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Ein schärferes Wort für Freiheit

Mehr Anarchie? Eine Notwendigkeit

16.09.2023

| Lesedauer: 3 Minuten
In der politischen Philosophie steht Anarchie nicht für chaotische Verhältnisse, sondern für eine Ordnung ohne Herrschaft. Nichts anderes ist eine funktionierende Demokratie.

Kaum führt man den Begriff Anarchie in die politische Debatte ein, schütteln sich die Leser. In welche Untiefen begibt sich da doch der Autor! Hat er den Verstand verloren? Anarchie!!! Die gesitteten Deutschen verstehen darunter offenbar so etwas wie Aufruhr oder gar Zerstörungswut. Besorgte Anfragen beantworte ich hier.

I.

In der politischen Philosophie steht Anarchie nicht für chaotische Verhältnisse, sondern für eine Ordnung ohne Herrschaft. Nichts anderes ist eine funktionierende Demokratie: eben nicht die Herrschaft der Mehrheit oder gar die derzeit rücksichtslose Herrschaft einer lautstarken elitären Minderheit. Mehr Anarchie zu wagen, hieße also vor allem, mehr Demokratie zu wagen. Anarchie ist ein schärferes Wort für Freiheit.

II.

Freiheit ist leider kein Naturzustand. Mit anarchischem Zorn gilt es, die Werte der Freiheit gegen die grün-roten Radikalen in Parlamenten und Regierungen zu verteidigen. Deshalb darf nicht Ruhe die erste Bürgerpflicht sein. Vielmehr bedarf es der anarchischen Gesinnung der Bürger. Ich verwende den Begriff auch, um zu provozieren. Diese Provokation ist kein Selbstzweck, sondern Notwendigkeit im Kampf gegen den übergriffigen Gouvernantenstaat. Deshalb die Forderung: „Mehr Anarchie, die Herrschaften!“ – so der Titel meines neuen Buchs. Seine These: Ohne mehr Anarchie pervertiert die Demokratie zur Demokratur verblendeter Rechthaber, Gutmenschen, Wohlstandszerstörer und Freiheitsverächter.

III.

Ich plädiere weder für Gesetzlosigkeit noch für die Herrschaft selbsternannter „Anarchisten“. Anarchisten, linke wie rechte, haben in der Geschichte immer wieder Anarchismus missverstanden und missbraucht und damit Unheil angerichtet. Kant aber zum Beispiel definierte Anarchie als „Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“. Den Mangel an freiheitlicher, also anarchischer Gesinnung im Untertanen-Deutschland ist zu beklagen. Anarchischer gesonnene Bürger würden sich gegen die Anmaßungen der gewählten Obrigkeit zu Wehr setzen. Mehr Anarchie würde bedeuten: weniger Bürokratie, weniger Zentralismus, weniger Gesetze, weniger staatliche Willkür, weniger Enteignung, weniger politische Korrektheit, weniger Sprachverbote, weniger „Maßnahmen“, weniger Staatsmacht. Lassen wir uns nicht zu „rechten“ Verfassungsfeinden stempeln! Treten wir den wahren Verfassungsfeinden in ihren Ämtern mit anarchischer Lust entgegen!

IV.

Der bürgerliche Anarchist ist alles andere als zügellos. Er will nur nicht sich selbst, sondern die Anmaßungen der Regierenden zügeln. Er hasst es, sich als Untertan behandeln zu lassen, der zu dumm ist, selbst zu erkennen, was für ihn gut und was für ihn schlecht ist. Der mündige Bürger lässt sich nicht entmündigen. Andersherum: Nur, wenn er sich zur Wehr setzt, ist er mündig. Nur mündige Bürger verstehen es, mit ihrer Freiheit etwas anzufangen. Sie leiden unter der Einschränkung von Freiheit. Das macht sie anarchisch.

V.

Anarchische Gesinnung kennt keine Ideologie. Sie folgt keinem Kollektiv. Ihr Leitbild ist das Individuum. Sich im Verborgenen seines Kämmerleins oder in der Blase seiner sozialen Netzwerke anarchisch zu fühlen, ist billig und sinnlos. Anarchischer Zorn schluckt nicht, er spuckt. Das macht ihn in den Augen seiner Feinde gefährlich. Der bürgerliche Anarchist lässt sich nicht gängeln, schon gar nicht von einer Staatsmacht, der die Fratze des Moralismus aufsetzt. Wer auch nur ein wenig anarchisch fühlt, pocht auf ein Maximum von Eigenverantwortung freier Bürger. Er delegiert die Kontrolle über sein Leben nicht an andere, schon gar nicht an Leute, die nicht mehr leisten, als sich mit Hilfe einer Partei Macht anzueignen. Bürger und Anarchist: Das ist kein Widerspruch. Es bedeutet, schädlichen Autoritäten zu widersprechen und Demokratie beim Wort zu nehmen. Nicht mehr und nicht weniger.

VI.

So herrscht also neben all den anderen Mängeln vor allem ein eklatanter Mangel an anarchischer Gesinnung in diesem Land, das drauf und dran ist, heruntergewirtschaftet und in Grund und Boden regiert zu werden. Damit bröseln die Fundamente der offenen Gesellschaft. Bedroht vom versagenden, zunehmend dysfunktionalen Staat in einer erodierenden Demokratie, bleibt dem freien Bürger nichts anderes übrig, als die Fesseln fadenscheiniger Gesittung abzustreifen. Er muss streiten, anecken, unbequem und ungehorsam werden. Wählen ist nicht genug. Die Fäuste zu ballen, reicht nicht.


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32 Kommentare

  1. JAAAA – dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen.

  2. Ich sehe es so, dass unser jetziger Staat Anarchie betreibt.

    Noch so schöne philosophische Absichten und Verzierungen können darüber hinwegtäuschen, dass hinten nicht rauskommt, was man sich erhoffte. Dem Sozialismus ist es auch nicht anderes gegangen. Es war noch nie der richtige, heißt es dann. Das Problem wäre also nicht der Sozialismus gewesen sondern die Sozialisten. Dasselbe darf man auch für Anarchisten annehmen.

  3. Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass der wahrscheinlich kommende Präsident von Argentinien, Milei, bereits jetzt, also schon im Vorfeld, als Anarchist abqualifiziert wird. Allerdings meine ich, er hat sich selbst als Anarchisten bezeichnet und diesen Ansatz durch eine sehr unterhaltsame Präsentation vor der Presse demonstriert. Er ließ alle aktuellen Ministeriennamen auf Schildchen geschrieben auf eine Tafel kleben und ging dann daran, alle die Schildchen abzureißen und auf den Boden zu werfen, deren Ministerien er abschaffen will. Kurz also, deutlich weniger Staat und wer weiß, wieviele Hauptstädler von der Bürokratie leben, ist nicht überrascht über den Entrüstungssturm der sich erhob. Die einfachen Argentinier und die unternehmerisch orientierten fanden es natürlich großartig, denn sie leiden unter der Bürokratie und müssen sie auch noch finanzieren.
    Erinnert irgendwie an Deutschland, oder?
    Nur mit dem Unterschied, dass es Deutschland noch nicht so schlecht geht, dass es einen Milei hervorbringen könnte.
    Man baut aber nun bereits systematisch ein weiteres Totschlag-Etikett vor. Wir haben ja: Antisemit, „struktureller“ Antisemit, Neoliberaler und nun eben auch Anarcholiberaler „der extremen Rechten“.
    Die Frage ist, wie lange noch wollen sich originell denkende Menschen von solchen Etiketten fesseln lassen und wann finden sie endlich dazu, das Etikett anzunehmen und zu verteidigen? Denn anders geht es nicht. Die Zeit der Rechtfertigungen gegenüber durchsichtig pauschalen Etikettierungen der vereinigten Duckmäuserparteien muss vorbei sein und ich interpretieren Wolfgang Herles’s Artikel als einen Betrag zu diesem Thema. Milei in Argentinien ist bereits einen Schritt weiter und praktiziert.

  4. Das Problem des Einzelnen ist, daß sein Widerstand komplett ignoriert werden kann.
    Man braucht Öffentlichkeit, Multiplikatoren.

    Dem stehen Medien entgegen, die Abweichler canceln und Accounts abschalten oder in der Reichweite einschränken, sowie eine Regierung aus Parteien, die von Antifa-Terror bis zur Kontokündigung ein breites Spektrum von ausserlegalen Sanktionsmöglichkeiten geschaffen haben.

    Wer einer Arbeit nachgeht, ein Familien/Privatleben hat, der wird gegen diese Widerstände schon aus zeitlichen Gründen kaum ankommen.

    Wer nicht arbeitet, ist überwiegend auf der Antifa-Seite zu finden.

    Es scheint mir einfach unfair, dem Bürger unter diesen Umständen Trägheit oder Untertanengeist vorzuwerfen.
    Die „lautstarken Minderheiten“ sind nicht per se lautstark, sie haben die Hochfinanz und deren Megaphone auf ihrer Seite sowie den Rückenwind der Politik.
    Sie sind nicht Ursache der Politik, sondern Mittel zum Zweck wie jede Ideologie.

    Es geht im Kern um Geld und Macht für das eine Prozent – wenn es überhaupt so viele sind.

  5. „Freiheit ist leider kein Naturzustand.“
    Und ob sie das ist!
    Eingeschränkt wird die Freiheit einzig durch gesellschaftliche Verabredungen (Gesetze) oder im Extremfall durch das Faustrecht.
    Ein einzelner Mensch, auf einer sonst menschenleeren Insel, ist völlig frei in seinen Handlungen, niemand schränkt ihn ein, keinem außer sich selbst ist er rechenschaftspflichtig.
    Wenn man „Freiheit ist leider kein Naturzustand“ konsequent anwendet, bedeutet das, das alles verboten ist was nicht kodifiziert zugestanden wird.
    Das allerdings wäre dann das Rechtsverständnis totalitärer Diktaturen.

  6. Interessant, zu welchen Missverständnissen das Reizwort ‚Anarchie‘ einlädt. Aus dem Beitrag geht doch eindeutig hervor, dass Wolfgang Herles nicht einer herrschaftsfreien Gesellschaft das Wort redet, sondern Anarchismus als skeptische Haltung des Bürgers gegenüber jeglichen Autoritäten versteht, verbunden mit dem Bewusstsein, der eigentliche Souverän zu sein, und dem Mut, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Kurzum: Der mündige Staatsbürger, der dem Grundgesetz als Ideal vorschwebt.

  7. Den Begriff „Anarchie“ sollte man ausgehend von Kant in seinem Bedeutungswandel genauer betrachten. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts vereinnahmten linke Kräfte diesen Begriff und begannen mittels selbstgebauten Bomben uä. zur Revolution und Systemchange aufzurufen, damit wären wir heute bei RAF, Antifa und Co. Den Begriff von der linken Übertünchung zu befreien, betrachte ich als durchaus interessanten Versuch, die Kantsche Bürgerlichkeit hervorzuheben.
    Allerdings wird es sich in Gesellschaften „ohne Ordnung“ früher oder später irgendjemand finden, der sich an die Spitze stellen wird, ob aber zum Wohl der Gesellschaft? Quod erat demonstrandum! Die staatlichen Zwänge, die seit einigen Jahren ausschließlich an persönlichen Interessen der Herrschenden ausgerichtet sind, sind tatsächlich auf ein notwendiges Mindestmaß zurechtzustutzen. Das Mindestmaß würde ich als die „Bill of Rights“ einschließlich Amendments (hier insbesondere das 2nd Amendment der US Constitution) betrachten.
    „Wir sind das Volk!“ „We (are) the people“

  8. Wenn Herles Anarchie, Anarchismus und Anarchisten begrifflich positiv einzuführen gedenkt und zwar in bürgerlichem freiheitlichen Sinn, meint er damit libertär zu sein, was noch einmal eine Steigerung von liberal ist. Der klassische Anarchismus mit seinen Großvätern und Urgroßvätern Proudhon, Bakunin, Kropotkin wozu auch Tolstoj gehört, haben neben ihrem unbändigen Sinn für Freiheit auch immer eine soziale Komponente gehabt, waren also politisch links verortet. Rechten Anarchismus gibt es nur in seiner extrem individualistischen Variante, Max Stirner (Der Einzige und sein Eigentum) und dessen Bewunderer. Bürgerlicher Anarchismus wäre neu, Vielleicht hat ja Herr Herles den Ehrgeiz dessen Begründer zu sein, wenn sein neues Buch einschlägt (nicht wie eine Bombe sondern als buchbinderisch gezähmter Tiger, lol) Meine Segenswünsche hat er.

  9. Aber auch Kant wusste, dass der Mensch aus krummen Holz geschnitzt ist….Ich hege den Verdacht, dass bei diesen theoretischen Erwaegungen die Realitaet deutlich zu kurz kommt. Vor allem die „menschliche“ Realitaet, sowohl als Individuum, wie auch als Massenwesen. Ohne Kollektivist zu sein scheint mir der vom Autor immer wieder vertretene Pseudoindividualimus mit der conditio humana nicht in Einklang zu bringen sein. Auf den nietzeanischen Uebermenschen warten wir noch, die letzten Menschen sehen wir taeglich. Da hat sich gestern ein Fachmann durchaus zutreffend mit der psychischen Verfassung nicht weniger Menschen in diesem Land befasst, wobei man auch Maaz u. a. dazunehmen koennte. Der Experte hat dabei nur einen, wenn auch sehr wichtigen psychischen Aspekt behandelt, dem man unschwer weitere hinzufügen kann, wenn man das Spektrum entsprechend erweitert. Der psychokognitive Befund aus einer Gemengelage bioevolutionaerer Bedingungen und kulturevolutionaerer „Einflüsse“ laesst Überlegungen oder Appelle wie die des Autors leicht irreal erscheinen. Zunaechst empfiehlt sich immer eine sachlich nuechterne Bestandsaufnahme der Ausgangslage, den konditionierten (deutschen) Menschen an erster Stelle. Unabhängig von der Frage, ob der Mensch Individualismus ueberhaupt kann und will, woran sich die Frage der Reichweite seiner (gewollten) Freiheit und deren Gebrauch anschließt, besonders wenn er Macht erwirbt, gibt es zudem noch ein Regime und Institutionen. Der Aufruf zur Unbotmaessigkeit ist wohlfeil. Konkret, und darum geht es am Ende trotz aller akademischer Erwaegungen immer, sieht die Sache anders aus. Ich beobachte z. B. deutliche Unterschiede, je nachdem, ob Menschen Artikel schreiben oder in sogen Talkrunden auftreten. Letztere wirken eindeutig „zaehmend“. Man sollte bei Leuten, bei den es heute um die soziale und berufliche Existenz geht, mit Aufrufen vorsichtig bleiben. Ein totalitaeres System wie das aktuelle funktioniert natuerlich nicht nur aufgrund von noch eher geringen repressiven Massnahmen, sondern qua Konditionierung auf der Basis eines Prozesses, der nach 1945 gewollt eingeleitet wurde. Dem Autor sollte bekannt sein, dass die Sieger alles andere als eine „echte“ Demokratie mit einem richtigen Demos wollten. Diesen machten sie als auf Dauer boese Ursache der Katastrophe davor aus. Heute von diesem sedierten, im Westen politisch, moralisch und geistig entleerten Brot – und Spiele – Volk politische Anarchie zu verlangen, ist absurd. Diese „Anarchie“ wird ja bereits dann wieder stigmatisiert, wenn sie irgendetwas mit „rechts“ zu tun hat. Gelenkte Anarchie ist keine. Und eine Anarchie ohne eine stabile, individuelle Identität ist Chaos.

  10. Bürgerlicher Ungehorsam ist keine Erfindung der Neuzeit, sondern ein Werkzeug, dessen Wurzeln bis in die Antike reichen.
    Mit der Form des bewussten Verstoßes gegen rechtliche Normen und einzelne Gesetze setzt der Bürger einen Akt, der auf die Beseitigung eines wahrgenommenen Unrechts abzielt. Es ist das empfundene moralische Recht auf politische Teilhabe und Gerechtigkeit. Das Widerstandsrecht ist ein Mittel, das sich in gewaltfreier Form, in einem symbolischen Verstoß gegen geltende staatliche Gesetze und Verordnungen äußert und damit auf die öffentliche Meinungsbildung abzielt.
    Das Ziel zivilen Ungehorsams ist die Durchsetzung von Rechten der Bürger in der bestehenden Ordnung und zielt nicht auf die Ablösung aktueller politischer Machtsysteme, wie in § 20 Abs. 4 GG, definiert und beschrieben. Hinsichtlich der Methoden und Aktionsformen bestehen mit Sicherheit Überschneidungen.
    Juraforum

  11. Ich bin kein Anarchist aber ich wünschte, wir würden „mehr Freiheit wagen“, denn:
    „Das einzig wirklich wichtige Menschenrecht ist das Recht in Ruhe gelassen zu werden.“
    (Roland Baader)

  12. Gemeint ist wohl „mehr“ Chaos

    Anarchie bedeutet „Herrschaftsfrei“ oder „keine Herrschaft“

    Und das ist nicht der Status quo, denn

    HERRSCHAFT GEHT DEN HERRSCHAFTEN ÜBER ALLES

    Auch Anomie „Gesetzlosigkeit“ trifft es nicht

    Gesetze gibt es jeden Tag neue – nur werden sie geflissentlich missachtet

    Bleibt Dystopie …..

    • Begrifflich war aber der politische Anarchismus gemeint. Wir haben Anarchisten meist im Zusammenhang mit Terror kennengelernt, da brauchen wir überhaupt nicht weiter zu sinnieren. Auch gibt es Anschauungen und Interpretationen von Lenin über Stalin bis hin zu Honecker und Joschka Fischer, Habeck und Analena Baerbock. Wem würden Sie von den Aufgezählten vertrauen?
      Die Letzteren verstehen beispielsweise den Anarchismus so, dass sie anderen Leuten ihre Meinung auf‘s Auge drücken können, also Null anarchistisch.
      Was uns zu der Frage führt, wer diese Leute überhaupt sind.
      Solange Politiker sich nicht definieren müssen, sondern mit Begrifflichkeiten, Werten um sich werfen und es dem Wähler überlassen diese einzuordnen, wird der Bürger ein einfaches Opfer für solche Leute sein.

  13. Der Kategorische Imperativ von Kant ist eine ein ungenaues Konzept, denn wenn man es konkretisiert, scheitert es an sich selbst. Dem Wertmaß eines anderen Menschen in einem Streitfall zu unterliegen ist wahrscheinlich und das macht dann auf Dauer aggressiv. Sollte man heute so argumentieren muss das auch für das „Das Kapital“ von Marx gelten.
    Dieser kategorische Imperativ ist ein Gedanke seiner Zeit und verdankte seine Brillanz den herrschenden Umständen. Doch Umstände ändern sich. Wir haben die Knechtschaft des Adels und die Ausbeutung der Frühindustrialisierung hinter uns gelassen. Sprich, wir haben uns neue Fesseln geschaffen.
    Doch ganz abschreiben sollte man diesen Imperativ nicht, denn er ist im Kern ein Bekenntnis für eine bessere Welt!
    Danke für den Artikel.

  14. Alles schön und gut, sehr geehrter Herr Herles.
    Nennen Sie mir aber nur ein konstruktives Beispiel und im Rahmen meiner Möglichkeiten fange schon heute damit an, Ihrem Beispiel zu folgen.
    Schlagworte wie streiten, anecken, unbequem und ungehorsam sein sind mir allerdings etwas zu schwammig, insbesondere da diese Eigenschaften bestenfalls in meiner näheren, privaten Umgebung „funktionieren“, wenn mal wieder gute Argumente nicht ausreichen ?

  15. “Bedroht vom versagenden, zunehmend dysfunktionalen Staat in einer erodierenden Demokratie, bleibt dem freien Bürger nichts anderes übrig, als die Fesseln fadenscheiniger Gesittung abzustreifen. Er muss streiten, anecken, unbequem und ungehorsam werden. Wählen ist nicht genug. Die Fäuste zu ballen, reicht nicht.”

    Rufen Sie hier etwa zum Umsturz auf Herr Herles, oder wie darf man das verstehen? Das werde übrigens nicht ich Sie fragen, sondern jene die die Macht in diesem Staat an sich gerissen haben. Ein gewisser ex-US Präsident wird übrigens wegen weit weniger eindeutiger Aussagen wie die Ihrigen vor Gericht gezerrt, wegen des angeblichen Versuchs des Umsturzes. Wenn man mit Donald Trump so verfahren kann, was glauben sie was diese Leute und ihre deutschen Glaubensbrüder mit Ihnen, geschweige denn mit einfachen Bürgern, anstellen können und auch anstellen werden. Geben Sies auf, der einzelne Bürger kann gar nichts machen, zero, nada, niente.

  16. In der „politischen Philosophie“ steht Anarchie für des Recht des Stärkeren, sonst nichts.

  17. Sie schreiben ja selbst, daß Sie mit dem Begriff provozieren wollen. Dennoch wäre in Deutschland der Begriff „libertär“ sinnvoller. Der Begriff „Anarchie“ ist hierzulande viel zu negativ behaftet, auch durch die bekannten und überall präsenten linken Graffitis mit dem „A“ im Kreis. Mit so einer Sache wird sich die Masse nicht gemein machen, weil sie als schmuddelig gilt.

  18. In Deutschland sind es Minderheiten, die wollen die gesamte Gesellschaft tyrannisieren dagegen muss sich jedes Mitglied das in Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung leben will wehren!
    Die Deutungshoheit darf nicht der Politik, Medien, oder Randgruppen überlassen werden!
    Das geht aber nur, wenn sich die Mehrheit der Gesellschaft nicht länger weg duckt und Widerstand leistet!

  19. Anarchie? Im Ernst?
    Was glauben Sie, warum die Römer den Germanen über huunderte von Jahren militärisch überlegen waren?
    Es war deren Disziplin! Die Germanen waren in Stammesfürsten unterteilt und kannten keine einheitliche Führung.
    Erst als es zum gemeinsamen abgesprochenen Handeln aller germanischen Stämme, soweit sich diese im Krieg mit Rom befanden, kam, erst da konnten die Römer besiegt und Rom zerstört werden.
    Auf die Neuzeit übertragen bedeutet dies, dass Zerstrittenheit und Anarchie im von den USA ausgerufenen Kampf gegen Russland und teils auch China, alles Andere als Anarchie nötig ist!

    • Zumal da Russland und China weitgehend straff geführt werden und in den USA zur gleichen Zeit Strafverfahren gegen Präsidenten laufen.

  20. Nun ja. Ich verstehe die Stossrichtung des Artikels, aber ob man so einen Blumentopf gewinnen kann? Zunächst: Anarchie und Anarchie sind zwei vollkommen verschiedene Paar Schuhe. Bakunins kollektivistischer Anarchismus ist keine herrschaftsfreie Gesellschaftsform, sie ist nur bürgernäher und „kleinteiliger“ (Bakunin: „Folgt hieraus, dass ich jede Autorität verwerfe? Dieser Gedanke liegt mir fern…“).
    Kropotkin und Proudhon sahen das ganz ähnlich, für sie war Anarchie praktisch Kommunismus ohne zentrale Herrschaft.
    Gab es jemals Anarchie? Nicht selten. Dem positiven Idealbild kamen Versuche in Spanien nahe, die erst durch das Franco-Regime beendet wurden. Einige Naturvölker lebten in weitgehender Anarchie, die Herrschaft von „Ältesten“ oder Häuptlingen beruhte oft nur auf deren ganz persönlicher Autorität und konnte jederzeit in Frage gestellt werden.
    Negativ wurden „anarchische“ Bürgerkriegszustände in England empfunden, die z.B. Hobbes zu seiner bewundernswerten, aber erschreckenden Theorie des Staates im ‚Leviathan‘ inspirierten. In Deutschland war Christian Wolff (1679-1754) ein Abkupferer der Hobbes’schen Ideen.
    Im antiken persischen Kaiserreich gab es die (historisch verbürgte) Tradition einer mehrtägigen Gesetzlosigkeit (i.e. Herrschaftslosigkeit) beim Tod des Kaisers, bevor der Nachfolger inthronisiert war. Man konnte tun und lassen, was man wollte. Diese Sitte hatte offenbar den Zweck, durch abschreckende Ereignisse den Bürgern die Notwendigkeit von Herrschaft vor Augen zu halten. –
    Ich würde dementsprechend nicht von „Anarchie“ sprechen, das ist zu mehrdeutig. Sagen wir lieber, dass wir den klebrig-unappetitlichen deutschen Untertanengeist durch einen selbstbewussten bürgerlichen „Obertanengeist“ ersetzen sollten.
    Erste Anzeichen dafür sehen wir ja. Und, small wonder, wir sehen sie vor allem im Osten. Ex oriente lux!

  21. P.S. Bezeichnenderweise gab es in Deutschland außer Rudolf Rocker (oder den „Berserker“ Johann Most) keine namhaften Anarchisten!
    Einzig in der Ukraine (Nestor Machno) sowie in Spanien gelangen kurzzeitige anarchistische „Regierungsbildungen“, beide Male übrigens während eines Bürgerkriegs.

  22. Es gab sehr ordnungsbewusste Anarchisten, wie P.J. Proudhon (1809-1865), Elisee Reclus oder den Engländer Godwin. Und George Orwell hat man einmal einen konservativen Anarchisten genannt. Vielleicht ist der Begriff Anarchismus besser als Anarchie. Es ist nicht dasselbe!

  23. Er muss streiten, anecken, unbequem und ungehorsam werden. „
    Ein Anfang wäre schon mal, einfach nicht mehr mitmachen – wann und wo auch immer das straffrei möglich ist. Kein gendern, keine Spenden mehr, keine ehrenamtliche Tätigkeit in den Kirchen, der sogenannten Flüchtlingshilfe – organisiert von der Asylindustrie, bei den Tafeln, die Teil der Wohlfahrtsindustrie sind …
    Keine Ü-Stden wenn möglich und wenn diese angeordnet werden, nur gegen Freizeitausgleich.
    Wer wegen der LG im Stau steckt, sollte umdrehen und nach Hause fahren, statt zu spät zur Arbeit kommen und die verlorene Zeit wieder reinzuarbeiten.
    Stell Dir vor, sie rufen zur Demo „wir sind bunt“, zum Klimastreik … und keiner geht hin.

  24. Das Wort Anarchie ist bei den meisten Menschen inhaltlich anders, oft negativ, besetzt als bei Ihnen Herr Herles. Deshalb wird es schwierig unter diesem Begriff etwas voranzubringen.
    Freiheit und Liberalismus sind da als Schlagworte besser.

    • Sie bringen es auf den Punkt! Den Begriff sollte man in Verbindung mit Freiheit und Demokratie vorsichtig wählen. Anarchie steht für mich eher für Gesetzlosigkeit , Gewalt, Aufruhr und ich bringe ihn mit der Antifa in Verbindung.

  25. Werter Herr Herles,
    danke für die Erläuterungen; ich teile Ihre Ansicht, halte aber mit dem Dichterfürsten Deutschlands entgegen: „Grau, mein Freund, ist alle Theorie.“

  26. Genau so ist es. Es heißt doch auch, wer seine Freiheit einer irgendwie gearteten – oder heute auch gefühlten – Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren!
    Ansonsten eine Ergänzung: „Treten wir den wahren Verfassungsfeinden in ihren Ämtern mit anarchischer Lust (entgegen!) in den Arsch! Wenn auch nur symbolisch!

  27. „Bedroht vom versagenden, zunehmend dysfunktionalen Staat in einer erodierenden Demokratie, bleibt dem freien Bürger nichts anderes übrig, als die Fesseln fadenscheiniger Gesittung abzustreifen. Er muss streiten, anecken, unbequem und ungehorsam werden. Wählen ist nicht genug. Die Fäuste zu ballen, reicht nicht.“

    Sehr geehrter Herr Herles, Gratulation und meine Hochachtung zu diesem mitten in die Zwölf treffenden Beitrag. Das musste mal in dieser Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht werden. Die Crux ist, dass der Michel erst aufwachen wird, wenn’s bereits zu spät ist. Das ist, leider, die bittere Realität im besten Deutschland aller Zeiten.

  28. Der Autor meint wohl einen Minimalstaat nach libertärer Vorstellung, dessen Zuständigkeit sich auf innere und äußere Sicherheit sowie die Wahrung einer allgemein verbindlichen Rechtsordnung beschränkt. Um dorthin zu gelangen, bräuchte man zunächst direktdemokratische Elemente mit einem Initiativrecht der Bürger, um den Staatsapparat in seine Schranken zu weisen. Haben wir nicht und werden wir vom Beamtenadel auch nie zugestanden bekommen. Da hilft die schönste „anarchische“ Gesinnung nichts, die uns Herr Herles gern verordnen möchte, so sympathisch das Idealbild des in erster Linie für sich selbst und seine Nächsten (Familie, Gemeinde…) verantwortlichen Individuums auch erscheint. Mit einem politisch naiven, am Kollektivimus klebenden Volk, das dem Sklavenkonzept von „Vater Staat“ anhängt, ist in dieser Richtung nichts zu machen.

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