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Vox populi – Vox „Rindvieh“?

Über unsere Freiheit

28.06.2020

| Lesedauer: 10 Minuten
»Wenn alle Menschen außer einem derselben Meinung wären und nur dieser einzige eine entgegengesetzte hätte, dann wäre die ganze Menschheit nicht mehr berechtigt, diesen einen mundtot zu machen, als er, die Menschheit zum Schweigen zu bringen, wenn er die Macht hätte.« John Stuart Mill

»Unglücklich das Land, das Helden nötig hat.« So Bertolt Brecht in »Das Leben des Galilei«, verfasst 1939 im dänischen Exil. Weil unfrei, brauchte die DDR Freiheitshelden. Ironie der Geschichte: 1939 unwissend der DDR-Zukunft zugewandt, hatte Bert Brecht, späterer DDR-Nationalpreisträger, vorhergesehen, was die DDR wurde: ein unglückliches Land, sie hatte Helden nötig. Den meisten Menschen fehlt der Mut zur Freiheit.

»Lieber rot als tot«, hieß der selbsttröstende, selbstbetrügerische Alibireim in Ost und West. Davor war die Mehrheit, ohne Reim, lieber braun als tot, und das war keine deutsche Besonderheit, denn Franzosen fragten 1939: »Mourir pour Danzig? Für Danzig sterben?« Die Antwort war eindeutig: Nein. Einen »komischen Krieg« führte dann das »realistische« Frankreich gegen Deutschland seit September 1939. Am 10. Mai 1940 hörte der »Spaß« auf. »O hätten wir doch früher«, katzenjammerten die kuschenden Realisten und Pazifisten, die gemeint hatten, Freiheit gäbe es zum Nulltarif. Die Mehrheit, nicht nur im besetzten Frankreich, kuschte weiter und kollaborierte mit dem NS-Verbrechersystem der Unfreiheit. »Danach« stilisierte man sich zu einem Volk des »Widerstands«, der »Résistance«, »Resistenza« und so weiter und so weiter.

Die Häftlinge von Berlin-Hohenschönhausen in der DDR, Millionen Gulag-Gefangene und andere Freiheitshelden im kommunistischen Europa hatten wirklich aus der Geschichte der Unfreiheit gelernt. Sie zahlten einen hohen Preis: DDR, 17. Juni 1953; Polen und Ungarn 1956; Tschechoslowakei 1968. Der Westen weinte und nahm es trotzdem leicht.

UNBESTRAFTE VERBRECHEN
Der späte Triumph der Stasi
1968 im Vergleich: Im Osten, in der Tschechoslowakei, »Prager Frühling«, Widerstand und Freiheitskampf. Gulags, Hohenschönhausen, Stasi, Mauer, Stacheldraht, strikter Schießbefehl »auf Menschen und Hasen«. In der Volksrepublik China lässt Mao seit 1966 sein Volk millionenfach abschlachten. Rot und tot. Im Freien Westen: »Widerstand« de luxe. Freiheit und Wohlstand im Aufstand gegen sich selbst. Studentenrevolte gegen die demokratisch legitimierte und kontrollierte Staatsmacht. Die Kinder der städtisch-bürgerlichen Elite inszenieren sich selbst als »Proletariat« oder als Aufstand der verelendeten Drittwelt-Landmassen gegen »die Stadt« »der Reichen« – genau in diesen Städten der Reichen. Im freien, schwarz-rot-goldenen, Deutschland proben sie den risikofreien roten Widerstand, den ihre Eltern, des Risikos wegen, gegen die Braunen nicht gewagt hatten.

Wie ihre Eltern recken und strecken sie einen Arm aus und hoch. Jubelnd halten die Nachgeborenen dabei Mao-Bibeln in der Hand. Seine millionenfachen Morde nehmen sie so selten zur Kenntnis wie die Eltern, die nichts von NS-Massenmorden wissen wollten. Nach der Enttäuschung über den wilden Mao wurden sie behäbiger und entdeckten den vermeintlichen Charme des Recht-und-Ordnung-Kommunismus à la Sowjetunion und DDR. Trotzdem oder gerade deshalb: Staatsterror kann das Leben der Widerständigen vernichten, nicht ihren Geist, den Geist der Freiheit. 1980: Das Wunder von Polen. Solidarność. Schließlich 1989/90: Das Wunder der sanften DDR-deutschen und dann osteuropäischen Revolution.

Die osteuropäischen Freiheitskämpfer, sie gingen voran, die Massen folgten. Die Massen folgten aber erst, weil und nachdem sich Fundamentales verändert hatte: Gorbatschows Glasnost und Perestroika als Folge der kommunistischen Niederlage im Wettbewerb der Weltwirtschaft und diese als Ergebnis der NATO-Nachrüstung. Große Teile der Weltgemeinschaft liebten Deutschland damals so sehr, dass sie gern zwei davon behalten wollten. Die völlig unerwartete Staatskunst zweier Westpolitiker, Helmut Kohl und George W. Bush senior, haben 1989/90 das, ja, Wunder vollbracht, aus dieser Zweiheit die heutige Einheit in Freiheit zu gestalten.

Von Ausnahmen abgesehen triumphierte 1989/90 der Westen zwar als Wirtschaftssystem, nicht jedoch als Idee. Der »Körper« siegte, nicht der Geist, die Seele. Wie viele, in West und Ost, verwechselten die freie Welt mit Freizeitwelt und »Selbstverwirklichung« mit Selbstbestimmung? 1988 blickte der Westen in den Spiegel und gähnte sich selbst gelangweilt an. Dann 1989, der historische Urknall.

Im Rahmen der Unfreiheit ist Recht nicht Gerechtigkeit, weil ohne und gegen die Freiheit. So gesehen waren der rote und braune Staat deutscher Unfreiheit durchaus »Rechtsstaaten«, an »Recht und Gesetz gebunden«, an ihr Recht und ihre Gesetze, obgleich gleichzeitig die Menschen- und Bürgerrechte völkerrechtlich galten. Ihr Papier war geduldig.

FURCHTLOSER HISTORIKER UND GEGENWARTSDEUTER
Die dünne Goldschicht unserer Freiheit
Manche behaupten, die DDR und sogar das Dritte Reich wären keine »Unrechtsstaaten« gewesen. Sie übersehen: DDR und Drittes Reich waren »Rechtsstaaten« ohne Gerechtigkeit. Ohne Gerechtigkeit in den Fragen des menschlichen Wesens und Seins, wenngleich das tägliche Dasein durchaus rechtlich, ja sogar im Unwesentlichen gerecht regelnd: Ladendiebe und Verkehrssünder wurden »gerecht« bestraft. Rechtmäßig NS- oder DDR-Gesetze anwendend, aber fundamental ungerecht, weil gegen Leben und Freiheit des Menschen gerichtet, entschieden die Richter des »Volksgerichshofes« oder der DDR-Gerichte.

Ist die Goldschicht unserer Freiheit dünner, als uns scheint? Große, grundsätzliche Sorgen plagen mich. Sie sind einerseits hochaktuell, andererseits so alt wie die Geschichte der Freiheit.

Der befreienden ebenso wie der beklemmenden Wirkung der Freiheit begegnen wir schon im ersten Buch der Bibel, Genesis. Eva, mehr als Adam, befreit sich von der göttlichen Bevormundung beziehungsweise Unfreiheit. Die Kinder Israels »emanzipieren« sich von Moses (in seiner Abwesenheit) und tanzen ums Goldene Kalb. Die Folgen im natürlich fiktionalen Mythos sind bekannt.

Von der biblischen Fiktion zu den historischen Fakten: Das alte Athen in der kurzen Epoche der Demokratie: Die vollständige Freiheit des Volkes, die Volksherrschaft, die »Demokratie«, genossen nicht alle Einwohner, sondern nur Vollbürger (die keine »Genossen« waren, sondern »Bürger«). Untrennbar gehörten zur, wohlgemerkt, direkten, umfassenden und sozusagen permanenten Demokratie Athens Demagogie und Denunziation in einem in der Antike vorher und nachher nicht gekannten Ausmaß. In der Stunde totaler Freiheit schlug zugleich die Stunde der totalen Manipulation der Freien, die durch die Demagogie in der Demokratie freiwillig ihre Freiheit aufgaben – und sich weiter frei wähnten. Äußerlich blieben sie frei, innerlich hatten sie sich den Demagogen freiwillig versklavt.

Waren die Demagogen die öffentliche Meinung, die Meinung der meisten, der Mehrheit? Oder »machten«, prägten, manipulierten sie die öffentliche Meinung, indem sie vorgaben, den Willen der Allgemeinheit zu vertreten, was immer der »Wille der Allgemeinheit« gewesen sein könnte?

Begrifflich habe ich Jahrhunderte übersprungen. Vom »Willen der Allgemeinheit«, der »volontée générale«, und dem »Willen aller«, der »volontée de tous«, sprach erst Jean-Jacques Rousseau im 18. Jahrhundert, doch der Problemkern ist identisch. Er ist zeitlos und am Beispiel Athens besonders gut erkennbar.

Ich nehme den öffentlichen Diskurs in unserer deutschen Freiheit so wahr: Erst das Ereignis, die Aktion und gegebenenfalls Provokation der Person. Dann die medialen und politischen Reaktionen. Selten übermitteln die medialen Multiplikatoren Nachrichten pur. Meistens werden Nachricht und Meinung intensiv vermischt, sogar in vermeintlichen »Nachrichtensendungen«, was bei öffentlich-rechtlichen Anbietern noch unseriöser als sonst ist. Die Meinung der Multiplikatoren mehr illustrierend als illuminierend, also erhellend, werden »der einfache Mann oder die einfache Frau auf der Straße« befragt. Zitiert werden dabei meistens die genehmen Antworten und die nicht genehmen von selten wirklich besser wissenden Besserwissern kommentiert. Multiplizierend kommen gleichzeitig und zusätzlich die jeweils zuständigen Verbände und Experten zu Wort. Für Autos ist der ADAC zuständig, für Arbeitnehmer die Gewerkschaften, für Arbeitgeber deren Dachorganisation, für die Moral (Schein oder Sein?) die Kirchen. Moral-Joker ist der Lautsprecher im Zentralrat der Juden in Deutschland.

Als Experte gilt meistens, wer die Grundeinstellung der Multiplikatoren teilt. Eine Variante sind Gesprächsrunden, »Talk Shows«, in denen meistens ein Ketzer oder Bösewicht einer Mehrzahl von »Anständigen« gegenübergestellt wird. Keiner ist unmittelbar physisch gefährdet, jeder frei. Im Vergleich zu den tödlichen Gladiatorenkämpfen im Alten Rom ist das sehr human.

Die Positionen der Provokateure oder Politiker, Publizisten, Jedermänner, Experten und Gladiatoren werden von den jeweiligen Anhängern nachredend und nachlaufend, weniger nachdenkend oft wörtlich übernommen. Die Sympathien wechseln häufig und schnell. All das geschieht unter den äußeren Rahmenbedingungen unserer vollständigen Freiheit.

ERST GLEICHHEIT, DANN FREIHEIT?
Das Schwindelgefühl der Freiheit
Die »Schweigespirale« erklärt den massenpsychologischen Mechanismus. »Schweigespirale«, das ist der geniale Begriff, den Elisabeth Noelle-Neumann prägte. »Schweigespirale«, das ist die moderne Variante des Mitläufertums in Freiheit. Unfreiheit kann Mitlaufen und Mitmachen mit staatlichen Machtmitteln erzwingen. In der Freiheit folgt das Mitlaufen und Mitmachen den Mechanismen der Schweigespirale. Man kann sie wie folgt umschreiben: »Ich denke, was ich denke, das die meisten denken, weil ich dann so nicht isoliert bin.«

In seiner nur scheinbar absurden und deshalb so wahrhaftigen Erzählung sowie dem gleichnamigen Theaterstück »Die Nashörner« hat der rumänisch-französische Schriftsteller Eugène Ionesco 1957 die Mechanismen der Schweigespirale dargestellt. Zuerst wurde nur ein Mensch freiwillig Nashorn, dann immer mehr, dann war »man« Nashorn. Nur ein Einziger passte sich nicht an. »Ich kapituliere nicht!«, ruft er am Ende. Alle anderen konnten sich dem Isolationsdruck nicht entziehen. Isolationsfurcht und die Angst vor dem Pranger sind die Triebkraft der Nashorn-Verwandlung, des Mitläufertums in der Freiheit, ganz ohne staatliche Unfreiheit. Ein Mitläufertum aus Isolationsangst und der alten, schon vom großen Königsberger Kant benannten Angst, selbständig, frei zu denken, sich »seines eigenen Verstandes zu bedienen«, sich aus der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« zu befreien. Nicht unser Staat, nicht nur unsere Politiker oder Medien, wir alle, haben nicht diesen Mut. Hoch leben die Ausnahmen. Es gibt sie.

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21 Kommentare

  1. Wann wählen Menschen die „etablierte Staatsmacht“ ab?
    (wie es dann so plakativ heißt, der Verlust der Volksparteien)

    Wenn eine gewisse Gruppe einer Gesellschaft sich von der Mitwirkung am gesellschaftlichen Zeitgeschehen durch die „etablierte Staatsmacht“ ausgeschlossen fühlt. Sie fühlen sich so ihrer Identität der gesellschaftlichen Zugehörigkeit beraubt und suchen sich eine neue Identität als „Außenseiter“.
    Es braucht dann nur noch einen geschickten Demagogen, um die „Ausgestoßenen“ in einer „neuen Identität“ aufzufangen, indem er ihnen eine „neue Identität“ anbietet, welche dann auch mit Dankbarkeit angenommen wird um das Stigma des „Ausgestoßenen“ los zu werden. Diese „neue Identität“ muss schlicht und einfach sein, damit sie dem denkunwilligen Volk keine Mühe bereitet.

    Jede Staatsmacht die sich diese Gruppe selber erschafft, indem sie eine Gruppe
    als „Ausgeschlossene“ stigmatisiert, schafft sich so selber den Näherboden gesellschaftlicher Revolte.

  2. „Den meisten Menschen fehlt der Mut zur Freiheit.“
    Das ist Pflicht der schulischen und dann der elterlichen Erziehung.
    Den letzten Satz meines Professors für Sozialkunde werde ich mein Leben lang nicht vergessen.
    „Zum Abschied möchte ich ihnen noch eines auf den Lebensweg mitgeben,
    Rechte bekommt man nicht geschenkt, seine Rechte muss man immer erkämpfen.“
    (auch dann wenn sie in Gesetzen festgeschrieben sind)

    »Rechtsstaaten« ohne Gerechtigkeit.“
    Genau das ist der Trick der Undemokratie, „repräsentative Demokratie“,
    denn genau der undemokratisch mit selektiven Interessen konstruierte „Rechtstaat“, ist schon die in Gesetzen gemeißelte Ungerechtigkeit.

    Dazu gehört dann noch die selbstgewählte Unfreiheit aus Bequemlichkeit und Feigheit.

    Man kann Menschen nicht befreien,
    aus einem Gefängnis in welches sie sich selber geflüchtet haben.

    Man Menschen nicht die Ketten der (geistigen und körperlichen) Unfreiheit abnehmen,
    welche sie sich selber angelegt haben.

    Die »Schweigespirale« hat einen italienischen Namen „Omerta“.

    F.J Strauß sagte mal:
    „Everybody’s Liebling ist irgendwann everybody’s „Rindvieh“.

    • Plakative Sprüche, der primitiven politischen Auseinandersetzung,
      „mundgerecht“ zubereitet für das denkunwillige Volk, „panem et circenssis“.

  3. Vermutlich war Deutschland vor 1914 das letzte Mal so etwas wie souverän. In Deutschland glaubt man noch dem gesprochenen Wort. Getreu dem Motto: „Ein Mann, ein Wort“. Viele Deutsche glauben nach wie vor den Worten der selbsternannten „Gutmenschen“ und wollen nicht sehen, dass diese „Gutmenschen“ alles Gute in diesem Land gerade voll Freude in die Tonne kloppen. Dazu gehören nicht nur die soziale Marktwirtschaft, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht aller Völker und der demokratische Staat mit seinen Rechten und Pflichten, seiner freien unabhängigen Presse, usw. . Alles heute nichts mehr wert, kann alles weg? – Es grummelt in der Bevölkerung, viele Menschen spüren eine Gefahr, aber noch viel zu wenige melden sich zu Wort!

    • Aber ihre Geschwister und deren Kinder überleben, weil die Helden für sie kämpfen.

      • Richtig!
        Wären alle, wie heute üblich, immer nur weggelaufen, dann hätte es keinen amerikanischen Freiheitskrieg. keine französische Revolution und damit bis heute auch keine Menschenrechte gegeben.

  4. Zitat: „Welcher Schüler löst die Daueraufgabe unserer bundesdeutschen Freiheit?“

    Mein Beitrag, nicht als Schüler, sondern zur Völkerverständigung.

    Herr Wolffsohn, verweisen Sie in Ihren Texten nicht auf angebliche Grössen, denn die können in der Gegenwart keine Probleme lösen – die Meisten sind schon lange tot. Zudem sind es bloss Autoritätsargumente, die aus Sicht der Logik keine sind. In der Schweiz ist ein Autoritätsargument ein Ausdruck der eigenen Argumentationsschwäche – man ist ja nicht selbst darauf gekommen, sondern verweist auf Dritte. Das ist zwar in Akademikerkreisen ein ungeschriebenes Gesetz, um sich gegenseitig bekannt zu halten. Bekanntheit alleine hat aber mit Qualität nichts zu tun.

    Würden Sie nicht verweisen, sondern würden auf leerem Feld beginnen, könnten Sie freier denken.
    Was wäre der Inhalt Ihres Beitrages ohne diese Autoritätsargumente geblieben?

    Doch, alle Formen von Demokratie sind korrekt beschrieben worden. Dummerweise gibt es aber für „Demokratie“ weltweit keine juristische Definition dazu. Darum nicht, weil jede Nation selbst definiert was eine Demokratie sein soll – auch die DDR trug und heute Nordkorea tragen „Demokratie“ im offiziellen Namen. Demokratie ist nur ein Wort und kein Begriff, weil es nicht definiert ist. Definiert ist z.B. „Deutsche Demokratie“.

    Sie haben oft Demokratie geschrieben, aber immer nur Politik gemeint. Das gesamte Justizwesen haben sie weggelassen. Also aus Sicht eines niedergeschriebenen Gesetzes und eines Bürgers der sein Recht einziehen will, die gesamte andere Hälfte einer Demokratie.

    Was Unterscheidet denn die Schweiz oder auch Grossbritannien dermassen von Deutschland und allen anderen Ländern der EU?

    Es ist die Verfassungsgerichtsbarkeit, die es in beiden Ländern nicht gibt. Nicht Recht, ein Gericht oder die Verfassung ist der Souverän, sondern das Volk ist es. In den Ländern der EU, der EU selbst, aber auch den USA – dem Mutterland der Verfassungsgerichtsbarkeit – ist der Souverän ein Gericht mit der Verfassung dahinter. Es hat das letzte Wort.
    Die Schweiz ist als Demokratie nicht ein Rechtsstaat, sondern sie handelt nach Recht.

    Das BVerfG ist aber nicht etwa ein Gericht, auch wenn die Menschen in roten Roben angezogen sind. Es ist eine politisch höchste Kammer. Es kommen ja nicht juristische Fragen vor diese Instanz, sondern ausschliesslich politische. Das BVerfG wird als überparteiliches Korrektiv missbraucht.
    Es ist die Rechtswissenschaft die immer und immer wieder betont, dass der Einzelfall wichtig sei. Das BVerfG macht aber genau das Gegenteil. Sein Urteil ist immer für alle gültig. Es ist also kein Gericht nach der Lehre der Rechtswissenschaft.

    In der Schweiz übt der gewählte Gesetzgeber die Oberaufsicht über die höchste Justiz aus und nicht umgekehrt. Zudem stehen die Rechte des Volkes noch über dem Gesetzgeber. Nur damit ist eine Gewaltenteilung möglich und die absolute Kontrolle ist dem Volk übertragen. Dazu war nötig für die Justiz als höchste Rechtsquelle nicht die Verfassung, sondern die viel genaueren Bundesgesetze zu definieren. Die Verfassung gehört dem Volk und geht die Rechtswissenschaft nichts an.

    Wer Gewaltenteilung im Sinne einer „unabhängigen Justiz“ gut findet, muss den anderen Gewalten, also der Exekutive und der Legislative, auch ihre Unabhängigkeit gewähren – oder er steht nicht dazu. Das bedeutet aber auch, dass man das BVerfG abschaffen müsste und weitgehende Rechte an die Opposition übergeben müsste. In der Schweiz ist das Volk die Opposition. Jedes Gesetz steht unter dem Veto-Recht des Volkes.

    Wer das letzte Wort hat ist die Definition von Freiheit.

    Direkte Demokratie hat aber mit Volksabstimmungen nur in zweiter Linie etwas zu tun. In erster Linie ist es, die höchste institutionelle Gewalt des Staates direkt wählen oder abwählen zu können. Das geht bei Richtern nicht.

    Schweizerische Bundesverfassung Art. 5, 148, 169, 190 BV

  5. Werter Herr Wolffsohn, leider deckt sich meine Beobachtung genau mit Ihrer Einschätzung: „Ich nehme den öffentlichen Diskurs in unserer deutschen Freiheit so wahr: Erst das Ereignis, die Aktion und gegebenenfalls Provokation der Person. Dann die medialen und politischen Reaktionen. Selten übermitteln die medialen Multiplikatoren Nachrichten pur. Meistens werden Nachricht und Meinung intensiv vermischt, sogar in vermeintlichen »Nachrichtensendungen«, was bei öffentlich-rechtlichen Anbietern noch unseriöser als sonst ist.“
    Ich persönlich mag aber Nachrichten pur ( auch wenn mir absolut bewusst ist, dass es eine rein objektive Nachrichtenübermittlung nicht gibt), ohne öffentlich rechtlich vorgekaute Einordnung derselben. Wie und wo ich welche Nachrichten in meinem persönlichen moralischen Koordinatensystem einordne, möchte ich jedem Bürger und mir selbst überlassen. Ich reagiere seit relativ kurzer Zeit sehr allergisch gegen diese Art des betreuten Denkens, ich schalte eine „Nachrichtensendung“ einfach ab, zugegebenermaßen des öfteren wutentbrannt. Früher war dies für mich absolut undenkbar, ich war immer schon „süchtig“ nach Nachrichten und Informationssendungen zu (geschichtlichen) Hintergründen der aktuellen Vorgänge.

  6. Líeber Herr Prof. Dr. Wolffsohn, erst einmal danke dafür, dass Sie sich zum Thema Freiheit äußern. Wenn Politiker verkünden, das Volk dürfe man nicht befragen, es sei zu dumm, zu unqualifiziert, würde falsch entscheiden, dann frage ich, wer sind diese Politiker? Außerirdische? Dass eine Mehrheit die Nazidiktatur erst ermöglichte, hatte verschiedene Gründe. Politische Manipulationen gehörte auch dazu. Früher Propaganda, heute Nudging genannt, waren schon immer effektiv genutzte Mittel. Ebenso wie „Brot und Spiele“. Aber ich vertraue dem Willen der Menschen nach Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit, allen Manipulationen zum Trotz. Wenn die Gefahr der Unfreiheit wächst, wächst auch das Bewußtsein für den Wert der Freiheit.

  7. „Ein ehemaliger SPD-Bundesminister belehrte mich: »Na wissen Sie, wenn Sie das Volk dazu fragen, dann …« Dann, meinte er, geschähe der größte Unsinn. In dieser brutalen, volksverachtenden Offenheit habe ich das weder vorher noch nachher gehört.“

    Irgendwas müssen die Schweizer verkehrt machen, weil Sie den größten Unsinn einfach nicht verwirklichen wollen!

    Woran liegt das, liebe Schweizer?

  8. Geht morgen in den nächstbesten Supermarkt und schaut euch um. Die Freiheitsliebenden könnt ihr lange suchen. Es gibt sie nicht. Alle samt mit Feder im A…. äh Maske im Gesicht.

  9. Zitat:
    „Meistens werden Nachricht und Meinung intensiv vermischt, sogar in vermeintlichen »Nachrichtensendungen«, was bei öffentlich-rechtlichen Anbietern noch unseriöser als sonst ist.“

    Erschreckend ist für mich, dass die Konformität der als selbstverständlich und alternativlos präsentierten Meinungen nicht von einem diktatorischen Regime erzwungen wurde, sondern dass es ein freiwilliger Gleichschritt ist. Oder irre ich mich?

    Es gab in den letzten Jahren in ARDZDF nur zwei oder drei kritische Kommentare gegen Merkel, jedoch nicht in zentralen Punkten. Kein Kommentator und kein Magazin rührte an die Mär von den „Flüchtlingen“, keine Widerrede gab es zu der Chemnitz-Manipulation, keine Widerrede zu der Einmischung der Kanzlerin in den Thüringer Landtag.

    Beschämend – so einen Gleichschritt gab es im Öff. Rundfunk der Bundesrepublik Deutschland vorher nie, das gab´s in der DDR. Und nie vorher gab es solche Verachtung des Staatsfunks gegenüber der Oppositionspartei, solche Abwürdigung des politischen Gegners haben früher Politiker untereinander betrieben, aber das war nicht das Geschäft von ÖRR-Journalisten.

    Nun wird Neutralität und Sachorientierung für überholt erklärt, die „Haltung“ sei wichtiger. „Haltung“ bedeutet dann der Einklang mit politischen Vorstellungen, die bis vor ca. 5 Jahren noch undenkbar waren: Hass gegen das eigene Land, Abwertung der eigenen Kultur und der bisher geltenden westlichen Wertekanon. Es wird eine unkritische Xenophilie gepredigt, alle Vorbehalte gegen das Fremde (- zB den Islam) gelten als rassistisch, faschistisch, nazistisch (- der linksradikale Mob kennt auch hier keine Unterschiede mehr).

    Deutschland ist ein merkwürdiges Land geworden. Ich hoffe, dass das Meinungspendel wieder zur Mitte zurückschwingt. Erfahrungsgemäss schlagen Pendel jedoch erst einmal bis zum anderen Extrem.

    • „Erfahrungsgemäss schlagen Pendel jedoch erst einmal bis zum anderen Extrem.“
      Genau, geht nur so. Ist die träge Masse erst einmal in Bewegung…

  10. Deutscher Rechtsstaat? Wo denn? Wir werden von Despoten schon seit Ende des zweiten Weltkriegs gegängelt, davor war es auch nicht besser, aber da hat man den Leuten wenigstens noch klar gemacht, wer Koch und Kellner ist und mit der Einführung der sogenannten Demokratie begann das ganze Übel, wenn auch anders, aber ebenso unfrei, weil man Freiheit sagt, aber diese nicht meint und das ist das verlogenene an den letzten 70 Jahren.

    Wir haben zwar eine Regierung, die aber nicht vom Volk gewählt wird, sondern von den Repräsentanten der Parteien und da diese seit Jahrzehnten schon der Fraktionsdisziplin, vornehm ausgedrückt, unterliegen, sind es Abhängige und anstatt ihre Brüder und Schwestern im Kabinett zu kontrollieren, paktieren sie mit ihnen und machen damit den Bundestag zur Wettbude für den Wähler, der darauf bei der Wahl setzen kann, ob seine Vorstellung erfüllt wird oder ob er das Gegenteilige erhält, was er sich gewünscht hat.

    Diese Verzahnung zwischen Parteien, Regierung und Parlament macht Volkes Willen nahezu unmöglich und die haben niemals daran gedacht, den Bürger bestimmen zu lassen, das war nur vorgetäuscht und aufgrund ihrer Mehrheitsbildung, auch über Teils unmögliche Koalitionen sind sie nahezu unangreifbar und das kommt einer Parteiendiktatur gleich, weil es keine maßgebliche Oppositionsbildung zur Ablösung mehr geben kann und das hat Jaspers schon Mitte der sechziger Jahre reklamiert und wie recht er doch hatte und seine Vorhersage hat sich in schlimmster Weise bestätigt, denn wir können morgen wählen wen wir wollen, die bleiben trotzdem im Amt und wie wir da wieder rauskommen ist mehr als fraglich, wenn man einen Aufstand ausschließt, der ja dann die gleichen totalitären Züge in sich tragen würde wie bei dieser Bagage, die freundlich lächelnd von demokratischen Entscheidungen faseln und genau wissen, daß ihr Treiben damit nicht mehr das geringste zu tun hat.

  11. “… Angst, selbständig, frei zu denken, sich »seines eigenen Verstandes zu bedienen«, sich aus der »selbstverschuldeten Unmündigkeit« zu befreien. Nicht unser Staat, nicht nur unsere Politiker oder Medien, wir alle, haben nicht diesen Mut…”
    Das sollten sich diejenigen, die hier immer so gerne alle Schuld “bei ihr” abladen ins Stammbuch schreiben. Wer selber zu feige ist auch nur den kleinsten und noch dazu gänzlich ungefährlichen Akt des Widerstandes zu vollziehen (nicht Block wählen), hat jegliches Recht zur Kritik an den herrschenden Zuständen verwirkt.

    • „Wer selber zu feige ist auch nur den kleinsten und noch dazu gänzlich ungefährlichen Akt des Widerstandes zu vollziehen (nicht Block wählen), hat jegliches Recht zur Kritik an den herrschenden Zuständen verwirkt.“

      Wenn ich von mir ausgehe, hat das wenig bis gar nichts mit Feigheit zu tun, zumal Wahlen ja nicht ohne Grund geheim sind.
      Es ist so, dass bei mir bis vor ca. 10 Jahren die absolute Überzeugung vorhanden war, dass die großen Volksparteien im Interesse des deutschen Volkes handeln.

      Seit etwa 10 Jahren herrschte anfangs noch der Eindruck vor, dass dies im Zweifel immer noch so ist.
      Dass in der Politik etwas megafalsch läuft und sich das nicht mehr ohne weiteres wieder einrenkt, erkenne ich erst seit 3 Jahren ohne jeden Zweifel.

      Ich sehe übrigens auch nicht alle Schuld bei „ihr“.
      „Sie“ ist nur die ideale Besetzung für diejenigen aus Ost und (!) West, die schon lange darauf hinarbeiten, dass unser Deutschland nichts mehr mit dem Deutschland zu tun hat, in dem ich aufwuchs und junge Erwachsene war.

      Ich sagte kürzlich zu einem meiner Kinder: „Wenn du glaubst, dass wir finanziell ähnlich gut aufgestellt waren wie ihr jetzt, dann irrst du dich gewaltig. Das Finanzielle war nicht das so Tolle in meiner Jugend, das Wundervolle war die Freiheit, die wir hatten.“

  12. Auch wenn es nur bedingt hierher passt, aber es ist einfach zu gut:

    Nach Drohungen sucht Hengameh Yaghoobifarah Hilfe bei der Polizei.

  13. Ein schöner Beitrag.

    Ich finde es immer wieder beeindruckend, was Mill und Voltaire in damaligen „vordemokratischen“ Zeiten dachten und welches Bewusstsein sie für „Minderheiten“ hatten.

    Wenn ich an die Ausgrenzung, Diffamierung, Angriffe, demokratie- und diskursfeindliches Verhalten gegenüber politischen (auch parlamentarischen) Minderheiten in Deutschland denke, kann ich nicht an einen immer weiter entwickelten „Fortschritt“ für bürgerliche Freiheit im Zeitablauf, für eine positive gesellschaftliche Entwicklung, glauben.

    • Es gibt leider immer Rückschläge. Wie heftig der aktuelle Rückschlag aussehen wird, das wird wohl entscheidenden Einfluss auf das Leben der meisten jetzt Lebenden haben.

  14. UNANGENEHME SITUATION

    Was mir zum Thema einfällt: als ich selbst Schüler war (1970-er und 80-er Jahre), da gab es in Lehrerkollegien Ausgewogenheit. Die einzelnen Meinungsanteile entsprachen in etwa dem auch in der restlichen Bevölkerung zu beobachtenden Proporz: sagen wir ca. 55% CDU (und das war damals noch keine linksradikale, sondern eine stramm rechtskonservative Partei, mit Leuten wie Dregger, Wörner, Strauß), ca. 40 % Sozen und der Rest Liberallala-Trallala. Die ersten Kommunisten in Form der Alt 68-er drängten damals rein, wurden aber zunächst, u.a. auch durch den Radikalenerlass, sehr effektiv bekämpft. Links war, anders als heute, noch nicht Mainstream und man musste sich keine Sorgen machen.

    Wenn Du heute Lehrer bist sieht es so aus: entweder Du gehörst zum linksgrünen Mainstream (ca. 99,5% der Lehrerschaft, im Westen wählen sie grün im Osten die „Linke“), dann bist Du zwar angepasst und stößt auf keine Widerstände, aber Du kannst Dich nicht selbst im Spiegel sehen. Wer wird nicht geschockt sein, wenn er beim Blick in denselben ein Charakterschwein sieht?

    Wenn Dir allerdings Persönlichkeit und Charakter wichtig sind, und Du z.B. AfD-Lehrer bist, dann hast Du die Hölle auf Erden. Damals (siehe oben) konnte man sich noch eine Seite aussuchen, dann hatte man eine politische Heimat. Im Lehrerzimmer hat man dann z.B. aus seiner konservativen Ecke heraus die Sozen beäugt, ihnen freundlich guten Tag gesagt, aber sonst… naja, sein Ding gemacht.

    Heute hast Du da nur zwei unangenehme, sehr stressige Möglichkeiten: Du ordnest Dich dem doofen Mainstream unter und fühlst Dich wie der letzte Pantoffelheld und der verschnarchteste couch potato. Oder Du stehst mutig zu Deiner AfD-Sache (das darfst Du zwar nicht offen sagen, aber die merken doch, wo Du stehst), fühlst Dich integer, wirst aber ausgegrenzt, gemobbt, etc.

    So weit ist es in unserem einst schönen Land gekommen. Und an allem ist nur der Linksrutsch der CDU schuld.

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