Ausnahmsweise heute einmal ein ernstes Problem. Wie mache ich richtig Urlaub? Urlaub vom Kleinmut. Wie schicke ich meinen verstockten Skeptizismus in Erholung? Lässt sich der blaue Himmel über Deutschland gemütspolitisch nutzen? Im Schatten einer Kastanie sitzen, die Innereien mit zwei Maß Bier wässern – und alles wäre nur noch schön. Bloß die Kolumne fiele aus. Na und! Gerade noch rechtzeitig fällt mir ein Satz von Martin Walser ein. Ein gelungener Text lasse die Welt schöner sein, als sie ist. Na also. Jetzt weiß ich, erstens, weshalb Walser SIE rühmt, sogar auch wegen ihres Gesichts. Und zweitens fehlt mir jetzt nur noch ein Text.
I.
Wer schon nicht IHR selber glauben mag, glaube wenigstens ihren Bewunderern. Deutschland: Headquarters and Homebase of the Leader of the Free World. Derzeit simply the best under the sun. Nicht bloß aus der Perspektive der trumpgeschädigten US-Qualitätspresse ist SIE unübertrefflich. SIE ist toll. Und wer hat sie gewählt und wird sie wieder wählen? WIR. Also sind auch WIR toll. Täten wir´s nicht, wären wir tollkühn. Das ist gottlob das letzte, was das deutsche Wahlvolk über sich hören wollte. Es soll jetzt alles so bleiben, wie es ist. Auf immer und ewig. Wir frieren die Geschichte im Augenblick ihrer schönsten Blüte einfach ein. Das aber kann nur SIE. Im Einfrieren ist sie unschlagbar. Wenn wir sie nur lassen.
II.
SIE macht ihren Job so gut, dass sie keine Wahlkampagne mehr nötig hat. Es wird deshalb erwogen, den Wahlkampf einzustellen, und SIE per Akklamation im Amt zu bestätigen. Die für den „Wahlkampf“ nicht benötigten Mittel werden der Flüchtlingshilfe zur Verfügung gestellt. Wahlforscher sind auf einen seltsamen Widerspruch gestoßen. Je offener sich andere Parteien (SPD/GRÜNE) zu IHR bekennen, desto beliebter sind sie selbst. Da diese Parteien ohnehin über keine guten Wahlaussichten verfügen, ist das besser als nichts. WIR Deutschen verfügen über das weltweit einzige nichtautokratische System, das auf Opposition verzichten kann. Denn SIE tut alles, was die Konkurrenzparteien fordern. Um nicht als ganz untätig dazustehen, bekämpfen diese gemeinsam mit IHR die wenigen verbliebenen Opponenten, die unser demokratisches Wunderwerk nicht verstehen und deshalb auch nicht mehr als „demokratisch“ bezeichnet werden können. So liegt ein Segen auf diesem friedfertigen, heiteren, klimaverwöhnten Gemeinwesen. Es ist frei von politischem Streit, in der die uneingeschränkte Gewissensfreiheit der Volksvertreter für Harmonie sorgt. Vor allem dann, wenn sie der grenzenlosen Liebe eine Gasse bahnt. Es ist schlicht ein Traum, der hier und jetzt in diesem unserem Lande wahr wurde.
III.
Es geht UNS so gut, dass wir besser gewappnet sind für all die Umwälzungen, in die die Welt geraten ist, als die übrige Menschheit. Ob künstliche Intelligenz oder Gentechnik: Nur wir haben das Sozialsystem, das alle Härten auffängt und alle Ängste beruhigt. Die Rente ist sicher. So sicher wie das Amen in der Moschee. Unser Bildungssystem ist einmalig. Wir fördern aus leeren Köpfen den Rohstoff der Zukunft. Stickoxydneutral. Um unsere Konsensgesellschaft beneiden uns alle. Mehr noch. Uns geht es so gut, dass WIR uns auch noch um den Rest der Welt kümmern. Einfach so, weil WIR sonst nicht ausgelastet wären mit unserem Glück. WIR geben unser Bestes hin zur Erlösung der Menschheit von allem Übel. Den Verbrennungsmotor zum Beispiel. Und die lächerlichen 600.000 Arbeitsplätze, die von ihm abhängen. Was zählen die gegen den Anstieg des Meeresspiegels! UNSER Kuss der ganzen Welt!
IV.
So beliebt ist SIE, dass sie natürlich auch aus der ganzen Welt Hilfe erfährt. Alle machen mit, jeder so, wie er es am besten kann. Erdogan lässt SIE plötzlich robust aussehen, Theresa May vernünftig, dank Macron wirkt SIE ganz und gar nicht mehr allein zuhause in Europa. IHR begnadetster Unterstützer aber ist Donald Trump. SIE hat diesem Mann schon so viel zu verdanken. Er unterlässt nichts, SIE im hellstem Licht erscheinen zu lassen. Wird er für irr gehalten, gilt SIE als unbeirrbar. Tut er irgend etwas, schüttelt sich die Welt vor Heiterkeit und Empörung. Tut SIE nichts, sagt man, SIE habe alles im Griff.
V.
Wenn WIR etwas tun, dann ganz und gar. Wir lieben UNSEREN Extremismus, denn es ist ein Extremismus der Güte. Wir geben dem Sinnlosen Sinn. Wir haben noch nie eine Revolution nötig gehabt. Und wenn, ist es eine friedliche Revolution gewesen. Selbst Diktaturen kommen hierzulande nur im demokratischen Gewand an die Macht. Wir sind zum Gutsein verdammt. Darum geht es uns so verdammt gut. Kein schöner Land in dieser Zeit als hier das unsere weit und breit. Wo wir uns finden wohl unter Linden …
VI.
Echt ein schöner Text. Ein Text, der die Welt schöner aussehen lässt, als sie ist. Bloß die Linden stimmen nicht. Zugegeben: Es ist eine Kastanie.
Die Welt sieht gerade wirklich viel schöner aus 🙂
In meinem Fall allerdings, weil ich gerade mein frisches Roggen-Sauerteigbrot, gebacken im Schinkenmantel, probiert habe 🙂
Opposition wird schlicht überbewertet, Herr Herles. Ohne Opposition kann eine Regierung doch viel leichter regieren, es gibt auch weniger politische Diskussionen unter den Bürgern. Alles ist eitel Freude, man könnte jeden Tag Pfannkuchen essen, so schön ist die Welt …
…und WIR haben unter IHR noch soviel mehr:
„Mit MIR bleibt Deutschland offen!“
„Grenzen kann MAN nicht schützen!“
„Ist MIR egal, ob ich schuld bin!“
„Jetzt sind SIE halt da!“
Nicht zu vergessen, mit IHR haben wir Maass, eine der größten Errungenschaften seit 70 Jahren.
Danke, Herr Herles, für diesen samstäglichen Rundumschlag ?
Wenn man ohne Fallschirm aus einem Flugzeug springt, kann man ja auch erst mal die schöne Aussicht und den berauschenden Flug genießen, bevor man unten aufschlägt.
Sehr gut Hr. Herles. Sie haben mir endgültig die Augen geöffnet. Wir haben
das große Glück in Angelas Wunderland zu leben. Aufbauend auf ihren
Erfahrungen in der DDR hat sie die eigentlich notwendige starke Opposition
in einer Nationalen Front vereinigt. Im Gegensatz zur DDR dürfen sichTeile
der im BT sitzenden Parteien Opposition nennen. Das gab es in der DDR nicht.
Soviel Freiheit muss sein. Angela denkt eben alles von hinten. Über das was
hinten rauskommt darf sich jeder seine Gedanken machen. Die Gedanken sind
frei. Ihre Politik wirkt auf mich und viele völlig unverständlich. Marcel Reich-
Ranicke sagte zur Unverständlichkeit folgendes:
„Unverständlichkeit ist noch lange kein Beweis für tiefe Gedanken“.
Hr. Herles haben Sie übersehen , das das Paradies wie in der Bibel
beschrieben bei den Flüssen Pischon, Gihon, Tigris und Euphrat liegt.
Bei Ihnen liegt es zwischen Rhein und Oder. Oder nicht?
Danke für diesen das Wochenende verschönenden Beitrag
Starker Text. Die zwei Maß haben Ihnen gut getan :-).
Vielleicht hätte eine weitere Maß die Einsicht noch erhöht?
Ein Test wäre es wert.
@Mitforisten.
Vor ein paar Tagen wurde eine Diskussionsrunde mit den Vertretern der wichtigsten Parteien im Fernsehen aufgezeichnet, die aber erst Anfang September, kurz vor der Wahl im ÖRR ausgestrahlt wird. Dank eines Leaks konnte ich sie aber schon gestern sehen und bin daher in der Lage hier im Forum exklusiv eine Mitschrift zu veröffentlichen
Die Mitschrift:
Der Moderator: „Sehr geehrte Parteienvertreter, die wir Sie anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl zu dieser Runde ins Berliner Studio eingeladen haben. Welche Antworten geben sie den Bürgern und Bürgerinnen draussen im Land auf die drängensten Fragen unserer Zeit?
Der CDU-Vertreter: „Wir benötigen mehr christlichen Sozialdemokratismus.“
Der SPD-Vertreter: „Nein, nein! Wir fordern stattdessen viel mehr sozialdemokratischen Sozialdemokratismus.“
Der „Die Grünen“-Vertreter: „Für die Zukunft des Planeten ist mehr ökologischer Sozialdemokratismus unerlässlich.“
Der AfD-Vertreter: „Wir brauchen doch wohl vorallem mal eine Alternative für Deutschland und wir, die AfD, zudem einen Vorsitzenden, der nicht ständig schwanger ist.“
Der FDP-Vertreter: „Alles Unfug, meine Damen und Herren. Dieses Land muss gelb werden. Viel, viel gelber. Überall Gelb! Stadt, Land, Fluss: Alles gelb, gelb, gelb und…..[ Moderator: „Bitte beruhigen Sie sich doch, Herr Lindner.“ ] ….darf ich meinen Satz noch zu Ende führen? Ich werde ja hier ständig und andauernd unterbrochen. Wir sind schließlich nicht in Hamburg. Danke!….und sehr viel mehr Männer, die einen Dreitagebart tragen.“
Der „Die Linke“-Vertreter: „Unser Parteidirektorat hat anlässlich des XXVII Parteitags der Linken einstimmig das Motto verabschiedet: „Mehr sozialistischer Sozialdemokratismus! Vorwärts immer, ansonsten keinen Schimmer!“…“
Der „Die Piraten“-Vertreter: „Ähhh, ächem…also, mit all diesen schrecklich komplizierten Themen, also mit denen haben wir uns ehrlicherweise noch nicht so richtig mit auseinandersetzen können, weil wir zu sehr damit beschäftigt waren, in unserem Computernetzwerk „Warcraft 3″ zu spielen. Aber das kommt garantiert alles später noch. Ich schwör’s!“
Der CSU-Vertreter: „Hah! Was ihr damischen Saupreußn brachad, desch is a Maß, a Brezl und a Weißwurschd. Hah! Saupreußn, damische! Und überhauptz, wir wulln unsrn König Ludwig wiederham. Jawoll!“
Der Moderator: „Vielen Dank, meine Damen und Herren für dieses sehr anregende und informative Gespräch.“
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Disclaimer: Achtung Satire!
Ein schöner Text, ich musste mehrfach schmunzeln. Das ist ja mehr als man beim Frühstückskaffee in dieser Zeit erwarten kann. In diesem Sinne haben SIE Herrn Walsers Aussage bestätigt, werter Herr Herles.
Ein schönes Wochenende allerseits.