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40 Jahre Last Christmas

Weihnachtshits: Liebe, Jesus und blonde Austauschfrauen

24.12.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
One-Hit-Wonder nutzen sie für die letzte schnelle Kohle, doch auch die ganz Großen nehmen sie auf: Weihnachtsalben sind ein wichtiger Teil der Popkultur - einer davon feiert dieses Jahr seinen 40. Geburtstag.

Der Lift kommt, eine Gruppe schicker, junger Menschen steigt ein und fährt zur Hütte. Dort schmachtet George Michael nach seiner Liebe vom Vorjahr und hat dabei eine Austauschblondine an seiner Seite. Die Bilder beißen sich ein wenig mit dem Text, in dem es heißt, er habe sein Herz im Vorjahr der Falschen geschenkt und gebe es dieses Jahr an „jemand Besonderen“. Doch hey. Hier geht es nicht um Plausibilität, sondern um Gefühle. Und egal, was die Kritiker und Lästerer sagen: Last Christmas transportiert Weihnachtsgefühle. Seit nunmehr 40 Jahren.

Aktuell führt der Wham-Song (schon wieder) die deutschen Charts an. Es folgen andere Klassiker wie Mariah Careys „All I want for Christmas is You“, Shakin‘ Stevens „Merry Christmas Everyone“ oder Brenda Lees „Rockin‘ around the Christmas Tree“. Neben aktuellen Stars wie Ariana Grande finden sich auch bereits längst verstorbene Legenden wie Dean Martin in den Charts des Jahres 2024.

Wobei Christmas, also der Name Weihnachten selber, einen Song am deutlichsten als Weihnachtslied ausweisen. In „Hymn“ von Barclay James Harvest wird das weniger deutlich, doch im Text geht es um die Lebensgeschichte von Jesus Christus. Zur Erinnerung und für die, die es nicht wissen: An Weihnachten feiern wir seine Geburt.

Doch so wie sich das Fest immer stärker von seiner religiösen Wurzel löst, so tut es die Popkultur erst recht. Neben dem Fest und Jesus gibt es deswegen Themen in Weihnachtsliedern, die nichts mit dem religiösen Ursprung zu tun haben: winterliche Kälte etwa, Frieden, Geschenke, Schneemänner, der Weihnachtsmann und sogar der festliche Sex haben ihre eigenen Lieder, etwa wenn Eartha Kitt ihr „Santa Baby“ anhaucht, in dieser Nacht ihren Kamin runterzurutschen.

Wobei die Liebe gleichermaßen ein wichtiges Motiv des Wirkens Jesu Christi ist, der bereit war, selbst seinen Feinden die andere Wange hinzuhalten – wie es ein Weihnachts-Motiv ist, das von der eigentlichen Bedeutung des Festes hinweg führt. Etwa wenn sich Kirsty MacColl und Pogues-Sänger Shawn McGowan in „The Fairytale of New York“ liebevoll gegenseitig Schimpfwörter um die Ohren hauen. Wobei die deutsche Version von Nina Hagen und Wolfgang Niedecken eine prächtige Vorlage zum Fremdschämen sind.

Nicht selten sind Weihnachtsalben etwas, das Sternchen schnell zusammenschustern, um vor dem absehbaren Karriere-Aus nochmal Kohle mitzunehmen. Sie singen dann gerne die ganz alten, lizenzfreien Lieder wie „Stille Nacht“, „Am Weihnachtsbaume“ oder „Ihr Kinderlein kommet“ – das reduziert die Kosten. Doch auch die ganz Großen haben Weihnachtsalben aufgenommen: Elvis Presley, Harry Belafonte, Johnny Cash, Frank Sinatra oder Bob Dylan.

So oder so entstehen dabei kuriose Produkte. Etwa wenn Costa Cordalis mit der deutschen Version von „White Christmas“ aus dem Karrieretief zu kommen versucht. Oder wenn Bob Dylan den Weihnachtsmann besingt. Seine Stimme ist alles andere als süßlich und wenn es einen Sänger gibt, der nicht zu Kitsch neigt, dann der Träger des Literaturnobelpreises. Er sollte also eigentlich kein Weihnachtsalbum aufnehmen. Aber andererseits ist er Bob Dylan und macht am liebsten, was er nicht soll. Und an der Aufnahme von „Christmas in the Heart“ hat er von der ersten bis zur letzten Sekunde hörbaren Spaß gehabt. Die Einnahmen hat er Kinderschutzprojekten überlassen.

Weihnachtshits lohnen sich. Als George Michael Wham verlassen hat, hat er quasi als Entschuldigung die Rechte an White Christmas seinem ehemaligen Partner Andrew Ridgeley überlassen. Der verdient laut Branchenkennern an dem Song im Jahr zwischen zwei und zehn Millionen Dollar. Nach 40 Jahren. Immer noch. Es lohnt sich also, einen Weihnachtshit aufzunehmen. Nur gelingt das den Deutschen kaum. Modern Talking hat es mit „It’s Christmas“ versucht. Doch dem Song ist anzuhören, dass es Dieter Bohlen nicht um Liebe und Frieden ging – sondern um sein Konto. Deswegen ist „It’s Christmas“ heute zurecht vergessen.

Mit den Alben sind die Deutschen und Deutschsprachigen erfolgreicher. Heintje, James Last, Roger Withtaker, Helene Fischer, Heino, Andrea Jürgens oder Frank Schöbel haben erfolgreiche Langspieler veröffentlicht. Der fette Ohrwurm ist darauf aber selten zu finden. Eine Ausnahme bilden Rolf Zuckowski und seine Freunde mit „In der Weihnachtsbäckerei“. Welche Eltern haben ihn dafür noch nicht verflucht, wenn sich ihre Kleinen den Song in der Adventszeit zum hundertsten Mal gewünscht haben?

Der weltweiten Karriere setzt die deutsche Sprache enge Grenzen. Globale Hits müssen spanisch sein wie José Felicianos „Feliz Navidad“, oder halt auf Englisch gesungen. Das Herz übersetzt einem dann schon, wenn Chris Rea davon singt, an Weihnachten nach Hause zu fahren. Oder wenn der Lift in die Berge fährt und George Michael sein Herz jemand ganz Besonderem schenkt – auch wenn das nur eine blonde Austauschfrau ist.

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8 Kommentare

  1. Für mich zählt nur, dass das angloamerikanische x-mass-Gedudel, das mir jedes Jahr ab Mitte November auf den Senkel geht, für´s Erste endlich wiederüberstanden ist.

  2. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hat Goerge Michael die Einnahmen von „Last Christmas“ 1984 an Band Aid für Afrika gespendet. Eine noble Geste!

  3. Das schönste moderne Weihnachtslied ist für mich „Wonderful dream“ von Melanie Thornton. Leider scheuen sich manche Radiosender es zu spielen, weil es ja „pöse“ Werbung ist.

    • Das ist auch mein liebstes modernes Weihnachtslied. Ein positives Lied, das mich aber auch nachdenklich stimmt, weil Melanie T. sehr jung bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist. Möge ihr Andenken -besonders zu Weihnachten- ein Segen sein.

  4. Ganz ehrlich? Ich höre lieber einen Weihnachts-Popsong, als irgendein einseitiges Gequassel, das einsam am Küchentisch statt findet.
    Die Texte der Popsongs sind mir dabei tatsächlich gar nicht so gegenwärtig, sondern es ist vielmehr die Zeit, in der man sie im Radio hört. Ohne Glöckchengebimmel hätte Chris Rea also wahrscheinlich auch an den Strand „for Surfin“ und nicht nach Hause „for Christmas“ fahren können.
    Übrigens laufen mir bei Stille Nacht immer noch die Tränen herunter.
    Vielleicht wegen der Melodie, aber ganz bestimmt auch wegen des Textes.
    Machen Sie sich also keine Sorgen, Herr Thurnes, „ein paar Meter“ kann ich noch und ich bin voller Zuversicht, dass noch nicht jeder vergessen hat, worum es sich bei diesem besonderen Geburtstag handelt.
    Und deshalb mache ich aus meinem Herz auch keine Mördergrube, denn ich habe weder den Auftrag erhalten, noch die Muße dazu, Traditionen zu erhalten.
    Und was den Verdienst angeht, der mit solchen „Weihnachtsliedern“ eingesammelt wird, so ist das nicht die Schuld der Zuhörer, sondern die der Krake GEMA. Die hat zuletzt übrigens dazu bei getragen, dass manche Weihnachtsmärkte still geblieben sind, da die „Tantiemen“ für die Weihnachtsmusik DRASTISCH angehoben wurden!

  5. Ich war vorhin in der Kirche, alleine. Außer mir war Niemand dort in dem großen weihnachtlich geschmückten Gebäude. Mit den schönen, hohen, bunten Fenstern, dem Licht von außen und den Kerzen von innen hat diese Kirche eine wunderschöne Ausstrahlung, obwohl es „nur“ eine Dorfkirche ist. Ich hatte Zeit in der Stille, mir die schöne ausladende Krippenlandschaft anzuschauen und auf mich wirken zu lassen.
     
    Die Krippe war schon fast vollständig aufgebaut. Die festlichen Weihnachtsbäume, der liebevoll kreierte Stall, die aus weichem Moos geschaffene Landschaft, mit Wegen aus Kies und Vielem mehr. Hirten, Engel, Maria und Josef, natürlich auch die Schafe und Ochs und Esel. Sie alle sind schon da und schauen betend auf die Stelle, an der sich im Stroh auf dem Boden des Stalles die kleine Krippe mit dem Jesuskind befinden sollte.
     
    Es ist nicht unüblich in katholischen Kirchen, dass dieses entscheidende Detail erst am Abend in der heiligen Messe hinzugefügt wird. Denn noch ist es ja nicht geboren, das Jesuskind.
     
    Allerdings hat dieser Anblick bei mir nicht die freudige Erwartung auf die Geburt des Kindes, auf die Erneuerung des Lebens, dem tieferen Sinn von Weihnachten, sondern eine ganz andere Wirkung ausgelöst, in der Gegenwart des schon länger wahnsinnigen Deutschland des Jahres 2024.
     
    Das Kind fehlt, ein Kind fehlt, es ist nicht geboren, es wurde nicht geboren. An dieser leeren Stelle im Stroh, in dieser Zeit zwischen dem Aufbau der Krippe und der Messe in der das Jesuskind hinzugefügt wird, warten die mehr als 100.000 Kinder die auch dieses Jahr in Deutschland wieder nicht geboren wurden vergeblich darauf, der Krippe, dem Leben hinzugefügt zu werden, obwohl sie selbst doch schon lebten, aber nicht geboren wurden.
     
    Ihr Platz im Stroh wird leer bleiben, all das Tun der Hirten und Engel all der Musikanten mit ihren mehr oder weniger gelungen Weihnachtsliedern kann ihnen ihren Platz im Leben nicht zurückgeben. Es ist vergeblich, es ist sinnlos. Diese leere Stelle mit den 100.000 Kindern die Niemand jemals sehen wird.
     
    In der deutschen Gegenwart des zu Ende gehenden Jahres 2024 wurde von denjenigen, die vom deutschen Volk auserwählt wurden, dieses ungeborene Leben zu schützen und ihre Geburt zu ermöglichen, noch schnell die Gunst der Stunde genutzt um in Zukunft die Vereinfachung der Tötung von noch mehr neuem Leben per Gesetz auf den Weg zu bringen.
     
    Nein, wenn alle diese glänzenden hochdekorierten Stars in warmen weihnachtlichen Bildern ihre zu Herzen gehenden Kunstwerke zum Besten geben, dann sieht man diese Kinder erst Recht nicht mehr. Nur in diesem kurzen Augenblick an diesem kleinen Ort, in der Stille, bevor die Krippe mit dem Jesuskind hinzugefügt wird, da kann man ihre Gegenwart erahnen.

    • Danke, dass Sie diese Gedanken mit uns teilen. Er geht mir sehr zu Herzen.

  6. Für mich gibt‘s nur zwei Weihnachtslieder: Einmal das bereits erwähnte „Fairytale of New York“ und dann noch „2000 Miles“ von den Pretenders. Der Rest ist Käse, ganz besonders natürlich „Last Christmas“…

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