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TICHYS LIEBLINGSBUCH DER WOCHE

Wie wär’s mit Laberland verlassen und die Ärmel hochkrempeln?

12.03.2023

| Lesedauer: 3 Minuten
„ZwischenWelten“ ist ein Gesellschaftsroman, ein hitziger Schlagabtausch um polarisierende Fragen wie Klimapolitik, Gendersprache, Rassismusvorwürfe und den Ukraine-Krieg

Zwei Literaten lassen ihre beiden Romanfiguren einander E-Mails schreiben und ich soll das gut finden? Ich war skeptisch beim jüngsten Briefroman von Juli Zeh und Simon Urban. Und dann: Begeistert. Die schreiben sich E-Mails und WhatsApp und was es sonst noch so gibt; die Mitteilungen überschneiden sich, es gibt Sendepausen, Missverständnisse und das wirkliche Leben ist wie ein Tinder-Roman: Ernüchternd. Das eine ist Realität, das andere virtuell und es geht nicht zusammen. Schon das ist amüsant. Aber es wird noch bunter.

Schon auf der ersten Seite ist man Mittendrin im Geschehen.  Nachdem sie sich am Abend, bevor wir Leser (wie Voyeure) ihren digitalen Dialog verfolgen, zufällig in Hamburg wieder begegnet sind. Nach zwanzig Jahren. Es bleibt nicht bei einem Drink und einem „Was hast Du so gemacht?“ im Schnelldurchlauf, der Abend endet mit Wut und Gebrüll – nicht nur wegen viel zu viel Promille.

Dabei hatten sie früher so viel gemeinsam. Haben eine Wohnung, gleiche Ansichten vom Leben und Ziele geteilt. Und obwohl Stefan sich mehr gewünscht hätte, verband Theresa und ihn eine tiefe Freundschaft.

Dann hat Theresa den Bauernhof ihres Vaters übernommen und Stefan wurde Journalist bei Deutschlands größter Wochenzeitung DER BOTE. Dort engagiert er sich mit journalistischen Projekten im Kampf gegen den Klimawandel. Derweil kämpft Theresa mit ihrem Bio-Milchbauernhof bis ans Limit ihrer Kräfte gegen die immer zahlreicher werdenden Schwierigkeiten.

DER BOTE ist erkennbar Die Zeit und auch der im Roman aus Albanien stammende Chefredakteur ist kaum verschleiert. Es treffen aufeinander das aufgeblasene Gender-Gerede der Hamburger Schickimickis und die bittere Realität einer Agrarunternehmerin, die das Pech hat im Realen zu leben und wirtschaften zu müssen. Die Belehrungen aus Hamburg sind im Roman so peinlich wie im wirklichen Leben unerträglich. Der ganze Schwachsinn des woken Journalismus breitet sich aus – und zeigt seine Lächerlichkeiten. Ich gestehe – ich habe oft geschmunzelt und laut gelacht. Das geschieht ja selten in Romanen, die sonst die Düsternis der Welt beschreiben. Spott und Ironie sind die Waffe der Wehrlosen gegen die Sprachediktate der Herrschenden. Darum fürchten diese die Spötter, wie man sehen wird. Die Wirklichkeit verschwindet hinter politische korrekten Formeln der Sprachverdreher und löst sich auf; leider nicht die damit verbundenen Malaisen einer Bauersfrau, die sich um Kälber und Mitarbeiter, um Margen und Wetter kümmern muss – während in Hamburg abstraktes Klima das alles beherrschende Thema ist und natürlich ein brutaler Machtkampf um die Pfründe der unsinnstiftenden Schreiberklasse.

"ZWISCHEN WELTEN"
Neuer Roman von Juli Zeh: Liebe in Zeiten der Hassgesellschaft
Dem Desaster des ersten Wiedersehens zum Trotz wollen sie sich noch eine Chance geben, um sich per E-Mail und WhatsApp über ihr jetziges Leben auszutauschen und neu kennen zu lernen. Doch in dem Maße wie Vertrauen und Verständnis füreinander wachsen, werden auch die gravierenden Meinungsunterschiede und Einschätzungen zu polarisierenden Themen wie Klimapolitik, Gendersprache, Rassismusvorwürfen und Ukraine-Krieg immer hitziger und schroffer von ihnen verhandelt. Die Welt auf brandenburgischem Sandboden paßt so gar nicht zur Phantasiewelt des Woke-Journalismus.

Bald scheint es, als gebe es keine tragbare Verbindung mehr zwischen ihren Welten und als sei jeder gezwungen, sich für eine der antagonistischen Seiten zu entscheiden. Oder können Freundschaft und Liebe die Kluft doch überbrücken?

In der Westdeutschen Allgemeinen befand Martin Korte, dieser Roman sei „konstruktive Provokation. Das macht ‚ZwischenWelten‘ zum Gesellschaftsroman der Stunde.“

Die große Leistung besteht darin, den Chefredakteur wenigstens vorübergehend sympathisch erscheinen zu lassen. Die Heldin des Romans und einige Ihrer Nebenfiguren dagegen sind verdächtig: blond, direkt, rechtschaffen und wütend. Das darf natürlich nicht sein. Und so kommt diese konstruktive Provokation nicht bei allen, die sich  Kulturschaffende des deutschen Feuilletons nennen, gut an. „Schon wieder eine als Roman getarnte Einmischung Juli Zehs in aktuelle Diskurse“, beklagte Katharina Teutsch in Die Zeit.

Während sich früher Romanautoren einmischen sollten, gilt dies neuerdings als Zumutung – wohl weil Zeh nicht so schreibt wie das Feuilleton die Welt sieht. Es ist mutig von Zeh, sich immer wieder aus dem lauwarmen Mainstream in die eiskalten Gewässer der gesellschaftlichen Konflikte zu begeben. So schafft sie mit ihrer Literatur, sich über die woke Welt lustig zu machen, sie zu decouvrieren.

Das löst Abwehr aus. Wut und Herablassung. Spott und Ironie sind Geschwister im Hochverrat an der woken Welt.

Die Besprechung von Patrick Bahners in der FAZ endet mit dem Verdikt: „Politisch gelesen, ergreift der Roman die Partei der abgefüllten Gülle, des pseudorealistischen Ressentiments gegen die jüngste Gestalt des vermeintlich abgehobenen Universalismus. Aber die WG-Ästhetik der erzählerischen Zweitverwertung mit ihren Bauformen vom Sperrmüll macht das reaktionäre Programm unschädlich.“

Genau. Das Leben ist reaktionär.

Juli Zeh/Simon Urban, ZwischenWelten. Roman. Luchterhand, Hardcover mit Schutzumschlag, 446 Seiten, 24,00 €.


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7 Kommentare

  1. Meine Erfahrung passt vielleicht nur am Rande zu dem Stoff dieses Buches, aber dennoch möchte ich sie teilen. Selbst bin ich im weitesten Sinne in der Entwicklungshilfe tätig, und versuche tagtäglich, eine nicht enden wollende Flut an Wissensvermittlung zu bewältigen.
    Neulich bewarb ich mich dann als Projektleiter bei einer internationalen Entwicklungsbank, bei welcher ich davon ausgehe, über das erfoderliche Fachwissen und Berufserfahrung zu verfügen. Im Anmeldeformular wollten sie dann von mir allen Ernstes wissen, ob ich der LGBT…-Community angehöre, und verwiesen darauf, dass sie „Diversität zelebrieren würden“ und deshalb die Angehörigen dieser (und sonstiger spezifischer Gruppen) begrüssen würden.
    Es ist schon fast zum Heulen. Armutsbekämpfung ist wahrhaft kein Pappenstiel. Jahrelanges Studium, kleine Anfänge, sich hocharbeiten, Anerkennung gewinnen, Erfahrungen sammeln, auch aus manchen Fehlern lernen – und dann dieses elendigliche Herumschnüffeln in meinem Sexualleben, was den Arbeitgeber erstens einen feuchten Kehricht angeht, und zweitens für die Aufgabe keine erkennbare Relevanz besitzt.
    Zwar habe ich die Bewerbung abgeschickt, die entsprechende Frage jedoch mit NEIN beantwortet. Und grosse Illusionen mache ich mir keine mehr, was die Stelle betrifft.

    • Man muß einfach „lügen“, die Stelle bekommen und versuchen, dieses korrupte ideologiegeschwägerte System von innen zu bekämpfen und zu entlarven. Von außen geht es leider nicht mehr.

  2. Was wir heute „woke“ nennen, war wohl früher der „Elfenbeinturm“
    Wer keine Sorgen mehr hat, macht sich welche. Ein ziemlich offensichtliches Wohlstandsphänomen. Die eigene Wirklichkeit braucht auch etwas Wichtigkeit, und je ferner vom „echten Leben“, umso luftiger werden die Themen, die dem Ego Trost spenden.
    Das Problem ist ja weiß Gott nicht neu.
    Nur konnten „früher“ viel weniger Mitmenschen ihren Ideen freien Lauf lassen, weil sie mit existenzieller Daseinversorgung vollbeschäftigt waren. Von der Antike bis zur Moderne war „Müßiggang“ der privilegierten Oberschicht aus Adel, reichen Bürgertum oder Klerus vorbehalten, die breite Masse hatte zu arbeiten und starb früh an Krankheiten oder in den zahllosen Kriegen unserer Geschichte.
    Zweifellos ist es ein Segen der langen Friedenszeit und des gestiegenen Durchschnitts-Wohlstands nach den letzten beiden Erzkatastrophen, dass sich heute bis weit in die Mittelschicht hinein viele Muße besitzen, sich über Gott und die Welt Gedanken machen zu können, weil die eigene Existenz abgesichert ist, man sich über Essen. trinken, Gesundheit, Einkommen etc viel weniger Sorgen machen muß. Die sog Grundbedürfnisse sind bei uns bis in die Unterschicht geklärt, unser „Existenzminimum“ ist in vielen Ecken der Welt unerreichbarer „Reichtum“.
    Und natürlich hat dieser allgemeine Wohlstand seine Schattenseiten. Leichtsinn, Trägheit, Bequemlichkeit, Empfindlichkeit usw nehmen zu, je sicherer man sich fühlt, je selbstverständlicher gemeint wird, es werde immer so bleiben, man könne sich nur noch weiter verbessern, aber nicht mehr verschlechtern.
    Gäbe es da nicht die Nashörner, Schwäne und Drachen in allerlei Farben, die wie Feuerwalzen Millionen Illusionen zerstören und ganze Länder verwüsten und Zivilisationen zerstören können. Die Klassiker sind natürlich Kriege, Seuchen, Natur/Katastrophen, Mißmanagment der Führer bis zur Staatspleite usw.
    Blühende Landschaften, Reiche, Staaten etc. hatten bislang nur eine Halbwertszeit von Jahrzehnten oder bestenfalls einigen Jahrhunderten, bis eines oder mehrere der üblichen Desaster zuschlugen.
    Und wir haben in wenigen Jahren gleich mehrere davon erlebt. Von der Finanzkrise 2008 bis zu Corona und Ukraine in 2020-heute, parallel dazu leichtfertige Schuldenpolitik fast aller westlicher Staaten aus reiner Bequemlichkeit und Opportunismus sind schon eine üble Mischung. Bislang erweisen wir uns noch als relativ resilient, aber das knirschen im Gebälk nimmt hörbar zu.
    Mag die Ukraine derzeit alle Nachrichten dominieren, Corona weitgehend verdrängt haben, Klima auch seinen Schwung aus 2019 verloren haben, schwebt über allem (insb im Westen) das Geld!
    Jahrelange politische Mißwirtschaft auf Pump fordert nun ihren Tribut, die Inflation treibt Preise und Zinsen in die Höhe und überfordert die Mittelmäßigen in politischen Ämtern immer mehr. In ihrer Ahnungslosigkeit wissen sie nichts anderes zu tun, als das gleiche wie immer, nämlich noch mehr Schulden machen, mehr Geld aus dem nichts schaffen, jedes Feuer mit Geld löschen zu wollen, vom allgemeinen Leben aller Bürger bis zur angeblichen Klimarettung auf der ganzen Welt. Je ohnmächtiger die Politik wird, umso pompöser werden ihre Ziele, umso intensiver ihre Einmischungen in alle Lebensbereiche der Bevölkerung, primär in deren Geld natürlich. Das über Jahrzehnte gewohnte relativ billige Geld für das ebenfalls gewohnte Leben auf Pump droht insb dem Staat auszugehen.
    Da insb „wir“ im Westen uns über Jahrzehnte daran gewöhnt hatte, aus Russland billige Rohstoffe kaufen und in China billig produzieren und viel gleich dort absetzen zu können, uns selbst hier auf Marketing und Moral beschränken zu können und von den USA militärisch geschützt zu werden, wackelt dieses Kartenhaus des schönen Scheins nunmehr gewaltig. Russland und China spielen nicht mehr wie gewohnt mit, obgleich (oder weil?) sie uns näher geworden sind, wie es vor 1990 Jahrzehnte unvorstellbar war.
    Global werden viele Preislisten neu geschrieben und das ist insb für uns kein Grund zur Freude. Klima mag eine nette Ablenkung für viele sein, aber ist sicher nicht das aktuelle Problem, eher wie immer nur Muße für die ohne andere Sorgen.
    Lokal, national und international verlaufen immer mehr Bruchlinien und Verwerfungszonen entlang ökonomischer Fragen. Wer hat keine monatlichen Sorgen, wer schon? Wie sind die wirtschaftlichen Aussichten, insb bei sich verändernden Weltmärkten, Zinsen, Inflation etc? Wessen bisherigen Privilegien sind in Gefahr (auch durch technischen Fortschritt)? Zu welchen Maßnahmen sind die bisher Privilegierten bereit, um ihre wirtschaftliche und Deutungsmacht zu sichern? Und wie reagieren die regierten, beherrschten Massen darauf?
    Da tut sich gerade ne Menge, bei uns und überall. Ausgang ungewiss!

  3. Das Buch ist eine Wucht. Ich für mich würde sagen, es handele ein Stück weit die Realität ab, ohne Rüsschen und Girlanden.
    Zuerst eigentlich nur wegen dem Vorgängerwerk der Autorin für mich interessant. Auch die Form der Auseinandersetzung, WhatsApp und Mail, versprach eher recht trockene Lektüre.
    Weit gefehlt. Schon nach der ersten(!) Seite konnte ich das Werk nicht mehr aus der Hand legen.
    Es fasziniert in einer immer stärker werdenden Weise den Leser durch seine klare Intention. Es demaskiert den täglichen Schwindel um Nichts. Die Oberflächlichkeit des Woken Lebens wird gnadenlos ans Licht gezerrt.
    Hier bleibt kein Spielraum mehr für Ausflüchte, und die harte Realität wird zur Tatsache. Julie Zeh hat ein Buch zusammen mit dem Co- Autor geschrieben, das wichtiger nicht sein könnte. Für mich, als Einer der die Dinge jeden Tag mitansehen muß ist klar geworden, daß,wenn man will, es Möglichkeiten gibt, dieser verlogenen Gesellschaft die Tarnkappe vom Gesicht zu reißen .
    In ihrer frappierenden Offenheit in der Sprache haben die Autoren ein mitreißendes Stück Literatur geschaffen, das durchaus das Zeug hat eine gesellschaftspolitische Relevanz zu entwickeln. Ich würde sogar soweit gehen, dem Buch eine erzieherische Seite zu bescheinigen. Mein Fazit: dieses Buch muss man gelesen haben.

  4. Ich habe den Roman noch nicht gelesen. Aber eines scheint auch hier und die Reaktion auf diesen Roman deutlich. Linke wollen die Realität nicht wahrhaben und die Wahrheit ist für sie unerträglich. Dann schießen sie aus allen Rohren, hetzen und eifern! Argumente, Fakten spielen keine Rollen weil sie keine haben, sie sind in ihrer Ideologie gefangen!

  5. Das gespielte Desinteresse der Woken an diesem Zeitbild bestätigt die Analyse, die auch Norbert Bolz der linksgrünen Blase antut. Sie sind „argumentativ nicht mehr satisfaktionsfähig“.

  6. Juli Zeh ist per se eine Linke und daher verdächtig. Bei diesem Buch allerdings wird klar, dass es in Deutschland gar nicht mehr um links und rechts gehen kann. Diese beiden Seiten können die wirklich Mächtigen wunderbar aufeinander hetzen. Es geht vielmehr um klug oder doof, Probleme lösen oder Probleme leugnen, Krieg oder Frieden, Baerbock oder Wagenknecht.

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