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Gedenkmonat November

Über Gedenktage, neue Narrative und nicht zusammenpassende Details

28.11.2022

| Lesedauer: 4 Minuten
Der November ist der Monat der Gedenktage. Wie die Erinnerung an Vergangenes heute gehandhabt wird, ist auch durch die neuen Narrative bestimmt. Die Widersprüche sind auffallend, obwohl wenig beachtet.

Der traurige Monat November, durchzogen von säkularen (also zivilreligiösen) und religiösen Gedenktagen, inspiriert zu Reflexionen über Sinn, Ästhetik und Begründungen des Gedenkkalenders.

I.

Auf der abstrakten Ebene geht es um die politisch-soziale Funktion dieser dies festae und den entsprechenden Riten in Gesellschaften. Im konkreten politischen Kontext der Gegenwart richtet sich der Blick auf die Fest- und Gedenktage in den – ungeachtet aller universalistischen Deklarationen (Weltfrauentag, Weltkindertag, Tag der Menschenrechte usw.) – unterschiedlich fortbestehenden, historisch begründeten nationalen (und/oder nationalstaatlichen) Gedenktage.

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Die historisch-politisch relevanten Unterschiede sind an beliebigen Daten zu erkennen, nicht zuletzt am Weltgedenktag des 27. Januar, zum Gedenken der Befreiung von Auschwitz durch sowjetische Truppen an besagtem Januartag 1945. Solange die universalistisch gemeinte Intention, das von deutschen Nationalsozialisten verübte Massenverbrechen für alle Zeit als Mahnung an alle Menschheit zu begreifen, am Selbstverständnis der in diesen Tagen auf acht Milliarden angewachsenen Menschheit vorbeizielt, dürfte der – 1996 von Bundespräsident Roman Herzog in Deutschland proklamierte, anno 2005 von der UNO etablierte – Gedenktag selbst innerhalb des Westens sehr unterschiedliche Empfindungen und Assoziationen wecken. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges tritt die bittere Ironie kollektiven – realiter selektiven – Gedenkens hervor: Im historischen Selbstbewusstsein der ihre Unabhängigkeit gegen den imperial-russischen Aggressor Putin verteidigenden Ukrainer dominiert das Gedenken des „Holodomor“, des von Stalin exerzierten, millionenfachen Hungertodes in der Ukraine (und in Südrussland).

II.

Die Symbolik des zivilreligiösen Gedenkens korreliert mit der modischen Begrifflichkeit des „Narrativs“ oder der „Erzählung“. Diese wiederum erfährt – in reduktionistischer Gestalt – als „Geschichtspolitik“ ihre ideologische Zwecknutzung. Hinter derlei akademisch aufgeladenen Begriffen steckt nichts anderes als die alte Erkenntnis, dass die Geisteswissenschaften – ein immer weniger geläufiger Begriff – dem jeweiligen Zeitgeist verpflichtet sind, und dass Erkenntnisinteresse nicht selten mit Machtverhältnissen verquickt ist. Nicht zuletzt gilt diese Erkenntnis der auf „Narrative“ abhebenden Modeströmung des Dekonstruktivismus. Auch die „große Erzählung“ des westlichen Universalismus bleibt von der Dekonstruktion nicht verschont, mit der Konsequenz, dass nunmehr im Zeichen der „wokeness“ partikulare Narrative universelle Gültigkeit beanspruchen. Als Quintessenz der Debatte ist festzuhalten, dass in Tradition und Wissenschaft inkongruente Fakten, erst recht mindere historische Details zugunsten der dominanten „Erzählung“ geglättet oder ausgelassen werden.

Weitab von akademischen Diskursen, auf der Ebene politischer Realität, erleben wir den Widerspruch zwischen universalistischen Proklamationen und divergierenden Bewusstseinsinhalten im Alltag der zusehends multiethnischen – und/oder multikulturellen – westlichen Gesellschaften. Ein eklatantes Beispiel für ideologische Ungereimtheiten liefert wiederum der Ukraine-Krieg: Das – historisch-kulturell begründete – Selbstverständnis der Ukraine als eigenständige, freiheitsliebende Nation wird von deutschen – ansonsten allen nationalhistorischen „Erzählungen“, sprich: Traditionen abgeneigten – Linksliberalen und Grünen als unzweifelhaftes Bekenntnis zur liberalen Demokratie akzeptiert und aufgewertet. Bei einem – von der Kulturstaatssekretärin Claudia Roth persönlich beehrten – Solidaritätskonzert in der Berliner Philharmonie erhob sich bei Intonation der ukrainischen Nationalhymne andächtig das postnationale, postheroische deutsche Publikum.

Die aktuelle Debatte um fehlgeleiteten Pazifismus und notwendige Parteinahme in einem „gerechten“ Verteidigungskrieg offenbart das spezifisch deutsche Dilemma: Mit gutem und – unter Verweis auf den Zweiten Weltkrieg – schlechtem Gewissen sollen „wir Deutsche“ uns moralisch erweisen, indem wir der Ukraine hinreichend schlagkräftige Waffen liefern.

III.

Krieg heißt Bereitschaft zu töten, zu verletzen und verletzt oder getötet zu werden. Kriegshandeln ist bereits seit dem Kosovo-Krieg 1999 auch für Deutsche wieder erlaubt, ja gemäß der damaligen Auschwitz-Rhetorik des Außenministers Fischer und des Verteidigungsministers Scharping historisch und politisch-moralisch geboten. Seit dem fehlgeschlagenen, politisch sinnlosen Nato-Einsatz in Afghanistan sind auch wieder deutsche Soldaten als opferbereite Gefallene zu beklagen.

Und auch zu ehren. Am 14. November 2022, dem diesjährigen – terminologisch noch fortbestehenden – Volkstrauertag ehrte die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht an einer Gedenkstätte, gelegen in Schwielowsee bei Potsdam (!), mit Kränzen die neunundfünfzig in Afghanistan zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten. Die Gedenkstätte besteht aus einem von einer mit Namen der Toten versehenen Gedenkmauer, davor ein großer Felsblock mit einer Plakette. Die mit Blütenzweigen versehene Tafel trägt diverse Aufschriften. Sie ist dem Gedenken „an unsere toten Kameraden“ gewidmet, das von einer eindeutig christlich-religiösen Formel („In Deine Hände befehle ich meinen Geist“) unterlegt ist. Darunter heißt es in bündnistreuer Nato-Sprache: „Lest we forget“. Ganz unten befinden sich – etwa als Zeichen der Solidarität für die ungezählten afghanischen Opfer der gescheiterten, im Gefolge von Präsident Joe Biden abgebrochenen demokratischen Befriedungsaktion ? – zwei Zeilen in arabischen Schriftzeichen.

Die Symbolik nötigt zum Nachdenken über deutsches Gedenken bezüglich der jüngsten Vergangenheit und der von multiethnischer Vielfalt geprägten Zukunft: Wie passt derlei zeitgenössisches Gedenken mit der „uns Deutsche“ – nicht etwa alle Bundesbürger –  bedrückenden Geschichte im 20. Jahrhundert zusammen? Lest we forget.

IV.

Der zentrale Gedenktag im deutschen Geschichtskalender ist der 9. November. Der Vorschlag, den Tag zum Nationalfeiertag zu erheben, wurde zugunsten des 3. Oktober, dem Tag der staatlichen Wiedervereinigung 1990, ad acta gelegt. Als Nationalfeiertag hätte sich das betreffende Datum ungeachtet des deutschen Glückstags anno 1989 als wenig geeignet erwiesen. Das Gedenken an die Novemberpogrome im Jahre 1938 überlagert längst wieder die Erinnerung an den Mauerfall. Kein Grund zum Feiern.

Es ist hier nicht der Ort, das Geschichtsnarrativ bezüglich der in ganz Deutschland (samt „angeschlossenem“ Österreich) allgemein verbreiteten Pogromstimmung in jenen Novembertagen 1938 genauer zu beleuchten. Die Quellen und die Bilder dokumentieren die zahllosen Szenen mörderischer Gewalt, von Teilnahmslosigkeit angesichts der vor aller Augen stattfindenden Verbrechen, aber auch von erkennbarer Ablehnung bis hin zu stummem Entsetzen.

V.

Ich habe lange gezögert, die nachfolgene Episode aus dem Leben meiner Eltern öffentlich zu machen. Ich tue dies im Gedenken an meine Eltern sowie aus einer gewissen Verantwortung heraus, ein historisches Detail nicht im Orkus des Vergessens verschwinden zu lassen. Meine Mutter (gest.1992) erinnerte sich genau an jenen Tag in Duisburg, als mein Vater Dr. Christian Ammon spätabends von der Arbeit (als Chemiker in einem Industriebetrieb) nach Hause kam und berichtete, in der Stadt und in der weiteren Umgebung des Ruhrgebiets seien die Synagogen in Brand gesetzt worden. Bald werde dies auch „mit unseren Kirchen“ geschehen. Am nächsten Tag, dem 10. November 1938, erlebte er, wie sich der Mob auf den Straßen austobte. Dabei erblickte er eine Bande von Männern, die eine Frau an den Haaren über den Rinnstein zerrte. Er ging auf die Gruppe zu und herrschte sie „als deutscher Offizier des Weltkriegs“ an, von der Frau abzulassen. Von derlei Intervention überrascht, machten sich die Pogromhelden davon, während er der Frau aufhalf.

Mein Vater, ehedem Anhänger der linksliberalen Deutschen Staatspartei, hatte sich nie Illusionen über Hitler und den Nazismus gemacht. In den dreißiger Jahren ventilierte er die Chancen einer Emigration. Er gehörte keiner aktiven Widerstandsgruppe an, bewegte sich indes im Umfeld des Goerdeler-Kreises. Nach einer Anzeige wegen defätistischer und „wehrkraftzersetzender“ Bemerkungen landete er anno 1943 (?) vor dem Sondergericht Bayreuth, wo er dank Geschick seines Verteidigers mit einem Freispruch davonkam. Zum „Volkssturm“ einberufen, stand er Ende Januar/Anfang Februar 1945 in meiner Geburtsstadt Brieg (Niederschlesien) Posten gegen die anrückende Rote Armee unter General Konjew. Er galt seither als „vermisst“. Nach Rücksprache mit mir verfasste die Mutter in meinem Abiturjahr 1962 die Todeserklärung.

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4 Kommentare

  1. Gedenktage sind oft Tage des Gedenkens an Siege und Niederlagen, an neue und untergegangene Chancen, sehr oft zum Preis persönlicher Opfer, bis zum Tod.
    Die Reichspogromnacht ist sicher kein Tag, der mit einer Feier verbunden werden könnte, sicher aber mit Gedenken – an die Opfer und das Unrecht und die dafür politisch verantwortlichen.
    Dass es die Ironie der Geschichte oder des Schicksals wollte, daß viele Jahre später an gleichen Datum die Mauer fiel, löste ein politisches Dilemma aus. Der Mauerfall war zweifellos ein historischer Tag, ein sehr positiver, zumal sich Geschichte ihren Weg bahnte, eher ausnahmsweise ohne Blutbad und Tote. NVA und bewaffnete Kampftruppen „der Betriebe“ blieben in ihren Stützpunkten, erhielten keinen Befehl, ein Gemetzel unter der eigenen Bevölkerung anzurichten – das SED-Regime hatte sich dem Gang der Dinge faktisch ergeben und wollte nicht mit einem Blutbad in die Geschichte eingehen. In „guter“ deutscher Tradition begann die persönliche Zukunftsplanung, Sicherung von Vermögen, Beseitigung von Spuren und „Papierkram“.
    Zweifelos war und ist der 09.11.1989 ein würdiger Gedenktag, der klar vorzugswürdige zum 03.10.1990, an dem nur „bürokratisch“ vollzogen wurde, was am 09.11.1989 ermöglicht wurde, die Deutsche Wiedervereinigung.
    Dummerweise hatte insbesondere die westliche, deutsche Linke ihre Probleme mit der Wiedervereinigung, wollte diese nicht, träumte von einem „wahren Sozialismus“ auf deutschen Boden, von einer fortgesetzten Zweistaatlichkeit. Inwieweit damit auch „ewige“ Sühne für 33-45 symbolisiert werden sollte, sei dahingestellt, jedenfalls fremdelte „man“ in weiten Kreisen mit der Wiedervereinigung.
    Dieses Fremdeln existiert noch, bzw insbesondere heute. Viele Medienschaffende sind „Westlinke“, ihr Traum vom wahren Sozialismus lebt famos in Klimapolitik weiter. Maximal viel Staat, faktischer Dirigismus in alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche, Kontingentierung, Reglementierung und Besteuerung von allem und jeden unter „CO2-Gesichtspunkten“ incl Abschaffung „des“ kapitalistischen Systems zugunsten eines „klimaneutralen“ Systems, einer Art Grünem Kollektivismus, einer Art Öko-Klima-Bio-Sozialismus in totaler staatlicher Kontrolle, in klar sozialistischer Tradition.
    Hört man heute grünen Spitzenpolitikern zu, dürfte wenig Zweifel bleiben, worauf diese hinarbeiten. Deren Vertrauen in die Allmacht des Staates, seiner moralischen Güte und seiner Befähigung, alles gut zu regeln und umzuverteilen, ist grenzenlos, fast schon kindisch naiv. Das „totale“ Staaten stets und immer Monster wurden, ihren Bürgern und anderen nur leid und Armut gebracht haben, wird ausgeblendet, weil man sich selbst ja für gut hält, gerade an der Macht ist und demnach „nur gutes“ bewirken wird, für die Schäfchen und den Rest der Welt.
    Das ist die Hybris der Wohlstandskinderchen, die ihre guten Ideen automatisch mit der Realität gleichsetzen, von der regelmäßig wenig gewußt wird.
    Zwar sollen alle die Fehler der Ahnen stets bedenken, sich in Buße über für alles was mit 33-45 in Verbindung gebracht werden kann und könnte, nur man selbst ist erhaben, genuine Antifaschisten und Weltbeglücker, insofern über jeden Zweifel erhaben. Mag „grüne Klimapolitik“ für Tausende und Abertausende noch so verheerend ausfallen (wie zb durch eine stümperhafte „Energiewende“) egal, alles gut, weiter so, mehr vom Falschen, mehr und schnellere Ausstiege, mehr Staat, mehr Kontrolle, mehr Kampf gegen Zweifler, Kritiker, Abweichler etc.
    Bis wir wieder soweit sind, daß aus „tollen politischen Ideen“ ein wahres Monstrum geschaffen und über das Land gelegt wurde. Und niemand drängt sich derzeit um den Pokal, das nächste Monstrum zum Leben erweckt zu haben, wie „unsere“ Westlinken in Politik und Medien, die jetzt alle sehr grün, sehr rot, sehr gut, Antifaschisten und Klimaaktivisten etc sind.
    Eben dieses „Milieu“ ist nicht mehr weit von der Wegscheide zum neuen totalitären Monstrum entfernt, der Weg in die Hölle ist mit Guten Absichten gepflastert…
    Welche Gedenktage dies vielleicht in 30 oder 50 Jahren auslösen wird, ist derzeit noch im Fluss der Geschichte, sie ist noch nicht geschrieben. Vielleicht geht es doch aus, aber ich habe Zweifel, große!

  2. Charles de Gaulle soll einmal gesagt haben, die Größe einer Nation zeigt sich, wie sie mit den Toten ihrer verlorenen Kriege umgeht!!

  3. Ich darf ein Gedenken noch dazu tun: in der zweiten November-Hälfte 1942, also vor 80 Jahren, schloß sich im Rahmen der sowjetischen Gegenoffensive der Kessel um die deutschen Truppen in Stalingrad.

    Die Historie verzeichnet, auf beiden Seiten, über 2 Millionen Soldaten. Von diesen sind bis an eine Dreiviertel-Million durch die Kämpfe, Verhungern oder Erfrieren ums Leben gekommen. An die 110.000 überlebenden Deutschen gingen in sowjetische Gefangenschaft. Keine 6000 kehrten, teilweise erst 12 Jahre später, wieder nach Hause zurück. Die Verluste in der Zivilbevölkerung gingen ebenfalls in die Hunderttausende. Das Bild der in die Gefangenschaft gehenden Soldaten, dieses sich in der weißen Ferne verlierende Band von Menschen, steht mir unauslöschlich vor Augen.

    Von Stalingrad blieb die Stelle. Seine Ruinen sehen irgendwie anders aus als die zerstörten Städte und Landstriche in anderen Teilen von Europa. Obgleich meine beiden Großväter nicht vor Stalingrad lagen, ist mir diese Tragödie, die Unmenschlichkeit und das unermeßliche Leid, welche aus tiefsitzender ideologischer Verblendung entspringen, ständig präsent. Leider fand am diesjährigen Volkstrauertag weder durch den Pfarrer noch den Veteranenverein eine Erwähnung dieses Jahrestags statt.

    Den Russen ist Stalingrad ein strahlendes Beispiel für ihren Widerstand, für das Kämpfen für eine gerechte Sache, für den letztendlichen Sieg. Die riesenhafte Statue der Mutter Heimat auf dem Mamajew-Hügel im heutigen Wolgograd zeugt davon. Die Truppen des sowjetischen Generals Tschuikow, die bis zum letzten Widerstand geleistet hatten und siegreich aus der Schlacht um Stalingrad hervorgingen, nahmen zwei Jahre und drei Monate später Berlin ein.

    Gerade eben habe ich ein antiquarisches Buch über die deutschen Ehrendenkmäler für die Gefallenen des 1. Weltkriegs gelesen. Zwei der abgebildeten Denkmäler haben mich sowohl berührt als auch nachdenklich gemacht: das in Schapbach im Schwarzwald ( https://www.schwarzwaelder-bote.de/media.media.51fdff1d-8206-4ab5-be8b-eaca52aba64e.original1920.jpg ) und das in Stralsund, welches heute nicht mehr existiert. Die Inschrift daran hat gelautet: 1914-1918 Ihr seid nicht umsonst gefallen.

    Doch, seid Ihr. Alle. Für nichts und wieder nichts.

    • An „für nichts und wieder nichts“ würde ich einen kleinen Widerspruch anfügen wollen.
      In Kriegen gibt es bekanntlich fast immer Sieger und Verlierer, aber beide Seiten zahlen meist in Leben, mit Blut.
      Wenn es schon zu Krieg oder Kampf allgemein kommt, sollte man immer als Sieger daraus hervorgehen, Niederlagen sind immer schlecht zu rechtfertigen, Tote umso schlechter.
      Diese Binsenweisheit ist weder neu noch originell und dennoch richtig. Geschichte schreiben die Sieger, sie entscheiden was „gut“ und „richtig“ war.
      Ob und was auch immer gut und richtig war, ist aus der Position des Unterlegenen schwer durchsetzbar und damit eher nur Quell der Ohnmacht, für Verbitterung oder Wut.
      Der letzte große Krieg bietet dazu 1001 Anlass, der vorherige natürlich auch. Ungereimtheiten oder „Siegerunrecht“ diskutieren zu wollen, ist glattes Eis, schnell ist man Revisionist oder Revanchist. Zweifellos wurde der 2. WK durch Deutschlands Überfall auf Polen begonnen, nur ist bis heute der Hitler-Stalin-Pakt inklusive Zusatzabkommen über die Teilung Polens weitgehend unbekannt. Nichts desto trotz ist es historische Tatsache, dass der Einmarsch und die Teilung Polens zwischen den beiden Diktatoren abgestimmt und durchgeführt wurde. Das ändert natürlich nichts am weiteren Gang der Geschichte, weder am Unrecht des Holocaust, noch an der Dummheit, den Hitler-Stalin-Pakt zu brechen und Russland ebenfalls anzugreifen.
      Und das Rad der Zeit läßt sich bekanntlich nicht zurückdrehen. Wie es ausging ist bekannt, die Millionen Opfer waren aus unserer Sicht „umsonst“. Aus Siegersicht war vermutlich jedes Opfer gerechtfertigt und eben nicht umsonst.
      Davon losgelöst bleiben viele Fragen, wieviele Opfer hätten wenigstens durch andere politische oder militärische Entscheidungen wenigstens vermieden werden können. Nur sind diese Fragen im Nachgang meist müßig, die Dinge nahmen halt ihren Lauf, wie sie tatsächlich geschehen sind, es ist Vergangenheit.
      Aus dieser Vergangenheit können noch bedingt Lehren für die Zukunft gezogen werden, wie aus jeder Geschichte. Aber sobald es Politik betrifft, sind alle Varianten vorstellbar, keine Regierung ist davor gefeit oder dagegen immun, alte Fehler zu wiederholen. Mögen Prinzipien, Haltungen oder was auch immer noch so gefestigt geglaubt werden, viele Entwicklungen besitzen derart viel Eigendynamik, das Gewissheiten von gestern, morgen schon hinfällig sein können.
      Und wer hätte bis vor kurzem daran geglaubt, dass solche linksgrüne Politiker wie zb Baerbock sich als glühende Belizistinnen erweisen werden, wenn sie sich nur auf der „Guten Seite“ meinen, die heute natürlich Ukraine heißt?
      Wer hätte vor Corona an Einschränkungen und den Verlust von Freiheitsrechten geglaubt, wie sie dann 2 Jahre den Alltag von uns allen dominiert haben?
      So oder so, aus der Vergangenheit kann man sicher einiges lernen, muß es aber nicht. Niemand ist für nichts und wieder nichts gestorben, nur möglicherweise für die falsche oder eine dumme Sache. Und das liegt meistens in den Händen der Mächtigen, der Regierungen, klug oder dumm zu führen. Jugoslawien, Afgahnistan oder Libyen geben beispielhaft eher wenig Grund zur Annahme, demokratisch gewählte Regierungen seien vor Dummheit/Fehlentscheidungen immuner, als Autokraten oder Diktatoren. Und was aus der Ukraine wird, bleibt ungewiss, abzuwarten, nur das Leid vieler ist jetzt schon gewiss.

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