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Nicht mehr auf Wiesn oder Fanmeile

Dööp-dö-dö-dööp

27.05.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
Keine Liebe mehr auf der Fanmeile oder dem Oktoberfest: Die diesjährige Wiesn will das Abspielen des Liedes „L’amour toujours“ untersagen. Das hat der Chef des weltgrößten Volksfestes angekündigt. Es ist ein unsagbar alberner und autoritärer Reflex – und für Juristen ein schlechter Witz.

Gigi d’Agostino kann einem wirklich ein bisschen leidtun. Bis eben noch war der 56-jährige Mann aus Turin ein angesehener DJ und Musikproduzent. Über Nacht ist er – völlig ohne eigenes Zutun – zum Schöpfer eines vermeintlichen Nazi-Songs mutiert, dessen Werk sogar auf dem Index landen soll.

„Wir werden das Lied verbieten.“ Clemens Baumgärtner macht Basta-Politik. Jedenfalls versucht er es. Der 47-jährige CSU-Politiker ist im Rathaus der bayerischen Landeshauptstadt München Referent für Arbeit und Wirtschaft – und damit qua Amt auch Chef des Oktoberfests. Als solcher will er verhindern, dass auf der Wiesn 2024 „L’amour toujours“ über die Lautsprecher ertönt.

Dabei verwendet der immerhin schon 25 Jahre alte Party-Song gar keine Akkorde aus dem Horst-Wessel-Lied, und auch der englische Text ist denkbar harmlos. Auszug in deutscher Übersetzung:

„Es ist mir egal, was du in deinem Leben getan hast.
Baby, ich werde immer hier an deiner Seite sein.
Lass‘ mich nicht zu lange warten, bitte komm‘ schnell her.“

Das riecht nicht unbedingt nach menschenfeindlichem Umsturz. Man tritt dem Komponisten und Texter d’Agostino wohl auch nicht zu nahe, wenn man das Ganze vielmehr als sehr flotte Liebes-Schnulze identifiziert – partygerecht mit 135 Beats pro Minute. Und das soll jetzt verboten werden?

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Schuld daran sind die „Sylt-Schnösel“ (Zitat BILD). Eine Gruppe erkennbar stark angetrunkener und massiv überdrehter junger Leute hatte da auf der Insel vor dem Party-Club „Pony“ zum musikalischen Hauptthema von d’Agostinos Hit („dööp-dö-dö-dööp“) einfach einen eigenen Text gesungen: „Ausländer raus“.

Das war nun sicher keine allzu gute Idee und auch weniger stilvoll, als man sich Sylt so gemeinhin vorstellt. Aber wie das nun mal so ist im besten Deutschland aller Zeiten: Schnell wie der Wind rückten die Bataillone der grün-roten Empörungsindustrie aus und machten aus der Geschmacklosigkeit eine Staatsaffäre.

Und plötzlich soll ein Partysong ein Hetzlied sein.

Da will CSU-Mann Baumgärtner nicht untätig bleiben. Schon früher hat er auf schwarz-grüne Bündnisse gesetzt, wenn es dem eigenen Fortkommen diente. Jetzt macht sich der wendige Herr wieder nach links anschlussfähig – und will im typischen autoritären Reflex unserer Zeit das Lied verbieten, das da auf Sylt verunstaltet wurde.

Das dürfte allerdings viel leichter gesagt sein als getan, weiß Medienanwalt Joachim Steinhöfel. Denn an dem Lied selbst ist ja, siehe oben, weder musikalisch noch textlich irgendetwas auszusetzen. Es wird seit 25 Jahren weltweit massenhaft ohne jedwede Beanstandung auf Partys, Volksfesten und in Diskotheken gespielt. Mit welcher Begründung sollte es jetzt also verboten werden?

In Frage käme da eigentlich nur eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit. Übersetzt aus dem Juristendeutsch: Man befürchtet, dass Besucher des Oktoberfests beim Abspielen des Liedes Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten begehen könnten – also z. B. verfassungsfeindliche Symbole zeigen oder volksverhetzende Dinge rufen. Das ist juristisch aber ganz dünnes Eis. „Mit dieser Begründung dürfte man auf der Wiesn auch kein Bier ausschenken“, sagt Anwalt Steinhöfel. „Denn es könnte hinterher ja jemand verbotenerweise an ein Zelt pinkeln.“

Gegen das von Wiesn-Chef Baumgärtner so medienwirksam angekündigte Verbot von „L’amour toujours“ könnte einerseits Gigi d’Agostino klagen. Schließlich entgehen dem Künstler Tantiemen in erheblicher Höhe, wenn sein populärer Song nicht mehr gespielt werden darf – denn aus welchem Grund eigentlich, er selbst hat sich nichts zu schulden kommen lassen. Klagen könnten auch Wiesn-Wirte, die in ihrem Zelt das Lied spielen wollen. Und auch sie hätten wohl sehr gute Erfolgsaussichten.

Die Betrunkenen auf Sylt hätten etwas mehr nachdenken können, bevor sie den Mund aufmachen. Dasselbe gilt für die Wichtigtuer im Münchner Rathaus.


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