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Selbstkritik

Fühlen, was sein sollte

von Redaktion

28.12.2018

| Lesedauer: < 1 Minuten
Der Fall des SPIEGEL - aus lebenserfahrener Perspektive

Viel ist über den Fall des SPIEGEL geschrieben worden und über den Versuch der Selbstkritik, der zur Bestätigung der eigenen Haltung geriet.

Ein Leser schickt uns dazu drei Strophen von Wilhelm Busch.(1832 – 1908).

Kritik des Herzens

Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab‘ ich erstens den Gewinn,
Daß ich so hübsch bescheiden bin;

Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp‘ ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;

Und viertens hoff‘ ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Daß ich ein ganz famoses Haus.

Mit dabei die Empfehlung für ein neues SPIEGEL-Motto: „Fühlen, was sein sollte“ statt „Sagen, was ist“.

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18 Kommentare

  1. Eine wirklich hübsche Geschichte, liebe Rita! Wäre ein schönes Motto für das neue Jahr: „Der Aufzug ist kaputt …“ Natürlich nur mit dem Hintergrund, was er ausgelöst hat … (smiley)

  2. Im SPIEGEL steht nur Wahres drin,
    so hatte Rudolf es im Sinn.

    Doch Jakob möcht ´dort lieber lesen,
    wie er gern hätt´, dass es gewesen.

  3. Der Spiegel sollte einen Claas-Relotius-Preis stiften – für die beste erfundene Reportage.

  4. Jeder hat so seinen Tisch, auf dem sich das befindet, was er wahrnimmt. Ich selber versuche da ein wenig Ordnung rein zu bringen und schiebe die Teile, die mir unseriös oder blöde erscheinen erst mal an den Rand. Dann reicht es mir irgendwann und was sich als Unsinn herausgestellt hat fällt vom Tisch. Ist dann einfach weg. Aus den Augen, aus dem Sinn. Der Lügel ist schon lange von meinem Tisch verschwunden. Ich bekomme nur hier und da mal mit, wenn dritte den Lügel erwähnen. Mich selber mit dem, was die Verbreiten zu beschäftigen halte ich für absolut überflüssig.
    Das käme mir so vor, als wenn man sich nach dem Stuhlgang noch mal intensiv mit der Hinterlassenschaft zu beschäftigen als es einfach weg zu spülen ,wie man es eben damit macht. Sonst fängt es nur an zu stinken.

  5. Mein Mathelehrer hieß Wilhelm Busch (ungelogen), Abitur 1969(!). Die Buben waren für den nur „Kerls“, zu den Mädchen war er ganz lieb. Eine davon wurde immer auserkoren, das „Sündenbuch“ zu führen. Darin wurden die Kerls vermerkt, die mal wieder gesündigt hatten, samt Strafe: Das große Einmaleins von 12 bis 19 zehnmal rauf und runter schreiben. Er vergaß nicht zu erwähnen, dass das Sündenbuch in Schweinsleder gebunden sei, sodass auch nach Jahrhunderten noch jeder lesen kann, wer wann wo und wie „gesündigt“ hat. (Dass wir die Strafe mit Durchschlagpapier geschrieben hatten – „Xerox“ gab es damals nicht – hat er nicht mehr gemerkt, so konnten wir umso ungehemmter sündigen….). Wenn mal einer der Kerls sich beschwerte mit „ich war das nicht“, dann kam prompt: Egal, dann eben die Strafe für vergangene Sünden, keine Chance bei dem alten Busch. Genannt haben wir ihn gerne „Puschkin, für harte Männer“. Irgendwie haben wir ihn geliebt, seine Kollegen auch, nicht zuletzt, weil er denen im Frühjahr immer ein Körbchen Erdbeeren mit brachte, im Herbst Zwetschgen. Uns natürlich nicht, da waren wir schon enttäuscht. Der war NSDAP-Mitglied gewesen, durfte deshalb nicht Schuldirektor werden – bezahlt hatten sie ihn aber dennoch mit A 15, also Studiendirektor. Wie kam ich nur darauf??

  6. „Fühlen, was sein sollte“ statt „Sagen, was ist“… das bringt „Haltungsjournalismus“ doch angemessen auf den Punkt.

  7. „sagen was ist“ funktioniert nur, wenn zuvor gilt: „sehen was ist“. Ich habe meine Zweifel. Die bunte Brille vernebelt einfach zu stark die Sicht. Und ob „fühlen was sein sollte“ funktioniert, wage ich noch mehr zu bezweifeln. Der Spiegel ist gefallen und zerbrochen… 7 Jahre Pech für die, die regelmäßig rein geschaut haben… Und keine Chance, die Scherben zusammen zu kleben.

  8. Beim Thema Relotius, dessen Münchhausiaden und der Reaktion des SPIEGEL hatte ich unlängst ein leichtes Déjà Vu, als ich meine eigene Schullaufbahn in den 90er Jahren, um genau zu sein den Deutschunterricht rekapitulierte. Damals, es wird so die 7. Klasse gewesen sein, wurden Klassenarbeiten in diesem Fach ausschließlich in Aufsatzform verfasst, und bei zweien sind im Verlauf des SPIEGEL-Skandals wieder alte Erinnerungen ans Licht gekommen.

    Bei der ersten wurde uns eine (möglicherweise fiktive) Zeitungsmeldung vorgelegt, die von einem Jungen handelte, der mit dem Motorboot der Familie ausgerissen war, dieses dann flussauf- oder abwärts irgendwo am Ufer hatte liegen lassen und einige Zeit später mehrere hundert Kilometer von daheim entfernt wieder aufgegriffen wurde (ich meine, es war Hamburg, möchte das aber mit knapp 25 Jahren Abstand nicht mehr garantieren)- und aus dieser Vorlage sollten wir dann eine Ich-Erzählung verfassen.
    Meine Geschichte war am Ende nicht unbedingt besonders spektakulär, aber ein kleines Detail war rückblickend dann doch interessant: Da ich die Reise meines Alter Ego nach Norddeutschland im Rahmen der Handlung irgendwie finanzieren musste, ließ ich den Erzähler ganz rein zufällig, man ahnt es bereits… ein Portemonnaie mit 850 Mark finden. Die lapidare Bemerkung meines Lehrers, mit roter Tinte am Heftrand: „Unwahrscheinlich“. Dass mit dem Geld eine Taxifahrt bezahlt werden sollte (fragen Sie bitte nicht, warum ich nicht einfach einen Zug nahm…)? „Dafür hätten deine 850 DM nicht gereicht“.

    Beim zweiten Aufsatz (es wird in der 8. Klasse gewesen sein) gab uns derselbe Lehrer die Aufgabe, eine Handlung zum Thema „Jeder Mensch ist Ausländer – fast überall“ zu Papier zu bringen. Dazu muss man sagen, dass die politische Stimmung im wiedervereinigten Deutschland (es waren wie erwähnt die 90er Jahre) unter dem Eindruck der Erfolge der Republikaner bei den Landtagswahlen und diverser Brandanschläge und Morde durch Rechtsextremisten aufgeheizt war, und das natürlich auch an den Schulen durchschlug – und für mich als 13jährigen war das damals eine willkommene Gelegenheit, „Haltung“ zu beweisen und mir meine Empörung von der Seele zu schreiben.
    Als Helden dieser Handlung ersann ich einen gutsituierten und auch gut gebildeten ägyptischen Touristen, der auf einer Bildungsreise durch Deutschland war, und auf der ersten Seite prompt auf vier angetrunkene Skinheads traf, die ihn natürlich prompt attackierten: Zunächst verbal, worauf der Protagonist (der natürlich perfekt Deutsch konnte) noch sehr versöhnlich reagierte, und dann gingen sie ihn körperlich an – worauf er alleine alle vier zusammenschlug, denn er beherrschte nämlich nicht nur die deutsche Sprache meisterlich, sondern auch ein oder zwei asiatische Kampfsportarten. Wie es das ihm übel gesonnene Schicksal allerdings wollte, geriet er später erneut in dieselben Neonazis, die allerdings dieses Mal in einer noch größeren Gruppe unterwegs waren und den unbotmäßigen Besucher aus dem Morgenland dank schierer Überzahl zu überwältigen vermochten, aber von einer vorbeikommender Gruppe Linksradikaler vertrieben wurden (in meiner damaligen jugendlichen Naivität folgte ich der simplen Logik „rechts = böse, ergo links = gut“); und der wohlhabende Vater des Protagonisten war derart dankbar, dass er die Retter und neuen Freunde seines malträtierten Sohnes zu sich nach Ägypten einlud. Da eine Geschichte allerdings nichts ohne eine vernünftige Katharsis taugt, musste ich die Skinheads irgendwie nach Ägypten kriegen – also schüttelte ich einen reichen Altnazi aus dem Ärmel, der Nachwuchsförderung betrieb und unter anderem Fernreisen für Rechtsradikale finanzierte. So kam es, wie es kommen musste – die bösen Rechten trafen in Kairo zuuuufällig auf die guten Linken mitsamt Protagonisten, der ihnen erst noch eine geharnischte Predigt hielt (in die ich auch den Spruch „jeder ist Ausländer, fast überall“ einwob), bevor sie eine berechtigte Abreibung erhielten.
    Als ich das Aufsatzheft abgab, war ich damals so zufrieden mit mir selbst, wie mir diese Mischung aus Pallywood und 1001 Nacht im Rückblick peinlich ist. Was ich damals allerdings nicht antizipierte, war die Reaktion unseres Lehrers. Bei der Rückgabe der Arbeiten ließ er meine vor der ganzen Klasse vorlesen, ehe er mir mein Heft mit den Worten „Ehre, wem Ehre gebührt“ zurückgab, und dann eine engagierte Rede hielt, in der er die Wichtigkeit der richtigen Haltung betonte und uns auch selber auf aktives Eingreifen verpflichtete, wenn wir zu Zeugen rechter Übergriffe würden.

    Ihre ganze Pracht und Herrlichkeit entfalten diese Episoden aber erst, wenn man sie unter Berücksichtigung der äußerst arbiträre Skepsis meines Lehrers in Kontrast zueinander setzt: Ein kleines Vermögen zu finden ist grundsätzlich ein Minuspunkt, aber sobald eine erwünschte politische Nachricht transportiert werden soll, werden noch so abstruse Kunstgriffe ohne zu Zögern abgesegnet. So wird es auch die SPIEGEL-Redaktion gesehen haben, als sie Artikel von Claas Relotius veröffentlichte – die sonst eigentlich im Journalistenhandwerk unabdingbare Skepsis wich einem „willing suspension of disbelief“, als sie Geschichten lasen, die sie auch lesen wollten. Der Unterschied ist allerdings der, dass die „suspension of disbelief“ bei fiktiven Werken wie einem Aufsatz zulässig ist, während der SPIEGEL einen Anspruch auf wahrheitsgemäße Berichterstattung hat; und insofern ist der Versuch der Redaktion, die Schuld auf Relotius abzuwälzen, auch nichts anderes als pure Heuchelei.
    Was Claas Relotius angeht – der ist in etwa meine Altersgruppe, und es würde mich nicht wundern, wenn er eine ähnliche Sozialisation wie ich durchlaufen und letztlich im Rahmen seiner journalistischen Arbeit nur das fortgeführt hat, was er davor in der Schule schon gelernt hat.

  9. Ich habe gerade den Relotius-Artikel über die angebliche Bürgerwehr in Arizona gelesen. Als Literatur hervorragend, muss ich (der ich selber Kurzgeschichten schreibe, aber nicht auf Deutsch) neidlos anerkennen. Komposition, Stil, Pointe – alles stimmt. Der Mann hat ausgesprochenes Talent. Hätte Schriftsteller werden sollen. Schade.

  10. Bravo! Das Gedicht passt wie die Faust aufs Auge.
    Die Spiegel-Redaktion hat sich durch ihren besten Journalisten pardon Märchenerzähler selbst entlarvt. Er repräsentierte den optimalen Kollegen, immer nett und sahnt alle wichtigen Journalistenpreise mit perfekten Geschichten ab, die auch noch völlig PC sind. Der Spiegel ist über seinen Blinden Fleck gestolpert. Aber es ist abzusehen, dass der Spiegel statt echter Selbstkritik und Selbstreflexion nun seine Anstrengungen, ein linkes und politisch korrektes Machwerk abzuliefern, verdoppeln wird.
    Ein Wort zur ‚besten Dokumentationsabteilung‘, wie man immer hört:
    Wie schafft man es offensichtliche Lügen nicht zu entlarven?
    Beispiel Fergus Falls: jeder der einen Webbrowser bedienen kann, könnte theoretisch recherchieren wie weit Fergus Falls vom Meer entfernt ist und wieviel Prozent der Einwohner Trump tatsächlich gewählt hatten, aber selbst das war wohl zu viel verlangt. Wer so eine Dokumentationabteilung hat, braucht sich über die Zuschreibung Lügenpresse nicht zu wundern. Wer (außer den Linken und den Grünen) kann jetzt noch ohne rot zu werden behaupten, Spiegelartikel seien sauber und der Spiegel drucke keine Lügen?
    Man kann nur hoffen, dass die Amis ernst machen und den Spiegel verklagen, insbesondere die Rufschädigung des Ortes Fergus Falls und seiner Einwohner, die als tumbe Dumpfbacken hingestellt wurden, könnte den Spiegel neben Reputation noch eine Stange Geld kosten. Sie hätten es wahrlich verdient.

    • Und es geht einfach munter weiter, mit dem falsch Zeugnis redenden Journalisten- und Politiker-Geschrei:
      https://twitter.com/realDonaldTrump/status/1076884984873607169
      „I just had a long and productive call with President @RT_Erdogan of Turkey. We discussed ISIS, our mutual involvement in Syria, & the slow & highly coordinated pullout of U.S. troops from the area. After many years they are coming home. We also discussed heavily expanded Trade.
      08:59 – 23. Dez. 2018“
      Momentan tun alle so, als wären die GIs morgen schon nicht mehr in Syrien. Berichtigende Kommentare landen im Orbit.

  11. Soviel Daumen lassen sich gar nicht auftreiben, wie ich für
    diesen Mann – ich spreche/schreibe von Wilhelm Busch – in
    die Höhe strecken möchte. Ein Genie eigener Art, das mich
    bereits in frühester Jugend in seinen Bann geschlagen und
    seitdem lebenslang begleitet hat. Das hier offerierte Gedicht,
    das ich selbst nachts – noch schlaftrunken – (fast) auswendig
    aufsagen kann, hat es (auch) mir besonders angetan. Einfach
    herrlich. [ Selbst.Exkulpation!]

  12. Großartig: Fühlen, was seien sollte…
    Das nennt man „Maske herunterreißen!“

  13. Dargf ich es noch etwas abwandeln: FÜHLEN, WAS WIRKLICH IST, statt ständig unrealistische Phantasien berichten!

    • Genau, denn wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erjagen.

  14. Die Medien verkaufen doch immer schon Geschichten, Stories genannt. Die Geschichte muss „gut“ sein (das entsprechende Klientel ansprechen). Ob sie wahr ist oder nicht, ist eher zweitrangig.

  15. Im neuen Spiegel steht, der „Ernährungskompass“ von Bas Kast sei „das wichtigste Sachbuch des Jahres“. –
    – Der Grüne Ministerpräsident von Ba-Wü, Wilfried Kretschmann ,blickt auf die 13 Rest-Prozente der hiesigen SPD und nimmt schon mal leise den endgültigen Abschied von der SPD in den Blick. Solche Gefühle beschleichen mich auch beim Spiegel. Wenn ich überlege, warum, denke ich an Susanne Amann, Nils Minkmar, Ulrich Fichtner und soweiter – Leni Breymeier und und deren Generalsekretärin Boos und die kollektive geistige Erschöpfung, die diese Leute offenbar schwer getroffen hat.

  16. „Ich nahm die Wahrheit mal aufs Korn.
    Und auch die Lügenfinten.
    Die Lüge macht sich gut von vorn,
    Die Wahrheit mehr von hinten.“

    (ebenfalls Wilhelm Busch)

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