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Genügend Gesprächsbedarf

Fatah-Chef Abbas besucht Israels Verteidigungsminister Gantz privat

30.12.2021

| Lesedauer: 3 Minuten
Auf beiden Seiten dominieren praktische Interessen: Der Palästinenser-Chef braucht Geld, und Israels Verteidigungsminister weiß, dass Abbas das geringere Übel ist, verglichen mit jenen, die ihn ersetzen würden.

Das ablaufende Jahr kennt wenige gute Nachrichten. Das Treffen von Israels Verteidigungsminister Benny Gantz mit Palästinenser-Führer Mahmoud Abbas lässt verhaltene Hoffnung aufkeimen: Mitten in einer Terror-Phase von fast täglich versuchten Mordanschlägen aus der Westbank und Gaza. Willkommen in der Realität des Nahen Ostens.

In Israels Krankenhäusern liegen noch immer Verletzte aus jüngsten Terroranschlägen, und der frühere Generalstabschef öffnet sein privates Wohnzimmer für einen, den innerhalb und außerhalb Israels nicht wenige einen Erz-Terroristen nennen. Aber wie lautet ein Grundsatz in der Politik der Vernunft? Frieden kann man nur mit seinen Feinden machen, und deshalb muss man miteinander reden.

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Ein weiterer Lehrsatz in der Geschichte heißt: „Cherchez la femme“, im Nahen Osten geringfügig abgewandelt: „Cherchez l’argent“. Den Palästinensern geht das Geld aus, die lokale Nomenklatura wird seit einem halben Jahrhundert alimentiert, jetzt versiegen die Geldquellen aus den USA und vor allem von den muslimischen Brüdern aus den Golfstaaten. Lange hat es gedauert, aber langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Geldzahlungen ohne Gegenleistungen die Nahost-Probleme verzögern und damit vertiefen, aber niemals lösen. Eine Erkenntnis, die sich in der EU und in Berlin noch nicht herumgesprochen hat. Deutschland ist nach wie vor größter EU-Zahler in palästinensische Kassen, ohne naheliegende Forderungen wie Verzicht auf Terror zu stellen.

Mahmoud Abbas hat sich zum ersten Mal seit 2010 in seinen gepanzerten Mercedes 600 nach Rosh Ha´ayin, auf die israelische Seite der „Grünen Grenze“ chauffieren lassen. Staufreie Fahrtzeit: 40 Minuten auf Straßen, die ausschließlich von Israel gebaut sind. Nach Ankunft wurden freundlich Geschenke ausgetauscht, berichtet das Protokoll, ohne Details zu nennen. Dann begann das Spiel „good cop, bad cop“. Der Gute heißt Gantz, der Böse Naphtali Bennett, sein Regierungschef. Er sei gegen die Begegnung gewesen, ließ das Büro des Ministerpräsidenten verlauten, aber er habe sich nicht durchsetzen können. Gantz hatte Abbas im August in Ramallah besucht, jetzt erfolgte der Gegenbesuch. Außer Bennett und Außenminister Lapid war kein Kabinettsmitglied vorab informiert.

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An Gesprächsthemen fehlt es nicht: Ohne die Finanzströme ist Abbas kein „Macher“ mehr, kann sein Klientel nicht mehr zufriedenstellen. Deshalb handelt Israel pragmatisch und verteilt politische Bonbons, die man „vertrauensbildende Maßnahmen“ nennt: 6.000 Palästinenser aus der Westbank erhalten eine israelische Aufenthaltserlaubnis in der Westbank. Damit Gaza nicht unerwähnt bleibt, gibt es den gleichen Stempel aus Jerusalem für 3.500 Palästinenser aus der dicht besiedelten Enklave am Mittelmeer. 1.100 palästinensische Geschäftsleute bekommen obendrein die Erlaubnis, auch mit ihrem PKW nach Israel zu fahren. Weiterhin fließen knapp 30 Millionen Euro an Mehrwertsteuer und Gebühren für Im- und Exporte.

Sämtliche Ein- und Ausfuhren werden von israelischen Kontrollpunkten aus gesteuert, wie es in den Oslo-Verträgen vor fast 30 Jahren festgelegt wurde. Israel hält diese Gelder seit Monaten zurück, weil PLO/Fatah an Familien der bei Anschlägen getöteten Terroristen hohe Pensionen bezahlt. Diese Unterstützung des Terrors sollte tunlichst vermieden werden, heißt es von der Gantz-Seite.

In den Kommuniqués stehen die üblichen, abgedroschenen Sprüche wie „man befasste sich mit der Schaffung eines politischen Horizonts, der zu einer politischen Lösung in Übereinstimmung mit den internationalen Gesetzen führen sollte“. Dafür kann sich Mahmoud Abbas nichts kaufen und die israelische Seite weiß: Wenn der alternde PLO-Chef ausfallen sollte, würde nichts Besseres, sicher nichts Friedlicheres nachwachsen. Genau das will Israel vermeiden und zahlt für das Leben des Feindes, der ein geringeres Übel personifiziert.

Auf die Schrei-Bänke springen auf beiden Seiten die üblichen Verdächtigen: Die Terror-Organisation Hamas nennt den Wohnzimmer-Treff einen „Dolchstoß für den palästinensischen Widerstand“ und aus Israels rechts-nationaler Ecke tönt es streng: „Ich würde keinen zu mir nach Hause einladen, der Mörder von Israeli belohnt.“ Dennoch, viele in der Acht-Parteien-Koalition und auch in der Bevölkerung Israels sind für Gespräche mit den feindlichen Nachbarn. Nicht-Reden bringt sicher nichts, Reden vielleicht etwas.

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5 Kommentare

  1. Das ist vernünftig. Je eher die Terroristen gegenüber Israel kapitulieren desto besser.

    • Langfristig sehe ich eher das Problem, dass die Hamas in Zukunft die „Westbank“ übernehmen könnte.

      Ich bin der Ansicht, dass die Mehrheit der jüdischen Israelis schon einen echten und dauerhaften bzw. beständigen Friedensschluß mit den palästinensischen Arabern erreichen möchte, d.h., es wird langfristig eher kein reiner Waffenstillstand und eine Art Stillhalteabkommen angestrebt. Es soll also etwas Stabileres langfristig her.

      Jüdische Israelis wollen sich dann halt auch auf das Wort der arabischen Seite absolut verlassen können, es geht also auch ums Vertrauen und die Frage, ob die palästinensischen Araber wirklich mehrheitlich den Frieden mit Israel schließen wollen ?

      Sind die Araber in dieser Region also mehrheitlich bereit dazu ?

      Eine aktuelle Umfrage vom Juni 2021 unter palästinensischen Arabern zeichnet jedoch ein ganz anderes Bild.

      Die Ergebnisse sind für mich verstörend und sie ernüchtern mich, obwohl ich sagen muß, dass ich seit vielen Jahren durch den Konflikt mit der Hamas, dem islamischen Dschihad, der Hisbollah und dem Iran vollkommen desillusioniert worden bin.

      Einige Ergebnisse der aktuellen Umfrage zeigen, dass 77 % der befragten palästinensischen Araber glauben, dass die Hamas den jüngsten Raketenterror gegen Israel im Mai 2021 gewonnen habe. Weiterhin sind 72 % der Ansicht, dass die Motive der Hamas absolut gerechtfertigt seien. 53 % sind der Meinung, dass zukünftig nicht die Fatah mit der PA unter Abbas ( Abu Bluff ), sondern die Hamas die palästinensischen Araber anführen solle.

      Wer die Hamas ist, brauche ich kaum näher zu erläutern. Ein Blick in deren Charta genügt schon:

      The Covenant Of The Islamic Resistance Movement – Hamas | MEMRI

      Für mich zeigen diese Daten der aktuellen Umfrage schon auf, dass sich arabische Palästinenser in jüngster Zeit eher weiter radikalisiert haben müssen… 94 % der Befragten gaben schließlich an, dass sie stolz auf den Terror aus Gaza gegen Israel seien. Diese Leute bezeichnen das dann als „berechtigten Widerstand“, der Raketenterror gegen Juden und Israel wird also durch Scheinargumente gerechtfertigt.

      Wer tiefer in die aktuelle Umfrage einsteigen möchte, kann all das hier nachlesen:

      Public Opinion Poll No (80) | PCPSR

      Weitere Hintergründe zur aktuellen Umfrage sind hier zu finden:

      Poll finds dramatic rise in Palestinian support for Hamas – http://www.israelhayom.com

      Die Kenntnis darüber halte ich schon für sehr wichtig, weil man dann den Konflikt bzw. den Terrorkrieg gegen Juden und Israel auch besser einordnen kann.

      Außerdem bringe ich es hier auf TE, weil die BRD-Mainstreammedien darüber niemals berichten würden. Solche Umfragen werden in der BRD seit Jahren systematisch verschwiegen.

      Ich für meinen Teil bin jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass die Mehrheit der palästinensischen Araber zu einem echten, verlässlichen und beständigen Frieden mit Juden und Israel nicht bereit ist. Es fehlt bei denen mehrheitlich der Wille dazu.

      Problematisch ist auch, dass die Hamas aus dem letzten Konflikt bei der Operation „Guardian of the Walls“ in Gaza gestärkt hervorgegangen sein soll, wie man in folgender aktuellen Analyse nachlesen kann. Israel müsse da der Wahrheit jetzt ins Auge schauen:

      Israel’s Moment of Truth in Dealing with Hamas? | INSS

      Die Hamas sei jetzt viel gefährlicher, weil sie eine stabile militärische Infrastruktur in der „Westbank“ und im Süd-Libanon aufbauen könnte. Israel könnte also ein Mehrfrontenkrieg drohen, weil auch die Hisbollah sich zu einem Schlag gegen Israel demnächst entschließen könnte, falls dazu der Befehl der Mullahs aus Teheran kommen sollte:

      Can Hezbollah’s loyalty to Iran be shaken? – http://www.israelhayom.com

      Interessant ist auch eine aktuelle Analyse des israelischen INSS-Instituts über die Wahrnehmung der letzten Gaza-Operation in der israelischen Bevölkerung. Die Arena der medialen Wahrnehmung wird für israelische Strategen im digitalen Zeitalter immer wichtiger.

      Wie wurde also die letzte Gaza-Operation in der israelischen Bevölkerung wahrgenommen ? Hat man es als Sieg Israels gegen die Hamas oder als Niederlage aufgefaßt ?

      Dazu sehr interessante Inneneinsichten hier:

      The National Security Index: The Cognitive Campaign in the Digital Age | INSS

      Meine Schlußfolgerung ist die, dass es zu einem Waffengang gegen die Hamas wohl wieder kommen wird: Es ist nicht mehr eine Frage des „Ob“, sondern nur noch des „Wann und Wie“.

  2. Zitat:“Den Palästinensern geht das Geld aus, die lokale Nomenklatura wird seit einem halben Jahrhundert alimentiert, jetzt versiegen die Geldquellen aus den USA und vor allem von den muslimischen Brüdern aus den Golfstaaten. Lange hat es gedauert, aber langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Geldzahlungen ohne Gegenleistungen die Nahost-Probleme verzögern und damit vertiefen, aber niemals lösen. Eine Erkenntnis, die sich in der EU und in Berlin noch nicht herumgesprochen hat. Deutschland ist nach wie vor größter EU-Zahler in palästinensische Kassen, ohne naheliegende Forderungen wie Verzicht auf Terror zu stellen.“

    Gut und richtig. Weitermachen. Zum letzten Satz: Die haben begriffen, dass das bald deren letzte fluide Quelle sein wird und wollen sie offensichtlich um jeden Preis erhalten. Und deshalb erfolgen schon die ersten Reaktionen hier bei uns. Ja, richtig gelesen. Also aufpassen. Je höher der Druck, desto härter die Reaktion. Frankreich 2015 steht bei uns kurz bevor.

  3. Interessante Geschichte. Die Erkenntnis der Palästinenser, wirtschaftlich ohne das prosperierende Israel nicht überlebensfähig zu sein, ist sicherlich ein entscheidender Schlüssel für einen nachhaltigen Frieden. In diesem Sinne wünsche ich allen Israelis weiterhin einen möglichst großen wirtschaftlichen Erfolg im kommenden Jahr und den Palästinensern einen möglichst großen Mut zur Akzeptanz der wirtschaftlichen Fakten und möglichst viel Vernunft, diese Fakten zukünftig für den eigenen Erfolg zu nutzen.

  4. Ein Ratschlag von Frau Weltinnenminister Baerbock: Kein Treffen mit Diktatoren.
    Sie können sich aussuchen, welchen der beiden Herren sie damit ermahnen würde.
    Jedes Land mit Politikern, die Politik an der Realität ausrichten und nicht an Träumen, ist zu beglückwünschen.

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