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Corona-Update 5. Juli 2021

Lockdown für Ungeimpfte? NoCovid-Politiker zweifeln an der Aussagekraft der Inzidenz

05.07.2021

| Lesedauer: 2 Minuten
Der Inzidenzwert war der alles bestimmende Parameter der Pandemiepolitik. Nun hinterfragen führende Politiker seine Aussagekraft. Der Grund könnte weniger Einsicht sein als vielmehr ein Strategiewechsel auf dem Weg zum nächsten Lockdown.

Lange schien die Inzidenz trotz offensichtlicher Nichteignung das Hauptkriterium der Pandemie zu bleiben; ungeachtet der Todeszahlen, ungeachtet der Probleme mit den Tests, ungeachtet der Infektiosität. Plötzlich rücken aber immer mehr Politiker von Merkels Lieblingszahl ab: Jens Spahn sagte, die Inzidenz werde mit weiter fortschreitender Impfkampagne „immer weniger aussagekräftig“. Kanzleramtschef Braun äußerte sich ähnlich – zwar würden die Inzidenzwerte weiterhin eine Rolle spielen, „aber wenn wir jetzt in der Situation sind, dass eine hohe Zahl von Bürgern geimpft ist, müssen wir natürlich weitere Faktoren einbeziehen.“ Selbst der Leiter des DIVI-Intensivregisters, Christian Karagiannidis prognostizierte, dass bei steigender Impfquote sich die Inzidenz von der Zahl der Corona-Intensivpatienten ein Stückweit entkoppeln werde: „Wir rechnen damit, dass die Inzidenzwerte im Herbst, wie in England aktuell schon der Fall, stärker steigen werden als die Zahl der Intensivpatienten“ sagte er der Rheinischen Post. 

[inner_post 1] Das Hardliner-Lager ist in einer Art pandemischen Sinnkrise: Denn neue Zahlen aus Großbritannien bringen sie in erhebliche Erklärungsnot. Einerseits steigt die Inzidenz dort trotz hoher Impfquote scheinbar ungebremst auf über 200, andererseits gibt es zumindest ungewöhnlich viele tote Geimpfte. Insgesamt sind zwar deutlich weniger Corona-Patienten auf den Intensivstationen, das erklären manche aber auch mit einer möglichen geringeren Pathogenität der neuen Delta-Variante.

Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Corona-Einschränkungen sind nicht mehr zu begründen: Wenn die Impfung wirkt, dann braucht es keinen Lockdown mehr, wenn die Impfung nicht wirkt, ist der Lockdown ohnehin sinnlos, da sein einziger Zweck ist, die Infektionen bis zur Impfung zu verschleppen.

Merkels Ehrenrunde

Und so windet man sich nun, um dann doch wieder einschränken zu können. Ein Szenario: Der Lockdown kommt wieder, aber nur für Ungeimpfte. Das wäre zwar weder epidemiologisch sinnvoll, noch wäre es mit dem verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz vereinbar, aber es wäre wohl ein wenig mehrheitsfähiger und etlichen (geimpften) Journalisten, dürfte das auch eher zusagen. Dazu würde auch Merkels alte Idee wieder passen, dass man die Inzidenz in Zukunft nur noch auf die ungeimpfte Bevölkerung bezogen rechnet – dann bleibt sie weit oben.

[inner_post 2] So weit weg sind diese Szenarien alle nicht, eine weitere Welle im Sinne von Neuinfektionen wird es früher oder später geben, auch wenn die tatsächlichen gesundheitlichen Folgen wahrscheinlich eher gering bleiben würden. Aber das DIVI-Intensivregister hat in der Vergangenheit bewiesen, dass Zahlen im Zweifel auch höher gemeldet werden können, als sie tatsächlich sind. Insofern ist die Zahl der Intensivbetten tatsächlich das ideale Machtinstrument der Politik. Kann man die Inzidenz zwar durch gesteigerte Anstrengungen bei der Test-Kampagne nach oben treiben, sind ihr am Ende doch Grenzen gesetzt. Wie viele Intensivpatienten es aber nun gibt, entscheiden am Ende die Krankenhäuser – setzt man bestimmte Anreize, folgen auch die Zahlen, wie vom Bundesrechnungshof belegt wurde.

Spätestens im Herbst wird man die Ergebnisse dieser Weichenstellungen sehen können. Denn auch nach der Wahl wird Merkel und ihre Lockdown-Regierung erstmal weiter regieren. Und sie werden womöglich versuchen, einen neuen Lockdown auf den Weg zu bringen: Alles andere wäre schon ein halbes Fehlereingeständnis, eine späte Revision. Außerdem kann Merkel mit dem Lockdown Nummer Vier eine Art Ehrenrunde drehen und Armin Laschet den Start ins Amt erschweren.

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