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Schulpläne in Bayern

Konsequenzen aus der PISA-Studie: Eine dramatische Schieflage

04.03.2024

| Lesedauer: 2 Minuten
Die bayerische Staatsregierung plant zusätzliche Deutsch- und Mathematikstunden für Grundschüler. So weit, so gut. Jedoch soll der Unterricht laut Kultusministerin Anna Stolz durch Abstriche in den musisch-kreativen Fächern erzielt werden – eine echte Milchmädchenrechnung.

Nicht nur die PISA-Studie, auch die im Herbst 2023 veröffentlichte Studie des Instituts zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen zeichnet ein katastrophales Bild von der deutschen Bildungslandschaft. Allerdings bräuchte man im Grunde keine Wissenschaftler, um festzustellen, dass das einstige Lande der Dichter und Denker in Sachen Bildung als abgeschrieben gelten kann. Dazu genügt ein Blick ins abendliche Fernsehprogramm, dazu reicht es, der Großstadtbevölkerung in Bus und Bahn aufs Maul zu schauen, dazu braucht man lediglich den Komplexitätsgrad öffentlicher Debatten zu beobachten.

Doch schlimmer geht immer, und so steht zu befürchten, dass Deutschland bald aus funktionalen Analphabeten bestehen könnte, wenn nicht gegengesteuert wird. Es muss etwas geschehen, so viel ist klar. Die bayerische Staatsregierung prescht nun typisch hemdsärmelig vor, und plant zusätzliche Deutsch- und Mathematikstunden für Grundschüler. So weit, so gut. Jedoch soll der Unterricht laut Kultusministerin Anna Stolz durch Abstriche in den musisch-kreativen Fächern erzielt werden – eine echte Milchmädchenrechnung. Seit Jahrzehnten scheint es bundesdeutschen Politikern nicht vermittelbar zu sein, dass künstlerische Fächer kein netter Zeitvertreib sind, sondern – vorausgesetzt, sie werden vernünftig unterrichtet – wichtige Kompetenzen vermitteln, und zwar so gedrängt und ganzheitlich, wie es kein anderes Schulfach vermag.

Künstlerische Betätigung kommt nicht nur der Bildung, sondern auch dem kulturellen Bewusstsein und nicht zuletzt der menschlichen Reifung zugute. Früh einsetzender Musikunterricht etwa kann einiges an Förder- und Nachhilfeunterricht vermeiden helfen: Musizieren ist ein hochkomplexer Vorgang, der die Entwicklung des Gehirns fördert, motorische Fähigkeiten spielerisch und mit Spaßfaktor trainiert, Aufmerksamkeit und Konzentration erfordert, und Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Gemeinschaftssinn und Disziplin vermittelt. Fähigkeiten, die im Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht eben überflüssig scheinen. Nebenbei tut es der Psyche gut, und macht Kinder mit der eigenen Kultur vertraut: Wer singt, hat mit ein paar Schubert- oder Schumannliedern wichtige literarische Werke von Dichtern wie Eichendorff oder Schiller verinnerlicht, ohne es zu bemerken.

Immer früher ans Smartphone gefesselte, der virtuellen Welt ausgelieferte Kinder profitieren von künstlerischer Betätigung; sie lernen, mit der eigenen Fantasie statt mit der KI umzugehen. All das aber braucht Zeit und muss priorisiert werden: Eltern, Schüler, und auch Lehrer müssen spüren, dass Werken, Zeichnen und Singen ernstzunehmende Fächer sind; dass Engagement in diesen Bereichen nicht als überflüssig und irrelevant betrachtet wird. Die Fehleinschätzung, etwas sei irrelevant für den Bildungsweg, weil es womöglich „Spaß“ macht und ohne Hausaufgaben auskommt, kann und muss korrigiert werden. Es wäre die Aufgabe der Politik, endlich zu verstehen, dass es diese früh erworbenen und gefestigten musischen „soft skills“ sind, die am Ende auch ein Matheabitur erleichtern.

Die Kurzsichtigkeit der Erwachsenen von heute verantwortet den umfassenden Mangel an kognitiven, intellektuellen und sozialen Fähigkeiten der nachwachsenden Generation: In einer immer komplexeren Welt können wir uns eine utilitaristische Verkürzung des Bildungsbegriffs nicht leisten. Wir müssen vielmehr zurückfinden zu einem Bildungsideal, das den Namen verdient, und das nicht MINT-Fächer oder Orthographie gegen das ausspielt, was den Menschen letztlich zum Überlebenskünstler in einer feindseligen Welt gemacht hat: seine überschäumende, schier grenzenlose Kreativität.

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