<
>
Wird geladen...
Ein sicherheitspolitischer Weckruf

Kann die Nato Europa (noch) verteidigen?

von Gastautor

13.03.2022

| Lesedauer: 8 Minuten
Wer in jeder Krise eine militärische Lösung ausschließt, der liefert die Schwachen aus und gibt den Skrupellosen freie Hand. Stellen sich die Deutschen den Realitäten nicht, dann werden sie die friedliche Zukunft und das Wohlergehen unserer Kinder verspielen. Von General a. D. Klaus Naumann

Das Buch »Future War – Bedrohung und Verteidigung Europas« ist ein Alarmsignal für das durch zwei Jahrzehnte verdrängter äußerer Gefahr, durch COVID-19 und durch den Brexit geschwächte Europa, das sich in allen Fragen der Verteidigung auf die USA verlassen hat. Es wurde handlungsunfähig und von den USA abhängig. Zudem hat Europa seit Obamas Zeiten übersehen, dass der Schwerpunkt der USA, auch im Interesse Europas, die Suche nach Lösungen ist, wie Amerika im Wettstreit mit der aufstrebenden, neuen globalen Macht China Freiheit schützen und Konfrontation verhindern kann.

Für das notorisch nach innen blickende Deutschland, dessen Politiker nicht erst seit dem Ende des Kalten Krieges das Volk durch großzügigen, aber von künftigen Generationen kaum noch zu bezahlenden Sozialtransfer einlullten und Wettbewerbsfähigkeit oft durch Unruhe vermeidende Subventionen bewahrten, ist das Buch ein Weckruf kurz vor zwölf.

Das Afghanistandebakel, Symbol bislang einzigartigen Regierungsversagens in Deutschland, ist nicht nur eine Niederlage der USA, sondern auch der Nato, die vor allem auf deutsches Drängen die Verantwortung für die Afghanistanoperationen nach der Niederlage der Taliban 2002 übernehmen musste. Afghanistan steht nun für das Versagen des Westens insgesamt und den Verlust seiner Glaubwürdigkeit, keineswegs nur der amerikanischen. Diese jüngste Entwicklung verleiht dem in glücklicheren Zeiten geschriebenen Buch zusätzliche Dringlichkeit. Es ist nun auch ein Weckruf, rasch die Handlungsfähigkeit des Westens und seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

Das muss in Europa und da vor allem in Deutschland beginnen und darf trotz aller Notwendigkeit, Auslandseinsätze grundsätzlich zu überprüfen, nicht dazu führen, von Interventionen jeglicher Art künftig abzusehen. Sie werden weiterhin nötig sein, sowohl um Risiken fernzuhalten, aber auch um der Responsibility to Protect gerecht zu werden. (…)

DIE BEDROHUNG UND VERTEIDIGUNG EUROPAS
Ein Buch, das naive Denkgewohnheiten auf den Prüfstand stellt
Die drei Verfasser betonen in ihrem Vorwort, dass ihre Vorschläge auf rund 100 Jahren Berufserfahrung beruhen. Ich habe sie an meinen Erfahrungen aus 41 Jahren als Soldat und einem halben Jahrhundert Beschäftigung mit Sicherheitspolitik gemessen und stelle fest: Sie beschreiben die Lage korrekt, sie beurteilen zutreffend, wo Europa, ja der Westen stehen und sie ziehen daraus die richtigen Schlüsse. Die Vorschläge sind alle umsetzbar, vorausgesetzt, das Unbequeme wird politisch gewollt und unsere Politiker haben endlich den Mut, den Bürgern zu sagen, dass Freiheit und Wohlergehen in einer unruhigen Welt voller Gefahren nur erhalten werden können, wenn die Mehrheit den Alarmruf hört, versteht und bereit ist, für unser aller Schutz einzutreten, Opfer zu bringen und zu handeln.

Die Verfasser haben einen spannenden Ansatz gewählt: Sie beginnen mit einem Worst-Case-Szenario im Jahre 2029: Europa hat die außenpolitischen Zeichen seit der COVID-19-Pandemie nicht verstanden und hat seine Verteidigung weiterhin vernachlässigt. Die USA haben sich auf die chinesische Herausforderung konzentriert, wissen aber, dass sie einem gleichzeitigen Konflikt in Europa und Asien nicht gewachsen sein werden. Diesen schlimmsten aller denkbaren Fälle schildern die Verfasser und sie beschreiben, was dann wohl unausweichlich ist: Die Niederlage der USA in Europa und in Asien, das Scheitern der Nato und damit das Ende des Westens. Natürlich kann man darüber streiten, ob man einen Aufruf zum Handeln mit der Aussicht des Scheiterns beginnen soll. Es ist jedoch eine bewährte Erfahrung militärischer Planung, sich auf den schlimmsten denkbaren Fall vorzubereiten. Dabei gilt stets, dass man nur die Fähigkeiten eines Gegners einigermaßen verlässlich beurteilen kann, seine Absichten dagegen kaum und diese können sich über Nacht ändern, wenn die Fähigkeiten dies zulassen.

Das Buch endet nach einer Bewertung der Lage und den daraus abgeleiteten Vorschlägen für die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit Europas mit einem anderen fiktiven Szenario des Jahres 2029: In ihm haben die Europäer wie Amerika die richtigen Konsequenzen aus der Lage nach COVID-19 gezogen und meistern nun die Krise. Anzumerken ist allerdings, dass die Verfasser im zweiten Szenario nicht den schlimmsten aller denkbaren Fälle skizzieren, weil sie, gut begründet, ein koordiniertes Zusammenwirken Russlands mit China ausschließen.

Nach dem aufrüttelnden Eingangsszenario beschreiben und beurteilen die Verfasser die Fähigkeiten Europas und des Westens, insgesamt mit den Gefahren der Zukunft fertig zu werden. Sie stellen dabei zwei zentrale Fragen: Erstens, wie kann Abschreckung in einer Lage erhalten oder wiederhergestellt werden, in der der Gegner eine Art der Kriegsführung anwendet, die man als »5D-D-Kriegführung« bezeichnen könnte: Die gleichzeitige, koordinierte und durchgeplante Nutzung von Desinformation, Deception (Täuschung), Disruption, Destabilisierung, verstärkt durch Zwang, also durch Destruction, die partielle Zerstörung, und schließlich, und das wäre das sechste D, durch Disease, also absichtlich herbeigeführte Krankheiten.

Die zweite Frage ist, wie kann ein solcher Krieg in einem Europa verhindert werden, in dem viele Europäer, allen voran die Deutschen, daran glauben, dass Krieg nicht mehr möglich ist, trotz aller Lehren aus der Geschichte und entgegen der seit dem Krieg in Georgien 2008 nicht zu übersehenden Realität, dass Putin aus Furcht vor der Demokratie bereit ist, um jeden Preis eine Pufferzone vor Russland zu schaffen.

SI VIS PACEM, PARA BELLUM
Putin strebt zurück zum Weltmachtstatus auf Augenhöhe mit den USA
Die vor Europa und den USA stehenden Herausforderungen werden nüchtern, aber zutreffend beschrieben. Dabei werden die hinter der Nato-Formel der 360°-Verteidigung stehenden Herausforderungen benannt, nämlich gleichzeitig mit Russland, der Fragilität im Süden des Nato-Gebietes, der durch den Klimawandel erhöhten Gefahren im hohen Norden und den aus dem Nahen Osten wie aus Asien auf die Nato einwirkenden Risiken fertig zu werden.

Dem folgt die Bewertung der Fähigkeiten Europas und der gesamten Nato sich verteidigen zu können, bevor die Autoren unter der Überschrift Hyperwar versuchen zu zeigen, wie sich die anhaltende, rasante technische Entwicklung in einem Krieg der Zukunft auswirken könnte. Schon heute müssen Streitkräfte nicht nur zu Lande, in der Luft und auf See koordiniert operieren können, sondern auch im Cyberspace und im Weltraum. Durch künstliche Intelligenz (AI), Bionik, Automation, Robotik und Nanotechnologien könnten Gegner neue, bislang kaum geahnte Möglichkeiten der Lähmung und Zerstörung in die Hand bekommen. Betrachtet man zusätzlich die Option, Kampfhandlungen durch vorangehende oder begleitende hybride Operationen und koordiniertes terroristisches Handeln zu unterstützen, erkennt man die Dimension künftiger Kriegsführung und die unzulängliche Vorbereitung Europas sich zu schützen, also Verbündeter zu sein, der nicht nur Klotz am Bein der USA, sondern ein wirklich hilfreicher Partner ist.

Die Autoren fordern deshalb zu Recht ein neues Denken in Europa, in der Nato und auch in den USA. Sie gehen weit über den durch den Bericht Nato 2030 für die Entwicklung einer neuen Nato-Strategie gesetzten Rahmen hinaus und geben Anregungen für die Gestaltung der künftigen Struktur eines nicht nur im Nato-Vertragsgebiet handlungsfähigen Bündnisses.

Nicht zuletzt für deutsche Leser besonders zu begrüßen ist die realistische Betonung der unverändert notwendigen, nuklearen Abschreckung. Die Autoren sehen in ihr eine der Voraussetzungen für einen erneuten Versuch, den gegenüber Russland bewährten Doppelansatz von Dialog und gesicherter Verteidigungsfähigkeit erneut zu beleben. Gerade das für seinen nuklearen Schutz nahezu singulär abhängige Deutschland sollte aus diesem Buch erkennen, dass das unter Putin erneut nuklearer Überrüstung verfallene Russland nur zu Beschränkungen bereit sein wird, wenn aufseiten der Nato nukleare Fähigkeiten bestehen, die Russland fürchtet.

Nur deshalb könnte es Bereitschaft zu Verhandlungen über beiderseitige und überprüfbare Beschränkungen zeigen, sofern es auf der Nato-Seite Gegenleistungen erwarten kann. Ohne modernisierte nukleare Teilhabe Deutschlands, also die rasche Beschaffung eines leistungsfähigen und interoperablen Tornado-Nachfolgers, ist das gewiss nicht zu erreichen. Diese Entscheidung ist zudem für den Zusammenhalt des Bündnisses von grundlegender Bedeutung und sie ist die Versicherung, auf die die Staaten Mittel- und Osteuropas warten, weil sie anders als Deutschland wissen, dass es in absehbarer Zukunft weder ein Verbot der Atomwaffen noch eine nuklearwaffenfreie Welt geben wird.

PANIK IM KREML
Warum Putin mehr Angst vor den Müttern hat als vor der Nato
Das Buch unterstreicht die alte und dennoch unverändert gültige Gewissheit: Sicherheit vor Russland ist nur auf der Grundlage gesicherter Verteidigungsfähigkeit zu erreichen. Darauf aufbauend kann und muss man durch Verhandlungen Stabilität und damit Sicherheit vor Russland suchen. Putins Russland, das sich irrigerweise in einer Position der Stärke sieht, weil es eben nur auf Militär als Beleg der Macht setzt, obwohl es insgesamt schwach ist, zu Verhandlungen zu bewegen, dürfte sehr schwer sein. Die Verfasser lassen offen, wie man das erreichen könnte.

Deshalb wäre sicherlich der Gedanke zu prüfen, als Ausgangspunkt aller Gespräche mit Russland die Bekräftigung der drei Schlüsseldokumente zu suchen, denen Russland zugestimmt hat und die in den neunziger Jahren gemeinsame Sicherheit begründet haben: Die Charta von Paris von 1990, das Budapester Memorandum von 1994 mit seiner Garantie der Integrität der Ukraine und die Europäische Menschenrechtskonvention von 1998. Erst wenn Russland sich verpflichtet, sie zu bekräftigen und zu achten, dürften Verhandlungen eine Aussicht auf Erfolg haben. Das aber wird Russland nur tun, wenn es erkennt, dass Europa eine glaubhafte Verteidigungsfähigkeit schafft und bereit ist, sich zu schützen. Dann dürfte auch Putin merken, dass alle Versuche, einen Keil zwischen Europa und Nordamerika zu treiben, zum Scheitern verurteilt sind.

Dieser Doppelansatz gegenüber Russland ist der Kern des abschließenden neunten Kapitels des Buches. In ihm werden die Vorschläge der Autoren für die Verteidigung Europas zusammengefasst.

Diese Vorschläge sind zwar weitreichend, aber realistisch, zielführend und allesamt durchaus machbar, wenngleich sie einen politischen Sinneswandel, sehr schnelles Handeln, darunter eine umfassende Überprüfung und Ergänzung der bestehenden Streitkräfteplanungen, die Bereitschaft dafür auch Geld auszugeben und eine neue Entschlossenheit in Europa, in der EU und in der Nato voraussetzen. Sie tragen dem nicht erwähnten, aber unverändert gültigen, geostrategischen Grundsatz Rechnung, dass Europa ohne Beherrschung des Atlantiks nicht zu verteidigen ist.

Die Autoren schlagen umfassende europäische Anstrengungen zur Verteidigung Europas vor und sehen darin die wesentliche Klammer, die den strategisch unersetzlichen Verbund zwischen Europa und Nordamerika stärkt. Dazu wird eine wesentlich engere Zusammenarbeit zwischen der Nato und der Europäischen Union angeregt, es werden Vorschläge zu Verfahrensänderungen gemacht, die den technischen Entwicklungen, vor allem der unglaublichen Beschleunigung des Geschehens auf allen Führungs- und Handlungsebenen, Rechnung tragen und deshalb sowohl die Prä-Delegation von Entscheidungen auf militärische Führer wie auch ein gegebenenfalls notwendiges, präventives Handeln einschließen. Richtigerweise stellen die Autoren fest, dass all diese Vorschläge nur zu verwirklichen sein werden, wenn Frankreich, Großbritannien und Deutschland eng zusammenarbeiten und die Führung in Europa und damit auch der Europäer in der Nato übernehmen.

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass die Autoren die Europäische Union durch eine angloamerikanische Brille sehen. Keineswegs überraschend kommen sie so zu Vorschlägen, die wohl ohne tiefere Kenntnis der tatsächlichen Zusammenarbeit von Nato und der Europäischen Union formuliert wurden und zudem der Vertragswirklichkeit der EU nicht immer entsprechen. Manches dürfte deshalb so nicht realisierbar sein. Das mindert zwar die Glaubwürdigkeit, sollte aber nicht dazu führen, die Vorschläge insgesamt infrage zu stellen. Sie begreifen die Autonomie Europas nicht als isoliertes Handeln, sondern als Eigenständigkeit, die aus dem Zusammenwirken mit Verbündeten und globalen Partnern die Durchschlagskraft gewinnt, die Europa schützt.

KEIN BEWUNDERNSWERTES KORREKTIV
Wie Putin die Konservativen spaltet
Das Buch schlägt keine Militarisierung europäischen Denkens und Handelns vor, sondern einen umfassenden, global orientierten, gesamtstrategischen Ansatz, der Voraussetzung dafür wäre, dass Europa ein Partner auf Augenhöhe der USA werden könnte, die ohne Europa ihre Rolle als Weltmacht vermutlich einbüßen würden. Die Vorschläge reichen von verbesserter Gesundheitsfürsorge, Sicherstellung krisenfester Handelsketten, Schutz kritischer Infrastruktur, Einschränkung von Technologietransfer bis hin zur Rüstungskontrolle. Sie alle kosten Geld, sicher mehr als die oft diskutierten zwei Prozent. Richtigerweise treten die Autoren allerdings illusionären Hoffnungen entgegen, dass man durch Abrüstung bei Gegenspielern, die auf Machtpolitik setzen, Sicherheit erreichen könne, vor allem dann, wenn Angst als Triebfeder der Suche nach Rüstungskontrolle zu erkennen ist und man selbst dem Verhandlungspartner keinen Anreiz bieten kann.

Würden die Ideen der drei Autoren umgesetzt, dann entstünde ein Europa, das handeln könnte und das, vorausgesetzt die Politiker wollten dies und gewännen dafür Mehrheiten, auch handeln will.

So ein Europa wäre für die Führungsmacht des Westens, die USA, ein unersetzlicher Partner und für die aufstrebende Weltmacht China ein Machtfaktor, den man auch in Peking nicht im Lager der Gegner wissen möchte. Das wäre die Voraussetzung, um im Wettstreit zwischen Autokratie und Demokratie das beste System obsiegen zu lassen, das Menschen je für ihr Zusammenleben entwickelt haben: die rechtsstaatliche freiheitliche Demokratie. So ein Europa könnte autonom entscheiden und auch handeln, wäre aber dennoch ein verlässlicher atlantischer Verbündeter.

Ich hoffe, dass das Buch in Deutschland eine breite Leserschaft findet und unsere satte und risikoscheue Gesellschaft wachrüttelt, die kaum wahrnimmt, dass sie in einer unruhigen Welt voller Gefahren lebt.

Ich habe das 2002 mit meinem Buch »Frieden – der noch nicht erfüllte Auftrag« auch versucht. Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble schrieb damals in seinem Vorwort: »Bequem ist seine Analyse so wenig wie seine Vorschläge. (…) Aus der Debatte über Naumanns Analysen und Vorschläge kann Mut zum Handeln wachsen.« Das ist leider nicht gelungen, der Anstoß, im Land des Carl von Clausewitz wieder strategisch zu denken, schlug leider fehl, vielleicht kam er zu früh.

Umso dringlicher ist der Weckruf der drei Autoren heute, gerade jetzt nach dem Versagen des Westens in Afghanistan. Vielleicht wird er nun gehört, zwanzig Jahre später. Deutschland muss endlich aus seiner Passivität aufwachen, das bequeme Weiter so darf es einfach nicht mehr geben und das aus Angst vor Verantwortung geborene, gedankenlose, reflexartig in jeder Krise sofort genannte und Deutschland isolierende Mantra »Es gibt keine militärische Lösung« muss konstruktivem Engagement und dem Willen, initiativ Verantwortung zu übernehmen, weichen.

Wer in jeder Krise eine militärische Lösung ausschließt, der liefert die Schwachen aus und gibt den Skrupellosen freie Hand. Deutschland kann zurückhaltend bleiben und es muss weiterhin auf der Rechtmäßigkeit allen Handelns bestehen, aber es muss endlich zu Taten bereit sein, muss Verantwortung übernehmen, dazu sicher auch Lasten hinnehmen, muss Risiken mit seinen Partnern tragen und es muss aufhören von einer Welt zu träumen, in der alle nur guten Willens sind und alle Konflikte friedlich gelöst werden können. Diese Welt wird auch der jüngste Leser dieses Buches nicht erleben. Stellen sich die Deutschen den Realitäten nicht, dann werden sie die friedliche Zukunft und das Wohlergehen unserer Kinder verspielen und Europa, vielleicht sogar der Westen insgesamt, wird an Deutschland scheitern. (…)

Dieser leicht gekürzte Beitrag von General a.D. Dr. h.c. Klaus Naumann wurde von ihm im September 2021 als Vorwort für das hier besprochene Buch verfasst. Die Ereignisse der letzten Wochen belegen, wie zutreffend die Analyse und wie notwendig die Mahnungen zum Handeln waren – und trotz eingeleiteter „Zeitenwende“ nach wir vor sind.

Allen/Hodges/Lindley-French, Future War. Bedrohung und Verteidigung Europas. Mit einem Vorwort von General a.D. Klaus Naumann. LMV, Hardcover mit Leseband, 408 Seiten, 34,00 €.


Empfohlen von Tichys Einblick. Erhältlich im Tichys Einblick Shop >>>

Unterstuetzen-Formular

WENN IHNEN DIESER ARTIKEL GEFALLEN HAT, UNTERSTÜTZEN SIE TICHYS EINBLICK. SO MACHEN SIE UNABHÄNGIGEN JOURNALISMUS MÖGLICH.

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

15 Kommentare

  1. Dass man Putin nicht einmal auf die mittlere Frist gewähren lassen darf, wenn Europa keinen nachhaltigen wirtschaftlichen Schaden hinnehmen möchte, setze ich voraus.
    Ein erster Test, ob die Nato bereit ist, Worten Taten folgen zu lassen, was Bündnistreue betrifft, wird die neue Situation bewirken, falls Schweden und Finnland der Nato beitreten würden. Wagt es Putin dann seinen Drohungen neue militärische Aktionen folgen zu lassen, die dann absehbar Natopartner beträfen? Das Verteidigungsbündnis kann Übergriffe auf seine neuen Mitglieder nicht einfach hinnehmen, ohne seine Beistandsverpflichtungen und seine Sinnhaftigkeit zu hintergehen. Es würde damit auch gleichzeitig einen Anlass besitzen, seine eigenen Ansprüche auf eine friedlichere Situation in Europa zu realisieren.
    Ich würde es deshalb begüßen, wenn die beiden nordischen Staaten eine solche Entwicklung vollziehen würden, schon allein um Putin in dieser neuen Konstellation „herauszufordern“. Dass Russland einem gemeinsamen Auftreten der Nato mit konventionellen Kräften nicht viel entgegenzusetzen hätte, evoziert aber die Gefahr nuklearer Eskalation. Ich denke hier führt jedoch kein Weg vorbei. Bisher war man immer davon ausgegangen, dass die Führung in Russland kulturell zu Europa aufgeschlossen hätte. Dies ist offensichtlich eine glatte -lupenreine- Fehleinschätzung, die ohne ein neues Paradigma, das die Interessen der europäischen Handelsnationen massiv unterstreicht, nicht korrigiert werden kann. Wie die Korrektur von deutschen Fehleinschätzungen im 2. Weltkrieg erfolgte ist bekannt. Dass dazu neue Optionen hinzugekommen wären, ist mir nicht bekannt.
    Putin setzt die weitere technische und industrielle Zukunft seines Landes aufs Spiel. Nur wenn es gelingt ihm diese Message verständlich zu machen, könnte Russland noch mit einem blauen Auge davonkommen. Es wird vermutlich bitterer Ernst und vielleicht auch bitter kalt in diesen Breiten, aber für die Zukunft des eigenen Selbstverständnisses muss auch Europa bereit sein, Putin und seine Helfershelfer zu stoppen. Es liegt bei Putin, ob er bei einer erweiterten Nato seine aggressive Linie fortsetzen wird.
    „Wer in jeder Krise eine militärische Lösung ausschließt, der liefert die Schwachen aus und gibt den Skrupellosen freie Hand.“ Dieser Losung kann ich nur uneingeschränkt zustimmen.

  2. Wir müssen endlich aus dem alten „Ost-West-Konflikt-Denken“ heraus!
    Der Ost-West Konflikt ist 1989 zu Ende gegangen und das hat in Europa ein Machtvakuum nach sich gezogen, da die Russen sich weitgehend zurückgezogen haben und die Amerikaner nur meinen(!), das durch den Zerfall der Sowjetunion entstandene Vakuum füllen zu können.
    Die Praxis zeigt: Sie können es nicht!
    Eine Internetleitung über den Atlantik kompensiert die mangelnde Nähe zur europäischen Denke nicht und das Nachrücken der NATO in ehemaliges Sowjetgebiet führt dann nicht zum Erhalt oder zur Expansion des alten Westbündnisses, sondern zu seinem totalen Ausfasern, was Löcher reißt und wiederum andere Mächte das Vakuum füllen lässt, die hier überhaupt nichts zu suchen haben, was nun wiederum dazu geführt hat, dass die Russen wieder nach Westen rücken. Das muss ein Ende haben!
    Die EU muss ein eigener Machtblock werden, der sich selbst verteidigen kann und als Mittler zwischen ehemals Ost und West verbindet.
    Die EU ist weder Ost- noch Westblock, die EU ist der neue Mittelblock!
    Da muss es unweigerlich hingehen.
    Und jeglicher Widerstand dagegen gehört aus dem Wege geräumt.

  3. Die Frage ist für meinen Teil nicht, ob man Deutschland und andere NATO-Mitglieder verteidigen sollte, sondern warum man sie unter Einsatz des eigenen Lebens vereidigen sollte. Im Prinzip leben wir nämlich nicht mit einer Bedrohung aus dem Osten, sondern mit Forderungen, nach der Verteidigung von einem in jeder Beziehung vom Verfall bedrohten maroden politischen System. Da ist aus meiner Sicht, die Forderung, das korrupte Marionettenregime in Kiew an der Macht zu halten, das Sahnehäubchen auf dem blanken Hohn.

  4. Um die halluzinierte, bei eigener ungehemmter Expansion, geradezu groteske, Bedrohungslüge Europas und die daraus von den Transatlantikern – einer 5. Kolonne der USA – herbei fabulierte Gefahr von Osten und den beschworenen permanenten Verteidigungsfall zu perpetuieren, greifen die USA schon lange neben Inszenierungen (Babys aus Brutkästen, Massenvernichtungswaffen) sogar zu Auslösung kleinerer und größerer Konflikte, auf die sie dann zur Zementierung der Verteidigungsnotwendigkeit verweisen.
    Die USA müssen um ihre Weltherrschaft zu erhalten, ihre euphemistisch Verbündete genannten Vasallen und deren Regierungen bei der Stange halten und ihnen die Unterhaltungskosten für die Weltherrschaft aufbürden (man lese dazu bei H. Münkler: „Imperien“ nach). Sie müssen um ihren Verbündeten auch einen Rüstungsvorwand (für deren Bevölkerung) zu liefern, auch Bedrohungs-Szenarien konstruieren.
    Nicht Russland, sondern der WESTEN, hat sofort nach 2 Weltkriegen seinen gerade noch Verbündeten nicht nur im Stich gelassen sondern ist ihm unmittelbar danach auf die Pelle gerückt und hat diesen (polnisch russischer Krieg) auch mit eigenen (z.B. französischen Truppen), angegriffen.
    Wenn wie oft angeführt, Deutschland der Weltpolitik abgeschworen hat, hat es keinerlei Veranlassung die kostenintensive Weltherrschaft (tatsächliche oder angestrebte) seiner „Freunde“, insbesondere nicht die größenwahnsinnigen weltpolitischen Ambitionen einer halluzinierten Weltmacht Frankreich auf deutsche Kosten und zu Lasten seiner eigenen Sicherheit und Wohlfahrt mit enormen Leistungen zu sichern und damit die Nutznießer dieser illegitimen Weltherrschafts-Ambitionen von den Kosten derselben zu entlasten. 

    • Bedrohungsszenarien muss niemand konstruieren, der Putins Wer-hat-den-Längsten-Operationen desillusioniert mitansehen muss. Wer solch einen ideologischen „Müll“ von sich gibt wie -libelle-, hält Putin wohl für einen Friedensfürsten, der die Welt vor dem „bösen“ Amerikaner retten muss. Wäre nur interessant zu wissen, ob dieser Aberwitz auch noch in SPD-Kreisen hochgehalten und verbreitet wird. Kevin, Olaf und Konsorten, bestimmten Gewerkschaftskreisen, traue ich mittlerweile so ziemlich jeden geistig verkümmerten Rest-Kommunismus zu.

  5. …….keine angst, herr general a.d., russland und china sind umkreist von nato/usa horchposten und sogar von einen centralkommando. in der nähe von mainz steht eine überschallbatterie. und die f28 – atomwaffenfähige flugzeuge – könnnen windschnell klargemacht werden. deutschland strotzt nur so vor atomraketensilos – die natürlich auch das risiko erhöhen. die usa hat noch drei hauptquartiere in europa und ramstein – als drohnenstart – und lenkstation, und einen startplatz für us – fx jäger und bomber, die alle mit kernwaffen bestückt werden können! mir macht das kriegsgehetze in dummland eher furchtbare angst, denn ich kenne mich noch in den bunkern des zweiten weltkrieges aus. dort habe ich ein stück meines leberns zugebracht! also abkühlen ist das gebot der stunde und im gespräch bleiben. das geht aber nicht wenn andauernd gegen russen und chinesen gehetzt wird. außerdem: wer würde eigentlich von einer zerstörung europas profitieren? haben sie vergessen was georg friedman und breczinsky geschrieben haben und thomas m. bartlett?!

    • korrigendum: thomas m. barnett heißt der mann!
      und das wars dann aus cambridge/mas.

  6. Bei aller Richtigkeit der generellen Betrachtung der deutschen Wehrunwilligkeit und Wehrunfähigkeit fällt auf, daß ein Axiom nie kritischer Hinterfragung unterzogen wird: Der bedingungslosen Verortung Deutschlands „im Westen“, hier NATO und EU. Es wird aus meiner Sicht verkannt, daß diese Verortung, die zunächst – auch weil er es anders nicht durfte – vom deutschen Weststaat nach dem 2. Weltkrieg vollzogen wurde – maßgeblich zu den von den Autoren beschriebenen und kritisierten Defiziten und Fehlentwicklungen beigetragen hat. 1990 wurde dies auch deswegen nicht korrigiert, weil die DDR einerseits einfach verschwand und andererseits ihre erzwungene völlige Dislozierung im sowjetisch-russischen Machtbereich abseits der SED nie ein positives Gegenkonzept zur „Westbindung“ erzeugen konnte. Da die Wiedervereinigung nach dem Kollaps der ostmitteldeutschen Eliten ausschließlich Sache der westdeutschen Eliten war, blieb es unhinterfragt bei der Positionierung Deutschlands analog der BRD.
     
    Ich möchte nicht mißverstanden werden: Der moderne Putinismus und Rußlandorientierung ist kein Gegenkonzept zur Westbindung, sondern nur ihre Kopie mit spiegelbildlichen Mitteln. Dazu ist aber hier auf TE schon alles gesagt worden, auch zu Aspekten wie Antiamerikanismus und Antisemitismus, die sich oft hinter russophilen Bestrebungen verbergen.
     
    Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß Deutschland traditionell und kulturell kein (völliger) Teil des Westens ist. Die Grenze zwischen einer rein westeuropäischen Kultur, historisch auf dem Katholizismus aufbauend, und einer mittelosteuropäischen Kultur verläuft mitnichten entlang der Sprachgrenze des Deutschen zu den slawischen Sprachen, sondern stets am Westharz. Es war wohl eher ein Zufall, daß die von den Alliierten vollzogene Zerteilung Deutschland auch entlang dieser Wasserscheide verlief. Andererseits gibt es in Deutschland viel zu viel Binnenaustausch, als daß sich diese Grenze tatsächlich geographisch festmachen ließe. Letztlich ist die „Janusköpfigkeit“ der Deutschen, weder echter Westen noch echter Osten zu sein, schon aus der Herkunft unseres Volkes angelegt, das sich am Ende der Großen Völkerwanderung formte aus westgermanischen Stämmen und den vor den Hunnen zurückweichenden ostgermanischen Stämmen. Schon damals trafen von den waldreichen Weiten des Landes zwischen Nogat und Elbe geprägte Stämme auf solche an Rhein und Mosel, die 300 Jahre unter dem Einfluß der Römer gestanden hatten. Daraus erwuchs diese Zwitterkultur, die sich auch in der Teilung des fränkischen Karlsreiches in das spätere Frankreich und Deutschland manifestierte.
     
    Kulturelle Grundidentitäten von Völkern ändern sich nur sehr langsam und lassen sich nicht in ein, zwei Generation umpolen. Am Ende rebellieren Völker, wenn sie kulturell umerzogen werden sollen. Man kann gegen Recip Erdogan vieles sagen, und doch war einer wie er zwangsläufig, weil die von Mustafa Kemal erzwungene Säkularisierung und Verwestlichung der Türken nie über Istanbul und Thrakien hinauskam. Schon Adnan Menderes versuchte dies in den späten 1950er Jahren zu korrigieren. Und hier wird deutlich, daß strategische Verortungen von Völkern immer ihrer kulturellen Verankerung folgen müssen, damit sie Sinn machen und Bestand haben. Menderes wurde von einem Militärputsch gestürzt, der maßgeblich von den USA unterstützt wurde. Denn damals wurde die Türkei (bzw. eher ihr Gebiet) für die NATO als Grenzland und südöstliche Flanke zur Sowjetunion dringend gebraucht. Menderes aber trat nicht nur für eine Reislamisierung der Türkei ein, er wollte das Land auch heraus aus der NATO führen.
    Erdogan macht nichts anderes. Macht er es aber, weil er ein Bösewicht ist oder der Westen ihm nicht genug Geld zahlt? Nein. Er folgt, bewußt oder unbewußt, nur der Tatsache, daß die Türkei weder ein Teil des „Westens“ ist noch Europas. Seine an Putin erinnernde Bestrebung, das osmanische Reich zu restituieren (wozu der Türkei aber klar die militärischen und wirtschaftlichen Mittel fehlen, so wie die Hohe Pforte aus gleichen Gründen das Reich am Ende des 1. Weltkrieges nicht bewahren konnte) ergibt sich aus dem Selbstverständnis der Türkei, im Grunde kein Nationalstaat europäischen Musters zu sein, sondern ein Reich. Der Versuch, die Türkei zu nationalisieren, sie also zu einem Land nur von Türken bewohnt zu machen, führte zum furchtbaren Genozid an der Armeniern und dem ständigen Kampf gegen die Kurden. Im Grunde hat die Türkei nur einen inneren Sinn und kann bestehen, wenn sie sich als Reich in der Mitte zwischen dem arabischen Kosmos und Europa, aber klar als Teil des islamischen Orients begreift. Damit aber hat sie in der NATO und erst Recht der EU nichts zu suchen. Darum auch konnte der Kemalismus nicht überdauern.
     
    Kehren wir zu Deutschland zurück, so erkennen wir ein ähnliches Muster. Die Zwangsverortung der Deutschen im Westen, also der Kulturzone, welche global von London, Paris, Amsterdam und Rom geprägt wird, hat uns von jenen kulturellen Linien abgetrennt, die früher in den ostelbischen Gebieten lagen. Seit 1990 manifestiert sich das im Gegensatz zwischen Ost- und Westdeutschland, der einfach nicht verschwinden will, obwohl seitdem die Erwartung besteht, daß nicht nur der Westteil Berlins, sondern ganz Ostdeutschland sich ähnlich wie Niedersachsen und Hessen aufstellt. Doch es passiert nicht. Der Riß ist dabei nicht nur geographisch. Und er besteht nicht nur zwischen Sachsen und dem Rheinland. Alle Deutschen tragen ihn in sich. Er brach hervor beim preußischen Kulturkampf, bei den Sezessionsversuchen der Rheinischen Republik, im Deutschen Krieg, dem Ausschluß Österreichs aus der Paulskirchenversammlung, er treibt den deutschen Haltungspazifismus ebenso an wie den modernen Putinismus.
     
    Zweifellos ist uns Deutschen, und zwar allen, die Kultur West- und Südeuropas näher als die Osteuropas. Aber beide sinmd nicht unsere. Antiamerikanismus ist auch immer Westfeindlichkeit. Ob Antisemitismus eher Feindseligkeit gegenüber dem Osten als dem Westen repräsentiert, vermag ich nicht zu deuten. Traditionell sprach daraus eher wohl eine Ablehnung des osteuropäischen Judentums, nachdem die Juden dort als Folge steter Pogrome in großer Zahl in die USA auswanderten, folgte ihnen diese Ablehnung bei den Deutschen und ließ den heutigen Antiamerikanismus entstehen.
     
    Dadurch, daß wir Deutschen von einem Teil unserer Identität abgetrennt worden sind, ist uns auch das Bewußtsein für uns selbst, woher wir kommen und wer wir sind, abhandengekommen. Damit verschwand aber das deutschen Nationalgefühl, daß konkludent auch den Willen verschwinden ließ, „Deutschland“ zu verteidigen. Als Surrogat wurde die Verfassung oder bloß der Lebensstandard angeboten, die es galt, gegen die Horden aus dem Osten zu verteidigen – schon Hitler hatte sich dieser Meme bedient.
     
    Will man die Bereitschaft der Deutschen restituieren, sich selbst zu verteidigen, so muß man restituieren, daß sie sich als etwas eigenes empfinden, Deutschland müßte also renationalisiert werden. Dann aber kehren wieder jene Geister zurück, die Konrad Adenauer, Robert Schumann, Alcide des Gaspery und andere gehofft hatten, für immer zu verbannen. Das zu vermeiden aber ist oberste Richtschnur der (west) deutschen Staatsräson, die maßgeblich hinter dem Treiben unserer Eliten steht, das Land aufzulösen als Mitglied einer europäischen Bundesrepublik, und kulturell als multiethnische Gesellschaft.
     
    Würde das gestoppt, wäre es kein Problem, die nationale Verteidigungsbereitschaft wiederherzustellen. Doch der Preis wäre, daß das Land aus der NATO herausmüßte. Nur so würde Rußland davon absehen, bei einer notwendigen Beschaffung deutscher Kernwaffen mit einem Präventivschlag zu reagieren – oder vielleicht auch Frankreich. Frankreich spürte schon immer, wenn bei seinem östlichen Nachbarn die Dinge in Bewegung gerieten. Die französischen Eliten wissen, daß es nicht bei 100 Milliarden für die Bundeswehr bleiben kann, Deutschland müßte sich neu positionieren. Auch sie passen nicht in das Korsett der NATO, wollen sie eigene nationale Interessen verfolgen, darum trat de Gaulle damals auch wieder aus. Doch Frankreich ist schon seit dem 1. Weltkrieg wirtschaftlich zu schwach, seinem Weltmachtanspruch Geltung zu verschaffen, und es hat nicht die Ressourcen Rußlands. Dazu braucht es Deutschland – als zahlenden Lakai (les boches payera tout). Sein Mittel der Wahl ist der Euro, die EU – und die Angst der deutschen Eliten von den Konsequenzen, nicht mehr vom großen Bruder USA geschützt zu werden.
     
    Daher: Wer möchte, daß Deutschland wieder verteidigungsfähig wird, der bedenke die Konsequenzen. Ich meine, daß man sie nicht fürchten muß. Am Ende, daher das Beispiel Türkei, läßt sich Deutschlands Rollback ohnehin nicht vermeiden – es sei denn, man löste es auf.
     

    • Ein außerordentlich interessanter Kommentar (eher ein Artikel im Artikel), der einer weiteren Betrachtung bei TE würdig wäre. Besten Dank dafür.

    • ……wieso wurde die ddr nach ihrer auflösung völlig im sowjetisch – russischem machtbereich disloziert??? der kommentar strotzt nur so von fehlern!

    • “Dann aber kehren wieder jene Geister zurück, die Konrad Adenauer, Robert Schumann, Alcide des Gaspery und andere gehofft hatten, für immer zu verbannen.“ So so.
      Diese Geister – im Klartext, Geister des deutschen Selbstbehauptungs- und Überlebenswillens – resultieren nicht aus immer wieder kontrafaktisch beschworener deutscher Aggressivität.
      Sie rühren ausschließlich aus den jahrhundertelang praktizierten Raubzügen des an historisch unheilbarer Raubgier krankenden westlichen, insbesondere französischen Imperialismus, der es nie vermochte seinen Appetit mit der dazu erforderlichen wirtschaftlichen Kraft in Übereinstimmung zu bringen.
      Diese Geister waren die notwendige Antwort auf den pathologisch, räuberischen, kolonialistischen – notfalls genozidalen – Wesenskern eines imperialen Westens.
      Dabei übersieht man notorisch dass es immer nicht nur um Russland geht sondern in erster Linie um eine Domestizierung Deutschlands und sein militärpolititsches, industrielles und wissenschaftlich-technisches Potential.

  7. It’s the US, stupid! Es kommt nur auf die USA an. Europa kann sich gegen mittlere Angreifer verteidigen, gegen große nicht.
    Und die USA sind sicher. Geschützt von 2 Ozeanen, mit Nachbarn an den Landseiten, die so bedrohlich für die USA sind, wie die Schweiz und Österreich für Deutschland. Wenn sich die USA nicht im Bürgerkrieg zerfleischen, sind sie sicher.
    Europa hat sich heute den USA unterworfen. Kann sein, dass es weiterhin so bliebt. Kann auch sein, dass in einigen Jahrzehnten eine andere Hegemonialmacht über Europa herrscht. Europa kann das kaum selbst bestimmen. Europa ist die Beute. Und die Beute legt nicht selbst fest, wessen Beute sie ist.
    Aber auch damit kann man leben. Kulturen vergehen. Zivilisationen gehen unter. Das ist der Lauf der Welt.

    • Ungarn treibt eine sehr vernünftige pragmatische Politik. Aber die Lage eines Staates bestimmt auch, was geht und was nicht. Die baltischen Staaten würden keinen Tag überleben, wenn sie nicht eine Schutzmacht (aktuell die USA) hätten, die sie vor Russland beschützt. Ich würde nicht darauf wetten, dass es die baltischen Staaten in 100 Jahren noch gibt.
      Deutschland ist an sich in einer guten Lage. Weil kein Nachbar stark genug ist, es zu erobern.
      Die beiden Weltkriege waren im Grunde die üblichen Kämpfe in Europa um das „Gleichgewicht der Kräfte“:
      Ein Macht wurde immer stärker. Die anderen Mächte in Europa schlossen sich zusammen, damit sie nicht zu dominant wird. Das war so bei Napoleon, bei Ludwig XIV. von Frankreich, Philip II. von Spanien, …

  8. Wäre die Nato in der Lage, Europa zu verteidigen (ohne Nuklearwaffen einzusetzen) – ich denke nicht, dass ein wenig von Skrupeln geplagter, aber hochintelligenter und gut informierter Mann wie Putin diesen Schritt vor zwei Wochen getan hätte.

Einen Kommentar abschicken