Carles Puigdemont, Regierungschef der katalanischen Autonomie-Regierung, und sein Vize Oriol Junqueras i Vies fühlen sich in den vergangenen Wochen wie Nationalhelden. Ersterer ist aber eigentlich alles anderes als ein charismatischer oder gar intellektueller Führer. Seine Erklärungen liest er wie ein unerfahrener Schuljunge ab. Der hochgewachsene Junqueras wirkt an seiner Seite schwerfällig und ignorant.
Dennoch hat das Duo Erfolg, wenn auch mit sehr negativen Auswirkungen für den Rest Spaniens und für ganz Europa: Beide „Zufalls-Politiker“ haben die Massen in den vergangenen Tagen auf eine Weise mobilisiert, dass heute die Strassen von Barcelona voll sind mit Unabhängigkeitsflaggen. Stimmen, die gegen eine Abnabelung von Spanien sind, gehen derzeit in Katalonien unter, auch alle wirtschaftlichen Argumente dort ansässiger internationaler Unternehmen. Unabhängigkeit gilt alles.
Aufgeheizte Stimmung auf den Strassen
Wie ernst meinen wir es mit der Selbstbestimmung?
Und die Spannungen nehmen in ganz Spanien zu.
In Pozuelo bei Madrid, wo viele der spanischen Politiker leben und auch das Kapital konzentriert ist, hängen heute aus Protest die spanischen Flaggen aus den Fenstern und wird zum Schwur auf die Flagge aufgerufen. In Madrid wurden Demos gegen das Referendum organisiert. Bei einem Foodtruck-Fest laufen Besucher eingewickelt in die rot-orange Fahne durch die Massen. Damit verfällt Spanien wieder in einen alten Fehler: sich gegenseitig zu provizieren. Auf Nationalismus wird mit Nationalismus reagiert. Spanien schaukelt sich im Konflikt hoch.
Katalanen haben der aktuellen spanischen Verfassung 1978 zugestimmt
Dabei ist die Sachlage klar: Die Katalanen haben 1978 bei der Ratifizierung der ersten demokratischen spanischen Verfassung nach der Franco-Diktatur selber mit einer breiten Mehrheit von fast 90 Prozent für diese aktuell geltende Grundlage eines gemeinsamen spanischen Staates gestimmt. Damals wurde auch per Referendum abgestimmt, allerdings durften alle im Land ihre Stimme abgeben. „Heute versucht die katalanische Regierung diese Regeln der Demokratie mit illegalen Mitteln zu überschreiten,“ kritisiert der spanische Premier Mariano Rajoy bei allen Anlässen das Handeln.
Katalanische Regierung verliert die Beherrschung
Angesichts dieses Szenarios hätte niemand gedacht, dass das aktuelle Referendum tatsächlich von Puigdemont trotz fehlender Wahllisten, Finanzierung und Auszählmöglichkeiten der Stimmen durchgeführt und auch dank der enormen Propaganda-Maschinerie noch von internationalen Beochbachtern, Mitgliedern des europäischen Parlaments vor Ort verfolgt wird. Während Reporter ohne Grenzen gerade den enormen Druck der Separatisten auf andersdenkende Journalisten vor Ort beklagte, werden Korrespondenten weiter zugeschüttet mit oft sehr fragwürdigen Pressemitteilungen auf Deutsch und Englisch.
Historische Chance für die spanische Sozialdemokratie
Der eigentlich Held dieses absurden spanischen Dramas könnte Pedro Sánchez sein. Der lange Zeit ungeliebte von seinen eigenen Parteivorstands-Kollegen abgesetzte und dann wieder von der Basis gewählte Parteichef der spanischen Sozialdemokraten, der PSOE, hat ein Vakuum wieder mit Inhalt gefüllt, was die Regierungspartei PP nicht geschafft hat: den Dialog mit den Katalanen wieder anzukurbeln, ohne Vorbedingungen. Wenn auch die aktuelle Regionalregierung das Referendum nicht mehr stoppen konnte, weil diese Bewegung ihr regelrecht aus dem Ruder gelaufen ist, könnte morgen schon der erste Tag sein, wo eine neue Ära der spanisch-katalanischen Beziehungen beginnt.
Katalonien: Die Antwort ist Dezentralisierung
Katalanische Bürgerschicht muss überzeugt werden
Die Wähler wurden in den vergangenen Wochen mit sehr fragwürdigen Instrumenten mobilisiert, darunter auch Droh-Anrufe und Mobibilisierung in den Schulen. Das hat dazu geführt, dass eine Umfrage der spanischen Zeitung „El español“ schon auf eine knappe Mehrheit der Referendum-Befürworter kommt. 55 Prozent der Befragten sind demnach dafür, dass es heute durchgeführt wurde. Der Führer der spanischen Sozialdemokraten Sánchez hat verstanden, dass diese Ideen nicht mit Gesetzen und Polizei vernichtet werden können, auch nicht mit Festnahmen: „Ich bin für eine Anwendung der Gesetze und Eingreifen der Polizei bei Übergriffen, wir befinden uns in einem Rechtsstaat, aber es muss auch einen Plan geben, was danach kommt.“
Die PSOE, die 2006 einen neuen Status für Katalonien auf den Weg gebracht hat, und von der regierenden PP vor dem Verfassungsgericht 2010 wieder gestoppt wurde, hat jetzt als gröβte Oppositionspartei eine historische Chance, wie damals Felipe González, das Land wieder zusammenzubringen. Der Führer der Sozialdemokraten in Katalonien, Miquel Iceta, hat diesen Weg bereits eingeleitet mit seiner heutigen Erklärung: „Wir sollten bei aller Beachtung der demokratischen Regeln nicht mit Gewalt gegen Protestanten auf den Strassen vorgehen. Sie haben alles Recht zur freien Meinungsäusserung. Stattdessen sollten wir wieder anfangen, miteinander vernünftig zu reden, ohne Tabus.“ Eine neue Verfassungsabstimmung per Referendum für ganz Spanien müsse her. Die Frage ist, ob es dafür schon zu spät ist angesichts der gegenseitigen Aggression.
Ich halte unsere beiden Gedankengänge für möglich. Es wäre auch möglich, dass eine Seite etwas anstrebt und das Gegenteil dabei herauskommt…
So ist es. Darum werden die Deutschen in absehbarer Zeit den Löffel abgeben. Die Deutschland-Abschaffer sollten nicht zu früh jubeln, denn statt der strahlenden, neuen, gerechten einen Welt geht es ab ins Mittelalter.
Eben, darum geht es doch.
Es muß ein legaler, tauglicher Modus Operandi her, daß Plebiszite wie in Schottland, England insgesamt oder den Schweizer Kantonen möglich werden, sowohl bzgl Katalonien, am besten innerhalb der ganzen EU.
Ketzerisch sei auf den Zerfall der Sovietunion hingewiesen.
Da fanden es alle im Westen ganz toll, daß sich wieder diverse kleine Nationalstaaten bildeten.
Vermutlich nur, weil dies als eine Schwächung Russlands angesehen oder so interpretiert wurde.
Die Krimproblematik rüttelt am gleichen Nerv, nur diesmal anders herum.
Die friedliche Teilung der Tschechoslowakei muß vor diesem Hintergrund als Unfall in der europäischen Geschichte nach 1989 angesehen werden.
Die legalistische Argumentation mit Verweis auf die Verfassung von 1978 ist wenig überzeugend, soweit es Katalonien, das Baskenland und ggf andere Gebiete bzw Spanien insgesamt betrifft.
1978 war eine andere Zeit, es gab keine EU und die Franco-Diktatur war noch keineswegs überwunden.
Als Kontrollüberlegung wäre zu fragen, ob so eine (Einbahnstraßen-) Verfassung (ohne Exit-Option für Länder/Regionen/Bundestaaten) heute noch bestätigt/angenommen würde?
Ich hätte daran massive Zweifel!
Wir wurden ja sowieso nie gefragt und unsere Vorturner meinen, daß Volksabstimmungen auf Bundesebene Teufelszeug sind.
Selbst die Grünen, die just damit mal vor gut 40 Jahren angetreten waren, sind heute gegen VA auf Bundesebene.
Tja, daß zum Thema Basisdemokratie, Souveränität und „alle Macht geht vom Volke aus“.
Die so reden, meinen mittlerweile immer ein/ihr bevormundetes Volk, ein betreutes oder zentral verwaltetes Volk, aber kein freies oder souveränes.
Wie es derzeit in Spanien beobachtet werden kann, zeigt der Zentralstaat sofort sein denkbar häßlichstes Gesicht, wenn er Macht, Einfluß oder Territorium zu verlieren droht oder sieht oder so denkt.
Das das europäische, politische Establischment in den Gesang der Repression und „pro Zentralstaat“ einstimmt, muß zu denken geben, welch angeblich demokratische Haltung dort vorherrscht.
Gemessen an Schweizer oder selbst britischen, demokratischen FairPlay Gesichtspunkten und deren Mut und Gelassenheit bzgl Plebiszite fällt mir zu Spanien und zu Deutschland nur ein Wort ein – erbärmlich!
Demokratie-Neandertaler am Werk und deren Kompetenz und Qualität mag jeder erkennen, der einfach nur hinschaut.
Die katalanischen Eliten wurden bei einer exorbitanten Korruption erwischt. Der Clan um den füheren Ministerpäsidenten Jordi Pujol hatte über 30 Jahre lang bei allen öffentlichen Aufträgen immer 3% der Auftragssumme kassiert – 1,5% für die Parteikasse der CiU, 1,5% für Pujol.
Die Pujol nutzen für ihre schwarzen Kassen in Andorra den Alias „Sagrada Familia“.
Aber nicht, dass da einer in dem achso den anderen Spanieren so überlegenen Katalonien mit all seinen Herrenmenschen in den Knast gewandert wäre.
Die katalanischen Eliten treten die Flucht nach vorne an, um einer Anklage vor dem spanischen Tribunal Supremo zu entgehen.
Offensichtlich opfert sich der katalanische Depp von der Strasse gerne für die Verbrecher, die ihn ausplündern.
„Es wurde nicht eingeprügelt. Es geht hier um Rechtsüberschreitung. Die Polizei hat die Aufgabe die Institutionen schützen.“
Achso, die Polizisten haben nur mit dem Schlagstock gestreichelt, oder wie? Besteht die Rechtsüberschreitung darin, demokratisch über etwas abzustimmen? In einer zunehmend diktatorisch werdenden Welt legt man demokratische Prozesse als Rechtsüberschreitung oder Angriff auf die Institutionen aus, ein wahrer Demokrat würde es als Volkes Wille anerkennen.
Ich glaube SIE tragen die Regierungsbrille. SIe wollen einfach nicht sehen was mittlerweile in Europa los ist! Und mit welchen RECHTSBRÜCHEN hier in der EU verfahren wird! Selbst Schröder hatte zugegeben , nachdem er nicht mehr Kanzler war, dass der Serbienkrieg rechtswidrig war. Das was zur Zeit in EUropa passiert wird in die Geschichte eingehen!
Auch wir Deutschen sollten über eine Aufteilung des Landes nachdenken ! Es gibt schlicht 2 große nicht miteinander zu vereinbarende Lager. Die „no nation, no border“ Globalisten, denen völlig gleichgültig ist, wer auf diesem Landstrich namens Deutschland lebt und das Sagen hat, und die traditionellen Souveränitisten, denen genau dieses nicht gleichgültig. Zwischen beiden Lagern ist langfristig auch kein demokratischer Kompromiss möglich, da es um ein konstitutives Merkmal geht – nämlich die Zusammensetzung des „Volkes“. Wenn aber an diesem, vor 30 Jahren noch nie denkbaren Punkt eine Beliebigkeit Einzug gehalten hat, dann scheint Abschied voneinander der bessere Weg zu sein als die „Aussichten auf den (permanenten) Bürgerkrieg“ wie ihn Enzensberger schon vorgezeichnet hat. Ich für meinen Teil würde sogar in den Osten des Landes zu meinen widerständigen Sachsen ziehen, wenn es denn so käme.
Verfassungsänderung als demokratische Voraussetzung = Diktatur der Mehrheit. Wenn die Abspaltung nur von einer Minderheit gewünscht wird, dann gibt es die Änderung der Verfassung nie. Genau deshalb gibt es völkerrechtlich überhaupt das Recht auf Selbstbestimmung im Konflikt mit dem (bedingten) Grundsatz der territorialen Unverletzbarkeit. Kleines Einmal-Eins des Völkerrechts.
Genau!
Es geht um Selbstbestimmung von Minderheiten. Von einer Minderheit zu verlangen, sie müße aber die demokratisch korrekte Mehrheit Erlangen, bevor Ihr Anliegen legitim würde, heißt nichts anders, als der Minderheit Ihr Selbstbestimmungsrecht abzusprechen.
Wollten bei uns die Bayern raus aus Deutschland und sich lieber Österreich anschließen oder allein bleiben, immerhin sind sie größer als die autonome Schweiz, würden sie den gleichen, undemokratischen, legalistischen Salmon hören, wie jetzt die Katalanen. Allerdings noch minus Zustimmung zu einer deutschen Verfassung.
Die neuen Länder der ehemaligen DDR konnten 1989 dem Bund beitreten, ein Austritt ist allerdings nicht vorgesehen.
Die Lückenhaftigkeit und Mangelhaftigkeit unserer Verfassung, Grundgesetz genannt, ist damit offensichtlich.
Das es über das GG nie eine Volksabstimmung gegeben hat und auf Bundesebene bis heute jede Form von Plebiszit verwährt wird, ist ein weiteres starkes Indiz für unsere höchst mangelhafte Form von Demokratie und Föderalismus.
Volksvertreter die Angst vor Volksentscheiden haben, sind einfach keine Volksvertreter, vielleicht deren Betreuer, deren Vormund oder einfach nur Demokratieschauspieler.
Das mit der Verfassung – na ja. Laut Völkerrecht (qwie wir seit der Krim wissen sollten und auch seit Kosovo) haben die Menschen das Grundrecht, dass sie darüber abstimmen dürfen, zu welchem Staat sie sich bekennen.
Aus der Historie heraus ist das durchaus verständlich. Eine spanienweite Abstimmung sagt gar nichts über Katalonien aus. Und selbst große Medien berichteten noch vor einigen Jahren, als alles als eine Spielerei betrachtet wurde, dass Katalonien mindestens 20 Prozent Finanzlast bei 8 Prozent Bevölkerungsanteil stemmt. Nehmen wir einfach ein anderes Beispiel: nachdem Hitler einst Österreich annektierte, und in der jungen Budesrepulik deutschlandweit ein Referendum zur Verfasstheit stattgefunden hätte, würde das eventuell die Widerherstellung der eigenen Souveränität Jahrzehnte später schlechter dastehen lassen? Ich denke eher nicht.
Bedenkt man nun die desaströse EU-Politik bzw. Euro-politik und berücksichtigt man, was Spanien die letzten Jahre durchmachte und noch durchmacht (Schlagwort sehr hohe Jugendarbeitslosigkeit dank EU), dann sollte man die heutigen Resultate wohl eher in der Euro und EU Politik suchen. Es ist schon irgendwie seltsam, wie ausweichend die EU auf vielfache Anfragen bei Pressekonferenzen durch mehrere Journalisten Fragen zum demokratischen Wahlrecht in Katalonien völlig mit „sonst noch irgendwelche Fragen“ übergeht.
Schade, dass das, wenn schon nicht pro Katalonien, wenigstens neutral bei TE abgehandelt werden kann. Mir scheint es, wenn die westlichen Politeliten einen Vorteil in einer Abspaltung sehen (Kosovo), dann wird es selbst bei Völkerrechtsbruch als in höchsten Maßen demokratisch geadelt. Wenn es nicht in den Kram passt, dann wissen wir spätestens seit der Krim, wie es zu bewerten ist, während die Schotten wieder gelobt werden, wenn sie sich vom bösen nationalistischen UK abspalten möchten zugunsten der EU.
Selbst für die katholische Ehe gibt es inzwischen pragmatische Ausstiegsprozeduren. Unauflöslich ist heutzutage nur noch die Mitgliedschaft in der EU, gewissen religiösen Gemeinschaften und einschlägigen kriminellen Organisationen.
Der Pfeil, abgeschossen von ihrer Armbrust, hat wieder einmal voll ins Schwarze getroffen. Kürzer kann man es wohl nicht zusammenfassen. Danke.