<
>
Wird geladen...
Der Ossis feines Ohr und Gespür

Danke für die Wiedervereinigung

04.10.2022

| Lesedauer: 3 Minuten
Was wären wir „Wessis“ ohne die Menschen mit dem feinen Gehör? Ohne all die, die gelernt haben, auf die falschen Töne zu achten, die empfindlich sind, wenn es um die Meinungsfreiheit geht und wenn der „Korridor des Sagbaren“ immer enger zu werden scheint.

An meinen Freunden, die Erfahrungen mit dem „realexistierenden Sozialismus“ haben, schätze ich ihre extreme Empfindlichkeit. Man kann sich auf ihr feines Ohr und ihr Gespür verlassen. Sie werden hellwach, wenn sie autoritäre Anwandlungen wittern oder den Versuch, Freiheitsbeschränkungen mit Höherem wie dem Volkswohl (wahlweise der Klima- oder Weltrettung) zu legitimieren. Ralf Schuler und Roger Letsch, Alexander Wendt und Vera Lengsfeld sind geschult im Entlarven von Doppeldenk und Doppelsprech, auch wenn die Propaganda heutzutage nicht, wie zu DDR-Zeiten, mit dem Holzhammer, sondern auf Samtpfötchen als nettes „Nudging“ daherkommt. Auf Monika Maron, Günter Weißgerber, Susanne Dagen und Uwe Tellkamp, aber auch auf Wolfgang Thierse und Arnold Vaatz ist Verlass: Sie riechen den faulen Dunst.

Jan Josef Liefers hat ein ebenso feines Näschen. Sein Beitrag zur Schauspieleraktion #allesdichtmachen persiflierte die willige Gefolgschaft, die Medien und „Kulturschaffende“ der Maßnahmenregierung leisten, mit einer Reminiszenz an die devoten Rituale in der DDR. Erst musste man der Obrigkeit brav danke sagen, bevor man es wagen durfte, „konstruktive Kritik“ zu üben, stets in Gefahr, hernach als Quertreiber oder Konterrevolutionär geächtet zu werden. Zweifeln durfte man damals wie heute nicht, verzweifeln schon.

Doch Zweifel ist die Triebkraft freiheitlicher Gesellschaften, sagt Ralf Schuler, (noch) Leiter der Parlamentsredaktion bei der Bild-Zeitung, aufgewachsen in Ostberlin, ein Jahr jünger als Jan Josef Liefers.

Deshalb: danke für die Wiedervereinigung! Was wären wir ohne die Menschen mit dem feinen Gehör? Ohne all die, die gelernt haben, auf die falschen Töne zu achten, die empfindlich sind, wenn es um die Meinungsfreiheit geht und wenn der „Korridor des Sagbaren“ immer enger zu werden scheint? Was wären wir ohne die Diktatur-Erfahrenen, die wissen, wie sich das anfühlt, wenn die Freiheit eingeschränkt wird? Was wären wir, wenn heute nur noch die das Sagen hätten, die damals die DDR für das bessere Deutschland gehalten haben, wie etwa Olaf Scholz?
Moment – da war doch noch was …

In der Tat. Es sieht wie ein einsamer Rekord aus, dass er zwischen 1983 und 1988 neunmal zu offiziellen Gesprächen mit FDJ und SED einreiste, bevorzugt behandelt beim Grenzübertritt. Über die inoffizielle Zusammenarbeit kann man nur spekulieren. Ich denke nicht, dass er wiedervereinigt werden wollte.

Die Akte Scholz

Jusos und FDJ mit dem Kreml Seit' an Seit'

Die Akte Scholz

Doch damit war er nicht allein, wahrlich nicht. Zu den traurigsten Genossen vor nunmehr über dreißig Jahren gehörten die westdeutschen „Intellektuellen“, die sich ihre heile DDR nicht kaputtmachen wollten. Was haben sie damals gezetert, die „intellektuellen Hehler“ (Arnold Vaatz über Walter Jens, Günter Grass, Günter Gaus u.a.), die die deutsche Teilung als gerechte Strafe für Auschwitz aufrechterhalten wissen wollten. Und die der DDR zugutehielten, dass sie ja „antifaschistisch“ gewesen sei. Einige von ihnen waren im Westen im Auftrag der SED unterwegs. Aber viele musste man nicht für ihr Engagement verpflichten oder gar entlohnen.

Noch 1986 zeigte sich der damalige Chefredakteur der Zeit, Theo Sommer, hellauf begeistert von den Potemkinschen Dörfern, durch die er gelotst wurde: „Sie (die Menschen) glauben an das, was sie sehen: die Aufbauleistung ringsum, ihren verbesserten Lebensstandard, die Geborgenheit auch, die ihnen ihr Staat bei allen Kümmerlichkeiten und Kümmernissen bietet, die menschliche Wärme.“

Wiedervereinigung: Wie „Die Zeit“ die DDR verherrlichte

Die angeblich „stille Verehrung“ der Ostdeutschen für Honecker

Wiedervereinigung: Wie „Die Zeit“ die DDR verherrlichte

Die menschliche Wärme, genau, gegen die „soziale Kälte“, für die man sich in der Bundesrepublik an die Brust schlug. Dass es im Westen Deutschlands den „Entfremdungstendenzen des Kapitalismus“ zu wehren gelte, der „Ellenbogengesellschaft“, der sozialen Kälte des „Konsumismus“, galt als ausgemacht. Dagegen die DDR!

Nun, es ist eigentlich klar, dass es in einer Tauschgesellschaft kuscheliger zugeht. Wo man einen Gegenstand oder eine Dienstleistung ohne Verhandlungsgeschick oder gute Laune, sondern schlicht und ergreifend gegen Geld erwerben kann, verliert der soziale Akt des Tauschgeschäfts seinen Charme und seine Bedeutung. Er verliert aber auch seine Zwanghaftigkeit. Nüchtern betrachtet, war die soziale Wärme der DDR eine Zwangsjacke der Gemeinschaft, nicht der Gesellschaft oder der Geselligkeit.

Doch immerhin! Die DDR war antifaschistisch!

Wenn es denn irgendeine von einer Mehrheit anerkannte DDR-Identität gäbe, dann läge sie womöglich hier – im antifaschistischen Anspruch, mit dem sich die Diktatur legitimierte und womit die SED-Propaganda die „gutwilligen Kreise“ der BRD zum Schulterschluss zwang.

Dieser Mythos ist heute lebendiger denn je. Wo der „Kampf gegen Rechts“ als größte und wichtigste Aufgabe gilt, sind die Schlägertrupps der selbst erklärten „Antifa“ nicht nur das kleinere Übel, sondern geradezu Bundesgenossen, etwa der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass nicht die BRD die DDR „kohlonisiert“ hat, sondern dass, umgekehrt, die DDR dabei ist, den Sieg davonzutragen.

Einspruch? Klar. Natürlich kann man das vereinte Deutschland nicht mit der DDR gleichsetzen. Doch wer den Ruf „Wehret den Anfängen!“ ernst nimmt, sollte das auch jetzt tun. Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat es derart massive Eingriffe in die Grundrechte der Bürger gegeben. Nur zu ihrem Schutz? Grundrechte heißen so, weil sie nicht verhandelbar sind, egal, wie edel das Motiv für ihre Einschränkung sein mag. Edel sind alle Motive totalitären Handelns, stets will man das Beste für die Menschheit, das Klima oder gleich die ganze Welt – und dafür seien alle Mittel recht.

Insofern: Ohne die Spürnasen mit DDR-Hintergrund würde ich mich einsam und verloren fühlen im Neuen Deutschland. Danke für die Wiedervereinigung.

Hier klicken, um den Inhalt von X anzuzeigen.
Erfahren Sie mehr in der Datenschutzerklärung von X.

Als wären sie immer noch da

Wie ein Echo aus der Geschichte

Als wären sie immer noch da

Von Cora Stephan ist gerade erschienen:
Im Drüben fischen. Edition Buchhaus Loschwitz, dresden

Anzeige
Ad
Unterstuetzen-Formular

WENN IHNEN DIESER ARTIKEL GEFALLEN HAT, UNTERSTÜTZEN SIE TICHYS EINBLICK. SO MACHEN SIE UNABHÄNGIGEN JOURNALISMUS MÖGLICH.

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

21 Kommentare

  1. Wenn ich bis zur Wahl einer Bolschewistin ins Bundeskanzleramt durch meine Landleute von jenseits der Elbe -die Wahlen werden im Westen entschieden – geglaubt habe, dass es kaum einen Unterschied im Handeln und Denken von Rügen bis zur Zugspitze gibt, hat mich diese Wahl und alles was danach kam eines Besseren belehrt.
    Da war der Schwachsinn der Bahnhofsklatscher 2015 auf Bahnhöfen in Westdeutschland. In Mitteldeutschland suchte man diese Schwachmaten vergeblich.
    Die Coronahysterie hat in eben diesen Mittedeutschland niemals de Aussmasse angenommen, wie jenseits der Elbe,wo noch immer viele inbrünstig mit Maulkorb rumrennen. Wir Mitteldeutschen zeigen dagegen schon seit über einem Jahr jeden Montag unseren Unmut über die Übergriffigkeit des Staates in diesem Zusammenhang. Seit Frühjahr diesen Jahres kommt die Wut über das Totalversagen der Ampelregierung in der Energie-u. Ukrainekrise hinzu. Auch diese Regierung konnte von den 16 Millionen Mitteldeutschen nicht verhindert werden. Ins Amt gebracht wurde diese auch wie zuvor schon eine lM Erika, alias Merkel vom Wähler von jenseits der Elbe.
    Und etwas ist wiedergekommen durch meine Landsleute in Westdeutschland, von dem ich geglaubt habe es nie wieder erleben zu müssen. Nämlich ich vorher überlegen zu müssen, was man sagt oder besser auch nicht. Die Intoleranz, die Voreingenommenheit, die Besserwisserei und die Heuchelei hat ein Ausmaß angenommen, was man so nie für möglich gehalten hat. Man kann oft nicht sicher sein, ob der Betreffende seine eigene Meinung sagt oder das nachplappert, von dem er glaubt, des es opportun ist oder dem Mainstream entspricht.
    Inzwischen meide ich spontane Gespräche mit Leuten, deren Herkunft ich nicht eindeutig diesseits der Elbe vermute.
    Schön ist das nicht, es bedrückt mich gerade auch deshalb weil es eine Zeit gab, so bis 2012 , wo es für mich keinerlei Rolle gespielt in welchem Teil unseres Landes mein Gegebenüber sein zu Hause hat.
    Oft frage ich mich,habe ich mich geändert oder waren es die anderen, die immer schon so waren , das aber in diesen Krisenzeiten zum Ausdruck kommt.
    Dank eines glücklichen Umstandes ist ungarisch meine zweite Muttersprache. Unterhalte ich mich mit Ungarn treffe ich wieder auf diese Offenheit und Ehrlichkeit, wie ich sie hier in Buntland so schmerzlich vermisse.
    Man sagt sich seine ungeheuchelte Meinung, wenn man nicht übereinstimmt ist das ok. wenn doch ,um so besser.
    Es wird kein Blatt vor den Mund genommen, alles was die Orbàn-Regierung so macht oder nicht zu kritisieren . Auch die Opposition kriegt ihr Fett ab. Habe ich eine andere Sicht auf die Dinge, kommt man schließlich zu dem Schuss, dass die Dinge so sind, wie sie sind und es Dinge, wie Familie, Freunde oder Gesundheit weitaus wichtiger sind.
    Nach 32 Jahren sind mir meine Landsleute jenseits der Elbe fremder geworden,als sie es vor 1989 je waren.
    Die Ungarn derweil sind mir immer noch genau so nah, wie in der Zeit vor 89, als man gemeinsam unter der Beasatzung der Russen sein Leben gelebt hat.

  2. Als Wessi der 88 geboren wurde muss ich festhalten dass das Ossi/Wessi Denken nur noch in den Köpfen der Boomer und GenX existiert. Ich kenne in meiner Generation niemanden der Vorurteile in dieser Hinsicht hat.

  3. Danke nicht nur den Ossis für die sensiblen Näschen, sondern auch den europäischen Nachbarn: den Italienern für Giorgia Meloni, den Schweden für die Demokraten, den Dänen für ihre Sozis, den Polen für ihre Kohle, den Franzosen für ihre Atomkraftwerke, den Schweizern für freie Presse und Fluchtwährung, den Österreichern für flexiblen Pragmatismus, den Tschechen für Klartext, den Ungarn für Patriotismus, den Briten für Widerstand gegen EU-Zentralismus, den Iren für Steuerwettbewerb, den Isländern für too-big-to-fail-gibt-es-nicht, den Finnen für Wehrhaftigkeit mit Sauna, den Balten für ich-David-Du-Goliath, den Niederländern und Norwegern für Erdgas, den Griechen für Grenzschutz und den Spaniern für LNG-Terminals.

  4. Auf der einen Seite die DDR kritisieren, befürchten, dass sie in den Westen übergeschwappt sein könnte, aber die DDR-Bürger davon trennen und als heutige Retter der westlichen Demokratie überhöhen? Ich kann solche geistigen Verrenkungen nicht mehr hören.
    Die DDR-Bürger haben die DDR gelebt, sie war ihr Land, sie haben dieses gestaltet, sich mit diesem identifiziert und jeden und alles ausgemustert, das der DDR-Propaganda widersprach. Und damit waren die jahrelang beschäftigt, bis zuletzt jeder jedem misstraute und jeder jeden gehasst hat.
    Und die Ostdeutschen unterscheiden sich kaum von den DDR-Bürgern, weil sie zumeist ihre DDR-Blase weiterhin vehement verteidigen. Sie fühlen sich als Opfer der Wiedervereinigung, weil sie immer noch nicht erkennen wollen, dass die DDR eben kein tragfähiges Konzept war, sondern früher oder später scheitern musste. Aber weil der Westen die Wiedervereinigung schnell abschließen wollte, die Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen lassen wollte, wird die Legende erzählt, dass die DDR hätte weiterbestehen können, wenn der kapitalistische Westen sie nicht betrogen hätte. Wenn Ostdeutsche heute vermehrt demonstrieren, dann weil sie dem Westen generell misstrauen und nicht, weil sie angeblich so ein feines Gespür haben.

    • Sie haben mal so gar keine Ahnung vom Leben in der DDR. Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und behaupte sie sind in der alten BRD geboren. Menschen wie sie sind der Hauptgrund dafür dass es keine wirkliche ,,Wiedervereinigung“ gegeben hat. Sie tun so als wenn sie Alles wissen, aber in Wirklichkeit haben sie keine blasse Ahnung von was sie reden.
      PS: Ich habe die persönliche Anrede bewußt klein geschrieben.

  5. Gera (93.000 E.) am 03.10., waren 10.000 Leute auf der Straße ! Der Ossi ist wach, sehr wach und das ist gut so.

  6. Zustimmung, Frau Stephan! Ich danke zudem den vielen Demonstranten dort! Von deren „Mut zur Straße“ können wir Wessis uns ’ne Scheibe abschneiden – eine ganz, ganz dicke Scheibe.

  7. Mit der Machtergreifung Merkels (über unerwartet hohen Brief Wahl Anteil) 2005 war mir klar, dass sich Bärbel Bohleys Vorhersage aus 1991 … es wird alles wiederkommen .. bewahrheiten wird. Merkel – das Aushängeschild des Trojanischen DDR Pferdes. Wer bitte hat die Enteignung der SED verhindert – Merkels Club der Unfähigen. Dessen zerstörerische Spur führt bis zur heutigen Zerstörung durch schwarz/rot/grün.
    Die Saat, von der Margot Honecker 89/90 sprach ist aufgegangen und zerfrisst die BRD von Schmidt und Kohl unwiederbringlich.

  8. Wie naiv und selbstbetrügerisch Intellektuelle ganz im allgemeinen sind, belegt wunderbar dieser Artikel, so dass man am liebsten zwischen Wessis und Ossis noch die Kategorie der, wie soll man sie nennen, „Intellektis“ aufmachen möchte.

    Während also die Wessis nie verstanden haben was die DDR überhaupt ist, weil sie nie die Gelegenheit zu dieser Erfahrung hatten, haben die Ossis die Bonner Republik aus gleichem Grund nicht verstanden, da diese mit der Wiedervereinigung bereits verschwunden war. Die dritte Gruppe der „Intellektis“ haben typischerweise weder das eine noch das andere verstanden. Nur so erklärt sich, nicht nur Cora Stephans Beweihräucherung der Ossis, die im Grunde nur eine Variante derselben, durch die Linken bezüglich der DDR ist.

    Ossis wie Wessis haben im Vereinigungsprozess völlig versagt. Erstere weil sie vollkommen in der Unantastbarkeit ihrer Opferrolle aufgegangen sind und damit zahlreichen Funktionären ihr fortwirken in Politik und Medien ermöglichten, ohne vor diesen zu warnen, letztere weil sie sich bis heute in ungebrochener Obrigkeitshörigkeit allem unterwarfen was man ihnen abverlangt hat.

    Die Intellektuellen begleiten all dies mit der Bedienung der immer gleichen Narrative und Klischees. Diesmal eben vom „hellwachen Ossi mit Diktaturerfahrung“, der den Ossis als Diktaturopfer abgelöst hat.

    Aber anstatt unsere „Intellektis“ den Mut hätten die Wessis aufzufordern, es den Ossis gleich zu tun, spielen sie lieber die einen gegen die anderen aus. Das es dabei vornehmlich die Intellektuellen aus dem Westen sind, passt zu der typischen Überheblichkeit die Selbstkasteiung als edle Eigenschaft für sich zu reklamieren. Und auf der Demo neben den falschen Leuten gesehen zu werden wird peinlich vermieden indem man doet besser gar nicht gesehen wird, da ist es doch einfacher dem Einen den Anderen als Spiegel vorzuhalten, jenen in den man selbst nicht schauen mag.

    Dem Dank für die Wiedervereinigung kann ich mich als Wessi nicht anschließen, hat sie mich doch die so sehr viel bessere Bonner Republik gekostet, die D-Mark und am Ende in ein Europa geführt, das sich anschickt die DDR in allem Schlechten bei weitem in den Schatten zu stellen. Und dass ich bis heute keinen Ossi getroffen habe, nicht mal in der eigenen Familie, der schlecht über die DDR gesprochen hat, aber sehr wohl über den Westen, zeigt mir, wie weit wir immer noch von einer Wiedervereinigung entfernt sind, wenn es überhaupt noch jemals in diesem Land etwas zu vereinigen geben wird.

  9. Man muss dazu keine Diktaturerfahrung haben. Wer seine Freiheit liebt und die letzten Jahrzehnte aufmerksam die kleinen Meldungen in den Tageszeitungen verfolgt hat, konnte früh beobachten wie sich die Grenzen der offenen Debatte hin zum hinterhältigen Manipulieren verschoben haben, bis es zuletzt in offene Rechts- und Freiheitsbrüche mündete, die inzwischen normal geworden sind und nachträglich von dysfunktionalen Kontrollorganen legitimiert werden.

    Für jene, die die Demokratie als selbstverständlich sahen, waren die ersten Anzeichen bereits in den früheren 2000ern in zunehmenden Kampagnen „für Demokratie“ und zur Rettung der Demokratie zu sehen, wo Demokratiebedrohung in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht und Demokratiefeinde suggeriert wurden, und die lange vorher unter der Regierung Merkel inszeniert wurden und zu Verwunderung führten – war es doch unnötig, denn unsere Demokratie funktionierte einwandfrei. Das waren die ersten Versuche, die Bedeutung von Demokratie sukzessive umzuformulieren, vor allem aber plakative Feindbilder in die Köpfe zu hämmern, mit denen sich später jede Kritik leicht abschmettern und politische Konkurrenz ausschalten ließ. Und Quasizensur möglich wurde, die demokratisch aussieht.

    Der Begriff Demokratiefeind (alias Nazi, Rechte, Rechtspopulisten, Querdenker, Impfgegner, Coronaleugner, Russenfreunde) funktioniert wie ein Feuermelder, wo keiner mehr genau hinschaut sondern nur noch wegrennt, wenn er ihn hört. Genau dafür wurde er in der öffentlichen Kommunikation implementiert, und genauso wird er verwendet. Aufmerksame Beobachter konnten das früh erkennen. Die Warnungen verhallten aber ungehört oder wurden abgetan als Quatsch. Niemand konnte oder wollte sich vorstellen, dass der Demokratiefeind nicht von außen sondern von innen kommt und selbst Alarm schlägt, um von sich abzulenken und Gegner unschädlich zu machen.

    Als seinerzeit (2014 meine ich) die Notiz zu lesen war, dass Merkel sich Nudging-Experten in ihren Beraterstab holte, war dies eine Bestätigung des diffusen Gefühls, Merkel könnte eventuell Demokratie nicht recht verstanden haben und sie anders definieren als freiheitsgewohnte Bürger, die Wert auf ihre bürgerlichen Freiheiten legen und sich ihrer sicher wähnen. Sie schien die Bürger unterhalb ihres Aufmerksamkeitsradars lenken anstatt sie informieren und sich eine Meinung bilden lassen zu wollen, was gelungen ist. Man frage sich, wozu?

    Wer das damals thematisierte und wer fand, in der DDR sozialisierte bzw. politisierte Politiker, die keine Dissidenten waren, hätten keine einflussreichen Ämter in der BRD bekleiden dürfen – zumindest nicht ohne genaueste Überprüfung, erntete damals noch Unverständnis.
    Warum sollte man eine solche „diskriminierende“ Meinung haben? Weil Demokratie und Bürgerrechte für Besserwisserische und Ideologen schwer bis gar nicht auszuhalten sind; schon gar nicht, wenn sie ihre Vorstellungen und Ziele behindern.
    Auch diese Bedenken haben sich inzwischen als berechtigt bestätigt.
    Allerdings wurden entsprechende Kommentare seinerzeit nicht veröffentlicht, und als einmal ein Ansatz davon erschien, wurde er durch viele Downvotes von den Lesern missbilligt. Man fühlte sich im Rechtsstaat und in unserer Demokratie sicher und konnte sich nicht vorstellen, dass sie von solchen Gestalten bedroht sein könnten.
    Inzwischen hat sich der Begriff Demokratie in den Köpfen junger (und leider auch älterer) Leute so verfestigt, wie sich die Feinde derselben das gewünscht haben: Eine schreiende (mediengeförderte) Meute und beliebige Umfrageergebnisse suggerieren den Willen einer Mehrheit, und diese hat sich gefälligst solidarisch mit den vorgegebenen Motiven zu verhalten. Womit sich Politiker ein Feigenblatt geschaffen haben, Recht und Regeln zu umgehen und zum Schein demokratisch zu handeln.

  10. Es entbehrt nicht einer gewissen bittertrüben Ironie, dass ausgerechnet diejenigen, die früher am heftigsten gegen diese Wiedervereinigung waren, und die heute die Gesellschaft am meisten spalten, die „Wiedervereinigung“ heute am ausgiebigsten im öffentlichen Rampenlicht feiern. Kann man das eigentlich auch schon als „kulturelle Aneignung“ sehen?

  11. Bei allem Respekt für individuelle Sensibilitäten und Klugheit, ich kann keine höhere “ demokratische Sensibilität “ all derer erkennen, die sich aktiv in die öffentlichen Angelegenheiten eingebracht haben. Von Schwerin bis Erfurt, und in Berlin schon gar nicht, haben alle aus den ehemals ostdeutschen Ländern stammenden Politiker und politischen Beamten um nichts anderes als um ihren Platz in der fundamental anti-demokratischen, feudalistischen Parteienoligarchie gekämpft, und diese seit 1990 weiter ausgebaut und gefestigt. Frau Merkel (unverzeihlich-rückgängig machen) wirkte geradezu als Bienenkönigin der Oligarchie, und als Neuauflage von “ es muß demokratisch aussehen, aber wir/ich müssen alles unter Kontrolle behalten „. Die Intendanz, und Managementstruktur eines MDR ist nur oberflächlich anders als der gleiche Filz in München oder Hamburg. Die aus Ostdeutschland stammenden EU-MEPs haben, gelegentlich im Antifa-T-shirt, auch keine bessere, demokratische Qualität als ein parasitärer Karrierist aus sonstwo.

  12. Ich bin den Ostdeutschen ebenfalls sehr dankbar, dass sie sich den zunehmenden Einschränkungen der Freiheit und dem Klimawahn sowohl an der Wahlurne als auch auf der Straße widersetzen. Dafür werden sie von den Leitmedien und der etablierten Politik als Rechtsextreme und Nazis diffamiert.

    • Allen voran der Bundes Gauckler, dessen Söhne unbehelligt von der Stasi aus der DDR ausreisen konnten und kurz darauf aus Feindesland wieder zur Goldenen Hochzeit der Fam Gauck kommen durften – Gauck halt.

  13. Erfahrungswerte spielen eben immer eine große Rolle und davon haben die Ostdeutschen mit Sicherheit einige mehr als die Westdeutschen. Insbesondere haben sie Erfahrungswerte mit einem großen Vorsprung, was Autokratie bzw. Diktatur angeht.
    Trotzdem sollte man nicht vergessen, dass auch die DDR über 40 Jahre vor sich hinwurschteln konnte, bis sie endgültig bankrott war und die Menschen rebellierten. Ist das mutmachend? Ich weiß es nicht.
    Vierzig Jahre sind ein halbes Leben. Da werde ich den Zusammenbruch nicht mehr erleben. Der Mensch ist anscheinend nicht lernfähig. Die Ossis zumindest zum Teil schon. Jeden Fall mehr als die Wessis, deren Bürger mit Kenntnissen einer Diktatur längst unter der Grasnarbe liegen. Heute sind die Wessis das „ahnungslose Tal“. Nicht alle, aber die meisten sind relativ ratlos, was dringend zu tun geboten wäre.

  14. Sehr geehrte Frau Stephan, durch eigene, erst seit Kurzem bestehende Verwandschaftsbande, habe ich einen viel tieferen Einblick in die aktuellen Dinge, als das von Außen möglich ist.
    Ich bin froh, dass mein Sohn dort seine sehr wohlerzogene, unaufgeregte und in einem Maße gebildete Frau gefunden hat, die meinen beiden Enkelkindern eine sehr gute Mutter ist. Aber auch die Eltern meiner Schwiegertochter sind politisch interessierte aber keineswegs laute Bürger,was ich als unglaublich angenehm empfinde. Weder lassen sie sich von den Leuten aus dem Westen provozieren, noch werden sie aggresiv, wenn es bei einer Diskussion ans Eingemachte geht. Sie wissen aus langer Erfahrung, dass man einen langen Atem braucht, wollte man in einem Staat wie der DDR nicht unter die Räder kommen. Und ja, ihr Gespür für gegenüber dem Grundgesetz nicht zu rechtfertigenden Eingriffen in das bitter erkämpfte Grundrecht , ist explizit und unübersehbar sehr gut wahrnehmbar. Von daher brauchen alle, die in Chemnitz “ Hetzjagden“ wahrnahmen entweder neue Brillen, oder eine Einweisung in die Blindenschule.
    Und da man mittlerweile weiß wie der Hase im Westen brummt, wird die Wachsamkeit eher noch zunehmen. Daß in den östlichen Bundesländer die AFD viel stärker ist, hat mit diesem Umstand zu tun. Da man in Sachsen, Thüringen, Brandenburg , Sachsen- Anhalt und Mecklenburg genau weiß, was da aus dem Westen auf sie zurollt, haben die Altparteien keine Chance mehr nochmal Werte zu erreichen, wie unter dem ersten Ministerpräsidenten in Sachsen, direkt nach dem Mauerfall, Herrn Biedenkopf.
    Durch „“Treuhand““ total herabgewürdigt in ihrem Selbstverständnis als Menschen mit einer hohen Lebensleistung, deren Betriebe, die sehr gute Chancen hatten zur Brücke zu den früheren Oststaaten zu werden oder zu bleiben, wurde die Eigenwahrnehmung so unterminiert, das das Selbstbewusstsein vieler Menschen schwer beschädigt wurde. Heute lässt man sich das nicht mehr gefallen und tendiert eher dazu eine Partei zu wählen, die an den Verbrechen der ‚ Treuhand‘ nicht beteiligt war. Auf jeden Fall gibts da nichts zu rätseln. Die Bürger der ehemaligen DDR sind kritisch, und lassen sich nicht so schnell ins Bockshorn jagen.

  15. Aus Sicht des Wessis – so auch aus meiner – ist das richtig, liebe Frau Stephan. Doch der Ossi muss erkennen, dass er in der DDR 2.0 statt in einer freien Bürgergesellschaft angekommen ist.

  16. upps, Frau Stephan, ich hatte Sie leider bis jetzt sogar für einen „Ossi“ gehalten. Ich kann Ihnen aber als ein solcher versichern, die feine Gespür ist in Ostdeutschland noch da, wenngleich es auf Grund von Indoktrination bei der jüngeren Generation stark nachlässt. Es sei denn, es gibt ein starkes Elternhaus, welches die DDR noch erlebt hat und dieses Wissen weitergibt. Daher gebe ich Ihnen Recht: „der Ossi riecht den Braten, bevor er angebrannt ist“
    Leider stinkt es schon gewaltig!

  17. ich gehöre zu den Wessis, die sich unendlich über den Mauerfall und die Wiedervereinigung gefreut, das hat auch nicht nachgelassen.
    Damit wurde eine von Deutschlands Kriegswunden geheilt.
    Dass mir in bestimmter Hinsicht zB Sachsen fremd ist, was an der Geschichte und an der Sprache liegt, ist ein Fakt, ebenso wie mir Bayern oder Schwaben fremd sind. Sie sind aber Deutsche und gehören also zu meinem Volk.
    Oft wünsche ich mir, das unser Volk das selbstverständliche Zugehörigkeitsgefühl spürt, wie zB die Franzosen, Dänen oder Ungarn. Ein Politiker, der/die sich derart abfällig über das eigene Volk und den eigenen Staat auslässt, würde in anderen Ländern zum Tor heraus gejagt.

  18. Lieb Frau Stephan, ich teile Ihre Einschätzung, was die Sensibilität für undemokratische Einschränkungen, das „feine Näschen“ unserer Landsleute in Neufünfland angeht. Ich halte Ostdeutschland deswegen inzwischen für den besseren Teil der Bundesrepublik. Nichtsdestoweniger: Es gibt eine große und stetig wachsende Zahl von Westdeutschen wie ich, die in den fünfziger- sechziger- und auch noch in den siebziger Jahren aufgewachsen sind und den Verwesungsgestank inzwischen nicht mehr ertragen können.
    Wir wollen die Bundesrepublik wie sie im Grundgesetz steht zurück!
    Bevor der bornierte Politkindergarten in Berlin alles in die Tonne tritt!

    • Als der Corona-Irrsinn losging, unterhielt ich mich öft mit meiner westdeutschen Kollegin über meine Ängste und Befürchtungen über diese Entwicklung. Rund ein Jahr später sagte sie mir mal, dass sie das inzwischen verstehen kann und teilt. Am Anfang hätte sie immer gedacht „was hat die Katrin bloß…“ Ich bin froh, dass auch im „Westen“ zunehmend erkannt wird, wo die Reise hingehen wird, wenn wir nichts dagegen unternehmen.

Einen Kommentar abschicken