Noch nicht ausgezählt ist die Briefwahl. Sie kann einzelne Mandate verschieben. Die Demoskopen vermuten: von der Volkspartei zu den Grünen, von der FPÖ zu den Neos. Interessant, sie schließen aus, dass die Grünen hinter ihr vor dieser Wahl bestes Ergebnis von 2013 mit 12,42 Prozent zurückfallen, auch deshalb, weil die Grünen traditionell von der Briefwahl profitieren. Mal schau’n, ob es bei dieser Tradition bleibt.
Diese Einschätzung enthält aber schon einmal eine Erklärung für diejenigen, die sich wundern, warum die Grünen um 10 Prozent zugenommen haben, wo sie doch 2017 nur 3,8 Prozent hatten. Das war damals das Ergebnis eines innergrünen Streits zwischen dem nun bei der Wahl gescheiterten Grünen Peter Pilz und der Mobilisierung der SPÖ 2017. Mit den oben genannten 12,42 Prozent Grüne 2013 wird deutlich, dass der Erfolg der Grünen jetzt so sensationell gar nicht ist.
Dazu ist es nützlich zu wissen, dass in den großen Städten Österreichs starke Wählerbewegungen innerhalb des urbanen Milieus von SPÖ, Neos und Grünen jederzeit möglich sind. In der Hauptstadt Graz meiner steirischen Heimat lässt sich das sehr schön ins Bild setzen. Graz wird durch den Fluss der Mur in zwei Hälften geteilt: das alte einst großbürgerliche Graz links mit sehr vielen Studenten der verschiedenen Hochschulen, die frühere Vorstadt rechts („trans murum“) mit den Resten der Industrie. Früher wählte die Vorstadt Rot und die Altstadt Schwarz. Nun wählt die bürgerliche Seite Grün und „trans murum“ Blau.
Was uns die Demoskopen als Wählerwanderungen präsentieren, nehme ich nicht eins zu eins, weil diese Rechnungen auf Annahmen gründen. Wie werthaltig sie sind, hängt also von den Annahmen ab. Als Anhaltspunkt mögen sie immerhin dienen. Das Institut SORA lieferte auch dieses Mal die Grundlage für die Berichterstattung in den Medien. Da sieht es so aus:
86 Prozent der Kurz-Wähler von 2017 haben wieder Volkspartei gewählt, nur 68 Prozent blieben der SPÖ treu, lediglich 54 Prozent der FPÖ, aber auch nur 55 Prozent den Neos. 258.000 Stimmen kriegte Kurz von der FPÖ, von der SPÖ 74.000. 83.000 verlor Kurz an die Neos, an die Grünen 54.000.
Die Grünen nahmen der SPÖ 193.000 Stimmen ab, es wäre auch zulässig zu sagen, die Grünen holten sie von den Roten zurück, denen sie sie 2013 geliehen hatten. Von den Neos und ihrem (Ab)Spalter Pilz holten sie je rund 90.000 Stimmen.
Wer diese Zahlen von SORA genau studieren möchte, bitte hier. Und hier eine gute Grafik. Und hier können Sie den jeweiligen Auszählungsstand selbst aktualisieren.
Ohne auf die Details einzugehen, möchte ich nur darauf hinweisen, dass die Neue Volksparte von Sebastian Kurz die Hochburgen der alten Volkspartei verstärkt hat und in Landesteilen die Mehrheit holte, wo sie diese schon lange nicht mehr besaß wie im fast immer roten Burgenland. Der Stadt-Land-Graben ist in diesem Wahlergebnis 2019 überausgeprägt.
Die FPÖ zeigt mit ihrem Ergebnis, dass sie einen beachtlichen Stammwählersockel von plus minus 15 Prozent hat, der auch in einer Katatstrophe wie jener der letzten Wochen hält. Damit lässt sich eine laute Opposition im Nationalrat machen. Nicht übersehen sollte der aufmerksame Beobachter, dass die FPÖ in Wien weniger verloren hat als im Bundesschnitt. Das spiegelt wieder, wie sehr die FPÖ der SPÖ die Rolle der Arbeiterpartei abgenommen hat – siehe auch mein Bild von Graz.
Ich gehe davon aus, dass die FPÖ bei den anstehenden Wiener Landtagswahlen mit Ex-Innenminister Herbert Kickl ins Rennen gehen wird. Eine Neuaufllage der türkis-blauen Koalition halte ich schon praktisch für nicht machbar, weil die kommenden Wochen der Sondierungsgespräche permanent von der Fortsetzung und wohl auch Verschärfung der innerparteilichen Auseinandersetzungen der FPÖ und ihrem lauten Medienecho begleitet sein werden: Wird Strache ausgeschlossen? Gründet er eine neue Partei, mit der er in Wien antritt – in Konkurrenz mit Kickl? Da ist so viel im Fluss, dass keine Prognose möglich ist. Dass es zwei Linien in der FPÖ gibt, ist öffentlich sichtbar, die eine für Opposition und Rundumerneuerung, die andere für Regierungsbeteiligung.
In der Volkspartei gibt es eine breite Stimmung in einigen Bundesländern für eine Koalition mit den Grünen, weil es dort schon solche gibt oder angestrebt werden. In Deutschland ist vielen nicht bekannt, dass die alte ÖVP schon immer wenig deckungsgleich mit der CDU oder auch der CSU war. Die neue Volkspartei ist es noch weniger. Der Vorläufer der ÖVP sind die Christsozialen von Karl Lueger, dessen weit ausgreifendes Stadtunternehmen Wien sich nach 1918 in das Rote Wien verwandelte. Auch die Grünen in Österreich und Deutschland sind nicht identisch. Denen in Österreich fehlt zu ihrem Glück das Erbe der K(ommunistischen)-Gruppen. Die KPÖ lebt nach wie vor. Organisatorisch kann sie das vermutlich auch deshalb, weil vom Geld der SED immer noch viel irgendwo rumliegt. In Graz spielt eine junge KPÖ-Gruppe in der Stärke von 20 Prozent Wähleranteil in der Kommunalpolitik eine große Rolle. Doch diese Wähler geben ihre Stimmen bei Nationalsratswahlen nicht der KPÖ, sondern verteilen sie in alle Richtungen.
In einer Hinsicht ist Österreich wie Deutschland, im Staatsfernsehen: Von Kurz sagten sie dort gestern abends, er „gebe sich“ dankbar, bescheiden und demütig, solch semantische Einschränkung gab es bei den Frontfiguren der Roten und Grünen nicht. Die sagen etwas, die „geben sich“ nicht.
Auch wenn Herrn Goergens Erklärung für das gute Abschneiden der Grünen einleuchtend ist, beunruhigt deren Ergebnis einerseits und das doch in gewisser Weise überraschend schlechte Ergebnis der FPÖ andererseits, schon ein wenig.
Die Briefwahl macht heuer ca. 20% aller abgegebenen Stimmen aus. Ich denke, da können sich noch sehr massive Änderungen ergeben.
Deshalb abwarten und auf das Endergebnis warten – es nützt nix …
Ihr Wort in Gottes Ohr. Erwarte nichts, rechne mit allem, ist meine Devise.
Auch wenn ich’s mir wieder mit den Kurz-Freunden verderbe:
Der Sieg auf Kosten des ehemaligen Koalitionspartners ist nur ein „kurz“fristiger.
Herr Goergen, danke für Ihre Analyse und die weiteren Informationen
zum Wahlergebnis in Österreich. Mein Eindruck den ich bei der Bericht-
erstattung in Deutschland gewann ja gewinnen sollte, die Grünen waren die Wahlsieger und werden auch Herrn Kurz zu Koalitionsgesprächen einladen. Ich habe mir alles sicherheitshalber über Servus -TV angesehen.
Die einseitig grünmediale Berichterstattung in Deutschland ist immer
schwerer zu ertragen. Man bekommt hier bald einen grünen Star,
der ist nicht altersbedingt sondern wird durch die generelle Bericht-
erstattung im übertragenen Sinn hervorgerufen.
Sie meinten sicherlich „eine grüne Meise“.. (und, Ihre Befürchtung ist vermutlich zutreffend, wenn Sie weiter die GEZ- „Medien“ nutzen..)
Das Problem ist nicht welche Partei gewonnen oder verloren hat…das Problem ist, dass ALLE Parteien (auch die FPÖ unter Hofer) für den Klimaschutz eintreten. In Österreich hat man schon früh die Kernkraft begraben…und mit dem Klimaschutz begräbt man nun den Rest an technischen Verstand und wirtschaftlicher Vernunft. Österreich macht sich wie Deutschland auf in eine Kernenergie und CO2 Verbotsgesellschaft…das geht nur mit und durch ein politisch totalitäre Mehrheit….vereint unter der „Guten Sache“…das Klima zu schützen. Die Diktatur kommt in Österreich und Deutschland über die Hintertür…durch den Klimaschutz-CO2 VERBOT!
Ja, sehr guat Frizt Goergen, Sie haben das guat analysiert, Deutschland kann trotzdem was lernen, bzw. diese unsägliche AKK!! Die CDU muss wieder eigene Werte abdecken. Deshalb ist auch die Werte-Union ein MUASS in der CDU/CSU…
Bin gerade etwas erstaunt, nachdem ich den Link im Artikel angeklickt habe.
In deutschen Medien steht immer noch, die Grünen hätten 14 Prozent. Sie haben Stand 13:30 Uhr 12,36 Prozent. Sie haben also 8,5 Prozent gewonnen, die SPÖ 5,3 Prozent verloren, JETZT hat 2,6 Prozent verloren, das ergibt ein Saldo von plus 0,6 Prozent für dieses Lager seit der letzten Wahl.
12,4 Prozent ist das vorläufige Ergebnis ohne die eine Million Briefstimmen. Die Prognose für das Gesamtergebnis ist 14 Prozent.
Danke für Ihre fachliche Sicht als Österreicher. Trotzdem bleibt die Tatsache, dass Kurz nach dem Strache Video nicht die Allianz mit der FPÖ hätte aufkündigen müssen. Und schon gleich gar nicht davon abhängig zu machen, ob Kickl geht, dessen strikte Migrationspolitik guut ankam. Ich erinnere daran, dass Kurz entgegen einer offenbaren Absprache mit der FPÖ Kickl fallen ließ, woraufhin die FPÖ ihm das Misstrauen aussprach. Dass er auf der einen Seite angeblich für striktere Migrationspolitik steht, auf der anderen Seite aber Kickl abserviert hat, ähnelt Merkel: Das eine sagen, das andere machen.
Schauen Sie sich einfach das Interview mit dem ** Klaus an. Schon in der Einleitung von Kurz wird vieles klarer.
das mit dem „Sagen“und dem „sich Geben“
ist das, was mich bei den
ÖRM so anwidert.
und wenn ich nur aus zweiter Hand
davon erfahre.
rechtzeitig ausgesstiegen.
Sagen wir es einmal so, Kurz ist ein sehr geschmeidiger Typ und macht sich dadurch länger als er in Wahrheit ist und dennoch gehört er in die Riege der Jungdiplomaten, von dieser Sorte könnten wir mehr gebrauchen, wo dadurch allerdings noch lange nicht bewiesen ist, daß es die Österreicher mit diesem alten und zugleich neuen Kanzler besser können, denn Diplomatie ist das eine, manche sprechen auch von geschickter Umgehung gesteckter Slalomstangen und außerdem wird durch die österreichische Politik nicht die Welt verändert und deshalb ist es so schön zuzuschaun wie der Österreicher sagt, außer schöpferischer Kraft wird es nicht viel nach außen bewirken, allenfalls nach innen für das eigene Wohl.
Die FPÖ ist an der Eitelkeit von wenigen, oder nur einem gescheitert. Das kann der AfD auch blühen.
Dennoch war und ist weiterhin das Video kein Zufall. Und wenn Kurz jetzt mit den Grünen die Regierung bildet, werde ich zum Verschwörungstheoretiker. Nichts ist Zufall.
Ich vermute, dass Sebastian Kurz die große Zustimmung zu seiner Partei seiner Authentizität verdankt. Wir werden sehen, wie er diese verteidigen wird.
Sebastian Kurz kann nach dem Glanzstück (Neuwahlen) mit den Grünen kolieren, … dann wäre Österreich wieder anschlussfähig ! .. kotz …
… ich mag Herrn Kurz nicht und ich trau Ihm nicht !
(nur meine Meinung)
Einem Politiker zu ‚trauen‘ wäre naiv und aus Wählersicht grundfalsch. Ich denke, daß AUT unter dem Kabinett Kurz ordentlich regiert wurde, und offenbar haben das viele Österreicher auch so gesehen haben. Egal welchen Schwanz er sich aussucht, ich kann mir nicht vorstellen daß er sich dann von dem wedeln läßt.
Der „arme“ Herr Kurz hat sich totgesiegt. Keiner will mit ihm, woran das nur liegt? Liegt es daran, daß Kurz alle mit seinem exellenten Benehmen in den Schatten stellt oder hat er aus strategischen Gründen die causa Kickl überzogen?
Wir dürfen auf die Regierungsbildung gespannt sein und das Intrigantestadl in Wien wohl noch einige Monate verfolgen.
Das ist nicht das Problem von Kurz. Alle wollen mit ihm – nur zu welchem Preis?
Wenn Sie sich da mal nicht vertun. Ein weiß ich, wenn Kurz alleine mit den Grünen koaliert, dann wird er ganz schnell weg vom Fenster sein.
Wobei vertue ich mich? Weiß nicht, was Sie meinen könnten.
Servus Herr Goergen, Sie meinen also die legen nur die Latte hoch?
Naja, Ihnen sind die Gepflogenheiten in Wien wohl viel besser bekannt als mir.
Rechnen Sie mit einer Regierungsbildung noch in diesem Jahr?
Übrigens das Kabinett der Fachleute, die die Parlamentsbeschlüsse unsetzten (mit Ausnahme Bildung, das war ja auch wohl begründet) hat mir vom Prinzip her gut gefallen.
Beste Grüße
Gerd
Ausgerechnet(!) in der FAZ ein – wie mir scheint – doch recht guter Artikel zur Ö-Wahl: //www.faz.net/aktuell/politik/ausland/presse-zu-oesterreichwahl-strache-verdient-kuss-von-kurz-16409959.html
Österreich muß nicht gleich sein wie Deutschland.Und daß Sebastian Kurz besser ist als die Mitbewerber ist kein Makel, sondern ein Gewinn für das Land und seine Bürger.
Die Frontfiguren der Roten und Grünen mögen sagen was sie wollen, den Wählern scheinen sie nichts „gegeben“ zu haben.
Danke für die Berichterstattung Herr Goergen!
Deutsche Medien haben eine Koalition halbe Stunde nach der ersten Prognose gemacht. Grün soll unbedingt dabei sein, die Propaganda ist absolut unerträglich.
Umso mehr freut es mich eine sachliche Analyse von Ihnen zu lesen!
Ein Hochgenuss, wie freundlich-kühl und bestimmt der designierte Kanzler Sebastian Kurz das „How dare you!“ des deutschen Staatsfernsehjournalisten Claus Kleber abbügelt. Man muss es sich einfach mehrmals auf Youtube ansehen und genießen. Tu felix Austria!
MH
Was erlauben Kleber???
Ein Interview zum Fremdschämen.
Die deutsche Politik und ihre verlängerten Arme sind fertig, sie haben es nur noch nicht gemerkelt. Die Wende kommt von Außen.
@Max Herrmann
„Man muss es sich einfach mehrmals auf Youtube ansehen und genießen. Tu felix Austria!“
Ja, wirklich umwerfend. Krönung war für mich die Stelle bei 1:50, als Kleber fragt „Wäre jetzt nicht von Ihnen klare Ansage genau das Richtige?“ und Kurz antwortet: „Ja vielleicht würden Sie besser wissen, was ich tun sollte, als ich selbst weiss.“
Ich hab’s mir eben auch angeschaut (Heute Journal schalte ich grundsätzlich ab wenn ich den Kleber auch nur schemenhaft sehe),. Bravo endlich mal ein Politiker der sich nicht vom Ausland dreinreden lässt (bei uns ist das ja fast immer genau andersherum) und auf eine Frage mit einem klaren „Nein“ antwortet.
Über die Kinderstube des Fragenden zu philosophieren ist vertane Lebenszeit.Den Mann trifft man am besten wenn man ihn vollumfänglich ignoriert/übersieht, das trifft im Übrigen genauso auf seine vorlaute Kollegin zu.
„Da ist ja gut, dass die Österreicher mit der jetzigen Expertenregierung so zufrieden sind“ In diesem Schlusswort lässt Kleber seinen ganzen hässlichen Frust über das Interview heraus. Man sieht ungeschminkt die Fratze unserer GEZ-Journaille.
Das klang schon ein wenig wie „Österreich first“. Zu schade, dass dabei Klebers Gesicht nicht zu sehen war.
Diese Arroganz ist unerträglich, andererseits macht sie unzweifelhaft klar, daß Herr Kleber eine Schande für seinen Beruf ist: wenn es drauf ankommt, fallen die Hüllen. Ebenso auf Phönix, Der Tag endet mit guten Wünschen für Grün dabei. Was das mit objektivem Journalismus zu tun hat, bleibt unverständlich; sie müssen sich in ihrer Blase sehr sicher fühlen.
Danke für diesen „Blick aufs Innere“!