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Schleswig-Holstein zurückgepfiffen

Corona darf nicht zu einer Entwertung des Abiturs führen

25.03.2020

| Lesedauer: 3 Minuten
Die Gewerkschaft GEW und Schleswig-Holsteins Kultusministerin Prien hätten gerne das Abitur in diesem Jahr wegen des Coronavirus ausfallen lassen. Glücklicherweise ist der Vorschlag vom Tisch.

Das hätte so manchen Leuten, denen eine anspruchsvolle Schulabschlussprüfung immer schon ein Dorn im Auge war, in den Kram gepasst: Das Abitur dem Corona-Virus opfern! Schleswig-Holsteins Kultusministerin Karin Prien (CDU) ist damit vorgeprescht. Die linke Lehrergewerkschaft GEW wollte es so, sie unterstützte Priens Vorstoß als „sinnvolle und vernünftige Entscheidung“, die Vereinigung der Berliner Oberstudiendirektoren ebenfalls. Sogar die Vorsitzende des Gymnasiallehrerverbandes liebäugelte damit vorübergehend. 

Eine Schüler-Online-Petition sammelt Unterschriften für einen Ausfall der Abiturprüfung; am Nachmittag des 25. März hatte man gut 100.000 Unterschriften, was keineswegs einem Drittel der diesjährigen Deutschen 350.000 Abiturienten entspricht, denn bei vergleichbaren Petitionen von Schülern hat sich gezeigt, das die Zahl der Unterschriften oft ein Vielfaches größer ist als die Zahl der Betroffenen. Schließlich können sich hier ja auch Papas, Mamis, Onkel, Tanten, Omis, Opas usw. eintragen. Zugleich stehen Hessen und Rheinland-Pfalz bereits mitten in den Prüfungen. Mehrere andere Bundesländer haben die Prüfungen verschoben, wieder andere halten (noch?) an den Prüfungsterminen fest. Siehe auch hier.

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Jedenfalls darf es nicht so weit kommen, dass die Abiturprüfung 2020 komplett ausfällt. Und es gibt auch keinen Grund, es so weit kommen zu lassen. Immerhin hat die Kultusministerkonferenz am 25. März bei einer Telefonkonferenz festgehalten, dass eine Absage der Abiturprüfung und ein Ersatz der Abiturprüfung durch bereits zuvor erbrachte Leistungen nicht zur Debatte steht. Der populistisch gedachte, gefällige Vorstoß Schleswig-Holstein ist damit vom Tisch.

Ein wenig Nachdenken und abiturpraktische Erfahrung hätten gereicht, um ein Durcheinander erst gar nicht aufkommen zu lassen. Dann hätte man an folgendes denken können:

Erstens: Für den Wegfall der Abiturprüfung gibt es keine zeitliche Not. Der zeitliche Puffer für die Terminierung der Abiturprüfungen reicht nicht nur bis Mai. Gewiss starten einige Bundesländer bereits Mitte Juni in die Sommerferien, und gewiss auch wollen die Hochschulen für die NC-Studiengänge und die Ausbildungsbetriebe die Zeugnisse der Bewerber möglichst rasch sehen. Aber, diese nicht nur rhetorische Frage sei erlaubt: Warum sollen Abiturprüfungen nicht auch zu Beginn des kommenden Schuljahres Ende August oder im September stattfinden können? Die Schulen sind dazu in der Lage; die Hochschulen und die Ausbildungsbetriebe müssten zumal in Corona-Zeiten entsprechend flexibel sein.

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Zweitens: Ein Wegfall der Abiturprüfung entwertet das Abitur. Zwar macht die reine Abiturprüfung nur rund ein Drittel der Abiturgesamtleistung aus. Aber ein Drittel ist ein Drittel, zudem sind die Abiturprüfungen die anspruchsvollsten und am besten vergleichbaren in einer gymnasialen Laufbahn. Ein Wegfall dieser Prüfungen provoziert ein Ansinnen von Hochschulen zu sagen: Wenn die Gymnasien kein anspruchsvolles Abitur mehr zustande bringen, dann wechseln wir zum Aditur-Modus, dann machen wir Zugangsprüfungen. Folge: Dem Gymnasium wäre das Haupt abgeschlagen.

Drittens: Der Wegfall der Abiturprüfung wäre ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung vor dem Gesetz. Die Abiturienten des Jahres 2019 schrieben und die Abiturienten des Jahres 2021 schreiben (hoffentlich) das herkömmliche Abitur. Beide Jahrgänge konkurrieren aber bei Numerus-Clausus-Studiengängen mit den Abiturienten des Jahres 2020. Gerecht ist das nicht.

Viertens: Völlig unausgegoren wäre die Praxis, die Leistungen von zwei Schuljahren auf die Abiturprüfung hochzurechnen. Denn welche der erbrachten Leistungen werden dann hochgerechnet? Nur die der eigentlichen vier bzw. fünf Abiturfächer? Oder alle? Auch die Leistungen aus Fächern, in denen man nicht so gut war?

Fünftens: Völlig übersehen wird, dass sich das Gros der Schüler in der Abiturprüfung gegenüber den Vorleistungen verbessert. Meist um ein bis drei Zehntel in der Gesamtnote. Warum? Weil sich die Prüflinge dann auf einige wenige Fächer konzentrieren können, weil sie sich auf die Abiturprüfungen gezielter vorbereiten, weil bis zu 40 Prozent der Abiturfächer mündliche Prüfungsfächer sind und mündliche Prüfungen bei den allermeisten Prüflingen besser ausfallen als Klausurleistungen.

Alles in allem: Es geht um ein anspruchsvolles, aussagekräftiges Abitur, das nicht nur Studierberechtigung, sondern Studierbefähigung attestiert. Dass diesbezüglich bereits über Jahre hinweg gesündigt wurde, ist bekannt. Denn die Leistungen sind immer schwächer und die Noten immer besser geworden. Die Folge ist unter anderem, dass immer mehr Hochschulen Nachhilfekurse für Studienanfänger einrichten mussten.

„Corona“ darf hier nicht zu einem Einfallstor für noch mehr Weichmacherei der Abiturpolitik werden.

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21 Kommentare

  1. Ein Gymnasialschüler geht 9 Jahre lang zum Gymnasium. Er wird 9 Jahre geprüft, schriftlich, mündlich, wöchentlich, täglich. Nach 9 Jahren sollte die Schule eigentlich wissen, was der Schüler kann und was er nicht kann. Die abschließende „Krönung“ der Schülerlaufbahn durch das Abitur ist eine Farce. Die Abitur-Prüfung gehört abgeschaff!. Der Sinn der Prüfung besteht nach Kraus offensichtlich nur im Image-Gewinn für das Gymnasium. Ein Ausfall des Abiturs würde das Gymnasium „entwerten“. Soviel Selbstentblößung erlebt man selten.
    Hans Wocken

  2. Das deutsche Abitur ist meines Erachtens schon lange entwertet. Kaum ein(e) DeppIn kann sich ihm entziehen. Ähnlich verhält es sich mit den Doktortiteln; die gewisse ZeitgenossInnen sogar im Dutzend billiger hinterher geworfen bekommen.

  3. Die Schüler, um die es hier geht, scheinen gerade alle Ferien zu machen, die Lehrer auch. Sie sollten damit alle erholt wieder in den Unterricht gehen (die, die nicht sowie dann wieder an einem Wochentag dumm herumhüpfen). Was liegt also näher, als die Sommerferien zu verkürzen oder ganz ausfallen zu lassen? Etwas Flexibilität sollte man auch von Staatsbediensteten erwarten können.

  4. Nach Corona sollte man vielleicht mal andenken, ob man Länder wie Schleswig-Holstein, Bremen und co. weiterhin durchschleppen soll. Wenn die meinen in zukünftig schweren Zeiten ohne oder mit reduzierter Bildung auskommen zu können, dann sollen sie doch auf eigene Faust handeln. Grenze mit Kontrollen drumherum und fertig.

  5. Ist mir schon abgegangen, das Lehrer Bashing – nur immer feste druff! Und zum Autor dieses famosen Artikels: Warum denn überhaupt Schulen schließen? Damit sinkt doch klarerweise das Niveau! Da sei der teutsche Michel vor: ab morgen 5h früh wird wieder unterrichtet! Ho me dareis, anthropos ou paideuethai!

    • Ich kriege das hier zu Hause besser hin als die Schule meiner Kinder. Die finden es bislang super: Endlich lernen ohne Schnullikram und verhaltensauffällige Mitschüler, keine sinnfreien Endlos-Referate. Herrlich! Daran könnten die sich glatt gewöhnen. Nur die Kontakte zu Gleichaltrigen fehlen halt. Alles andere würde auch weiterhin so gehen, mit Wochenplänen etc. Schlechte Lehrer gibt es leider viel zu viele.

  6. Naja, auch in Bayern ist schon lange nicht mehr alles Gold, was glänzt …

  7. Da jetzt in Bayern die Übertrittszeugnisse für die 4. Klassen vereinfacht werden sollen, mache ich einen anderen Vorschlag (übrigens schon seit Jahren): Abschaffen der Übertrittszeugnisse und obligatorische Aufnahmeprüfungen für alle Schüler, die auf eine höhere Schule wechseln wollen. So entfiele der Stress auf den Übertrittsschnitt und die Gymnasien/Realschulen würden von Anfang an ihre Prioritäten setzen können.

    • „Aufnahmeprüfungen für alle Schüler“

      Das wäre das strukturelle Unterdrückung, und damit nicht hinnehmbar.

      Gibt es die Abitur-Aufgaben inzwischen sowohl in einfacher Sprache wie auch auf Arabisch? Frage für einen Freund, der neben sich steht.

  8. Desweiteren:

    Es fehlen durch die Corona Auszeit etwa 2-4 Wochen Schule: also kein Grund, die Prüfungen abzusagen. Die Abiturienten sind keine Risikogruppe, d.h. diese können in der Schule zusammenkommen – zur Not mit 10 m Abstand in der Turnhalle.

    Ich sehe das Problem nicht.

    Doch: faule Lehrer.

    • Faule Lehrer? Bitte nicht immer die ollen Kamellen!

    • Ich auch nicht. Zur Not kommen alle mit Masken, die ab Mitte April dann ja wohl hoffentlich wieder ausreichend zur Verfügung stehen. Der Lehrer darf auch eine Tragen. Unser Abijahrgang hier besteht aus etwa 150 Schülern, die sich alle großflächig über mehrere Klassenzimmer verteilen lassen. In der Schule ist doch jetzt eh keiner! Bei etwa 30 Klassenzimmern wären das fünf Schüler pro Klasse. Notfalls verteilt man das ganze über mehrere Tage – dann hat man nur einen Schüler plus Lehrer in der Klasse!

    • @The_Gumbo: Da ich ja selbst eine Lehrerin im engeren Familienkreis habe, kann ich Ihnen versichern, daß nicht alle Lehrer per se faul sind. Sie muß, da seit Jahren akuter Lehrermangel in Berlin, fast jede Woche 4 Stunden mehr unterrichten ( dazu kommt natürlich noch die Vorbereitungszeit zuhause und, falls Klausuren geschrieben wurden, wird nachmittags noch „Nachbereitung“ fällig). Dann hat sie als Klassenlehrerin oft Kinder, deren Eltern nicht so interessiert sind und sie muß etwaige Defizite nachmittags mit den Kindern ausgleichen. Dazu kommen (als Klassenlehrerin) Bastelnachmittage, Backen, Schwimmhalle, Kino-oder Theaterbesuche. Da sie mit Leib und Seele Lehrerin ist und ihren Job nicht nur als Job versteht, ist sie sehr eingespannt. Und sie macht es gern und jammert nicht. Aber dann von außen zu behaupten Lehrer wäre faul, ist einfach nicht wahr…

  9. Der geforderte Wegfall der Abiturprüfungen paßt ins Gesamtschema der sozialistischen Ideologie – alle sind gleich (schlecht). „Abitur für alle“ lautet die Devise.

    Die Qualität des deutschen Abiturs ist rein qualitativ weit hinter den Abschlüssen der Vergangenheit zurückgefallen, ist ja kein Geheimnis.
    Allerorten wurden die Prüfungsanforderungen immer weiter gesenkt, weil die Durchschnittsnoten im Vergleich zum Ausland konsequent nach unten tendierten. Inklusion und Migrantenanteil zeigen eben doch seine Wirkung, die Schnelligkeit der Vermittlung von notwendigen Lernstoffen hat eine schneckenähnliche Fortbewegung bewirkt, am Ende der Zeit fehlt dann eben was. Selbst gute Schüler haben ein großes Defizit, wenn sie auf weiterführende Schulen wechseln, von den Unis mal ganz zu schweigen. Da beklagen Professoren ja schon lange die mangelnde Qualifikation der Neustudenten, denen eigentlich erst einmal Grundlegendes nachträglich beigebracht werden muss.
    Im Handwerk sieht es ähnlich, aber noch nicht ganz so drastisch aus, was die Anforderungen in Prüfungen angeht. Aber die Durchfallquoten sprechen dann auch eine andere und ganz ehrlich Sprache: Durchfallquoten von 40% sind z.B. im Elektrohandwerk keine Seltenheit mehr, selbst bei Nachprüfungen sind die Durchfallquoten immens.

  10. Herr Kraus natürlich, Autokorrektur ist hinterlistig…

  11. Gut gesprochen, Herr Krause. Die Linken versuchen derzeit an allen Stellen, das Virus zur Abschaffung mühseliger Dinge zu nutzen. Nein, nicht mühselig für die Schüler, sondern für die prüfenden Lehrer, die das Ganze organisieren und vor allem korrigieren müssen. Das war nämlich die Motivation hinter dem Versuch …

  12. Die Lehrer haben nur Angst um ihre Sommerferien, die – das beteuern die Lehrer immer wieder – für sie keine arbeitsfreie Zeit sei.

  13. Sorry, Herr Kraus, aber für dast Thema „Abitur in SH“ habe ich nach den heutigen Ereignissen nur noch ein müdes Achselzucken über. Und wer braucht im vollumfänglichen Sozialismus noch andere Urkunden als das Haltungs-Zeugnis?

    Davon abgesehen: Geht Abwertung des Abiturs in D, speziell in SH überhaupt noch…?

  14. Wie wichtig ein (normal-anspruchvolles) Abitur ist, zeigt sich gerade in diesen Tagen.Tagtäglich veröffentlicht die SZ Zahlen an Corona-Infizierten samt Angabe „Tage bis zur Verdoppelung“. Dabei wird exponentielles Wachstum unterstellt. Die (evtl. Abi-)Aufgabe lautet: Wieviele Tage braucht es bis die Zahl der Corona-Infizierten doppelt so groß ist, sprich bestimme t aus : b hoch t= 2 wobei b =Anzahl der aktuell Infizierten/Anzahl der Infizierten vor 24 Stunden. Die dargestellten Tabellen sind eine wahre (mathematische) Katastrophe. Anfangs haben ein paar Werte wunderbar gestimmt, aber mittlerweile kann man die allermeisten vergessen. An alle Abiturienten: Vergleicht die Zahlen u. beobachtet die Berechnungen! Dass die SZ nicht rechnen kann, geschenkt. Kann aber sein, dass ihr demnächst im Abi RICHTIG rechnen können solltet ! ich drück euch die Daumen.

  15. Herr Kraus, ich habe so gewartet, dass Sie etwas dazu schreiben! Nun ist der Artikel da – schön! Und volle Zustimmung.
    Sie können gleich schon für die nächste mehr oder weniger geplante Maßnahme in die Tasten hauen: Zwangssitzenbleiben für alle ist auch schon im Gespräch! Was das Sitzenbleiben für alle für die Lernmotivation, gerade auch für leistungsstarke Schüler, bedeutet, muss ich hier nicht schreiben. Es wäre ein fatales Signal!

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