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Institut der deutschen Wirtschaft (IW):

Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes zeichnet „Zerrbild der Realität“

11.03.2021

| Lesedauer: 3 Minuten
In fast allen Medien wurden gestern wesentliche Inhalte des „Datenreports 2021“ falsch wiedergegeben. Mit Schuld daran ist eine verzerrende Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes.

Das Statistische Bundesamt hatte gestern den „Datenreport 2021“ vorgestellt. Was mir schon aufgefallen war, hat jetzt das renommierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kritisiert: „Die Pressemitteilung (des Statistischen Bundesamtes) zeichnet ein düsteres Bild: Die Armutsgefährdung habe sich verfestigt, benachteiligte Gruppen könnten durch die Corona-Pandemie weiter zurückfallen, nur jeder Zweite empfinde den eigenen Bruttolohn als gerecht. Ein Zerrbild – denn der Bericht selbst zeigt auch viele positive Trends auf.“ Soweit das Institut der deutschen Wirtschaft.

Mit der „Pressemitteilung Nr. 113 vom 10. März 2021“ des Statistischen Bundesamtes, die dieses Zerrbild zeichnet, wurde die Vorlage für eine geradezu absurde Berichterstattung in ARD, ZDF und zahlreichen weiteren Medien gegeben. Der Tenor der Medienberichte steht im Widerspruch zu zahlreichen Daten aus der Studie, worauf das IW zu Recht hinweist. 

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Als Überschrift für die Pressemitteilung wählte das Statistische Bundesamt die Schlagzeile: „Armutsrisiken haben sich in Deutschland verfestigt“. In der Pressemitteilung selbst wird jedoch deutlich, dass die relative Armut im Berichtszeitraum nicht gestiegen, sondern gegenüber dem Vorjahr sogar um 1,5 Prozentpunkte gefallen ist. Auch dies hätte die Überschrift für die Pressemitteilung sein können. Da dieses Ergebnis aber nicht so Recht zum beabsichtigten düsteren Tenor der Mitteilung passte, hieß es in der Mitteilung dann relativierend, dass die Zahl der unter der „Armutsrisikoschwelle“ lebenden Menschen Ende der 90er Jahre niedriger war. 

Das IW weist in seiner Kritik darauf hin, dass der Report selbst viele Zahlen enthält, die genau in die gegenteilige Richtung weisen wie die Pressemitteilung: „Der heute erschienene Datenreport 2021 wirft jedoch auch einen Blick auf die Zeit vor Corona und erinnert daran, dass sich viele Daten bis zu Beginn der Krise sehr positiv entwickelt hatten. So verzeichnete Deutschland bis zum Jahr 2019 immer neue Beschäftigungsrekorde bei der sozialversicherungspflichtigen Voll- und Teilzeitbeschäftigung. Die Reallöhne waren substanziell gestiegen, die Einkommens- und Vermögensverteilung seit mindestens einer Dekade stabil. Dies spiegelt sich auch in den subjektiven Einstellungen der Menschen wider: Im Jahr 2019 war die allgemeine Lebenszufriedenheit in Ost- und Westdeutschland so hoch wie nie seit der Wiedervereinigung. Auch die Zufriedenheit mit dem persönlichen Einkommen war seit der ersten Erhebung der Daten im Jahr 2004 nie höher. Gleichzeitig sorgten sich im Jahr 2019 so wenige Menschen wie nie zuvor um ihre wirtschaftliche Situation oder den Arbeitsplatz.“

Soweit die Fakten. Das Institut der deutschen Wirtschaft meint, es sei zwar richtig, „Problemlagen besonders zu adressieren“, doch durch die Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes bestehe „die Gefahr, dass ein verzerrtes Bild der Realität entsteht“. In der Pressemitteilung und vor allem in der Berichterstattung in den Medien wird der Eindruck erweckt, dass die sozial Schwachen besonders in der Krise gelitten hätten. In der Studie selbst steht genau das Gegenteil: Haushalte in den mittleren und oberen Einkommensgruppen mussten mit fast 40 Prozent sogar häufiger einen Rückgang ihres Einkommens verkraften, als dies am unteren Ende der Einkommensskala (28 Prozent) der Fall war. Eine der wenigen Zeitungen, die darauf hinwies war „Die Welt“ in einem Artikel von Dorotha Siems. 

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Das Institut der deutschen Wirtschaft weist auf eine eigene Studie hin, wonach die Markteinkommen 2020 gegenüber dem Jahr 2019 krisenbedingt zwar um rund sechs Prozent sanken, dass jedoch die verfügbaren Haushaltseinkommen nach Steuern und Transferzahlungen um weniger als ein Prozent (!) zurückgegangen sind. Und das Entscheidende: „Die relativen Veränderungen der verfügbaren Haushaltseinkommen sind dabei in den untersten Einkommensgruppen am geringsten“, so das Ergebnis der Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft.

Dies ist genau das Gegenteil dessen, was gestern in ARD, ZDF und den meisten Medien berichtet wurde. Das Statistische Bundesamt muss sich vorwerfen lassen, durch eine einseitige Darstellung der Ergebnisse der eigenen Studie in der Pressemitteilung die Vorlage nicht nur für ein Zerrbild der Wirklichkeit, sondern auch für ein Zerrbild der eigenen Studie geleistet zu haben. 

Wenn Sie schmunzeln wollen, hören Sie bitte dieses Interview, das der Deutschlandfunk Kultur gestern mit mir zu dem Thema führte.

  

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12 Kommentare

  1. „Wenn Sie schmunzeln wollen, hören Sie bitte dieses Interview, das der Deutschlandfunk Kultur gestern mit mir zu dem Thema führte.“

    Soll ich meine Meinungsstabilität zu Gunten von Deutschlandfunk aufgeben? Nein!

  2. Nach über 15 Jahren Merkelismus ist eine zunehmende Armutsgefährdung alles andere als verwunderlich.

  3. Die Frage ist doch cui bono (Wem nützt es?). Die Euro-Staaten benötigen dringend eine Lösung für ihr Überschuldungsproblem. Da Sparen im Staatshaushalt Wählerstimmen kostet, bleibt nur eine Entschuldung durch fortschreitende Inflation. Die will aber seit Jahren wg. einer stetigen Verschlechterung der Wirtschaftsverhältnisse in der EU einfach nicht eintreten bzw. sie findet im falschen Bereich statt (Immobilien, Aktien). Eine anhaltende breite Inflation ist erst zu erwarten, wenn mit der erratisch gestiegenen Geldmenge auch die Faktorkosten steigen, insb. Löhne, Gehälter und Renten. Dann stellt sich wie in der 70er, als Herr Kluncker von der ÖTV eine zweistellige Lohnsteigerung durchgesetzt hat, auch die Inflation ein und die Staaten können sich wunderbar durch kalte Enteignung der Bürger entschulden. Kurzum: Der überschuldete Staat „muss“ jetzt über exorbitante Einkommenssteigerungen für Geringverdiener die Inflation ins Laufen bringen. Dass die Geringerverdiener bei einer eskalierenden Lohn-/Preisspirale letztlich die Dummen sind, interessiert den Staat wenig, da seine Steuereinnahmen stets im Gleichlauf mit der Inflation ansteigen (insb. MwSt). Ausserdem kann man die Schuld für Preissteigerungen sehr schön den bösen Unternehmern in die Schuhe schieben. Am Ende ist der verschwenderische Staat erst mal wieder entschuldet, sein Steueraufkommen ist inflationsbereinigt auf gleichem Niveau geblieben, aber die kleinen Bürger haben durch jahrelange überproportionale Preissteigerungen die Zeche bezahlt und sind deutlich ärmer als zuvor. Das ist alles bekannt seit den 60er und 70er des letzten Jahrhunderts, aber leider in der Öffentlichkeit in Vergessenheit geraten. Also durchschaut kaum mehr jemand dieses perfide Spiel des politisch-medialen Komplexes.

  4. Ein Zerrbild …“ – Das ist doch die Hauptbeschäftigung des politisch-medialen Komplexes, der Bevölkerung eine Narrativ zu erzählen, ein ganz bestimmtes Weltbild zu vermitteln. Was dazu nicht passt, wird passend gemacht. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es viele Möglichkeiten. Gezieltes Weglassen bestimmter Meldungen, endloses Herumreiten auf passenden Meldungen, aus dem Zusammenhang gerissene Zitate, selektives Herauspicken einzelner Passagen aus Meldungen und Berichten. Notfalls werden die Tatsachen durch das Erzählen von Halb- und Unwahrheiten zurechtgebogen.
    Wie gut das klappt kann man am Beispiel Chemnitz sehen. Kaum noch jemand verbindet Chemnitz mit einem Mord an einem Einheimischen durch einen „Geflüchteten“. Aber viele Bürger verbinden Chemnitz mit Aufmärschen und Randale von Rechten, mit einer Attacke auf ein jüdisches Restaurant (Täter m. W. nicht ermittelt) und einer erfundenen Hetzjagd.
    Systematische Desinformation zur Formung der öffentlichen Meinung ist heute leider Alltag in Deutschland. Fast alle Medien machen mit, sehr viele Bürger glauben das, was sie täglich sehen und hören.

  5. Die richtige Auslegung von Daten wird immer dreister. Und das geht, weil jeder, der diese Auslegung hinterfragt, Nazi ist.

  6. Das der DLF dieses Interview gesendet hat ist schon fast eine Sensation. Der Redakteur dürfte wohl noch ein böses Erwachen erleben. Herrn Zitelmann mein großes Kompliment, wer traut sich noch im Rotfunk die Wahrheit zu sagen!

  7. Das DLF-Interview zeigt deutlich das ganze Elend des Journalismus. Realitäten werden nicht akzeptiert, wenn sie nicht zur eigenen Haltung passen. Der Frau wird mit wenigen Zahlen aus dem Report gezeigt, dass der Trend ein eigentlich anderer als berichtet, nämlich ein positiver, ist und sie versteht es nicht und bezeichnet das hartnäckig als Kleinreden.

    • Sie kann darauf auch nicht reagieren, weil ihr die geistige Beweglichkeit fehlt. Wer auf 9,50€ Niveau nur dazu ausgebildet ist, einer Linie zu folgen, der kann abseits vom Gleis nichts. Leider verdienen diese Typen wohl mehr als den Mindestlohn.

  8. Nach Hören des Interviews:
    Was fällt ihnen nur ein!!! NUR Widerwort! Da werden sie wohl vom Deutschlandfunk zukünftig wohl kaum noch eingeladen werden 😉 😉 😉

  9. Dem Statistischen Bundesamtes kann man genauso so wenig Glauben wie der gesamten Bundesregierung und den Kartellparteien.

  10. Also irgendwie verzetteln Sie sich da. Eher sind die Statistiken falsch als die Pressemeldung. Wenn die Insolvenzverschleppung nicht mehr aufrecht erhalten werden kann, sind die ökonomischen Aussichten nicht mehr so rosig.

  11. Als Oppositionspolitiker würde ich Aussagen wie „Armutsrisiken haben sich in Deutschland verfestigt“ aus einer Staatlichen Behörde direkt verknüpfen mit dem Satz „15 Jahre Merkel-Regierung“.
    Denn, wer hätte sonst die Verantwortung für politische Entwicklungen in diesem Zeitraum? In weiter Linie wäre die SPD zu nennen, die während der meisten Jahren mitregierten.
    Ohne hier auf Details einzugehen, würde ich die Pressemeldungen aus Oppositionssicht ausnutzen.

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