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Widerspruch zur Organspende: Das ist keine Lösung

15.01.2020

| Lesedauer: 2 Minuten
Es gibt viele Argumente gegen die neue Organspendenregelung. Das wichtigste lautet: sie richtet sich diametral gegen unserer Rechtsordnung

Es passiert selten, dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und die FDP-Politikerin Katja Suding sich auf eine Meinung einigen. Bei der neuen Organspendenregelung ist das Fall. Die große Koalition möchte die jetzige Praxis umkehren: die Zustimmung zu einer Organspende nach dem eigenen Hirntod (per Organspenderausweis) soll ersetzt werden durch das generelle Recht von Ärzten, Organe zu nehmen – falls der Betreffende nicht ausdrücklich widersprochen hat.

[inner_post 1] Dagegen gibt es Kritik, von Seiten der Kirchen („der Mensch ist kein Ersatzteillager“), vom Deutschen Ethikrat, von etlichen Politikern. In dieser Frage verläuft die Bruchlinie quer durch die Bundestagsfraktionen.

Bei einer fundamentalen Streitfrage empfiehlt es sich, nach dem Argument mit dem höchsten Gewicht zu suchen. Im Fall der Organspendendebatte ist es das juristische. Der Verfassung, in der Grundrechte ganz überwiegend als Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat dienen, wäre die Konstruktion völlig fremd, dass die Nichtäußerung eines Bürgers als Zustimmung zum Eingriff in seine Rechte gelten soll. Eine solche Konstruktion gibt es nirgends.

Die Befürworter der „Widerspruchslösung“ tun so, als sei das Nicht-Widersprechen eine Art Entscheidungsakt eines Bürgers. „Ein Verstorbener, der, weil er bewusst der Organspende nicht widersprach und somit sein Einverständnis indirekt gab, verwirklicht so auf unbürokratische und zuverlässige Weise seine Selbstbestimmung“, mein Karl Lauterbach. Der Satz ist in jeder Hinsicht schief, sprachlich, logisch, rechtlich. Es ist falsch, von einem Nicht-Widerspruch zu reden. Zutreffend ist: Nicht-Äußerung. Wer sich nicht äußert, der sagt nichts und tut nichts. Schon gar nicht gibt er sein Einverständnis, weder indirekt noch überhaupt. Will sich jemand nicht äußern, dann darf der Staat daraus nichts ableiten. Auch nicht mit der Berufung auf das Wohl von anderen.

Im Übrigen sieht es die Rechtsordnung auch vor, dass Angehörige in das, was nach dem Tod eines Menschen in seinen Angelegenheiten geschieht, einbezogen werden müssen. Die neue Organspende-Regelung simuliert diese Einbeziehung nur. Angehörige sollen zwar von den Ärzten befragt werden können, wie der mutmaßliche Wille des Verstorbenen zur Organspende gelautet haben könnte, wenn kein Widerspruch dokumentiert ist. Aber mitentscheiden können sie nicht.

[inner_post 2] Das neue Gesetz sieht also eine „Selbstbestimmung“ des Bürgers (Lauterbach) aus dem Nichts vor. Hinterbliebene müssten die Nichtzustimmung ausdrücklich nachweisen, wenn sie eine Organentnahme verhindern wollen. Der Terminus „unbürokratisch“ wirkt ziemlich bizarr angesichts der Anforderungen, die der Staat in viel kleineren Angelegenheiten stellt. Im Datenschutz etwa muss selbst der Betreiber einer kleinen Webseite seine Besucher ausdrücklich um Zustimmung bitten, wenn auch nur die Möglichkeit besteht, dass seine Daten registriert beziehungsweise weitergeleitet werden. Geht es um Herz und Nieren, soll das alles viel lockerer gehandhabt werden.

Das Pro-Argument in diesem Streit lautet: es gibt lange Wartelisten von Menschen, die dringend auf Spenderorgane angewiesen sind. Für sie ist es eine Sache auf Leben und Tod. Wer ein Spenderorgan braucht, verdient Unterstützung. Die meisten, jedenfalls sehr viele in Deutschland möchten ihnen auch helfen. Mit Sicherheit gibt es mehr Spendenwillige als Inhaber eines Organspendenausweises. Der Autor dieses Textes etwa besitzt kein entsprechendes Dokument. Gegen eine Weiterverwendung seiner Organe hätte er trotzdem nichts einzuwenden.
Eine praktische Möglichkeit bestünde darin, jeden bei der Ausstellung eines neuen Personalausweises oder Passes ankreuzen zu lassen, wie er es mit der Organspende halten will, und die Entscheidung dann zu registrieren.
Die Brachialmethode von Spahn und Lauterbach dürfte mehr Schaden als Nutzen anrichten.

Vor allem dann, wenn das Bundesverfassungsgericht sie verwerfen sollte.

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