, wilde Tiere besänftigt sind und alles grün ist. Davon könnte die jetzt besprochene Aufführung reichlich entfernt gewesen sein. Unsere Entfernung dazu zeigt sie ja selbst an.
      Die Requiem-Aufführung zu Pferde im letzten Jahr war ja wohl auch erstaunlich.
      Man kann also wohl für die nächsten Jahre gespannt sein.

  14. Danke für diesen Artikel! Ich habe auf 3sat in die Aufführung hinein gehört. Als die Königin der Nacht ihre ersten Koloraturen gesungen hat, habe ich den Fernseher schnell ausgemacht. Ich habe sie nur noch bedauert. Sie war dieser Musik, die sehr schwer zu singen ist, aber ganz leicht klingen muss, in keiner Weise gewachsen. Zu allem anderen haben Sie die richtigen Worte gefunden. Was für eine Enttäuschung!

  15. Trefflich beschrieben! Ich hatte mich auf diesen lang angekündigten ‚Leckerbissen‘ sehr gefreut, u.a. auch, um BRANDAUER zu sehen, obschon ich mir nicht erklären konnte, welche Rolle er übernehmen sollte. Trotz aufsteigender Wut und Kopfschmerzen bei dem dargebotenen Singspiel habe ich immerhin eine halbe Stunde durchgehalten. Dann abgeschaltet. Entsetzlich.

  16. Endlich haben auch die Verantwortlichen der Salzburger Festspiele erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. Hurra!!

    Der nächste Schritt muss die kultursensible Überarbeitung der gesamten westlichen Musik sein. Gut, dass man nun auch Mozarts Werk nicht mehr schont. Gerade Mozarts Opern sind ja Musterbeispiele für „cultural appropriation“ in der „Zauberflöte“ und für üble Islamophobie in der „Entführung aus dem Serail“. Da hilft auch der versöhnliche Schluß nicht, wenn Osmin wie eine Karrikatur des bösen Muslims über die Bühne hüpft. „Così fan tutte“ mag zwar dem Geist der 68er gelegen kommen, aber wie soll eine junge Muslima den Kulturschock eines Opernbesuches verarbeiten? Dass Wagner, nicht mehr aufgeführt werden darf, dürfte Konsens sein. Bachs Werke müssen wenigstens textlich überarbeitet und um ein paar Arabesken erweitert werden. Bis wir von Monteverdi bis Steve Reich die wichtigsten Überarbeitungen fertig haben, werden wenigstens die Notenverlage kaum Grund zur Klage haben. Die musikalischen Überarbeitungen sollten dabei durchaus auch von Laien kommen, dann verliert die Musik vielleicht etwas von ihrer manchmal doch sehr westlich-elitären Ausstrahlung.

    Bis die Multikulturrevolution erfolgreich gemeistert ist, haben wir alle noch viel zu tun. Aber eins ist sicher: Wir schaffen das!

    P.S. „Romeo und Julia“ kommt schon arg hetero-fixiert daher. Die Überarbeitung der westlichen Literatur muss angegangen werden, wenn uns etwas am Zusammenhalt der Gesellschaft liegt.

  17. Die Salzburger Zauberflöte kenne ich nicht, aber Ihr Bericht spricht Bände. Warum muss man jedes Werk verfremden? Jeder Regissiseur versucht Psychologie uns deutlich zu machen. Ich habe Mitleid mit den Sängern, in welchen Positionen sie singen müssen. In Stuttgart sah ich vor kurzem einen Holländer, da fragte ich mich, welche Oper ist das? Es gab keine Pause, also musste ich bis zum Schluss bleiben.
    Vielleicht liegt es daran, dass ich seit 60 Jahren Opernliebhaber bin.

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