Eine Momentaufnahme: ZDF, heute journal, 1. Juli 2018. Ein Bericht über den Koalitionsstreit zwischen CDU und CSU zur Asylpolitik. Darin wird auf Kritik vonseiten »der Bundestagsopposition« eingegangen. Gesendet werden zwei Stellungnahmen: von Politikern der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen. Auf Stimmen der anderen Oppositionsparteien wartet der Fernsehzuschauer vergeblich, obwohl Die Linke über mehr Abgeordnete verfügt als die Grünen und die AfD über mehr als die FDP. »Lügenpresse« oder »Fake News«, um zwei Schlagworte zu nennen, kommen Bürgern über die Lippen, die mit der Vorenthaltung von Information nicht zufrieden sind. Doch die Medien kommen häufig ohne direkte Lügen aus, deshalb trifft der ebenfalls in der politischen Kontroverse genutzte Begriff »Lückenpresse« das Phänomen weit besser.
Wahrheit besteht aus der Summe zahlreicher unterschiedlicher Facetten von Wirklichkeitswahrnehmung. Kein Mensch kann alle Informationen aufnehmen, die täglich auf ihn einprasseln. Mechanismen der Wahrnehmungsfilterung sorgen dafür, dass wir nur jene registrieren und verarbeiten, die wir für essenziell erachten. Ähnlich agieren Medien: Sie treffen aus der Fülle an existierenden Informationen eine Auswahl, da es gar nicht möglich ist, sämtliche Facetten eines Sachverhalts oder eines Streitfalls aufzubereiten. Stattdessen werden die Daten auf eine möglichst schnell konsumierbare Größe, eine »Story«, zusammengeschnitten. Im extremen Fall bleibt eine schwarz-weiß gestrickte »Gut-gegen-Böse«-Geschichte übrig. Medienmitarbeiter entscheiden also darüber, welche Information gesendet wird und welche nicht. Und mit welchen Worten die Information vermittelt wird. »Die Wahrheit« erreicht den Leser oder Zuschauer also nur in einer gefilterten Form, nur noch indirekt.
[inner_post 1] Nun könnte man dies als strukturelle Notwendigkeit betrachten oder auch als ein Serviceangebot der Medien für die Adressaten. Doch stellt sich bei der Informationsfilterung die Frage, nach welchen Kriterien dies geschieht. Welcher Meldung wird eine besondere Bedeutung zugebilligt, welcher Hinweis als minder oder unwichtig erachtet? Letztlich also: Was wird mitgeteilt, und was fällt unter den Tisch? Und ist es eher Zufall oder pure Willkür, wenn bestimmte Informationen verschwiegen, andere hingegen aufbereitet und dramatisiert werden? Im Regelfall ist es doch sehr wahrscheinlich, dass ein Medienvertreter sich bei der Auswahl etwas denkt, vor allem wenn es sich nicht um reinen Broterwerb, sondern um eine faktisch ehrenamtliche Tätigkeit handelt wie bei Wikipedia. Vermutlich wird bei Letzterer eine höhere oder eine persönliche Absicht verfolgt – entweder aktiv, indem versucht wird, den Leser in dessen (politischer) Haltung zu beeinflussen, oder passiv: Der Medienmitarbeiter ordnet sich, zum Beispiel aus Karrieregründen, einer Mehrheitsansicht unter, spielt also ein gelerntes Spiel aus opportunistischen Gründen mit.
Bei Journalisten klassischer Medien im deutschsprachigen Raum ist nun eine starke Sympathie für politisch linke Positionen nachgewiesen, so auch in der Bundesrepublik. Laut einer 2013 veröffentlichten Umfrage gaben Politikjournalisten folgende Parteipräferenzen an: keine Partei 36,1 Prozent, Grüne 26,9 Prozent, SPD 15,5 Prozent, CDU/CSU 9 Prozent, FDP 7,4 Prozent, Die Linke 4,2 Prozent, Sonstige 0,9 Prozent. Focus schrieb dazu:
»Bei einer Wahl, bei der die Unparteiischen als Nichtwähler zu Hause blieben, ergäbe sich somit folgende Stimmverteilung: Grüne 42 Prozent, SPD 24 Prozent, CDU/CSU 14 Prozent, FDP zwölf Prozent, Linke sieben Prozent. Die Kollegen votieren also mit einer satten Zweidrittelmehrheit für die neue Bundeskanzlerin Claudia Roth und wählen die SPD als Juniorpartner in einer grün-roten Koalition.«
Dies unterscheidet sich eklatant von den Ergebnissen der letzten Bundestagswahlen, d. h., es existieren bezüglich der politischen Auffassungen deutliche Differenzen zwischen der Berufsgruppe der Journalisten und der Gesamtbevölkerung. Auch daraus erklären sich Filterungen wie die anfangs erwähnte im heute journal. Vor allem erklären sich Unterschiede und Entfremdungen hinsichtlich der Wirklichkeitswahrnehmung vieler Bürger und der Wirklichkeitsdarstellung vieler Medienvertreter.
Nun gibt es keine Umfragen zur politischen Präferenz bei Wikipedia-Autoren. Zu vermuten ist aber, dass hier eine ähnliche Schlagseite nach links vorliegt. So zumindest lautete das Resultat einer Erhebung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Dort wertete man 2010 eine Umfrage unter deutschen Wikipedia-Administratoren aus. Von 281 Anfragen kamen 56 Rückantworten. »Der typische Administrator in der Online-Enzyklopädie Wikipedia ist täglich 140 Minuten auf der Plattform aktiv, männlich, 40 Jahre alt und linksliberal«, schrieb Torsten Kleinz auf heise online.
Von 28 kategorisierten Angaben stuften sich fünf Administratoren als »links« ein, zwei als »eher links«, vier als »Mitte-links«, fünf als »linksliberal«, zwei als »grün«, einer als »links-grün«. Hinzu kamen einer, der sich als »pragmatisch-grün« bezeichnete, zwei »Liberal-Grüne«, fünf »Liberale«, ein »Libertärer« und einer, der sich der »Mitte« zugehörig fühlte. Selbsteinstufungen als »rechts« oder »konservativ« gab es nicht eine einzige. Einige Administratoren machten ausformuliertere Angaben, ein einziger nannte sich »konservativ, sozial, heimatverbunden, umweltorientiert, Wirtschaftsfreund, Globalisierungskritiker, am Christentum zweifelnd, islamkritisch, kapitalismusskeptisch«. Andere verorteten sich als »tendenziell eher links«, als »links der Mitte in variierender Ausprägung«, als »am ehesten wohl linksliberal« und einer als »wertkonservativer linksliberaler grüner Sozialist«.
Die Selbsteinschätzungen der Administratoren liefern Hinweise auf die politischen Neigungen der Autorenschaft, die ja aus dem Administratorenstamm erwachsen ist. Und aus der somit postulierten Linkslastigkeit erklärt sich, dass konservative oder rechtsgerichtete Verlage, Publikationen oder Autoren in Wikipedia-Artikeln tendenziell negativer dargestellt werden als linksgerichtete. Dies trifft zudem auch auf Personen zu, die sich selbst womöglich gar nicht als rechtsgerichtet verstehen, aber einer linken Agenda aus anderen ideologischen Gründen im Wege stehen, etwa weil sie Einwanderung kritisieren oder Rollenbilder des Feminismus respektive der »Gender-Theorie« nicht übernehmen, alternative Auffassungen zu historischen Ereignissen vertreten oder bestimmte umweltpolitische Dogmen nicht akzeptieren.
Zugleich ist die Befürchtung einer Veränderung des Stimmungsklimas oder gar einer »Unterwanderung« durch rechtsgerichtete Autoren vor allem eine Sorge derjenigen, die sich der Linkslastigkeit in der Administratorenschaft – und sehr wahrscheinlich auch in der Autorenschaft – bewusst sind, diese Dominanz begrüßen und durch Appelle an die Wachsamkeit abzusichern suchen. Infolge der solcherart ausgeübten Macht über die Darstellung auf Wikipedia-Seiten werden zum einen die Leser in ihrer Haltung zu bestimmten Positionen, Personen und Institutionen beeinflusst, und zwar umso mehr, je unkritischer sie gegenüber Medien sind, zum anderen kann Personen, von denen Einträge handeln, direkt geschadet werden: beruflich, wirtschaftlich und persönlich.
Methoden der unterschiedlichen Darstellung in Wikipedia-Beiträgen
Wie werden Auswahl, Gewichtung und Wertung von Wirklichkeit nun aber bei Wikipedia umgesetzt? Nachfolgend werden drei Taktiken vorgestellt, die allesamt den gezielten Einsatz bzw. das Weglassen von Informationen nutzen. Medienwissenschaftler sprechen von »Framing«: Bestimmte Worte wecken bestimmte Assoziationen und Einstellungen. Die nachfolgend stichprobenartig herausgesuchten Beispiele sollen dazu dienen, für das Problem zu sensibilisieren.
[inner_post 2] Natürlich handelt es sich bei diesem Aufsatz um eine exemplarische Darlegung. Die Aufgabe einer systematischen Untersuchung müsste eine weit umfangreichere wissenschaftliche Arbeit leisten. Auch kann hier nicht tiefergehend auf den ideologischen Konflikt eingegangen werden, der sich hinter den »Edit-Wars« von »links« gegen »rechts« verbirgt. Zugrunde liegt, so viel sei in aller Kürze gesagt, die epochale Auseinandersetzung zwischen den Kräften, denen es um die Erhaltung von Kulturbeständen und tradierten Lebensweisen geht, und jenen, die sich von der Zerstörung traditioneller Fesseln den Sprung in eine »emanzipierte« oder egalitäre moderne globale Gesellschaft erhoffen. Da dies alles hier nicht expliziert werden kann, beschränkt sich der Fokus auf die Resultate bei Wikipedia.
a) Kategorisierung vs. Unterlassen von Kategorisierung
Menschen neigen bei der Verarbeitung von Eindrücken zur Einordnung, zum »Schubladendenken«. Problematisch werden von außen gesetzte Kategorisierungen, wenn damit politische Affekte generiert bzw. Vorurteile geschürt werden. Eine solche Absicht kann hinter einigen Wikipedia-Artikeln zumindest vermutet werden. Die These lautet: Besteht Interesse, eine Person oder eine Institution für einen Teil der Leser als von einseitigen politischen Interessen geleitet zu »brandmarken«, dann setzt man dort ein »Brandzeichen«: Sie werden politisch festgelegt, einer Partei zugeschrieben, oder es wird zumindest ein Feld umgrenzt, in dem sie sich bewegen. Möchte man eine Person oder Institution hingegen als möglichst seriös, aufgeklärt, rational, der Wissenschaft verpflichtet darstellen, so wird auf eine Kategorisierung verzichtet.
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