Bitte, verstehen Sie das nicht falsch: Ich mag Österreich, wirklich. Vor zwei Jahren bin ich als reifer Mittfünfziger völlig freiwillig ins Salzburger Land gezogen, weil ich meine Heimatstadt Berlin einfach nicht mehr ertragen habe. Und es ist schön hier, ehrlich.
Nur darf man nicht den Irrtümern und Vorurteilen erliegen, die man als germanischer Bundesrepublikaner so hat über die „Ostmark“ (ein Scherz, bitte). Wer glaubt, Österreich sei doch eigentlich wie Deutschland, nur kleiner – der wird sehr schnell eines Besseren belehrt.
Oder eines Schlechteren, je nach Perspektive.
Die Österreicher sind ein kleines Bergvolk. Das ist keine Binse, sondern elementar für das Verständnis des Staates und der Gesellschaft. Hier sind die Wege kurz, nicht nur physisch, sondern auch sozial. Das Land ist politisch und kulturell völlig anders als das zehnmal größere Deutschland.
Österreich kultiviert einen permanenten Phantomschmerz über den Verlust einstiger Bedeutung. Aber niemand mag sich immer nur schlecht fühlen. Also überhöhen die Österreicher die wenigen verbliebenen nationalen Denkmäler von Weltgeltung zu Heiligtümern: die Wiener Philharmoniker zum Beispiel, die Spanische Hofreitschule, den Opernball.
Und natürlich die Salzburger Festspiele.
Da hat eben gerade Daniel Barenboim mit seinem „West-Eastern-Divan Orchestra“ gastiert. Es gab Beethovens Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur (op. 15), mit Igor Levit als Solisten – und die Symphonie Nr. 2 D-Dur (op. 73) von Brahms.
Wer es für möglich hält, dass unsere westliche Kultur dem Untergang geweiht sein könnte, dem hat dieser Abend ganz jenseits der Musik einige Gründe und neue Argumente geliefert.
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Österreich ist nicht zuletzt bekannt für das gute Essen, und zwar absolut zurecht. Laut Volksmund gibt es aber zu jeder Regel eine bestätigende Ausnahme.
Das sind die Salzburger Festspiele.
Hier folgt die Verpflegung dem recht unösterreichischen Prinzip von minimalem Angebot bei maximalen Preisen. Für ein kleines Glas Champagner (0,1 l) blecht man 11,- Euro. Eine nicht mal handtellergroße Scheibe Weißbrot mit einer homöopathischen Menge Lachs obendrauf kostet 6,- Euro. Aber auch, wenn man unverschämt viel für unverschämt wenig ausgeben will, muss man sich sehr beeilen: Denn der Vorrat ist nicht nur inhaltlich, sondern auch mengenmäßig stark begrenzt.
Anders: Das Allermeiste ist schon vor Konzertbeginn aufgegessen.
Nicht nur der Preisbewusste bleibt also bis zum Konzertende hungrig und will dementsprechend nach der genossenen Kunst meist gerne auch noch irgendwo einkehren und ein Abendessen genießen. Die Lokale der Stadt haben bis allerspätestens um 22.00 Uhr warme Küche. Das ist misslich, weil das Konzert ziemlich genau zur selben Minute endet. Die wenigen Restaurants, die um diese Zeit doch noch Gäste zulassen und sogar etwas servieren, sind schon Wochen vor den Festspielen ausgebucht.
Man kann wirklich gut essen in Salzburg – sofern man nicht gerade die Festspiele besucht.
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Salzburg ist nicht Wien. Die Menschen hier sind tatsächlich freundlich und hilfsbereit – ganz anders als die chronisch grantelnden Ösi-Hauptstädter. Aber den berüchtigten Wiener Schmäh beherrscht man auch hier fließend, wenn’s passt.
Oder wenn die Salzburger es passend finden.
Daniel Barenboim ist mittlerweile 80 und nicht mehr gut zu Fuß. Er dirigiert zwar noch aus dem Kopf, ohne Partitur – aber im Sitzen. Und wenn er die Bühne betritt oder verlässt, sieht das doch unschön wackelig aus. Das ermuntert Zuschauer, die erkennbar derselben Generation angehören wie der Dirigent, zu typisch österreichischen Dialogen:
„Der Barenboim kann sich ja kaum noch auf den Beinen halten.“
„Er ist halt alt.“
„Oder betrunken.“
„Oder beides.“
„Ah, geh’…“
Gelächter ringsum.
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So fies wie die Witze sind, so mies ist die Akustik.
Wen wundert’s? Das Große Festspielhaus wurde dereinst als Pferdestall errichtet. Danach war es eine Kaserne, dann ein Museum. Erst in den 1950er-Jahren wurde es zum Konzertsaal umgebaut. Dafür wurden mal eben 55.000 Kubikmeter des städtischen Mönchsbergs abgetragen.
Bei seiner Bautätigkeit orientiert sich das kleine Land bis heute unverändert an seiner großen Geschichte als österreichisch-ungarische k.u.k.-Doppelmonarchie.
Da, wo er seine Berechtigung haben könnte, sucht man den Sissi-Prunk leider vergeblich. Es gibt keine karge Bühnendekoration, sondern gar keine. Also, im Wortsinn: nichts. Keine Blume, kein Bild, keine Projektion auf die nackten hässlichen Wände, kein Farbtupfer irgendwo. Man ist geneigt, das als demonstrativ lieblos zu empfinden. Oder als passiv-aggressive Missachtung des Publikums.
Und das Licht, mein Gott, das Licht … Die Bühne ist ganz ordentlich ausgeleuchtet. Aber im gesamten Zuschauerraum bleibt es das gesamte Konzert über gleißend hell. Das schafft eine Atmosphäre wie … Nein, falsch: Es schafft überhaupt keine, sondern es verhindert jede Atmosphäre.
Man kommt auf den Gedanken, dass die Festspiele sich das Ziel gesetzt haben, Musikkunst nicht nur nicht systematisch, sondern systematisch nicht zu inszenieren.
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Das hat – zusätzlich zu den rundum gesalzenen Preisen – einen spürbaren Effekt auf die Demografie der Veranstaltung.
Bei den Berliner Philharmonikern, immerhin einem der anerkannt besten Klangkörper der Welt, sind regelmäßig ziemlich viele Junge im Publikum. Neureiche und Erben auf den teuren Plätzen, aber auch viele nicht so gut betuchte Musikstudenten. Für die hält die Philharmonie zumindest immer günstige Plätze am Rand vor.
Die Salzburger Festspiele dagegen sind eine einzige große Ü50-Party.
Weiß ist die absolut dominante Farbe. Also, nicht bei den Anzügen und Kleidern, sondern bei den Haaren: Vom Rang aus schaut man auf ein gigantisches silbrig-graues Meer im Parkett. Keine jungen Leute, nirgends – außer im Orchester. Salzburg hat mit dem Mozarteum eine international renommierte Kunsthochschule und entsprechend auch viele Musikstudenten. In der Stadt begegnet man ihnen andauernd.
Bei den Festspielen begegnet man ihnen gar nicht.
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Die Salzburger Festspiele gibt es seit 1920. Zuletzt zählte man in den sechs Wochen, die sie jeweils dauern, 250.000 Besucher in den 200 Theater-, Opern- und Konzertaufführen. Kein Grund zur Sorge also.
Oder vielleicht doch?
Was sagt das aus über das angeblich „weltweit bedeutendste Festival der klassischen Musik und darstellenden Kunst“ (Wikipedia), wenn es so abgestumpft-routiniert, rüde merkantilistisch und grenzwertig seelenlos abläuft?
Wie zukunftsfähig ist das selbsternannte Hochamt der abendländischen Kultur, wenn es sich – konsequent und durchaus mit einigem Aufwand – weiträumig gegen die Teilnahme von Menschen unter 50 abschottet und eher wie ein Gerontokratie-Kongress wirkt denn wie ein Treffen, auf dem die Kunst gefeiert wird?
Was an den Salzburger Festspielen ist wirklich noch ein Fest?
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Übrigens, falls es noch wen interessiert: Die Musik war schön.
Die Österreicher erscheinen mir gelegentlich als die besseren Deutschen.
Danke, dies ist eine schöne Beschreibung des Salzburger Hypes
Augen schließen, Musik genießen, Tradition bewahren. Für mich ein Fixpunkt im Jahreslauf.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Und die reine Musik war ja tatsächlich auch schön, wie geschrieben. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
„Die Österreicher sind ein kleines Bergvolk“. Da fängt es schon an mit den Missverständnissen. Österreich ist ein Vielvölkerstaat, mit Menschen aus dem gesamten Bereich der ehemaligen KuK Donaumonarchie. Übrigens für viele Länder im Osten war das nicht die schlechteste Zeit. Da könnte man als Berliner einiges lernen, aber man muss schon genauer hinsehen. Wer in Salzburg Zuckerguss sucht, zum günstigen Preis…..Es gibt sicher genug Möglichkeiten mit den vielen Musikstudenten ins Gespräch zu kommen und ihre Arbeiten zu hören.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Möglicherweise besteht hier ein Missverständnis: Eine kritische Ist-Beschreibung sagt nichts über einen möglichen Soll-Zustand aus. Man muss nichts suchen bei den Festspielen, um zu sehen, was geboten wird. Die Österreicher sind ein kleines Bergvolk – es sei denn, sie halten Tiroler und Kärntner für eigene Völker. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Danke, Herr Walther für den schönen Artikel.
Wir (auch Deutsche) leben auch seit einigen Jahren in Österreich (Graz, also viel weiter weg). Die Essenz haben Sie gut erfasst. Ich finde Salzburg auch schön, war auch mehrmals dort. Leben allerdings würde ich dort nicht wollen.
Erstens: das Wetter. Dauernd regnet es.
Zweitens: finde ich (ist aber nur meine persönliche Meinung), dass man in Salzburg richtig gut abgezockt wird. Hier in Graz kann man auch super essen gehen und es ist viel Kultur geboten, allerdings ist es für fast alle leistbar und man muss keinen Kredit dafür aufnehmen. Das Wetter ist meist schön. Viel Sonne und sommerliche Temperaturen bis Anfang Oktober. Und dann ist man auch schnell an der Adria…
Trotzdem halten wir auch immer mal in Salzburg, wenn es mit dem Auto Richtung Deutschland lebt.
Mit herzlichen Grüßen aus der Steiermark…
Kasimir.
Und nein. Österreich ist (bis auf die gleiche Sprache und die Währung) überhaupt nicht wie Deutschland. Die Mentalität der Leute hier ist doch ganz anders…
„Wer glaubt, Österreich sei doch eigentlich wie Deutschland, nur kleiner… Hier sind die Wege kurz, nicht nur physisch, sondern auch sozial.“
Hier liegen gleich mehrere Missverständnisse vor:
1. ist es löblich dass Österreich so ist, man sieht: dem Bürger geht es besser, wenn er einer von Millionen ist, statt einer von 100 Millionen.
2. ist es falsch von Deutschland und Österreich zu sprechen, als seien es Widersprüche. Österreich ist genauso deutsch wie die Landmasse im Norden, nur hat diese sich von Bismarck und Co. veralbern lassen und nennt die von den Hohenzollern unterworfenen Gebiete bis heute „Deutschland“ (ja, Bayern und co. wurden unterworfen. Der Märchenkönig war einfach nur ein sehr gut alimentierter Arbeitsloser).
Viele Grüße aus der Bundesrepublik Preussen.
PS: Zwar teile ich die Kritik, aber ich verstehe ehrlich gesagt nicht was der Autor erwartet – willkommen in der Welt des Tourismus. Es ist ein in vielerlei Hinsicht toxisches Business, Salzburg kann froh sein, dass es nicht das ganze Jahr andauert.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Möglicherweise liegen hier mehrere Missverständnisse vor: Der Text beschreibt etwas. Ob Sie das Beschriebene für gut halten oder nicht, bleibt natürlich völlig Ihnen überlassen. Das real existierende Österreich ist sehr anders als das real existierende Deutschland – historische Gemeinsamkeiten ändern daran nichts. Und erwartet habe ich bei den Festspielen auch nichts – das muss man nicht, um beschrieben zu können, was da angeboten wird. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Zum Schampus-Preis: Angebot und Nachfrage. Solange die Leute bei nicht lebensnotwendigen Gütern den Preis bezahlen, ist er der richtige. Man kann Klassik nämlich auch gut ohne Alkohol oder Schnittchen hören. Und der Preis der Konzertkarten ist vom gemeinen Steuerzahler subventioniert bis zum Abwinken. Mit einer soliden Stereoanlage und breiter CD-Auswahl kann man zuhause die besten Aufnahmen aller Zeiten jederzeit störungsfrei genießen. Übrigens ist Klassik in nicht-deutschprachigen Ländern wie Italien und England, Asien sowieso, quicklebendig. Dort lernt die Jugend oft auch noch frühzeitig ein Instrument. Die Jammer-Rentner in D’land und Ö’reich sind selbst schuld, wenn sie ihren Kindern und Enkeln diese einzigartige Kunst (wie vieles andere aus unserer Tradition) nicht nahegebracht haben.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Man kann einen Preis beschreiben, ohne ihn zu kritisieren. Nur hat der Preis eben Auswirkungen auf das Publikum. Die Karten sind trotz Subventionierung teurer, als jüngere Menschen bezahlen können. Dass wir auf diese Art – anders als andere Länder – unsere Traditionen den Jungen nicht nahe bringen, ist ja gerade Thema des Textes. In einem Punkt möchte ich dann doch eine radikal andere Meinung vertreten als Sie: Ein Live-Konzert mit einer CD zuhause zu vergleichen, ist Frevel. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Ihre Worte habe ich wohl verstanden, aber kann es sein, daß sich nicht nur mir ihr Sinn völlig verschließt? Was haben denn DIE Boomer (bin selber einer und fühle mich ausdrücklich nicht angesprochen) mit solchen Auswüchsen von was auch immer zu tun? Also frei nach Nuhr: Wer nichts zu sagen hat…(Sie wissen schon).
Nun hab ich über den Artikel derart lachen müssen, daß ich für mich und Gattin Karten für kommendes Jahr einplanen und ansparen werde.
Hoffentlich gibt es bis dahin funktionierende Eisenbahn, aber gleich werde ich mir beim Kolonialwarenhändler eine Mozartkugel kaufen – auch, wenn die hierzulande etwas anders verpackt ist.
Und die Aussage, daß die Festspiele eher was für die Silberhaargeneration seien, macht ja richtig Lust, die mal zu besuchen. Das wäre ja wirkliche Alternative zu diesen Tattoo- und Piercingaufläufen alá Wacken etc.
Meine Olle schicke ich dann aufs Hotelzimmer und beglücke die gereiften Damen – ich freu mich drauf 🙂
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Und viel Spaß bei den kommenden Festspielen… Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Was Sie da beschreiben mag stimmen, war noch nie bei den Festspielen, kann ich mir schlicht nicht leisten. Aber von diesem Randphänomen auf die Befindlichkeit und den Zustand der Mehrheit von uns Österreichern zu schließen ist schon gewagt. Die Festspiele (oder der noch viel berüchtigtere Opernball in Wien) sind ja eher sowas für die da oben, das hat mit dem Normalbürger (jawohl: normal) so gut wie gar nix zu tun. Was mich ärgert ist, dass trotz der horrenden Preise für Tickets dieser ganze Zirkus auch noch öffentlich subventioniert wird. Laut orf.at für 2023 18,4 Mio € öffentliche Gelder (ein schöner Euphemismus) von insgesamt 67 Mio € Budget.
Es ist gibt auch günstige Konzerte auf dem Preisniveau eines Kinos, u.a. In der Musikhochschule, einfach mal das Programm studieren, und dort findet man auch viele Musiker im Publikum. Nur hat sich der Autor anscheinend dort nicht aufgehalten.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Ihre Kritik verstehe ich, sie trifft aus meiner Sicht aber nicht den Punkt: In Berlin sitzen Musikstudenten eben auch bei einem Barenboim-Konzert im Publikum. Ich hatte da 30 Jahre lang ein Abo für die Philharmonie und kann das beurteilen. Auch bei den Salzburger Festspielen gibt es günstige Konzerte – aber es sind Nachwuchskünstler für ein Nachwuchs-Publikum. Das ist etwas völlig anderes. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Möglicherweise besteht hier ein Missverständnis: Nirgendwo wird von den Festspielen auf Österreich als Ganzes geschlossen. Allerdings zeigen die ORF-Einschaltquoten z. B. beim Opernball, wie populär und wichtig der auch für die von Ihnen angeführten „normalen“ Menschen ist. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
„Hier folgt die Verpflegung dem recht unösterreichischen Prinzip von minimalem Angebot bei maximalen Preisen.“
In den Tourismusorten wie Salzburg und v.a. den Skigebieten ist dieses Prinzip seit Jahrzehnten ur-österreichisch bei gleichzeitig ausbeuterisch niedrigem Lohnniveau und oft unmenschlichen Arbeitszeiten.
„abgestumpft-routiniert, rüde merkantilistisch und grenzwertig seelenlos“, das hat schon etwas von Thomas Bernhard:
„Alles in dieser Stadt ist gegen das Schöpferische, und wird auch das Gegenteil immer mehr und mit immer größerer Vehemenz behauptet, die Heuchelei ist ihr Fundament, und ihre größte Leidenschaft ist die Geistlosigkeit, und wo sich in ihr Phantasie auch nur zeigt, wird sie ausgerottet. Salzburg ist eine perfide Fassade, auf welche die Welt ununterbrochen ihre Verlogenheit malt und hinter der das (oder der) Schöpferische verkümmern und verkommen und absterben muß.“
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Überall auf der Welt sind Dinge in den Tourismus-Hotspots überteuert, keine Frage. Dennoch ist das kein österreichisches Prinzip. Wer viel durch das Land fährt (was ich aus beruflichen Gründen andauernd tue), erlebt dagegen im Schnitt weit überdurchschnittliche Qualität zu vernünftigen Preisen. Es ist teurer als in Deutschland – aber vor allem Lebensmittel und Gastronomie sind in Deutschland bekanntlich billiger als fast überall sonst in Europa. Für den Verweis auf Thomas Bernhard bedanke ich mich natürlich ergebenst – allerdings finde ich, dass er gegenüber seiner verhassten Heimatstadt nicht fair war. Das ändert freilich nichts an meiner negativen Wahrnehmung der Festspiele. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Die Liebe zur Klassik kann/muss das Elternhaus vermitteln und fördern! Natürlich sind die älteren Semester häufiger anzutreffen, aber ich reise gerne zu Opernvorstellungen bundesweit und sehe durchaus junge/jüngere Menschen. Grundsätzlich gilt: Wichtig für das Heranführen an klassische Musik sind geeignete Stücke, sowohl was die Musik an sich als auch die Inszenierung anbelangt, Besuchen Sie mal Hänsel und Gretel zur Weihnachtszeit z.B. in Düsseldorf und da werden Sie begeisterte Familien erleben! Ist die Zauberflöte auch optisch märchenhaft, so werden Kinder es lieben…Etikettiert ein Theater ein Stück wie „Pinocchio“ allerdings als Kinder-bzw. Familienoper, so muss man sich nicht wundern, wenn man Kinder anschließend nicht mehr ins Theater bekommt… ( ich bin selber im ersten Akt geflüchtet)
Und leider ist Kultur eben auch eine Frage des Geldes trotz halber Preise für Kinder etc. Das ist ein teures Vergnügen. Auch das darf man nicht unterschätzen.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Die Grundlagen jeder Beziehung zu Kunst und Kultur – wie überhaupt jeder Beziehung insgesamt – wird im Elternhaus gelegt, da bin ich ganz bei Ihnen. Selbsternannte Feste der Hochkultur haben es allerdings in der eigenen Hand, auch ein breiteres Publikum anzusprechen – oder eher nicht. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Sehr geehrter Herr Walther! Das Problem dieser besonderen Veranstaltungen dürfte wohl auch an den besonders hohen Kosten liegen, die die Verpflichtung grosser Namen/Zugpferde verursachen. Jonas Kaufmann zieht, Fritz Mustermann nicht. Und wenn Fritz Mustermann sich dann einen Namen gemacht hat, weil er gut ist, wird er auch teuer… Anna Netrebko z.B. soll pro Auftritt in der MET 17.000 Dollar bekommen haben.Ich war gerade in Bayreuth: Leider sind die Tickets dort in den letzten Jahren nicht nur massiv teurer geworden, sondern die günstigen Plätze wurden zahlenmäßig auch noch stark eingeschränkt. Wie ich hörte, hat man heuer vorab reduzierte Karten ausdrücklich für junge Leute angeboten, die Karten wurden dann aber nicht abgerufen/bezahlt und gelangten anschließend zu regulären Preisen wieder in den Verkauf. So kam ich erfreulicherweise wohl noch zu einer Karte ( zugegeben nicht gerade billig) für den Fliegenden Holländer und der war grandios und den Preis wert!
Und noch etwas: niemand ist gezwungen, überteuerte Speisen und Getränke zu verzehren oder die überhöhten Hotelpreise zu akzeptieren. Da heißt es „vorher etwas essen“ und außerhalb nächtigen… eigentlich ganz simpel, oder?
Igor levit würde ich nicht mal anhören, wenn ich eine Freikarte hätte.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass man die Person des Künstlers von seiner Kunst trennen sollte. Nur, weil ich Igor Levits politische Positionen nicht mag, kann ich trotzdem anerkennen, dass er ein wirklich guter Pianist ist. Natürlich kann man das anderes sehen, ich sehe es aber so. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Die Frage ist doch, was verschwindet zuerst: der klassische Musikliebhaber oder der klassische Bildungsbürger. Ich behaupte der letztere. Auch wenn sich Ampelmitglieder gerne vor den Festspielen in Bayreuth ablichten lassen, das Berghain wäre ihnen wohl näher und lieber.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Das ist ein spannender Gedanke. Darüber könnte man glatt mal was schreiben. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Aus eigener Erfahrung sowohl auf als auch vor der Bühne: Die Akustik im Festspielhaus ist gut. Sie ist nur am Rang oben schlecht. Wer was hören will, geht ins Parkett.
Interessant zu erwähnen wäre noch gewesen, dass eigentlich Martha Agerich als Solistin geplant gewesen wäre, sie das Programm „aus künstlerischen Gründen“ verändert hatte (Beethoven statt Chopin), dann aber krankheitsbedingt von Levit vertreten werden musste.
Die Studenten des Mozarteums befinden sich in den Sommerferien. Also entweder zuhause, in diversen Meisterkursen – oder als Musiker im Einsatz bei den Salzburger Festspielen oder anderen Festspielen in D und AT.
Und last but not least:
Das Western Eastern Divan Orchestra zieht bei Weitem nicht so wie Dudamels Simon Bolivar oder gar die Philharmoniker. Warum sollte ein Student sich das antun?
Und nun wirklich zum allerletzten Schluss:
Das ü50 Publikum war vor 50 Jahren ü50 und wird in 50 Jahren ü50 sein.
Das ist leider der Fluch der Klassik. Aber dank der Baby Boomer stehen wir vor einer cambrischen Publikumsexplosion.
„stehen wir vor einer cambrischen Publikumsexplosion….“
Da sagen aber die Entwicklung der Abo-Zahlen, vielleicht nicht in Salzburg aber in der Breite, etwas völlig anderes…
Ein fundamentales Problem der Abo-Entwicklungen ist die Inflation. Einerseits müssen die Abos teurer werden (Lohnentwicklung, Logistik, Mieten, Gagen), andererseits sitzt das Geld der Zuschauer immer fester in den Taschen. Dazu noch die Fülle an Konkurrenz um dasselbe Publikum.
Der Trend geht mehr und mehr zu Leuchtturmprojekten, die massiv beworben werden und die anderen Veranstaltungen quasi quersubventionieren.
Ich kann nur für meine kleine Nische sprechen: Hier entwickeln sich die Abo-Verkäufe in eine positive Richtung.
Welche Leuchturmprojekte mögen das denn sein, die andere Veranstaltungen „quer subventionieren“? Sie meinen aber nicht etwa diese, die um einen Euro an Einnahme zu generieren „nur“ 3€ statt der üblichen >10€ aus dem Steuertopf benötigen?
Selbst die „brummendsten“ Aufführungen im deutschen Theaterbetrieb sind Zuschussgeschäfte und können daher niemals die weniger gut laufenden Inszenierungen tragen. Kein Theater oder Opernhaus kann seine Kosten auch nur annähernd zu 50% decken, und da sind teure Umbau- und Instandhaltungsmaßnahmen noch nicht einmal mit einberechnet.
Sie vermischen zwei Dinge, wobei ich eingestehen muss, diese ebenfalls nicht getrennt zu haben.
Viele Veranstalter werfen für große Events mit namhaften Künstlern die gesamte Maschinerie an und bekommen die Bude zu recht hohen Preisen komplett voll. Damit wird dann das Angebot in der Fläche „quersubventioniert“, damit auf der Homepage und vor (staatlichen) Förderern weiter mit so und so vielen Veranstaltungen geworben werden kann. Dies betrifft kommerzielle Veranstalter.
Theater- und Opernhäuser sind und bleiben subventioniert, und das meiner Meinung nach aus gutem Grund. Wenn Kunst allein auf den Geschmack und die Mode reagiert, verkommt sie über kurz oder lang zu Kommerz. Ich schätze die Arbeit des Kollegen André Rieu sehr! Er bedient eine lukrative Nische äußerst erfolgreich. Deshalb würde niemand von diesem Künstler erwarten, eine komplexe Uraufführung eines jungen Komponisten zu stemmen. Kunst lebt seit Jahrhunderten vom Mäzenatentum.
„Wenn Kunst allein auf den Geschmack und die Mode reagiert, verkommt sie über kurz oder lang zu Kommerz.“
Das kann gut sein, aber noch bedenklicher ist es für mich, wenn die Kunst nur noch auf sich selbst reagiert. Wenn sich Kunst verselbstständigt und an den Ansprüchen/Wünschen des Publikums vorbei inszeniert wird. Schauen Sie sich mal die Spielpläne der Stadttheater an, da kann sich die Abo-Oma sehr, sehr glücklich schätzen, wenn sie pro Spielzeit neben all den Ausgrabungen und Neuendeckungen eine Operette geboten bekommt, a) deren Namen sie kennt und/oder b) deren Handlung nicht mit einer völlig neuen Sicht auf überholte Geschlechterrollen interpretiert wird.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Verglichen mit echten Konzertsälen weltweit (die ich, wie Sie offenbar auch, weitgehend kenne), ist die Akustik überall miserabel. Nur, weil ich über den Blick vom Rang aus aufs Parkett schreibe, heißt das nicht, dass ich das Konzert auf dem Rang anhöre. Dass Levit für die erkrankte Agerich eingesprungen ist, spielt für das Thema des Textes keine Rolle. Es gibt bei den Festspielen Aufführungen extra für die Studenten, die sind voll. Das junge Publikum befindet sich also durchaus in der Stadt. Die Wertung, dass Barenboim halt einfach nicht zieht, ist etwas hochnäsig. Und dass große Klassik überall nur von Menschen Ü50 konsumiert wird, ist – bei allem Respekt – sagen wir mal: diskutabel. Herzlicher Gruß, Ch. Walther
Lieber Herr Walther,
Vielen Dank für Ihre Antwort. Das Festspielhaus spielt sich wundervoll vor allem mit Chor. Der Ton „bleibt da“, man hört sich und seine Nachbarn, man hört sogar die vorderen Pulte. Das macht das Spielen und damit für meine Begriffe auch das Zuhören angenehm. In Sälen wie der Berliner Philharmonie mit ihrer „Arena“-Aufstellung fliegt der Ton nur so weg. Für Orchester, die dieses Setting nicht gewohnt sind, ist dies ohne ordentliche Anspielprobe tödlich, was man bei Übertragungen an zögerlichen Soli und schleichenden Einsätzen merkt. Nichts geht aber über den guten, alten Schuhkasten wie den Konzertverein in Wien.
Nicht Barenboim zieht nicht, sondern das WEDO. Barenboim mit dem DSO zum Beispiel war und ist ein Genuss!
Und zu guter letzt:
Meine gesamte Branche bemüht sich seit Jahrzehnten um eine strukturelle Verjüngung des Publikums. Einzelne erfolgreiche, zielgruppenorientierte Projekte bestätigen leider die Regel, dass die in keiner Weise kommunizierte aber dennoch gelebte Liaison aus Eintrittspreis, Publukumsverhalten und Dresscode es uns sehr schwer macht, jüngeres Publikum auf Dauer zu binden. Meiner Meinung nahm diese tragische Entwicklung in der Entkoppelung und Trennung der E- von der U-Musik ihren Lauf, die leider nicht mehr rückgängig zu machen sein wird. Man vergleiche hierzu nur die Programme gehobener Unterhaltungsmusik der 1920er mit den 2020er Jahren. Sie ähneln sich sehr nur was damals zeitgenössisch war, ist jetzt 100 Jahre alt.
„Weiß ist die absolut dominante Farbe. Also, nicht bei den Anzügen und Kleidern, sondern bei den Haaren
…
Vom Rang aus schaut man auf ein gigantisches silbrig-graues Meer im Parkett.“
Das ist eben die Gruppe, die sich solche Events noch leisten kann. Oder besser gesagt: sich leistet. Wenn die verbleibenden Lebensjahre in Relation zum Sparbuch gesetzt werden und sich ein positives Ergebnis zeigt, dann ist man anders in den Lebensjahren, in denen man noch keine weißen Haare hatte, bereit, in den Besuch solcher Veranstaltungen zu investieren. Andererseits verschieben sich mit zunehmendem Alter auch die Prioritäten. Wer als Jüngerer noch Wert auf Flugreisen und Urlaub in exotischen Länder legt (und dafür sein Geld ausgibt) bleibt mit Ü70 lieber in heimischen Gefilden und genießt hier. Das wird dem Autor später nicht anders gehen, denke ich.
Das Titelbild beweist den Kenner. Die originalen Mozartkugeln sind nicht vom Reber aus Bad Reichenhall sondern vom Cafe Fürst im Salzburger Zentrum!
Fürst im Bild gut lesbar …
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Das sind natürlich die Kugeln vom Fürst. Mir ist nicht ganz klar, wie viel deutlicher das auf dem Foto noch zu sehen sein sollte…? Herzlicher Gruß, Ch. Walther
In Österreich ist Mirabell am weitesten verbreitet.
„Weiß ist die absolut dominante Farbe. Also, nicht bei den Anzügen und Kleidern, sondern bei den Haaren
…
Vom Rang aus schaut man auf ein gigantisches silbrig-graues Meer im Parkett.“
Leider ist das auch der Normalzustand bei Musiktheater- und Konzertveranstaltung deutscher Stadttheater.
Aber wenigstens sind die noch da.
Denn die Alten sind treu und dabei weitgehend schmerzfrei und beklatschen selbst noch die absurdesten Regieeinfälle oder die zu großer Kunst erhobene, aber eigentlich publikumsvergaulendste „Ausgrabung“.
Nee, hören Sie mal! Die Alten haben halt Rituale und trauern der Hochkultur-Zeit nach …. kuck mal, es ist so, dass der ganze Kulturmafiamist alt ist. Wer will denn diesen ganzen Dekadenz-Scheiß noch hören und schauen? Alles woker Mist. In München sah ich neben dem Nationaltheater ein Poster mit Antigone-Zitat: „Nicht ungeheurer als der Mensch“. Diese dekadente woke Zeitkritik der überpamperten suizidalen gehässigen „Kulturschaffenden“. Du lieber Gott, wer will so einen Käse sehen????
Hei, die können keinen Mauerstein sauber auf den anderen setzen!
„Dafür wurden mal eben 55.000 Kubikmeter des städtischen Mönchsbergs abgetragen.“
Das klingt zwar viel, aber ist nicht das Problem und von der Größenordnung üblich bei Großobjekten …. allein der Bau ist schon arg hässlich.
Was das Alter von Konzertbesuchern angeht … ein alter Hut. Wir haben schon vor 20 Jahren als Mittdreißiger z.B. im Leipziger Gewandhaus den Altersschnitt in den besuchten Konzertreihen verdorben und jetzt 20 Jahre später sind wir immer noch eher drunter als drüber.
Apropos hässlich: Ab 2025 sollen Sanierung und Erweiterung der Festspielhäuser starten, für die aktuell rund 335 Millionen budgetiert sind. Die Planung hat man leider den Nacktbeton-Fetischisten Jabornegg & Pálffy überlassen Sanierung und Erweiterung der Festspielhäuser Salzburg — Jabornegg & Pálffy Architekten (jabornegg-palffy.at)
Ich hatte letztens zum ersten Mal im Leben so eine „Fahrt ins Blaue“ mitgemacht. Das zog den Altersschnitt brutal nach unten.
Aber es war wirklich lustige Sache.
Altherrenwitze sind ja nicht so meine Vorliebe, aber wenn gereiftere Damen mir als Mitfünfziger mit zotigen Sprüchen kommen, dann lasse ich mich selbstverständlich gern in etwas intimere Räumlichkeiten locken.
Lieber Leser, vielen Dank für Ihren Kommentar. Dass das Festspielhaus ein bauliches Großprojekt war, ist ja gerade das Thema. Und es ist durchaus ein Problem, wenn das Publikum über mehrere Jahrzehnte alt ist und kein jüngeres nachkommt. Ein Missstand wird nicht dadurch besser, dass er sich lange hält. Herzlicher Gruß, Ch. Walther