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Die Kathedrale bleibt Seele und Mittelpunkt

Die Auferstehung von Notre Dame

17.04.2019

| Lesedauer: 6 Minuten
Lodernde Flammen im Herzen der französischen Hauptstadt. Ein entsetzlicher Brand. Und doch wird die Kathedrale Notre Dame in ihrer ganzen Schönheit wieder aufgebaut. Sie bleibt, was sie über 850 Jahre lang war: das Herz von Paris.

Notre Dame ist schwer geschlagen. Die Häuser auf der Ile de la Cité scharen sich, so scheint es, seit dem entsetzlichen Brand noch enger um die Mutter der Stadt, um die Kathedrale, deren Vorgängerbauten bis in spätrömische Zeit hinabreichen. Tief im Grund der Seine-Insel künden Steine, künden alte Gewölbe von 1.600 Jahren, die dieser Ort bereits gottgeweiht ist – geborgen und bewacht von Notre Dame, der ältesten Tochter Frankreichs, der Hüterin des petrinischen Rom in Gallia Transalpina. Für ihre Dignität, für ihre Würde, für ihre Kraft als Symbol der uralten, in der Antike wie im Christentum auf Gedeih und Verderb verankerten französischen Nation lieben die Menschen in Paris und in ganz Frankreich ihre Notre Dame. Ganz Europa, ja, die Welt schaut auf diese Kirche. Weder diejenigen, die in ihr eine Mutter des geistigen Europa sehen, noch diejenigen, deren Augen dafür blind sind, versagen ihr die Achtung, die Bewunderung.

EINE MAHNUNG?
Notre Dame kann wieder hergestellt werden
Und nun ist sie wahrlich schwer geschlagen, fast schien sie verloren in der Nacht vom 15. auf den 16. April, diese Mutter Europa. Ihr Dachstuhl aus rund 1.300 ganzen Eichenstämmen, die teils noch im 12. Jahrhundert geschlagen worden waren, stand seit dem 13. Jahrhundert unzerstört – nun ging er fast zur Gänze in Flammen auf. Ein unwiederbringlicher Verlust. Und dann, am späten Abend, Feuer im Nordturm, sogar in den Live-Übertragungen deutlich zu sehen, und schwarzer Rauch. Menschen in Paris und auf dem ganzen Kontinent beteten ein Vaterunser nach dem anderen für die Rettung wenigstens der beiden westlichen Fassadentürme – auch der Autor dieser Zeilen. Wie knapp es war, berichtet Laurent Nuñez, seines Zeichens französischer Innenstaatssekretär: „15 Minuten länger und der Bau wäre verloren gewesen!“ Doch als der Morgen anbrach, stand Notre Dame noch. Von Osten, mit dem Licht, gemahnte der Mauerkranz ihres Chorhauptes, des Dachstuhls beraubt, an die Dornenkrone Christi, die darunter, im Kirchenschatz, als heiligste Reliquie bewahrt wird. Doch trotz aller Zerstörung wird eine vollständige Wiederherstellung möglich sein.

Die Struktur des heiligen Raumes gerettet

Am Morgen nach dem Brand war es endlich klar zu sehen: Die Gewölbe des Hauptschiffs, des Chors und des Transepts haben gehalten. Sie müssen gründlich untersucht und gesichert werden, denn Steine glühen durch solch eine enorme Hitze, wie sie der Brand mit sich brachte, aus. Sie werden dann porös, werden instabil. Zudem sind alle Gewölbe mit Wasser vollgesogen, was ihr Gewicht um ein mehrfaches ansteigen ließ. Hier werden, wenn das Wasser nicht verdunstet oder entfernt werden kann, möglicherweise ganze Steinlagen aus den Gewölbezwickeln erneuert werden müssen.

Wichtiger noch ist es, dass die Kreuzrippen sowie die Dienste und Kapitelle, auf denen sie ruhen, ihre volle Funktionalität haben, denn sie sind neben den Säulen das Gerüst, das die diaphanen Wände als Gitterstruktur das gesamte Gebäude stabil hält. Zwar brach das Vierungsgewölbe ein, und die Bilder, die noch in der Brandnacht im Kircheninneren gemacht werden konnten, zeigen die klaffende, glühende Wunde, die Notre Dame auch hier erhielt. Glühende Balken und verflüssigtes Blei vom Dach stürzte auf den Marmorboden in der Vierung. Doch der ganz überwiegende Teil der kreuzrippengewölbten Joche des Kirchenraumes blieb vorerst erhalten, weswegen die Wände auch nicht nach innen stürzten, was angesichts des Druck der äußeren Strebepfeiler andernfalls zu befürchten gewesen wäre. Dies ist ein großes Zeichen der Hoffnung. Falls die Gewölbe erhalten bleiben, ist viel gewonnen.

PARIS
Notre Dame: Europas Seele brennt
Über 900 Millionen Euro stehen bereits für den Wiederaufbau bereit. Die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo sagte, die Stadt werde sich mit 50 Millionen Euro am Wiederaufbau beteiligen. Die Region Ile-de-France kündigte zehn Millionen Euro an. Die beiden größten Luxusgüterkonzerne Frankreichs, LVMH und Kering, verpflichteten sich: Die Familie Pinault, die bei Kering für Marken wie Gucci und Saint Laurent steht, gibt 100 Millionen Euro. François-Henri Pinault erklärte noch in der Brandnacht, diese Tragödie treffe alle Franzosen, und in solch einer Situation wolle jeder mithelfen, „schnellstmöglich diesem Juwel unseres nationalen Kulturerbes wieder Leben einzuhauchen“. Am Dienstagmorgen versprach dann LVMH, für die Moët Hennessy und Louis Vuitton bekannt, man werde 200 Millionen Euro für den Wiederaufbaufonds geben. Die Besitzerfamilie Arnault ließ verlauten, sie wolle „nach dieser nationalen Tragödie ihre Solidarität zeigen“. Notre-Dame sei ein Symbol Frankreichs, seines kulturellen Erbes und seiner Einigkeit.

Der Wiederaufbau ist beschlossen

Es ist enorm wichtig, dass große Familien schnell und entschlossen ein Beispiel geben. Denn nach Expertenschätzungen sind es Milliardenbeträge, die benötigt werden, um der geistigen und geistlichen Mutter der Seinemetropole und des christlichen Westeuropa zur alten Schönheit und zu neuer Stabilität zu verhelfen. In fünf Jahren bereits soll der Wiederaufbau geschafft sein. Präsident Emmanuel Macron hat dies noch in der Brandnacht zu seinem persönlichen Projekt erklärt. Wenn 2024 die Augen der Welt auf Paris gerichtet sein werden, weil die Olympischen Spiele in Paris stattfinden, sollen in Notre Dame wieder Gottedienste stattfinden.

EIN UNERSETZLICHER SCHATZ
Der Verlust von Notre Dame ist kaum zu ertragen
Doch es geht um weit mehr als um Geld, es geht keinesfalls nur um ehrgeizige Aufbaupläne. Es geht um den Geist, den jeder Einzelne nur spirituell erfahren kann. Dazu sei hier eine Einladung ausgesprochen. Stellen Sie sich, liebe Leser, die Kathedrale Notre Dame vor. Schließen Sie die Augen, hören Sie innerlich, wie eine Glocke schlägt. Vielleicht spüren Sie, was der Autor diese Zeilen zuweilen spürt, wenn er eine Kathedrale betritt oder auch nur an sie denkt: Hier ist der Ort einer großer Ruhe, eines höheren Seins, einer höheren Vernunft, die aber keiner uns zugänglichen Rationalität gehorcht oder ihr verpflichtet ist. Es ist wohl das, was Menschen vom Himmel auf Erden spüren können. Es ist das, was von der Verheißung des Kommenden zu wissen möglich ist.

Kathedralen sind die Mütter der Kirchen, des Landes. Und deswegen reicht es auch, eine kleine mecklenburgische Dorfkirche oder einer der beiden erhaltenen Friedenskirchen in Schlesien zu betreten, um die mystische Erfahrung zu machen, dass hier der Himmel näher ist als an irgendeinem anderen Ort. Der Unterschied zu anderen religiösen Stätten – denen nichts von ihrer Ehrwürdigkeit abgesprochen sei – ist, dass in den Dorfkirchen, den Friedenskirchen, den Kathedralen die Botschaft der Liebe gepredigt wird. Die Liebe Jesu Christi. Die Liebe eines Gottes, der sich selbst als Mensch den Menschen gibt und der höchstselbst die Sünden aller Menschen durch den Tod am Kreuz büßt. Der TE-Leser „Babylon“ hat dies ganz wunderbar erspürt, als er über Notre Dame schrieb: „Sie war und ist auch noch in ihrer Zerstörung geronnener Geist von Jahrhunderten französischer und europäischer Geschichte. Die Kathedrale ist das Abbild eines Urbildes.“

Hunderte Kirchen erleiden Martyrium

Und Notre Dame erleidet nun, als wenn sie es stellvertretend für alle Kirchen in Frankreich täte, in dieser Karwoche 2019 ihr Martyrium, denn noch nie stand sie zuvor in Flammen. Doch viele andere Kirchen in Frankreich erleben in diesen Tagen Zerstörung und Schändung. Zuletzt, im März, traf es die zweitgrößte Kirche in Paris, S. Sulpice, deren große Tür angezündet wurde, wodurch auch eine Fensterrose und sehr wertvolle Fresken stark beschädigt wurden. Vera Lengsfeld weist ferner darauf hin, dass im Jahre 2017 allein in Frankreich 878 Kirchen, die Töchter der Kathedralen, Opfer von Attacken und Beschädigungen wurden. In den Silvesternächten 2015 und 2016 wurden schließlich in ganz Europa hunderte von Kirchen geschändet – die meisten davon übrigens in Deutschland. Was in den meisten Medien aber noch besser vertuscht wurde als das vielfache Sexualverbrechen auf der Kölner Domplatte und rund um den dortigen Hauptbahnhof. Wobei dieser weite Bogen zurückgeführt werden kann zu den Kulminationspunkten der Kultur, zu den Kirchen und von ihnen zu den Kathedralen.

MENSCH SEIN
Braucht man Kirchen, wenn man nicht an Gott glaubt?
Denn die Bedrohung ist da. Die Blicke richten sich in diesen Tagen auch deswegen speziell auf Köln, denn in diesen Tagen hat ein Islamist in einer Gerichtsverhandlung expressis verbis mit einem Anschlag auf den Kölner Dom gedroht. Und so war es denn, als ob sich eine mahnende Stimme erhöbe, ein Künden von der Passion, von den Zerstörungen in der Notre Dame, als am Mittag des 16. April die große Petersglocke des Kölner Doms zu sprechen begann. Als sie auch zu der Stunde, als tags zuvor der Brand ihre Schwester zu verwüsten begann, ihr langsames, bedeutungsvolles Geläut ertönen ließ. Mancher blieb stehen und hörte auf diesen Takt des alten, des christlichen Europa. Und verstand. Und wünschte sich die Sicherheit, wirklich glauben zu können, dass es wirklich nur ein Funken aus einem Schweißgerät eines Bauarbeiters war, der die älteste Tochter Frankreichs, der die Seele Europas so schwer verletzte.

Notre Dame in Paris wird in all ihrer Schönheit auferstehen. Die Balken des Dachstuhls, einige der Gewölbe, der Vierungsturm – sie werden neu sein. Aber sie werden in das bestehende Heiligtum hineingebaut. Sie werden selbst zu Stücken dieses Heiligtums. Die Berührung mit dem Ort, mit den schon dort verbauten Steinen wird sie heiligen. Notre Dame steht noch. Zwar wie mit den Dornen vom Haupte Jesu Christi gekrönt, aber das Osterfest sicher erwartend.

Die Hoffnung lebt. Notre Dame steht noch. Das sollte allen, die an das christliche Europa glauben und in friedlicher Verschiedenheit dort leben wollen, große Kraft geben. Weit über die Karwoche 2019 hinaus. Warum wir trotz der Zerstörung so vieler unwiederbringlicher Kunstwerke ohne diese Hoffnung nicht leben wollen, drückt Schlusswort von Vera Lengsfeld aus: „Europa entstand, als es sich um 1000 ein weißes Kleid an Kathedralen zulegte. Es wird untergehen, wenn es seine Kathedralen, die symbolisch für sein christliches Erbe stehen, nicht schützt.“

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36 Kommentare

  1. In dem Film Deutschlandsafari von Broder und Abdel-Samad wollten sie eine Moschee besuchen, die mit Geldern der EU als Stätte der Begegnung gebaut wurde. Der Eintritt wurde ihnen von Wächtern verweigert.
    Notre Dame konnte jeder während des Tages oder während des Gottesdienstes besuchen.
    Die Kathedrale war offen für jedermann, gleich welcher Religion in all ihrer Schönheit.
    Jährlich besuchten etwa 13 000 000 Menschen Notre Dame kostenlos, ausgenommen die Türme und Führungen.
    Welches einzelne Bauwerk hat je so viele Menschen angezogen?
    Für viele Franzosen ist Notre Dame nicht nur eine Kirche, es stellt für sie das Herz ihrer Kultur, ihrer Zivilisation und ihrer Gesellschaft dar.
    Spontan haben viele Menschen, arm oder reich, Geld für den Aufbau bereit gestellt. Das ist wirklich eine schöne und positive Reaktion, um diesen Schock zu verarbeiten und persönlich, nachdem die Pläne der Renovierung noch vorhanden sind, für den Wiederaufbau einen Beitrag zu leisten.
    Was für ein geiziger Kleingeist muss man sein, um an dieser Spendenbereitschaft Kritik zu üben.
    Die einzige für Nichtmuslime zur Besichtigung offene Moschee im Oman, die „Sultan Qaboos Grand Mosqe“ wurde 2007 durch die Wassermassen des Zyklon Gonu stark beschädigt. Der große Teppich mit 70 x 60 Metern war verschlammt. Mit viel Geld vom Sultan Qaboos und Spendengelder der gläubigen Muslime, wurde die Moschee wieder restauriert.
    Ich habe darüber nie ein Wort der Kritik gehört oder gelesen, noch gab es eine feiernde Community Andersgläubiger noch Vorschläge wie das Geld besser zu nutzen sei.
    Sultan Qaboos spendete übrigens dem „reichen Deutschland“ 17 Millionen Euro aus eigenen Mitteln, für den Bau einer Kinderklinik in München, nachdem der notwendige Eigenanteil für den Bau nicht aufgebracht werden konnte.
    Dagegen spendete die ehemalige Umweltministerin Hendricks aus Steuermitteln fast 5 Millionen Euro für das Projekt „grüne Moscheen“ in Marokko.
    2015 hat Deutschland 16 Milliarden Euro offiziell an Entwicklungsgeldern gespendet.
    2016 eröffnete Merkel in Addis Abeba ein Haus der Afrikanischen Union, (1963 von Gaddafi gegründet) das Deutschland mit 30 Millionen Euro finanzierte.
    Merkel sicherte 1 Milliarde Euro dem Afrika Fond zu, den auf dem Afrika Gipfel 2018 gründete.
    Viele Menschen haben nach dem Brand von Notre Dame aus ihrem eigenen Vermögen gespendet, lasst sie einfach in Ruhe das tun, was ihnen wichtig ist und ohne deren finanzielle Hilfe, der Wiederaufbau wahrscheinlich nicht möglich wäre.
    Die größte Crux bei dem Wiederaufbau von Notre Dame, ist mit Sicherheit, genügend Kunsthandwerker und Restaurateure zu finden, um ihn verwirklichen zu können.
    Merkel sicherte Hilfe über das Ministerium für Kunst und Kultur zu und das zahlreiche „Fachpersonal“ aus Afrika und Asien wird wahrscheinlich, über keine entsprechenden Fähigkeiten für eine Beschäftigung verfügen und Merkel wird wahrscheinlich auch lieber einen Scheck schicken.

  2. Die pessimistischen Einschätzungen der Sorte „nur 15 min länger und ….“ teile ich nicht. Wer sich ein bißchen mit mittelalterlicher Baukultur, Baukunst und dem Bau von Kirchen und Kathedralen im Besonderen beschäftigt, der erfährt vor allem wie unheimlich clever die Bauherren vorgegangen sind. Die großen Kirchen, Dome, Münster und Kathedralen sind unglaublich solide und raffiniert gebaut. Heute werden Gebäude so gebaut, daß bereits nach wenigen Jahrzehnten eine Generalsanierung notwendig ist. Diese großen Bauten stehen schon seit vielen Jahrhunderten. Die Grundmauern von Notre Dame halten auch immens viel aus. Schließlich haben sie über Jahrhunderte das enorm schwere Dachgebälk mit den schweren Bleiplatten tragen können. Da macht ihnen das bißchen Löschwasser nichts aus.

    • Hier geht es speziell um den Nordturm, dessen Inneres bereits an mehreren Stellen brannte. Wenn die Hitze in einem Turmgeschoß erst groß genug ist, zündet solch ein Turm sozusagen durch. Der entstehende Sog, durch den vergleichsweise kältere Luft von unten mit ungeheurer Geschwndigkeit durch den Mauerkern nach oben rast, wirkt wie ein Gebläse. Mit Grauen denken die Lübecker an den Brand ihrer Mareinkirche im Jahre 1942. Da gab es, um ein Beispiel zu nennen, exakt diesen Effekt. Die Bilder aus Paris habe ich über bildgebende Medien live verfolgt, und ich teile die Meinung der Pariser Feuerwehr: der Nordturm stand kurz, sehr kurz vor dem Durchzünden. Und ja, ein kleines bißchen verstehe ich etwas von gotischen Kirchen.

  3. Wir haben gerade erst vor 4 Wochen – auf dem Heimflug von Israel – einen mehrstündigen Aufenthalt in Paris für einen Besuch von Notre Dame genutzt.Und natürlich macht es betroffen, wenn eines der beeindruckendsten historischen Bauwerke der Welt 850 Jahre lang so vielen Kriegen und anderen Katastrophen standgehalten hat (die meiste Zeit ohne High-Tech-Feuerwehr) und nun kurz vor der drohenden totalen Zerstörung stand.

    Was mich aber inzwischen fast ebenso fassungslos macht, ist wie der Blender Macron mit seinem Wahlkampf-PR-Team es wieder einmal versteht, sich in Szene zu setzen, und diese Katastrophe zu seinem Vorteil zu nutzen.

    1. AKT: Absage der eigentlich zu den anhaltenden Bürgerprotesten (Gelbwesten) geplanten TV-Ansprache.
    Gut, es hätte ihm in dieser Stunde sowieso niemand zugehört, weil alle an den Livestream-Kanälen über den Brand hingen. Aber dass Macron damit – seine Umfragewerte im freien Fall – so kurz vor den Europawahlen auf einen Schlag dieses leidige Thema vorerst völlig losgeworden ist, mit dem er sowieso keinen Blumentopf mehr hätte gewinnen konnte, ist mindestens ebenso schlimm.

    2. AKT: Macron, der „Kümmerer“
    Er eilt natürlich „unverzüglich zur Brandstelle“ (vermutlich, um mit seiner Entourage dort hauptsächlich den Feuerwehrleuten im Weg rumzustehen?)

    3. AKT: Macron, der Unsichtbare
    Solange noch zu befürchten war, dass ein Totalverlust der Kathedrale drohte, bleibt Macron sicherheitshalber auf Tauchstation. Nicht, dass etwa beim Wähler die zu befürchtenden negative Bilder mit ihm in Verbindung gebracht werden können.

    4. AKT: Macron, der „Erlöser“
    Als dann kurz vor Mitternacht klar wird, dass das Gebäude in seiner Grundstruktur möglicherweise gerettet ist, ist er blitzschnell auf dem Plan – und das ist der Moment, wo ER vor die Kameras tritt, und der bis dahin führende Chef der Feuerwehr in den Hintergrund treten muss. Fortan wird auf allen Kanälen in Endlosschleife nur noch Macron gezeigt, wie er die erlösende Nachricht von der abgewendeten totalen Katastrophe verkündet.
    Dazu muss man wissen, dass es für alle WerbeFuzzies aus psychologischer Sicht enorm wichtig ist, beim Empfänger Emotionen zu wecken, oder auszunutzen und mit dem Produkt zu verbinden, welches sie anpreisen wollen.
    Für PR- und Wahlkampfstrategen gibt es da keinen besseren Glücksfall, als eine grosse Tragödie oder Katastrophe (am besten mit ein bisschen Happy End). Was eignet sich da besser als ein Unglücksfall, bei dem ihm niemand irgend eine Schuld anhängen kann, bei der er sich aber zur rechten Zeit als „mitfühlender Retter“ ins Rampenlicht rücken kann, und ihm positive Medien-Dauerpräsenz sicher ist.

    5. AKT: Macron, der „Staatsmann“
    Er verkündet umgehend den sofortigen Wiederaufbau der Kathedrale (selbstverständlich mit dem Geld der Anderen, nicht mit seinem eigenen). Auch wenn bis heute wohl schon über 1 Mrd Euro Grossspenden versprochen sind, wird das beileibe nicht reichen, und auch die Staatskasse, und damit der Bürger, wird sich beteiligen müssen.
    Nichts dagenen einzuwenden, ein so grossartiges Bauwerk so rasch wie möglich wieder herzustellen. Was mir nicht passt, ist dass Macron sich zielsicher sofort selbst ins Rampenlicht rückt, um von der Erleichterung über mögliche Rettung und Wiederaufbau etwas Glanz abzusahnen.

    6. AKT: Macron, der Nicht-Mehr-Wahlkämpfer
    Und weil ihm gerade positive Dauer-Medienpräsenz sicher ist, hat er jetzt gleich mal vorsorglich den EU-Wahlkampf abgesagt. Bessere PR als durch den Brand bekommt er nie wieder.
    Ausserdem halten sich selbst die Kritiker in der Opposition von Melenchon (Linke) bis Le Pen (FN) in der Stunde der Not zurück. Und die Gelbwesten-Themen sind auch vorerst vom Tisch. Wie praktisch,

    Sieht plötzlich wieder gut aus für Macron.

    P.S.:
    Passender Artikel hierzu im österreichischen „Standard“
    https://www.derstandard.de/story/2000101492667/notre-dame-eint-die-franzosen

  4. Lieber Dr. Sebastian Sigler,
    meinen herzlichsten Dank für Ihre ganz außergewöhnlichen, guten und tröstenden Zeilen zum Geschehenen.
    Johann Thiel

  5. Nun denn, manchmal geht es auch ganz ohne Angriffe/Unglücke von außen:
    die hiesige gotische Kirche wurde aktuell „renoviert“.
    Dabei wurde das gesamte historische Kirchengestühl „entsorgt“ und durch „moderne“ Metallstühle ersetzt.
    Zudem eine Lichtorgel eingebaut (LED Beleuchtungsanlage), mit Hilfe derer zukünftige Trommelworkshops, Tanz- und Kinoveranstaltungen effektvoll beleuchtet werden sollen.
    Was ist dem noch hinzuzufügen? Ich würde sagen nichts!
    Die Kirche sorgt jedenfalls selbst für ihren eigenen Untergang.
    Kino, Tanz, Unterhaltung, Aktion……
    ……. statt Gottesdienst.
    Das war’s dann also, Christentum……….. Leb wohl christliches Abendland!!!!

    • Macron hat je bereits auch schon mit „Talenten“ gedroht.

      • Ja nicht je.

  6. Richtig, es muessen schnellstmoeglich die Gewoelbe untersucht und ggf. gesichert werden. Die verbrannten Balken raus, und ein Notdach drauf, um das Eindringen weiterer Feuchtigkeit zu verhindern.

    Bei der Bombardierung Wuerzburgs 1945 brannte der Kiliansdom aus, das Tonnengewoelbe blieb aber erhalten…bis ein Jahr spaeter die Nordwand nachgab und alles runterkam. Der Grad der Destabilisierung des Mauerwerks war bis kurz zuvor nicht zu sehen gewesen.

    Es grenzt eigentlich an ein Wunder, dass die Tuerme standhielten. Der Rauch, der aus ihnen drang am Montagabend liess schlimmstes befuerchten. Hat da jemand vielleicht naehere Informationen (ich bin des Franzoesischen nur rudimentaer maechtig)?

    Und da der Wormser Dom erwaehnt wurde: dem brannte im Februar 1945 das Dach ab, aber auch dort hielten die Gewoelbe und retteten so den kleinsten der drei Kaiserdome (die beiden anderen in Mainz und Speyer kamen Gottlob auch davon).

  7. Stellen Sie sich bitte einmal in eine Lichtung mitten im Wald. Niergendwo ist der Himmel näher, Sie können ihn sehen und fühlen. Sie können die Stille hören und wenn Sie Glück haben, dann hören Sie die die Natur, einen Specht, einen Kuckuck, im alten Laub eine Maus oder eine Eidechse. Und dann werden Sie vielleicht erkennen, dass in all dem Gott ist. In allen das lebt. Dieser Gott braucht kein Bauwerk dass ihn einengen will, er braucht keinen Plunder wie nachgebildete Dornenkronen oder Splitter von irgendeinem Kreuz. Dieser Gott ist das Leben schlechthin. Suchen sie ihn im Leben, nicht in toten Steinen.

    Deshalb sind Kathedralen trotzdem wunderschöne Bauwerke und sollten erhalten werden, oder in diesem speziellen Fall wieder hergestellt werden. Da sie Teil unserer Kultur sind. Aber unsere Kultur ist auch unsere Sprache, unser Essen, unsere Art zu leben, unsere Musik und vieles mehr. Alles das gilt es zu erhalten! Und eigentlich, inzwischen, wieder herzustellen.

    • Soweit richtig, aber den Sinn einer Kathedrale haben Sie offenbar nicht verstanden. Sie ist wie jedes Gotteshaus, bis hin zur kleinsten Kapelle, eine Ehrung Gottes durch den Menschen. Es geht eben nicht immer darum, was Gott uns alles mit seiner Schöpfung zu bieten hat und was wir davon bevorzugen, sondern auch ob wie bereit sind Gott zu ehren. Aber diese Zeit sind ja scheinbar vorbei.

  8. In unseren Herzen will Jesus wohnen und regieren. Wäre das mehrheitlich so, würden noch mehr wunderschöne lebendige Bauwerke die Menschheit bereichern.

  9. Notre Dame hat nun das Schicksal getroffen, das manche ihrer Schwesten ebenfalls erleiden mussten, wie der Stefansdom zu Wien oder der Wormser Dom, die nach schrecklichen Brandkatastophen, die sie allerdings nicht in Gänze vernichten konnten, wiederauf erstanden sind.
    Der Dom zu Worms noch in romanischem Stil erbaut, wurde in Folge des Pfälzer Erbfolgekrieges von den französischen Truppen Ludwig XIV abgebrannt, seine Gewölbe stürzten ein und er wurde zur Ruine genau so wie das Heidelberger Schloß, das allerdings nie wieder aufgebaut wurde.
    Ob durch Kriege oder durch menschliche Fehlleistungen schwerst geschädigt, die europäischen Kathedralen und Dome werden weiter bestehen, solange Europa und europäischer Geist das will.

  10. Ich darf mich Ihren außergewöhnlich guten Gedanken anschließen, die den Leserinnen und Lesern eine kurzen Augenblick eines Streifzuges in eine andere Dimension des Geistes (Spiritualität) gegeben hat.

    Zwischen Hinmel und Erde gibt es Dinge, die wir als kleine Menschen nicht durchschauen werden. Niemals.

  11. Interessant: Brennt die Dachkonstruktion einer Touristenattraktion ab, dann stehen bereits nach wenigen Stunden 600 Mio. EUR für den Wiederaufbau zur Verfügung. Zerstört dagegen hunderte Menschen ein Erdbeben ihre Unterkunft, dann müssen diese Menschen viele Jahre lang in Zelten und Container wohnen.

      • Italien. Aquila!

  12. „Unglücklich das Land, das keine Kirchen hat.“
    „Unglücklich das Land, das Kirchen nötig hat.“

    • Es geht um unsere Kultur, nicht um die Notwendigkeit von Kirchen. Notre Dame ist ein Symbol für das kulturelle Erbe Europas. Wer keine positive Verbundenheit zur Vergangenheit seiner Kultur verspürt, ist eine einsame Seele.

    • Marcel Duchamp:
      Alles kann zu einem Kunstwerk werden.

    • [Nachtrag: Gerade mußte ich lesen, daß bei einem Busunglück
      auf Madeira mindestens 28 Menschen den Tod gefunden haben.
      Das bewegt mich wirklich, zutiefst. Einfach grauenvoll]

  13. Ich fürchte es wird eine Herztransplantation. Da wird was anderes schlagen. Eben im Radio wurde erwähnt, man wolle einen Architektenwettbewerb ausrufen. Mir schwant böses. Es wird mit einem Symbolbauwerk für allseitige multikulturelle “Toleranz“ enden. Das eigene würde verleugnet, Notre dame ultimativ geschändet. Ich hoffe, es kommt nicht so…

    • Wenn das geschehen sollte, wäre sie besser ganz abgebrannt. **

    • Macron hat den Größenwahn schon in den Augen und meint sich wie eine Art Napoleon, mit seiner persönlichen Version von Notre Dame verewigen zu können. Architektenwettbewerb heißt immer das Ende. Möglicherweise hat die Zerstörung Notre Dames gerade erst begonnen. Hoffe auch, dass dies verhindert werden kann.

      • Ja das befürchte ich auch. Ich hoffe jedoch, dass er über seine Eitelkeit stolpert und die Franzosen das zu verhindern wissen.

      • Leider ist auf die Franzosen so wenig Verlass wie auf die Deutschen.

    • Die Veranstaltung eines Wettbewerbs bei einer historischen Rekonstruktion macht keinen Sinn – es sei denn, man möchte mit Gewalt etwas Modernes (ergo Häßliches) mit dem Historischen verschmelzen. Das hat in Frankreich übrigens Tradition. Siehe die Pyramide vor dem Louvre und die Nationalbibliothek oder das Centre Pompidou.

  14. So weit ich gelesen habe sendet der Vatikan Unterstützung in Form von Fachkompetenz, finanzielle Spenden gibts nicht…wundert mich nicht, ich habe es genau so erwartet.

    • Man schämt sich für sich selbst, erbärmlich. Das, wofür Notre Dame steht, ist aber nicht die katholische Kirche.

  15. Na also, – geht doch!
    Kein „Verlust von Notre Dame, der kaum zu ertragen ist“.
    Im Gegenteil, vielen Leuten wird wieder klar, für was Europa steht.

    • Oder sind es doch nur wieder die, denen es schon vorher klar war?

  16. MAINSTREAMMEDIEN: MAL WIEDER GIPFEL DER GESCHMACKLOSIGKEIT
    An einer Stelle heute sinngemäß zu lesen: „Viele Spendengelder für Notre Dame. Wo bleibt Geld für Syrien und Irak?“

    Das hat folgende Logik: mal angenommen, es gäbe folgende Meldung: „Viel Geld für neue Wasserleitung in Berlin. Wo bleibt das Geld für die Bewässerung der Sahara?“

    **

    • Für Waffen ist in den besagten Ländern immer Geld vorhanden. Das gilt auch für die meisten afrikanischen Länder. Folglich ist dort auch kein echter Mangel an Nahrungsmitteln vorhanden.

  17. Derartige freudige Berichte erinnern mich an die unvermeidlichen Demos gegen XY.

    Es wird aufgebaut. Das Meiste ist erhalten geblieben. Schön! Das meine ich ernst.

    Aber – die Brände, Schändungen werden auch weiterhin geschehen. Nur, weil wir bereit sind, die Sisyphusarbeit immer wieder auszuführen, verschwindet das Problem nicht. Darauf fokussieren bitte.

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