Wolfgang Herles ist ein seltener Vogel im Völkchen der zwitschernden Journalisten. Er ist der, der zuhört. Er ist leise, wenn er spricht. Er spreizt seine Federn nicht. Er ist einer Eule nicht unähnlich, die bekanntlich über kluge Augen und feines Gehör verfügt und ansonsten ein Federkleid in Tarnfarbe trägt. Das macht ihn erfolgreich – und irgendwie angenehm altmodisch. Er reportiert und gackert nicht, wenn er ein Ei gelegt hat, sondern brütet es still aus, bis der Gedankenvogel durch die Schale bricht. Er hat Haltung, aber die ist nicht aus dröhnendem Gusseisen, sondern durch Fakten veränderbar. Das macht er sich nicht leicht. Er gehört zur aussterbenden Sorte der Gedankenbrüter.
Genug des Lobs. Sein Buch zeichnet sich dadurch aus, dass es Distanz wahrt. Er erzählt über sich, und ich gestehe: Wir haben viele Ähnlichkeiten. Es gibt eben doch Generationenschicksale. Unser Schicksal ist, dass wir irgendwo auf dem Land aufwuchsen, fern der Metropolen. Das macht zum Außenseiter; man kennt ja den heißen Scheiß noch nicht und muss erst die Lage anschauen, genauestens, welche Tanzschritte bei der Balz gerade gefordert sind. Wir sind aufgewachsen in einer Zeit, in der die Menschen damit beschäftigt waren, ihren gerade zusammengekratzten Wohlstand ein wenig zu mehren und deshalb nicht unbedingt zurückzuschauen. Rückschau ist der Luxus der Wohlhabenden, nicht die Lebensweise der Gerade-etwas-Habenden. Also musste unsere Generation aus der gesicherten Basis heraus viele Fragen stellen, die leider keine guten Antworten fanden, wenn es solche überhaupt gegeben hat.
Die Gefallsucht der Medien erzeugt Konformismus
Lange fühlt er sich aufgehoben in dieser Republik. Bis zum Knacks. Sein persönlicher Knacks – als ihn der Kanzler als Chef des Hauptstadtstudios des ZDF entfernen lässt – korrespondiert nicht zufällig mit dem Knacks der Republik. In der Rolle des Gedankenbrüters geht er kritisch um mit der Wiedervereinigung. Nein, er ist nicht dagegen, aber musste es so sein, wie es angeblich unbedingt sein musste? Jubel-Krähen ist seine Sache nicht, aber Helmut Kohl stellte sich halt die Frage: Wozu hält man sich denn ein ZDF, wenn es dann nicht jubelkräht, wenn man es braucht? Kann man nicht einen Kräher statt einer Horch-Eule hinstellen, der die Wünsche des Herrn entgegennimmt?
Man konnte. Herles sieht es nicht so, aber tatsächlich ging es für ihn dann erst los. Ungeheuerlich, wie viele bemerkenswerte Menschen er sprechen, vor die Kamera zerren, ausfragen durfte. Auch da kreuzten sich gelegentlich unsere Wege. Er wollte Jürgen Schrempp, den damals wichtigsten Industriemanager, befragen. Ich übte mit Schrempp, wie man Herles auskontert. Das Archiv weiß, wer seinen Job bewältigt hat.
Nun schauen wir zurück. Und ja, Bonn war keine Idylle, sondern eine feuchte Schlangengrube unter einer trüben Dunstglocke. Und während Herles durch die Welt eilte, auf der Suche nach Gesprächspartnern mit einer Kragenweite, die es im heutigen Engstirnvogel-ZDF nicht mehr gibt, begann es mit der Berliner Republik bergab zu gehen. Es ist das Berlin Virus. Größenwahn, Isolation und Selbstbezogenheit in den flachen Weiten einer sandigen Ebene rundherum, Paris zu weit weg und Brüssel eine große, bösartige Glucke, die alle malträtiert. Weltabgewandtheit und ständiges Wühlen im Eigenen.
„Konformismus ist die Staatsideologie Deutschlands“
„Dieses Land braucht vielleicht gar keine Hauptstadt“, sagte er in unserem Interview „Konformismus ist die Staatsideologie Deutschlands“. „Es gibt auch keine Hauptstadt-Korrespondenten – damals. Heute nennt sich der Journalist Hauptstadt-Korrespondent. Darin steckt schon eine Lüge, nämlich dass er über den anderen steht.“
Tatsächlich. Wolfgang Herles weiter: „Studio-Leiter Bonn. … Es war das Studio Bonn, das stand nicht über dem Studio Düsseldorf und über dem Studio München, das war einfach das Studio Bonn. Dass wir Bundespolitik gemacht haben, das wusste man ja sowieso, da musste man nicht so ein Etikett draufkleben, so ein großmächtiges, angeberisches.“
Damit ist es die Erzählung eines Epochenbuchs. Die entfesselte Globalisierung geht einher mit der nächsten industriellen Revolution, die das Leben der Menschen verändert. Herles begleitet Giganten der Wirtschaft wie Bill Gates, Steve Jobs oder Jack Welch. Es folgen Begegnungen mit den größten Schriftstellern der Gegenwart. Herles reibt sich auch am eigenen Metier, durchlebt die Untiefen der Talkmeisterei und die Hörigkeit der Medien. Seine höchst lebendigen Erinnerungen sind kein bockiger Protest – aber sie sezieren, zudem höchst unterhaltsam, die Deformation unserer Gegenwart. Und er ist immer auf Distanz, lässt sich nicht vereinnahmen. Immer noch nicht. Hört das denn nie auf?
Wolfgang Herles, Gemütlich war es nie. Erinnerungen eines Skeptikers. LMV, Hardcover mit Schutzumschlag, 392 Seiten mit zahlreichen schwarz-weiß Abbildungen, 25,00 €.
Herles mag sich verständlicherweise gern ausführlich mit seiner Vita in der guten alten BRD auseinandersetzen und wird das wie von Herrn Tichy angedeutet sprachlich meisterhaft tun. Die Probleme, die sich gegenwärtig vor uns auftürmen, lassen die BRD allerdings als ein biedermeierliches Idyl erscheinen (ich selbst fand es dort überwiegend gemütlich, da die 68er Spinner das Regiment noch nicht ganz übernommen hatten) – weshalb ich Lektüre bevorzuge, die sich der Gegenwart und der Zukunft widmen. TE hat zum Glück viele Journalisten der jüngeren Generation gewonnen, die das mit Geschick und Leidenschaft tun, ohne larmoyant zu werden. Und jetzt sehe ich mit Spannung dem Interview mit Alice Weidel entgegen, die ebenfalls aus der alten BRD kommt, aber den Sprung in die Realität des Deutschlands des 21. Jh. geschafft hat und – hoffentlich – stellvertretend für eine bessere Zukunft steht..
Ich kann mit Sicherheit sagen, daß ich dieses Machwerk noch nicht mal geschenkt nehmen oder gar lesen würde.
Das Buch enthält die schlüssige Herleitung, dass der Abgrund in die zentralistische Meinungssteuerung im Wechsel der Regierungshauptstadt begründet ist. Obwohl man nie genau weiß ob nicht hinter dieser Causa noch andere verborgen sind. Der Titel des Buches vermittelt aber nicht wie viel zeitgeschichtliche Analyse darin verborgen ist. Ich habe gerade diesen Teil des Buches mit Erstaunen gelesen und kann es nur empfehlen.
Nicht zuletzt deshalb werde ich dieses Buch meiden, wie eine nässende Krankheit.
Dem poetischen Lob des ersten Absatzes schließt man sich gerne an. Wolfgang Herles ist ein Solitär. Klug, kritisch, aber nicht aggressiv oder ad hominem abwertend. Kanzler Kohl hat ihn zwar auf ein anderes Arbeitsfeld gezwungen, hat ihn aber nicht professionell, wirtschaftlich und sozial verleumdet und vernichtet, wie das, beispielsweise, bei einem Donald Trump üblich wäre. Wolfgang Herles gehört zu einer Journalistengeneration die auch an Hans-Joachim Friedrich erinnert. Ich freue mich auf noch viele Kolumnen von Wolfgang Herles.
Im TE-Shop ist auch das Buch “ Die Ära Trump“ / Ansgar Graw, zu erwerben, das man allen Trump-Fans und MAGA-Illuminati wärmstens empfehlen kann.
Gute Frage: Braucht Deutschland eine Hauptstadt? Im Mittelalter tagte der Reichstag in unterschiedlichen Städten und wurde damit wohl Deutschland eher gerecht. Berlin nennt sich Hauptstadt, ist es das? Berlin war Preußen, nie Deutschland. Wofür steht Berlin heute? Ein chaotischer Stadtstaat, der sich für den Nabel der Welt hält….
Der Whiskey-König Lüning hat mal so richtig gesagt: Jede Hauptstadt in Europa trägt meist überproportional zu einer gesunden Wirtschaft bei. Bei Berlin ist es gerade umgekehrt. Dort sind mehrheitlich Schmarotzer ansässig – zuvorderst die Politkaste nebst der Medienschranzen.
Gemütlich war es tatsächlich noch nie so richtig seit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und ich kann mich noch sehr genau an die endlosen Kritiken meines alten Herrn erinnern, der schon in den fünfziger Jahren sich durch seinen Beruf im Zeitungswesen ständig aufgeregt hat, welche Typen uns da serviert wurden, von denen er nach eigenen Recherchen nicht immer überzeugt war, daß sie das Format mitbrachten um anständig durch die Welt zu gehen.
Das alles hat sich anfangs hautpsächlich um die regionale Politik gedreht und als das Thema ausgeschöpft war konzentrierte man sich auf die Landes -und Bundespolitik, zumindest war das damals meine jugendliche Wahrnehmung und der sogenannte Zick-Zack-Müller in Württemberg war schon damals ein Stein des Anstoßes, wobei das noch eine harmlose Angelegenheit war im Vergleich zu heute, wo Verfehlungen sich sich in allen Kreisen in übelster Art und Weise verbreitet haben, die die vergleichsweise lässlichen Sünden von damals alles in den Schatten stellen.
So könnte man die ganzen Sauereien über Jahrzehnte schön hintereinander reihen und der gekaufte Abgeordnete, der den Kandidaten Barzel um seine Kanzlerschaft brachte, war ein Verbrechen und wurde nie so richtig aufgearbeitet bzw. es wurde keine Korrektur vollzogen um ihm zu seinem Recht zu verhelfen und das alles war mehr oder weniger nur Thema am Stammtisch von politisch Interessierten, während der andere Teil es stoisch über sich ergehen ließ oder keine Zeit hatte, sich um deren politischen Ausfälle zu kümmern, die immer da waren und erst heute im Zeitalter des Internets flächendeckend Fahrt aufnehmen und quasi nichts mehr verborgen bleibt.
Das ist nun das Hauptproblem unserer „Erwählten“, die sich nun in ihren Kreisen gestört fühlen und sich seit Jahren aufmachen die passenden Abwehr-Argumente zu kreieren, in der Hoffnung, ihre Vergehen schön zu reden und die Unfähigkeit zuzudecken und das probateste Mittel ist die Nazikeule, weil die noch das alte negative Image in sich trägt, was man dann anständigen Konservativen überhängen will um sie zu Outlaws zu machen.
Nur wer erkennt, wen er in Wahrheit vor sich hat, wird sich darüber nicht täuschen lassen, wobei die Liederlichkeit aus allen Schichten der Bevölkerung nie zu tilgen sind, aber man von der Führung mehr erwarten könnte, wenn sie den Anspruch erheben über allem zu stehen, was ja im Eigeninteresse sein kann, aber immer mehr zur geistigen Müllhalde verkommt, wo sich nie etwas verändert hat, mit Ausnahme der Intensität, die heutzutage ihren Höhepunkt erreicht hat und die Vorvorderen staunen würden, wie sich alles noch negativer entwickelt hat, was sie damals schon beanstandeten, wenn sie sich für Recht und Ordnung interessierten und einsetzten.
Über die ganzen politischen Verfehlungen der letzten 70 Jahre sollte man mal eine Sittengeschichte geistiger Niedertracht verfassen und dann würde der Lack an der Fassade abblättern, denn Führung geht nach allgemeinem Verständnis anders, wenn man den Empfehlungen der Bibel folgt oder meinetwegen den Erkenntnissen großer Philosophen und davon ist heutzutage nicht mehr viel zu verspüren und es geht sogar soweit daß man sich die Kanzlerschaft mit Lug und Trug erkauft und wer das toleriert ist entweder strohdumm oder ähnlich gelagert und jede Hoffnung dabei erstickt, daß es nochmals besser werden könnte.
„Gemütlich“ oder nicht: Die BRD bot bis in die 90er Jahre einen gut funktionierenden Mix aus reichlich konservativen Anteilen, die für die nötige Stabilität sorgten, persönlichen Freiheiten, die weiter reichten als heute und ausreichend sozialen Elementen, die gewährleisteten, dass auch die Schwächsten nicht untergehen. Wer seine Arbeit ordentlich gemacht hat, hatte auch genug Knete und mehr wurde im Grunde gar nicht von einem verlangt. Der Staat hielt sich weitgehend im Hintergrund, wusste sich aber gegen seine Feinde zu wehren und seine Bürger zu schützen. Die Presse hatte eine gewisse Macht, aber nicht zu viel, und sie nutzte sie, um der Obrigkeit gelegentlich auf die Finger zu hauen und war im großen ganzen bemüht, objektiv und seriös zu berichten. Man wurde schlichtweg in Ruhe gelassen und konnte sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren, was ja auch Grundvoraussetzung ist, um eine Gesellschaft stabil und stark zu erhalten.
Gutgemeinter Hinweis: Sollte das Buch für den gesamtdeutschen Markt vorgesehen sein, würde ich kein Titelbild wählen, das Ähnlichkeit mit Erich Honecker aufweist.
Der Titel „Gemütlich war es nie“ paßt soweit; hier kann ich persönlich aber nur den ostdeutschen Markt einschätzen.
Stimmt!
Ich kenne mindestens 100 Leute, für die es weniger gemütlich war, als für Herrn Herles.
Nun, 36 Jahre nach der Ausreise und vorherigem 46-jährigem DDR-
Leben, muß ich, wenn ich ehrlich bin, als Resümee ziehen, daß Wolf
Biermann, als er noch der Wolf war, hart im Urteil war, als er nur kurz nach
seiner Ausweisung aus der DDR sagte, er sei vom Regen in die Jauche
gekommen. Ganz so hart will ich mein Urteil nicht fällen, aber ich darf an
die bekannten und oft zitierten Worte von Bärbel Bohley erinnern. Im
Kern: Es wird alles wieder kommen, nur raffinierter und subtiler. Man
schaue hin, wo man will – sie hatte Recht. Es würde zu weit führen, das
eigene Leben hüben und drüben detailliert darzulegen, aber die Enttäu-
schungen, die ich hier nach der Übersiedlung erlebte, waren nicht min-
der hart, als die 6 Jahre Wartens auf die Ausreise. Insofern stimmt Her-
les Buchtitel – gemütlich war es nie, und heute schon gar nicht mehr.