Klaus Kinkel symbolisiert für mich die FDP im Verlust ihrer Identität. Oder sollte ich sagen in ihrem Scheitern, eine zu finden? Der FDP trat der parteilose Spitzenbeamte bei, als er 1991 Bundesjustizminister wurde. Nach 18 Monaten als einfaches Parteimitglied wurde Kinkel Bundesvorsitzender. Nach weiteren 24 Monaten war er wieder einfaches Mitglied.
Kinkel und ich lernten uns kennen, als er Ende der Sechziger Jahre im Referat Positiver Verfassungsschutz im Bundesministerium des Innern Dienst tat. Von dort an begegneten wir uns immer wieder, schon deshalb, weil er auf ministerieller Seite, ich auf Parteiseite lange für Hans-Dietrich Genscher tätig waren. Klaus Kinkel zählt zu den Wenigen in meinem Bonner Politik-Leben, die ich mochte. Menschliche Falschheit, Teil der Stellenbeschreibung der meisten Mandarine der Bonner und Berliner Republik, war eine Eigenschaft, zu der Kinkel nicht fähig war und die er zutiefst verachtete.
Ein Ministerialrat im Innenministerium zu Kinkels Zeiten, der die politischen Stiftungen betreute, ein Mann von weit überdurchschnittlicher Belesenheit nannte seine Vorstellung von Beamtentum Hochbürokratie. Damit meinte er einen ausgeprägt hohen Anspruch des Beamten, des Bürokraten an sich selbst, an seine eigene Qualität von Arbeit, seine Loyalität, Diskretion und Moral. Kinkel entsprach diesem Anspruch in jeder Hinsicht. Bei einer Staatsbürokratie dieser Qualität wären die öffentlichen Dinge in guten Händen, wären die heutigen Zustände undenkbar.
Sie konnte schon zu Kinkels Beamtenzeiten nicht so sein, weil bereits damals in Bonn der Parteienstaat begonnen hatte, den funktionierenden Teil der Bürokratie immer mehr politisch zu gängeln und Parteileute in Ministerien und Behörden zu setzen, die im Unterschied zu Kinkel keine professionellen Bürokraten waren, sondern parteipolitische Laienverwalter, die sich seitdem als Typus des Berufspolitikers in allen Parlamenten festgesetzt haben.
Kinkel war ein hoch professioneller Beamter. Zum Partei-Politiker – und andere gibt es im Parteienstaat nicht – fehlte ihm alles. Nur damit das jedem klar ist: Das ist ein Kompliment.
Klaus Kinkel und Wolfgang Schäuble verhandelten – oder besser: managten – die Modalitäten des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik, der kein Beitritt der sogenannten neuen Bundesländer war, die es noch gar nicht gab, sondern ein Anschluss.
In jenen Tagen sagte ich zu Kinkel, das ist die Stunde einer FDP, die für Freiheit und Recht steht: Jetzt die ganz und gar überregulierte alte Bundesrepublik auf den Prüfstand stellen, alles weg, was sich an Freiheit behinderndem Ballast angesammelt hat, und in der größeren Bundesrepublik schlanke Strukturen schaffen – als krönender Abschluss: eine Verfassung der Freiheit in Volksabstimmung.
Kinkel verstand nicht, was ich meinte. Die DDR in die BRD holen, war für ihn ein Verwaltungsvorgang, den es professionell zu managen galt. Alles andere würde man später sehen. Die politische Dimension des einmaligen Vorganges war ihm fremd. Klaus Kinkel war ein hoch professioneller Bürokrat und ein anständiger Mann durch und durch, ein homo politicus war er nicht.
Lange Rede, kurzer Sinn: Solche wie Kinkel fehlen, und zwar immer mehr zunehmend und immer schmerzlicher!
Was für ein Unterschied zu den Waschlappen, die heute im Rampenlicht stehen (fast hätte ich, so kurz nach Karneval gesagt: In der Bütt! Aber wenn jemand in der Bütt stand und was von sich gab, und wenn es nur ein Pipi-Witz war, wurde ja nur rumkrakeelt!) Und das ist es, was ohne Leute wie Kinkel bleibt! Kakophonie! Traurig und erbärmlich!
Heute sind die Stasi-Netzwerke der alten DDR eher erfolgreich dabei, den Ballast der Freiheit, die in der alten Bundesrepublik gedieh, abzuschaffen.
„Hochbürokratie“ – ja, das paßt zu Klaus Kinkel. Ich konnte ihn nie richtig einordnen, da er mE nie das GROSSE+GANZE im Blick hatte. Habe unlängst auf Mediathek sein wohl letztes Kamingespräch mit MSM-Theweßen angehört, weil ich Wert auf seine Meinung zur heutigen „Großwetterlage“ im allgemeinen und BRD im besonderen wissen wollte.
Aber, lieber Herr Goergen, ich stimme Ihnen zu und habe wieder einmal dazu gelernt. Danke dafür.
Klaus Kinkel verdient den Respekt aller aufrechten und freiheitsliebenden Menschen in Deutschland und Ihren Nachruf, Herr Goergen, kann ich voll unterschreiben. Kinkel diente, wie Sir Ralf Dahrendorf, als Projektionsfläche für überzeugte Liberale, die bei Politikern die demokratische Grundüberzeugung über den Partei-Apparat stellten.
Der im schwäbischen Hechingen aufgewachsene Kinkel vertrat eher das evangelisch-preußische Ideal eines Berufsbeamten. D. h. das selbstbestimmte, freiheitliche Individuum verpflichtet sich, dem Gemeinwohl des Staatswesens zu dienen.
Das steht im Gegensatz zu den parteipolitischen Selbstoptimierern, die nach dem Motto agieren: erst ich – dann die Partei – dann sehen wir mal, was kommt. Was bekanntlich zu einer katholisch-bayrischen Vetternwirtschaft und Amigo-Politik führt.
Kann ein Mensch vom Typus Kinkel überhaupt ein homo politicus sein? Ich würde diese philosophische Frage mit Nein beantworten. Unser aktuelles Parlament läuft über vor lauter homines politici – und zwar meist in der mediokeren Ausgabe.
Selbst die Selbsterkenntnis und feine Ironie der BBC-Serie „Yes, Minister“ fehlt denen.
30 Jahre später sind alle schlauer und würden es natürlich beser machen als Kinkel und Teltschik.
Danke für den sehr sachlichen Nachruf. K. Kinkel war kein Schlechter aber aus einem fallenden Groschen wird halt kein Sturzkampfbomber und aus einem (guten) Beamten keine Denkfabrik mit Gestaltungsambitionen.
^^
Habe mir nochmal das Interview mit ihm in der amerikanischen Akademie in Berlin in voller Länge angeschaut. Bei allem Respekt für sein politisches Schaffen bleibt sein bitterer und ungeschickter Delegitimierungserlaß für Ostdeutschland, der sich bis heute negativ in den sogenannten neuen Ländern auswirkt.
Die Wende in Ostdeutschland ist ein rein ostdeutsches Produkt. Klaus Kinkel hat mit seinem Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“ frühzeitig einen Pflock eingeschlagen, wo die Ostdeutschen sich wiederfinden im einigen Deutschland. Die Westdeutschen haben das unerwartete Geschenk ohne Folgenabschätzung freudig angenommen. Weggefährte Telschick sagte letzte Woche sinngemäß, dass die Ostdeutschen endlich Verantwortung für ihr Leben übernehmen müssen. Fast eine Verhöhnung aber machen wir gerne. Wir lieben sie nicht unbedingt in allen Facetten aber wir wählen die AfD.
„Klaus Kinkel war ein hoch professioneller Bürokrat und ein anständiger Mann durch und durch, ein homo politicus war er nicht.“
Richtig – und dafür gebührt im Respekt und Anerkennung
Allerdings darf man nicht vergessen, dass auch Kinkel sowie Kanzler Kohl und Verteidigungsminister Rühe im entscheidenden Augenblick versagt haben:
Der Völkermord in Ruanda 1994, bei dem in nur 100 Tagen eine Million Tutsi mit Macheten abgeschlachtet wurden, hätte verhindert werden können, wenn die UN–Truppen von General Dallaire auf 5500 Mann aufgestockt worden wären. Ein (zu später) Beschluss der UNO lag am 17. Mai vor, aber keine einzige Nation incl. Deutschland war bereit auch nur einen einzigen Soldaten zusätzlich abzustellen.
Jedes mal, wenn unsere Politiker mit ernsten Mienen an die Gräuel des 3. Reiches erinnern und ihr obligatorisches „nie wieder“ runterbeten, muss ich daran denken, wie kläglich die Weltgemeinschaft 1994 versagt hat.
Ein Denkmal der Schande vor dem UN-Gebäude wäre durchaus angebracht.
.
Metzeleien in fernen Weltgegenden, die ganze Ethnien veranstalten, kann man nicht mit fremden Soldaten aufhalten. Wo hätte das jemals funktioniert?
Ich glaube da General Dallaire.
Die Hutu waren lediglich mit Macheten bewaffnet.
Wer in Ruanda versagt hat, wie unsere komplette Völkergemeinschaft, der sollte nicht glauben, dass er beim Holocaust nicht auch versagt hätte.
Pardon: „Anschlusses der DDR an…“
Ein guter, fairer und den Politiker Klaus Kinkel nicht unnötig und übermäßig glorifizierter Nachruf. Ja tatsächlich, die günstige historische Stunde der Zeit des „Anschlusses“ der DDR an die Bundesrepublik wurde leider nicht dazu genutzt „alles auf den Prüfstand“ zu stellen und alles weg zu schaffen, „was sich an Freiheit behinderndem Balast angesammelt hat“. Möglicherweise gab und gibt es immer noch zu wenige freie Geister und Intellektuellen vom Schlage eines Ralf Dahrendorf in Deutschland, um den Deutschen die Bedeutung der Freiheit und der staatlichen Nichteinmischung in jeden Winkel des Lebens zu verdeutlichen. Freiheitliche historische Traditionen waren eher rar gesät. Mir scheint es, als wenn die Freiheit bis heute leider kein großer Wert für die Mehrheit der Deutschen wäre.
Meine volle Zustimmung haben Sie, Herr Goergen. Ich habe jahrzentelang F.D.P gewählt, weil ich einer Selbsttäuschung erlegen war. Ich hatte mich in eine Projektion einer liberalen Partei verliebt. Wer so dumm ist, wird enttäuscht. Heute sehe ich drei Dinge klar:
Zu einer freiheitlichen Gesellschaft gehören vor allem mutige Bürger. Genau das ist die Mehrheit der Deutschen leider nicht. Die Amerikaner sind es. Sie werden erzogen im Bewusstsein, dass morgen besser ist als gestern, wenn man alles gibt. Die Aussicht auf Eigenverantwortung verschreckt, weil der Preis der Freiheit mit Ungewissheiten verbunden ist.
Die Bereitschaft, den Sozialstaat auf Kernaufgaben zu beschränken, haben nur Bürger, die flexibel denken und wenig Neid auf andere empfinden. Das sehe ich in Deutschland nicht. Wer katholisch erzogen wurde, lernt, dass Neid ein Lebensfeind ist, der einen von innen zerfrisst, der einem das Leben zur Hölle macht. Man muss jönne könne. Wer wird heutzutage noch so erzogen?
Zu gelebtem Liberalismus gehören auch starke Schultern solcher Leistungsträger, welche die Verantwortung für Schwächere freiwillig tragen und sich bemühen stets verantwortlich zu handeln, und zwar aus eigenem Antrieb. Dies bedeutet Teilen können und wollen ergo Verzicht und Selbstbeschränkung in Kauf zu nehmen. Wer wie ich die späten Neunziger und frühen Nuller in Frankfurt verbracht hat, macht sich keine Illusionen mehr über das Wesen des Menschen. Noch heute verspüre ich Verärgerung über die öffentlich ausgelebten Orgien. Der Neid der einen geht leider auch auf die Maßlosigkeit und die Gier der anderen zurück.
Mein Fazit: Ich kann als Unternehmer mein Unternehmen nach solchen liberalen Prinzipien führen und meine Kinder mit solchen Werten erziehen und stärken. Eine Gesellschaft kann ich damit nicht verändern. Die F.D.P. wähle ich nicht mehr, weil sie keinen einzigen Wert lebt, der mir wichtig ist. Auf das Geschwätz falle ich nicht mehr herein.
Ich kannte den Mann nicht persönlich wie Sie Herr Goergen ,auch habe Ich mich immer ein wenig schwer damit getan ihn zu verstehen , aber jetzt nach ihrem „Nachruf“ sehe Ich Herr Kinkel mit etwas anderen Augen , kann auch seinen etwas hölzernen Auftritt unter der „Politprominenz“ nach voll ziehen.
Es war ganz einfach nicht die Welt des Klaus Kinkel ,dafür war er wie Sie es sagten ganz einfach zu aufrichtig und anständig.
Wenn das der einzige „Makel“ ist den man diesem Mann „anhängen“ kann , dann hat er alles richtig gemacht!!
In diesem Sinne : Ruhe in Frieden Klaus Kinkel!
„die für Freiheit und Recht steht“ Das ist genau die richtige Reihenfolge! Freiheit kommt vor Recht, weil sich nur so Moral begründen läßt. Das ist die Position eines Liberalen!
Wer Recht vor Freiheit setzt, macht sich um Untertan der Gleichheit, die die Freiheit gewährt, er ist dadurch ein Sklave der Gesellschaft. Umgekehrt wird also ein Schuh draus: die Freiheit des einzelnen unter der Willkür des anderen. Ein Recht muss jemand gewähren, der in Freiheit ist, nur so entsteht ein Vertrag.
Die Position der FDP müsste m.E. übrigens die von Anthony de Jasay sein: Jede Handlung ist frei, wenn sie nicht mit dem Recht eines anderen in Konflikt steht. Dadurch ist der Liberalismus wehrhaft gegenüber dem Sozialismus (weil andere Pole gibt es nicht). Außerdem lassen sich damit kollektive Lösungen realisieren. In der jetzigen Position hat die FDP keine Chance, sie ist eine von vielen Sozialdemokratischen Parteien. Lindner muss weg!
Zu Kinkel fällt mir nur die Szene ein, in der er sich verkniffen dagegen wehrt, dass der Dalai Lama ihm den landesüblichen weißen Seidenschal umhängen möchte.
Ein Minister ohne Format.
Stand Klaus Kinkel inhaltlich eigentlich für irgendwas, ausser der Koalitionspartner von Kohl sein zu wollen? Ich kann mich noch Dunkel daran erinnern, dass er im Fernsehen einige Fragen aus dem Publikum nicht beantworten wollte. Sich bloß nicht festlegen, nichts falsches sagen „Wer Kohl will muss uns wählen.“ Ich fand’s abstoßend. Hatte er sich nicht auch geweigert, sich den Blumenkranz vom Dalai Lama umhängen zu lassen, um die Chinesen nicht zu verärgern? Aus der Ferne fällt mir zu Kinkel nichts positives ein. Bitte mal demnächst ein Kurzportrait von Wolfgang Gerhardt, den fand ich sympathisch 😉
Sie haben zwar recht mit Ihrer Annahme, zu der nicht unbedeutenden Zahl von verkappten 150%igen im Osten zur damaligen Zeit.
Allerdings zeigt sich ja schon seit Jahren, dass uns Ossis die im Westen unseres Landes beheimateten Deutschen betreffs der Prozentzahl an 150%igen ganz eindeutig überlegen ist.
Die 68er und ihre Nachkommen haben in Deutschland übrigens langfristig einen bedeutend höheren Schaden für das Land angerichtet, als es die Kommunisten der DDR 1.0 je fertiggebracht hätten.
Ich gebe Ihnen recht Herr Goergen, Kinkel war in der Partei weil es seiner Karriere nutzte, dafür spricht auch sein steiler Aufstieg (Parteieintritt 91). Er hat der Partei wenig gebracht aber immerhin war ein Profi mit Bewußtsein für Recht…
Und – by the way, ich hätte an dieser Stelle auch auf einen Nachruf für Prof. Arnulf Baring gehofft.
Sehr geehrter Herr Sommer, Sie haben Recht. Der Nachruf Baring fehlt noch. Wir sind dran.
Vielleicht passt ja dieser Ausschnitt: https://www.youtube.com/watch?v=Lnk2DRqUoGQ&feature=youtu.be
Beides zusammen, ein fähiger Beamter der Spitzenkategorie und ein Politiker mit brilliantem politischem Instinkt geht wohl nicht oder ist äußerst selten wie ein weißer Rabe.
Schaun wir mal wie Herr Maaßen sich schlägt, der nachdem er Beamter in hoher Position war, jetzt offenbar entschlossen ist Politik zu machen.
EIN FARBLOSER, BUCHHALTERISCHER ANTICHARISMATIKER
Das war er wohl. Aber in vielem doch weit weniger katastrophal als alles was wir jetzt haben.
Man sollte nicht die eierlegende Wollmilchsau haben wollen, auch bei Menschen nicht. Es würde reichen, wenn die Politiker sich auf ihre Sphäre beschränken würden und nicht die Behörden (und inzwischen auch die Gerichte, wie ich befürchte) mit „Politikern“ vollmüllen würden.
Gleichzeitig, und das möchte wohl Herr Goergen sagen, eignen sich auch die besten, redlichsten und intelligentisten Spitzenbeamten nicht unbedingt fürs politische Geschäft.
…..ach, herr goergen, ich nahm zu dahrendorffs zeiten auch einmal an, die fdp sei das ding
und bestätigt hatte dies noch hamm-brücher mit ihrer menschelnden bundestagsrede beim übergang zur cdu, doch d a s hatte sich schnell ausgedient!