In diesen Zeiten der Volkshygiene, des Abwehrkampfes gegen den bösen und tückischen Virus, in diesen Zeiten, in denen auch auf dem Feld der Gesinnung Schlachten geschlagen werden und der Gute Deutsche, wieder einmal, im Gleichschritt gegen das Böse marschiert, also gegen die Abweichung, den Widerstand, den Zweifel, die Kritik an der Obrigkeit, in diesen Zeiten, in denen man schon fast aufgeben möchte, läuft diese kleine Blondine mitten in den Feuilleton-Salon, wächst dort auf zwei Meter, stemmt die Fäuste in die Hüften und ruft: „Aufwachen, ihr Idioten, die zweite Halbzeit kommt noch“. Susanne Dagen, die Dresdner Buchhändlerin aus Loschwitz, ja, aus diesem weinberankten Hexenknusperhäuschen, hat in ihrem Verlag eine neue Buch-Reihe aufgelegt, der provokante Titel: Exil.
Rumms!
Moment mal!
Ist Exil nicht die heiligste Vokabel der deutschen Literatur, das Etikett für mutigen antifaschistischen Widerstand, für die verbrannten und verbannten Dichter? Und will Susanne Dagen damit behaupten, das Schickal der von ihr verlegten Autoren sei mit dem der Thomas Mann, Feuchtwanger, Werfel, Brecht vergleichbar?
Uwe Tellkamp: „Das Volk ist nicht links“
Uwe Tellkamp mit der Betrachtung „Das Atelier“, einer atemberaubenden Raumfahrt in die Welt der Farben und der Kunst, einer mythologischen Erkundung der Künstlerfigur im Sternbild des Orion, des Nachthimmels seiner Inspiration. Aber auch der kafkaesken Nacht-Akademie mit ihren fürsorglichen Belagerungen.
Monika Maron kommt mit Texten, die ihren unvergleichlichen Tonfall aus Melancholie und Schnauze und Präzision vorführen, in verschiedenen Textformen, ein inniger Brief ist darunter, Demonstrationsbeobachtungen, rauschender Mairegen.
Schließlich Jörg Bernig, mit „An der Allerweltsecke“, der auf einer Lesetour durch den Balkan zerbombte Städte besucht, Belgrad und Novisad und Sarajewo, also Zentraleuropa, die zerrissene Mitte, und die absurden Fronten in Mostar mit seiner berühmten Brücke mit den Brückenspringern, eine Reise über kaum vernarbten Bürgerkriegswunden und eine persönlich Erinnerung für mich, an einen Urlaub in Titos Reich Ende der 60er, damals sprangen noch Jugendliche in Badehose von der Brücke und keine Profi-Athleten in Neoprenanzügen, und das Staunen über das erste Minarett meines Lebens in Sarajewo, wie aufregend und – wie touristisch ruhig alles war.
Über Tellkamps Erzählung, die zwischen zwei Anrufungen des Orion gespannt ist, wird in der nächsten Printausgabe von Tichys Einblick berichtet, die Ostern erscheint.
Wenden wir uns hier Monika Maron zu, die sich riskiert hatte, als sie ebenfalls (wie ich) Dagens Erklärung „Charta 2017“ unterschrieben hatte, ein Manifest, das sich gegen die Einengung der Meinungskorridore wandte und gegen Ächtung von sogenannten „neurechten“ Autoren auf der Frankfurter Buchmesse protestierte. Die Anlehnung an die Bürgerrechts-“Charta 77“, mit der tschechische Künstler gegen den Stalinismus protestierten, war durchaus beabsichtigt.
Es war der autobiografische Roman „Flugasche“ von 1981, der Monika Maron mit einem Schlag als große Autorin etablierte. Er war auch eine Reportage über Umweltverschmutzung, Zensur und Duckmäusertum in der einstigen DDR. Zahlreiche weitere Romane und Essays – und Literaturpreise! – folgten, Monika Maron ist die neben Cora Stephan wohl weitgespannteste politisch engagierte deutschsprachige Autorin.
Die Linke und ihr fragwürdiges Demokratieverständnis
Folgt eine Reise-Episode über den ersten Besuch in New York noch von der DDR aus, vom quietschkomischen Kampf gegen die Kakerlaken im Apartment eines abwesenden Freundes, über die teuerste Theaterkarte ihres Lebens (eine im Übrigen schlechte Investition) und die Erinnerungen an Little Italy, Museen, die Sirenen der Krankenwagen und den „süßlichen Gestank des Mülls“, der sich nach der Heimkehr mit dem des blühenden Raps in Vorpommern vermischt, weshalb sie sich nun, angesichts von Rapsfeldern, stets an New York erinnert fühlt, was als durchaus sensationellstes aller Assoziationskunststücke gelten kann.
Monika Maron hat diese Mischung aus Poesie und Witz und Schnauze, und lässt in dieser Mischung an Heinrich Heine denken, der sich allerdings noch dazu sentimentale Galanterien erlaubt, die Monika Maron in ihren Texten nicht duldet. Warum? Sie gibt die Antwort in einer Art Berliner Rap mit dem Titel „Eigentlich sind wir nett“, mit dem sie auf einer Bahnfahrt einen Süddeutschen über den Berliner Humor aufklärt, der für alle Welt (außer Berlinern, die es nur ahnen) eine andere Form von Prügel ist.
Spott und Hohn im Intermezzo über „Weibliche Kreativität“ und dann ein Adlerflug in die deutsche Klassik über die Freundschaft von Gotthold Ephraim Lessing mit Moses Mendelssohn, die sie neben der olympischen von Goethe und Schiller nicht genug gewürdigt sieht, und sie hat recht: Was die beiden, die im gleichen Jahr 1729 geboren wurden, Lessing in Kamenz, Mendelssohn in Dessau, für die Aufklärung und Toleranz in deutschen Breiten leisteten, hätte aus diesem Volk, wenn es richtig zugehört hätte, eines des am wenigsten bornierten und rassistischen der Erde machen können.
Monika Maron präsentiert im titelgebenden Naturbild „Krumme gestalten, vom Wind gebissen“ ihre vorpommersche Heimat, arm, herb, gegen den Sturm gestemmte Prosa, und in der ergreifenden Würdigung der jüdischen Erzählerin Ida P. führt sie vor, wie ballastfrei und tiefklug sie die Worte setzt, ja vielleicht ist das ihr hervorstechendes Merkmal: sie schreibt ohne jede Angeberei, und trifft damit ins Herz.
Monika Maron, Krumme Gestalten, vom Wind gebissen. Essays aus drei Jahrzehnten, Reihe Exil im Buchhaus Loschwitz, 112 Seiten, 17,00 €
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Laut Duden (Fremdwörterbuch) geht beides. Von daher gesehen, können Sie jetzt weiterlesen … (was meine Empfehlung wäre).
Ja, laut Duden geht beides. Allerdings stammt „virus“ aus dem Lateinischen und ist Neutrum. In der sog. „Fachsprache“ wird es auch ausschließlich als Neutrum gebraucht. „Das Virus“.
Aber klar, im Bayerischen heißt es ja auch „der Radio“ oder „der Butter“.
Insofern …
Mein Humor ist offensichtlich ähnlich gestrickt wie der von Monika Maron. Wenn sie schreibt, dass sie sich nach der Klage ihrer Freundin („Die Sinti und Roma haben mir meine Handtasche geklaut.“, S.93) kaum mehr einkriegte vor Lachen, kann ich das nachvollziehen. Auch ich platzte fast vor Lachen beim Lesen und kann mir diesen Satz immer noch nicht vergegenwärtigen, ohne dass ein Grinsen meinen Mund verzieht. Das ist die harmlos-humoreske Seite der heute allgegenwärtigen Konditionierung, der wir ausgesetzt sind.
Aber es gibt auch eine üble Seite dieser Zeitgeist-Konditionierung, der sich die Mehrheit im Lande freiwillig ausliefert. Diese führt zur Ausgrenzung und Diffamierung von eigenständigen Denkern. Dieser Gefahr ist Monika Maron ausgesetzt, denn sie ist nicht nur eine eigenständige Denkerin, sondern auch eine klare. Ich habe die Lektüre dieses kleinen Sammelbandes sehr genossen.
Gegen den (wiedermaligen) geistigen Gleichschritt der Deutschen anzugehen, ist eine generationen-überspannende Herkulesaufgabe. Daher ist die Beobachtung, „wie ein grünschillernder Käfer sich auf der Spitze eines Grashalms so lange wiegt, bis er auf die Spitze eines anderen Grashalms wechseln kann“ oder sind die „verwandtschaftlichen Gefühle für das große und kleine Getier“ (S.9) um einen herum ein Hinweis auf eine zweifache Erkenntnis: Es gibt neben der gesellschaftlichen und politischen Welt der Dekadenz-Erscheinungen noch eine Welt der natürlichen Sinnhaftigkeit; und: wir alle haben nur ein einziges Leben; wir können also die erlebende Teilhabe am einen und am anderen nicht auf mehrere Leben aufteilen. Die Hoffnung auf eine Verbindung dieser Welten ist: das eigenständige Denken.
Ich war sehr froh, solche Beobachtungen und daran anknüpfende Gedanken bei Monika Maron zu lesen. Auch ich mag die sich im Kleinen zeigende Welt der natürlichen Sinnhaftigkeit. Sie hilft mir, mein Lieblings-Haiku zu ertragen: Spurlos, wie die Wolken am Himmel, zieht mein Leben dahin.
PS: Auch wenn es sehr unwahrscheinlich ist, dass ich Frau Maron mal persönlich treffen könnte, so möchte ich sie doch korrekt ansprechen. Wird ihr Nachname auf der ersten oder zweiten Silbe betont? Weiß das jemand?
Können die verstoßenen Autoren nicht zu einem Verlag in die Diaspora gehen? Ungarn, Polen, Italien, Griechenland, Spanien.
Wenn die dann nicht nach Deutschland reingelassen und/oder von Präsentation und Verkauf ausgeschlossen werden, dann wollen wir mal sehen, welche Beanstandungen der deutsche Außenminister zu hören bekommt und welches Licht aufs ach so moralische, freiheiheitlich-demokratische Deutschland fällt, wo jeder seine Meinung äußern darf.
Deutschland dreht sich nicht selber zum Guten. Es muss gedreht werden. Wie immer.
Lieber Herr Matussek,
ich lese Sie sehr gerne, habe das auch früher schon getan und doch bin ich heute mehr zufällig bei Ihnen gelandet. Als AfD-Mitglied (und vor Jahren bei Pegida von linken Kindern angespuckt) gehen mir natürlich die Diskussion um Herrn Meuthens Interview und der heutige Beitrag von Frau Lengsfeld unter die Haut. Nach ca. 50 Kommentaren war mir klar, das wird heute wieder nischt mit gutem
Schlaf, also raus aus den Kommentaren. Da entdecke ich Ihren Artikel und lese die Namen Tellkamp und Dagen (wir wohnen am Rand von Dresden) und Ihre Beschreibung von Susanne Dagen verändert mein Gesicht, ich lächle und denke, so kurz und so treffend. Also lese ich und nun möchte ich mich bedanken. Freilich war da auch ganz viel Information dabei, denn ich kenne die Reihe Exil noch nicht, aber was mir so unendlich gut getan hat, waren Ihre klugen, gefühlvollen Gedanken. Toll, wenn man es schafft, in so wenigen Sätzen soviel an Bildern ganz lebendig werden zu lassen. Bissel war das wie Feuerwerk. Und dann, für mich heute abend das Wichtigste, der Adlerflug in die Klassik, Lessing und Mendelssohn. Ja, wenn die Menschen besser zuhören würden. Wenn sie Freude am Denken
hätten… Jedenfalls haben Sie mir mit diesem kurzen Text gezeigt, wie schnell man wieder Farben sehen kann und neugierig wird, damit die Batterie nicht ganz leer wird.
gestatten Sie mir die Bemerkung, dass Sie mit Ihrem werten Kopf richtig liegen, aber einsam sind. Hier unternehmen Bürger etwas für die Freiheit; Frau Dagan, aber auch wir mit Publikation und Vertrieb. Freiheit und mediale Dominanz gibt es leider nicht umsonst. Wir danken für Ihre Unterstützung.
Sie erlauben mir die Antwort, daß nichts umsonst ist, Herr Tichy. Es gibt nicht einmal etwas kostenloses, denn nach dem TANSTAAFL-Prinzip kostet es immer etwas. Auch unsere beiden Kommentare hier lassen Elektronen fließen, die in irgendeinem Gerät erzeugt und in einem anderen verbraucht wurden. Wir vernichten damit Lebenszeit, die wir nicht mit unseren Lieben verbringen. Und allein schon das formulieren solcher Sätze verbraucht Kalorien, die man schlicht mit einer Brotzeit nachfüllen muss.
Ich möchte aber diese Brotzeit nicht verschwenden, um die nächste Nomenklatura an die Berliner Fleischtöpfe zu heben, ja nicht mal selbst an diese Grundversorgung für Zivilversager heran. Ich möchte meinen Garten bestellen und die Sonne genießen, solange Umweltpoltiker dafür noch keine Steuern erheben.
Und ab und zu lese ich mal ihre werten Artikel, damit ich meinen Kreislauf etwas unter Stress setze. Das ist nämlich gesund und willkommen.
Kommunisten können nicht überzeugt werden. Sozialismus ist nicht heilbar. Wir bequatschen in gesitteten Worten einen Tumor, statt zum Skalpell zu greifen. Wir geben uns sogar noch pflichtschuldigst empört, wenn jemand den sozialistischen Tyrannen mal praktisch vorführt, dass zu der Arm- noch die Messerlänge addiert werden muss.
Gerade ihr, die ihr euch selbst als „bürgerlich“ bezeichnet, lebt in einem Wolkenkuckucksheim. Ihr glaubt ernsthaft, eure „Vernunft“ sei universal, siebentausend Jahren Kulturgeschichte zum Trotz.
Wir wissen doch alle, dass kein Rechtsstaat dieser Welt mit rechtsstaatlichen Mitteln errrichtet wurde. Man muss ihn erkämpfen, mit Feuer und Schwert und dem Blut von Tyrannen und Patrioten.
Dazu sind „Konservative“, oder schlimmer, „Liberale“, nicht in der Lage.
Sie können nicht mal so denken.
“ … und der Gute Deutsche, wieder einmal, im Gleichschritt gegen das Böse marschiert, also gegen die Abweichung, den Widerstand, den Zweifel, die Kritik an der Obrigkeit,“
Das kann man auch prägnanter zusammenfassen: in denen der „gute Deutsche“ mal wieder für den „Endsieg“ kämpft – mit voraussehbar den gleichen Resultaten wie beim letzten Mal!
Ok, Augen-und Lesefutter für Coronazeiten. Zeit zur Lektüre.
Monika Marons letztn Roman „Munin oder Chaos im Kopf“ habe ich natürlich mit Vergnügen und Interesse gelesen. Jetzt ist Gelegenheit sich weiter mit dieser interssanten Autorin zu beschäftigen.
Uwe Tellkamp und sein „Turm“ mir kein Unbekannter. Ich warte auf die Fortsetzung.
Jochen Bernig, mir bis dato völlig unbekannt. Wenn Mattusek ihn empfehlen kann, spricht das für sich.
Susanne Dagen, eine mehr als interessante Vertreterin alten Dresdner Bildungsbürgertum übrigens befreundet mit dem Verlegerehepaar Götz Kubischek/Ellen Kositza den ganz Bösen und Schlimmen aus Schnellroda.
»…der Gute Deutsche, wieder einmal, im Gleichschritt gegen das Böse marschier[end], also gegen die Abweichung, den Widerstand, den Zweifel, die Kritik an der Obrigkeit…«
…ist im »Untertan« Heinrich Manns trefflich beschrieben und und hat den Autor, charakterlich nahezu unverändert, bis heute offensichtlich massenhaft überlebt.