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TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE

Woke Berliner und die Alternative zum Brandenburger Dorf-Nazi

20.08.2021

| Lesedauer: 3 Minuten
Ihr neuer Roman erzählt von unserer unmittelbaren Gegenwart, von unseren Befangenheiten, Schwächen und Ängsten, und er erzählt von unseren Stärken, die zum Vorschein kommen, wenn wir uns trauen, Menschen zu sein.

Es gibt nicht viele Romane, bei denen man beim Lesen losprustet und der Schluck Kaffee wird zu Aerosol. Nein, es ist nicht so, dass Juli Zeh eine Humoreske geschrieben hätte, aber ihre Beschreibung der hippen jungen Berliner Paare in Zeiten von Corona und Klimapolitik ist großartig. Wenn Sie sich jemals über grünschnabelige Besserwisser – „Woke“ wie man heute zu sagen hat – und ihre besserwisserische Selbstgerechtigkeit geärgert haben: hier wird es fröhlich geschildert, abgrundtief böse, vorgetragen im freundlichen Ton einer Reportage, präzise und detailgenau.

Die Ich-Erzählerin hat ihren Geliebten an eine andere Frau verloren. Nun ja, das passiert nahezu in jedem Roman, wegen Liebe und Leid wurde dieses Genre erfunden. Aber bei Juli Zeh ist es eine ganz besondere junge Frau, die Liebe bleibt sehr platonisch und doch wird sie folgenreich.

»Dora ist mit ihrer kleinen Hündin aufs Land gezogen. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, mehr Freiheit, Raum zum Atmen. Aber ganz so idyllisch wie gedacht ist Bracken, das kleine Dorf im brandenburgischen Nirgendwo, nicht. In Doras Haus gibt es noch keine Möbel, der Garten gleicht einer Wildnis und die Busverbindung in die Kreisstadt ist ein Witz. Vor allem aber verbirgt sich hinter der hohen Gartenmauer ein Nachbar, der mit kahlrasiertem Kopf und rechten Sprüchen sämtlichen Vorurteilen zu entsprechen scheint.«

KLASSIKER NEU GELESEN
Heimito von Doderer: „Die Dämonen“
Es ist der Dorf-Nazi. Irgendwas muss Juli Zeh geritten haben, noch ein Tabu zu brechen, nämlich dass alle AfD-Wähler tumbe, doofe, blöde Idioten zu sein hätten. Schon tritt uns ein schwules Paar entgegen, das für die Alternativen wirbt.

»Geflohen vor dem Lockdown in der Großstadt muss Dora sich fragen, was sie in dieser anarchischen Leere sucht: Abstand von Robert, ihrem Freund, der ihr in seinem verbissenen Klimaaktivismus immer fremder wird? Zuflucht wegen der inneren Unruhe, die sie nachts nicht mehr schlafen lässt? Antwort auf die Frage, wann die Welt eigentlich so durcheinandergeraten ist?

Während Dora noch versucht, die eigenen Gedanken und Dämonen in Schach zu halten, geschehen in ihrer unmittelbaren Nähe Dinge, mit denen sie nicht rechnen konnte. Ihr zeigen sich Menschen, die in kein Raster passen, ihre Vorstellungen und ihr bisheriges Leben aufs Massivste herausfordern und sie etwas erfahren lassen, von dem sie niemals gedacht hätte, dass sie es sucht.«

So führt der Klappentext zum neuen Roman von Juli Zeh, deren Debüt „Adler und Engel“ vor zwanzig Jahren erschien, zu einem Welterfolg wurde und mittlerweile in 35 Sprachen übersetzt worden ist. „Ganz nebenbei“ ist die immens produktive und erfolgreiche Autorin promovierte Juristin mit Schwerpunkt Europa- und Völkerrecht (sic!) und seit drei Jahren Richterin am Verfassungsgericht des Landes Brandenburg. Lange habe ich das für einen Fehler gehalten, aber es scheint als nutze Zeh diese Berufung, um sich geistigen Freiraum zu schaffen. Deutschland ist längst in einer geistigen Lage, in der die Kritiker sich listig verhalten müssen – und aus dieser Not entsteht (zumindest in diesem Fall) große Literatur, die sich mit dem verordneten Zeitgeist raufen – oder ihn hintergehen muss.

Nun hat Juli Zeh den „ersten echten Corona-Roman“ (SZ) vorgelegt, auch wenn sehr rasch klar wird, dass sich die Autorin virtuos und mit erfrischender Unvoreingenommenheit aller ideologischen Vereinnahmungen und Verortungen entzieht. Und zwar so gekonnt, dass selbst die politisch strengste Gouvernante unter den deutschen Medien, die Süddeutsche Zeitung, sie lobt. Lassen Sie sich aber davon nicht abhalten.

Juli Zeh verteidigt die Menschen. Sie entideologisiert und taucht tief in die Herzen. Und am Ende ist das dann auch ein trauriger Roman, aber er macht es uns leichter, sie wieder richtig zu sehen, unsere diversen Nachbarn, ganz ohne gefärbte Brille.

Juli Zeh, Über Menschen. Roman. Luchterhand, Taschenbuch, 416 Seiten, 12,00 €


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29 Kommentare

  1. Auf www.n-tv.de/ticker/SCHRIFTSTELLERIN-JULI-ZEH-SIEHT-GESELLSCHAFTLICHEN[1]FRIEDEN-IN-GEFAHR wurde Frau Zeh am 16.08.2019 mit den Worten zitiert: „Wenn du in einer Gegend wohnst, wo keine Infrastruktur mehr vorhanden ist – kein Arzt, keine Schule, kein Geschäft – … haben die Leute schon das Gefühl, die Politik geht an ihrem Leben und ihren Bedürfnissen total vorbei.  Auf dem Land“  so die hochprivilegierte Schriftstellerin weiter , „brauche es Züge, Busse, Schulen und eine Niederlassungspflicht für Ärzte. …“ Mein Kommentar dazu: „Eine Niederlassungspflicht für Ärzte? Dann aber gefälligst auch für Anwälte, Apotheker, Supermärkte, Kindergärten, Friseure, Busunternehmer, Lehrer und Lokführer. Man sollte dieser fehlgeleiteten Verfassungsrichterin das Grundgesetz um die Ohren schlagen!“
    Den Merkel-Putsch, die Abschaffung der Menschenrechte und die Mutation des Rechtsstaates zu einem immer brutaleren Willkürregime hingegen findet die Elfenbeinturm-Rapunzel anscheinend ok. Naja. SPD halt. Politische Heimat des häßlichen Deutschen.

  2. Bücher, die Denis Schick gut findet, müssen schlecht sein.
    Unterleuten ist grandios, auch da wurde doch schon klar, dass Brandenburg nicht auf die Spinner aus Berlin wartet.
    Die Autorin versteht eben nicht die Sichtweise der vermeintlichen AfD Wähler. Es werden nur Ausreden ( der Nachbar wurde mitsamt Kind verlassen und hat einen Gehirntumor, die Schwulen sind finanziell ruiniert…) genannt. Angeblich Abgehängte eben…Ich wollte das Buch verbrennen und den Film auf YouTube einstellen, habe es dann doch verschenkt. Warum soll ich mich auf das Niveau von Denis Schick begeben, der Bücher in die Mülltonne wirft ?
    Ja, Herr Tichy, sie beschreibt gut die Prenzlberger 2021, aber dafür dieser Aufwand? Sehen Sie sich die Einsterne-Rezensionen auf Amazon an, sie wird von eingefleischten Fans kritisiert, nach dem Motto, an AfD Sympathisanten kann nichts menschliches sein. Diese alleinige Deutungshoheit ihrer Klientel sagt viel mehr aus.
    Dass sie Verfassungsrichterin ist, ist eine Schande.

  3. Die Menschen um mich rum haben mehrheitlich Unterleuten von J.Zeh gelesen und waren ganz begeistert.
    Also habe ich es auch angefangen und habe es nach gefühlt 1,5 Seiten wieder weggelegt. Platte Sprache, platte Denke, platter Inhalt. Ein Buch, das nach Anerkennung bei den woken schreit.
    Nein, danke. Aber richtig wundern tu ich mich nicht mehr.
    Die Gleichen, die das Buch gut fanden, haben sich ruckzuck impfen lassen.
    Passt scho.

  4. „….auch wenn sehr rasch klar wird, dass sich die Autorin virtuos und mit erfrischender Unvoreingenommenheit aller ideologischen Vereinnahmungen und Verortungen entzieht.“

    Klingt für mich eher nach „keine Stellung bezieht“.

    Ich find´s Panne, dass kein deutscher Roman und kein deutscher Film mehr ohne Schwule, Woke und Nazis auszukommen scheint (sofern er überhaupt in der Gegenwart handelt und nicht gleich direkt im dunkelsten Kapitel oder im Deutschland des Wirtschaftswunders, welches wieder und wieder dekonstruiert werden muß) und ohne die Befindlichkeiten irgendwelcher Berliner Hipster, die natürlich allesamt vor allem bemüht sind, sich von anderen Berliner Hipstern zu unterscheiden. Immer dieselben, dermaßen ausgelutschten Themen und klischeehaften Konstellationen. Wer sich ihrer bedient, bekennt sich insgeheim doch schon zu Wokeness und Hipstertum.

  5. Mir ist diese Frau als eine in Erinnerung, die ziemlich dumme Sprüche rausgehauen hat, die mir selbst jedoch nicht mehr in Erinnerung sind. Aber, als ich in ihrem Alter war, fing ich auch an, einige Grundannahmen meines Lebens zu korrigieren bzw. zu erkennen, dass manches, was ich einst für funktional und sinnvoll hielt, nur noch dem Namen nach das war, was es einmal war. Ihren Roman Unterleuten habe ich nicht gelesen, fand aber die Verfilmung erstaunlich vielschichtig. Es waren aber auch einfach gute Schauspieler. Die Ecke, wo sie jetzt lebt, kenne ich sehr gut. Diese kleinen Dörfer, obwohl nur ein paar Kilometer von Berlin entfernt, sind wirklich eigenartige Biotope, waren das auch schon vor 50 Jahren und wahrscheinlich auch davor schon. Ich kann mir gut vorstellen, dass man da als Bonner Akademikerkind ganz schön was lernt vom Leben. Wenn man da klarkommen will, muss man das schön wirklich mögen.

  6. Juli Zeh ist auch ehrenamtliche Richterin am Landesverfassungsgericht in Brandenburg und lebt im Havelland. Nach meiner vagen Erinnerung wurde sie seinerzeit hier ziemlich zerrupft, was mir damals, nach meiner vagen Erinnerung, fragwürdig erschien. Deshalb Kompliment für die freundliche Rezension ihrer letzten schriftstellerischen Arbeit, die ich, nach meiner Frau, auch lesen werde.

  7. Für mich war das Buch geradezu heilend.
    Juli Zeh zeigt, wie die Spaltung unserer Gesellschaft zu überwinden ist. Sie schreibt über Menschen

    • Für mich nicht, denn es ist für mich selbstverständlich, andere Meinungen zu hören und zu akzeptieren.

  8. Vergesst Berlin ! zu voll, zu hipp, alles zu.
    Da wo nichts ist, ist alles. Ist Mittelpunkt der Welt.

    • Kann man Berlin nicht einfach verkaufen? An die Chinesen oder so? Wir übernehmen auch die Versandkosten!

      • Wer will denn sowas? Oder würden Sie Geld ausgeben für eine rot-grün-Chaos-Stadt?

  9. Erst die Sahra, dann die Juli. Was das wohl zu bedeuten hat?

    • Was das zu bedeuten hat? Im Zweifelsfalle das, was man nicht wahrhaben will.

  10. Danke für die Rezension. Nur Politik wäre einer guten Zeitschrift nicht würdig. Belletristik muss sein.

    • Sie hier:

      https://de.wikipedia.org/wiki/Juli_Zeh

      Und ich weiß nicht, warum diese Person an dieser Stelle beworben wird. Die Autorin projiziert ihre Unbeliebtheit in der Provinz auf andere. Die Zweitwohnung in Prenzlauer Berg ist zum Glück nicht weit entfernt.

      • Herr Tichys träumt halt immer noch von einer Umkehr. Vergebens, aber so isser halt.

      • Es ist der Traum aller Liberal-Konservativen von der Verständigung mit den Linken, durch den sie am Ende immer verlieren.

  11. Liebe deutschsprachige Ausländer,

    Als Grenzgänger, der sich fast täglich in den Visegrad Staaten aufhält, nur soviel :

    Ausdrücklich NICHT die gesamte Welt, sondern lediglich NUR wir Deutschen sind seit dem Jahre 2015 ff völlig verrückt geworden!

    Bereits wenige Kilometer außerhalb der deutschen Grenze sind die Einheimischen immer noch völlig NORMALE Menschen!

    Zum dauerhaften Erhalt ihrer eigenen geistigen Gesundheit umfahren Sie daher „Haus Seelenfrieden“ ex Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin möglichst weiträumig!

    • Danke Frank, ihr Kommentar gibt mir Hoffnung und bringt mich auf eine Idee…

    • Das ist natürlich Unsinn,dass der Wahnsinn nur bei uns kreist,gucken Sie sich die USA,Kanada,UK,Schweden(mit Ausnahme Coronapolitik),Australien,Neuseeland etc an.

  12. WANN DIE WELT SO DURCHEINDANDER GERATEN IST…

    gute Frage. Vielleicht ist die Frage, „durch wen?“ etwas leichter und zuverlässiger zu beantworten: durch das linksgrüne Establishment, das längst auf Spießerniveau gelandet ist und daher endlich auch mal von Seiten intelligenter Autoren sein Fett abkriegen sollte. Vielleicht gehört Zeh ja zu jenen, die das ganz allmählich mal verstehen.

    „Über Menschen“, ja: und unter Menschen, da gibt es auch den ein oder anderen hochintelligenten, hochgebildeten, sensiblen und aufgeklärten AfD-ler, und es gibt ebenso abgrundtief dumme, intolerante, ungebildete, unsensibel-stiernackige, neanderthalhafte Linksgrüne. Ich habe Zehs Roman nicht gelesen, aber wenn sie diese Erkenntnis wenigstens ansatzweise haben sollte, dann wäre das schon mehr als der Anfang zu gegenseitigem Verständnis.

    Und in Wirklichkeit wollen wir das doch eigentlich alle, oder?.

    • Nein, das wollen „wir“ nicht, denn dieser Wunsch ist eine Illusion, die uns dahin gebracht hat wo wir jetzt sind. Konservative müssen aufhören den „Versteher“ zu spielen und um Harmonie zu betteln.

  13. Flucht aufs flache Land!

    Habe ich ebenfalls gemacht, und bin auf der Flucht vor einer Ersatzenkeltrickbetrügerbande direkt an die tschechische Grenze gezogen!

    Die Tschechen will ich davon überzeugen, daß diese mit den Vietnamesen die viel besseren nichteuropäische Ersatzenkel haben!

    Das wissen die allermeisten Tschechen allerdings schon selbst!

    • Mir treibt es die Schamröte ins Gesicht, wenn ich daran denke, dass ich mal studiert (heute würde ich um jede Universität einen großen Bogen machen, schon wegen Gesamtschule und Gender) und danach als Lehrer möglicherweise zu diesen ganzen gesellschaftlichen Fehlentwicklungen beigetragen habe.

      Andererseits muss ich mir da aber auch keinen Vorwurf machen, denn ich kämpfe schon seit ca. 30 Jahren gegen das linksgrüne Establishment – das mit der Zeit immer unerträglicher wurde.

      Ich wünsche mir heute oft, ich wäre Handwerker geworden, würde auf dem Dorf Autos flicken und wäre da gut vernetzt, würde die dörfliche Idylle mit Kirmes und anderen trivialen Nettigkeiten genießen und von dem ganzen durchgeknallten Irrsinn, der einen tagtäglich hierzulande anblökt nichts mitkriegen.

      Ich lass mir jetzt ein T-shirt machen, Aufschrift: „100% anti-woke“.

      Der ganze durchgedrehte linksgrüne Schwachsinn k… mich nur noch an.

    • Muss ich diesen Kommentar verstehen?
      Wer gibt wofür den erhobenen Daumen?

      • Keine Ahnung aber seitdem ich mein tolles Leben nicht mehr führen darf, es wurde mir verboten, spiele ich sehr viel Schach. Man wird in der App mit etwa gleich starken Gegnern zusammengebracht aber wenn ich da sehe, der Gegner kommt aus Tschechien oder Russland, dann rufe ich „oh Gott“. Da waren gerade 90.000 Spieler im Angebot und sie vermitteln mich mit welchen, gegen die ich fast totsicher verlieren werde 🙂

      • Wahrscheinlich hat der unmißverständliche Schlußsatz das letzte bißchen Denkvermögen aussetzen lassen?

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