Seine Leser kennen Harald Martenstein als Autor und Kolumnist. Hauptsächlich gibt er praktische Hinweise zur Lebensbewältigung, egal in welcher Rolle. Es handelt sich meist um Erfahrungen, die er seinerseits bei der Bewältigung des Lebens sammelt.
„Im April habe ich eine Jalousie bestellt, wegen des Aquariums“, schreibt er in einem seiner Kolumnentexte: „Das Aquarium steht am Fenster, das Wasser heizt sich auf, die Fische werden gekocht. Ein Mann hat das Fenster ausgemessen. Wochen später kam ein zweiter Mann mit der fertigen Jalousie und stellte fest, dass sein Kollege, Mann Nummer eins, sich um zehn Zentimeter vermessen hat. Der zweite Mann sagte, dass es immer schwieriger wird, Menschen zu finden, die mehrstellige Zahlen richtig ablesen können, das sei ein ungelöstes Problem in Deutschland. Ich schütte jetzt täglich Eiswürfel ins Aquarium.“
Das rettet nicht die Welt, aber immerhin die Fische.
Martensteins Texte funktionieren ähnlich wie die Eiswürfel für das überhitzungsbedrohte Aquarium. Sie wirken erstens regulierend und lindernd. Und zweitens teilt er sie in kleinen gleichbleibenden Portionen aus, nämlich in Gestalt seiner Kolumnen. „Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff“ versammelt Martensteins Kurztexte aus etlichen Jahren. Der Untertitel lautet „Optimistische Kolumnen“. Er führt in die Irre, denn die Tonlage des Autors klingt zwar fast immer zuversichtlich. Dem steht allerdings öfters die Natur seiner Themen entgegen, vor allem dann, wenn er über Gesellschaftspolitik schreibt. Aus dieser Dissonanz ergibt sich die Komik meist fast von selbst.
Martenstein, geboren 1953 in Mainz, schrieb mehr als 30 Jahre für den „Tagesspiegel“, bis die Chefredaktion des Blattes Anfang 2022 einen Text von ihm löschte, weil er Demonstranten, die gegen Corona-Maßnahmen auf die Straße gegangen waren, gegen den Pauschalvorwurf des Antisemitismus verteidigte. Deshalb, aber auch, weil die „Tagesspiegel“-Leitung die Affäre nach außen hin kontrafaktisch darstellte, verließ er die Zeitung und wechselte zur „Welt“. Seine optimistischen Kolumnen erschienen noch vor diesem Eklat. Aber er deutet sich darin schon an.Von sich sagte der Autor einmal, er habe fast 30 Jahre eigentlich immer nur nett geschrieben. Aber schon 2013 erschienen die ersten Texte vom ihm, in denen er sich fragte, wie ein Glaubenssystem namens Gender Studies mit Universitäten und Wissenschaftsbetrieb zusammenpasst. Nett und problemlösungsorientiert, wie es in ihm offenbar von Natur aus angelegt ist, rief er einer Kaiserin also zu, sie habe ja gar nichts an, und meinte, ihr damit einen nützlichen Hinweis gegeben zu haben.
In seinem Text „Pronomenrunden“ beschreibt er die Praxis an Universitäten (hier am Beispiel der Uni Freiburg) in bestimmten Gremien erst einmal reihum mitzuteilen, mit welchem Pronomen die Teilnehmer angesprochen zu werden wünschen, beispielsweise er, sie, es, x, per oder hän. „Hän ist Finnisch und neutral. Hän ist praktisch die Schweiz unter den Pronomen.“ Aber auch die allerreichste Pronomenlandschaft kann unmöglich jedem und jeder gerecht werden, was wiederum Leid verursacht; Martenstein teilt auch hier eine Portion Eiswürfel aus: „Die einzige Lösung wäre Schweigen. Dann ist im Seminar garantiert niemand verletzt, und niemand muss weinen.“
Nur bei wenigen Themen fällt ihm keine praktische Empfehlung mehr ein. Etwa, wenn er davon schreibt, dass sein Verlag Thilo Sarrazins Buch „Feindliche Übernahme“ nicht veröffentlichen wollte (nachdem er vorher mit anderen Sarrazin-Büchern gut verdient hatte). Der Verleger begründete das in einer Stellungnahme, in der er auch die „Gefahr eines neuen Faschismus“ erwähnt.
Über das Schreiben
Apropos Barrikade: einer seiner Kritiker schrieb einmal, Martenstein stehe „stellvertretend für die sich für schweigend haltende Mehrheit weißer, heterosexueller, alter Männer, die die Welt nicht mehr verstehen“, und er schreibe gegen seinen Machtverlust an.
Mit seinem Gestus, sich in seinen Texten zu wundern, versteht er sie allerdings erstaunlich gut. Und zu heterosexueller weißer Mann würde er wahrscheinlich bemerken, das sei nun mal seine Identität, so werde er auf der Straße gelesen. Der britische Komiker John Cleese twitterte vor einiger Zeit: „In meinem tiefsten Inneren wäre ich gern eine kambodschanische Polizistin.“ Dann würde er vermutlich auch andere Scherze machen. Martenstein geht es bestimmt ähnlich.
Neben seiner Eigenschaft als weißer Heteromann ist Martenstein auch noch später Vater, Berliner und, wie schon erwähnt, Alltagsbewältiger. In seinem Buch finden sich also auch Texte, die Erziehungsprobleme behandeln oder die Frage, was in Berlin bei einem Wasserrohrbruch passiert.
Auch Jüngere, Nichtmänner, Nichtheterosexuelle und Nichtweiße können daran Spaß haben. Möglicherweise dienen auch Pronomenrunden zur Kompensation von Ohnmachtsgefühlen. Die Art und Weise, wie hier ein älterer Mann gegen seinen Macht- und gelegentlichen Verständnisverlust anschreibt, wirkt allerdings deutlich unterhaltsamer.
Harald Martenstein, Alles im Griff auf dem sinkenden Schiff. Optimistische Kolumnen. C. Bertelsmann, Hardcover mit Schutzumschlag, 224 Seiten, 18,- €.
Martenstein wurde von mir in der Zeitbeilage gelesen.
Am Anfang reagierte ich recht spröde auf seine Gelassenheit den Dingen auf den vermeintlichen Grund zu gehen. Am Ende bezog ich die Zeit nur wegen Martensteins Kolumne in der Zeitbeilage. Dieser großartige Problemverkleingrösserer brachte es fertig, mich seiner Haltung zu bedienen und ebenfalls Dinge auf seine Art zu betrachten.
Er hat mir quasi geholfen vieles aus einer anderen als der eigenen Perspektive zu sehen, und es nicht als ein Unglück begreifen, wenn sich etwas nicht so gerierte als von mir stillschweigend vorweg angenommen. Diese ruhige Art, die er an den Tag legt, ist für Marktschreier absolut unangenehm, denn die haben es lieber laut und trivial. Er ist von mir ein hochgeschätzter Zeitgenosse, obwohl seine Kolumnen nicht immer auf meiner Linie lagen und liegen. Doch das ist in dem Geschäft das Salz in der Suppe .
Fachkräftemangel?
Ich bin mir sicher, dass in allen Ländern der Welt passende Rollos hängen.
Nur in Deutschland muss es eine kleine Anfrage an den Bundestag geben, warum die Rollos plötzlich nicht mehr passen.
Ist also schon klar, warum „die Menschen“, insbesondere Frauen, den ganzen Tag umherwuseln.
Schliesslich müssen sie teure Mieten etc. pp. bezahlen (können!) und mindestens 2xMalle „all in“ ist ja wohl nicht zu viel verlangt, oder?
Aber mit dem echten Wuseln hat das natürlich nichts zu tun, denn der woke Deutsche macht heute so ziemlich alles, ausser dass er/sie/div. den Hammer in die Hand nimmt. Soll heissen, dass man heute nur noch mit „da kann ich nichts für“ konfrontiert ist.
Ach was, ich gebe es auf. Soll doch diese Gesellschaft mit ihren unerzogenen Gören den Bach runter gehen!
Die Welt zu verstehen, wie es Herr Martenstein vorgibt, ist mir längst zu viel.
Ich beschäftige mich lediglich weiterhin mit DEUTSCHEN Menschen (meist weiblich), denen ich beruflich erklären muss, warum sie Kundin bei mir sind.
Und wenn sie manchmal kreischen, brülle ich zurück!
Natürlich nicht, wenn sie ihre Pansen dabei haben, denn die liegen ja meistens
völlig verdreckt in ihren Buggys und träumen vom nächsten Lolly.Wahlweise vom nächsten Brötchen, dessen zuvor zerkauter Brei sich über Kleidung und Buggy verteilt.
Und die Männer dieses Landes?
Sie sind
einausgebildete Mechatroniker, die am Bildschirm vor sich her mechatroniken.Die Rollos bringen dann „andere“ an…
Ich habe heute eine Reportage gesehen, in der gefühlt fünfzehn Professoren etwas zum Fachkräftemangel fabulierten.
Überwiegend (kein Wunder!) meistens Frauen.
Das Resultat:
Wir benötigen seit Jahren mindesten eine Zuwanderung von 400.000!
Kann mir mal jemand erklären, warum wir diese „Zuwanderung“ längst haben und sich dennoch absolut, man könnte auch sagen VERDAMMT NOCHMAL kein entsprechender Arbeitssklave finden lässt?
Also jemanden, der Rollos in der richtigen Grösse liefern kann?
Zu den Profs: ALLE BEMÄNGELTEN, dass in diesem Land etwas nicht stimmt.
Da fragt man sich doch, warum die mit ihren Vorlesungen eigentlich MEINE Eier schaukeln!