<
>
Wird geladen...
Journalismus 2024

Das beliebte Märchen vom exklusiv erworbenen Material

26.02.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
Journalismus ist in Deutschland 2024 oft nur Hofberichterstattung. Doch je mehr Journalisten zu Höflingen werden, desto mehr inszenieren sie sich als harte Schnüffler. Aktuelle Beispiele der Süddeutschen Zeitung und des RND.

Das Morgenmagazin der öffentlich-rechtlichen Sender hatte früher ein Vor-Ort-Format. Im Intro dazu gab es Bilder aus Kriegsgebieten und von brennenden Städten. So sehen sich Journalisten selber: Unerschrockene Krieger des Nachrichtenwesens, die jeder Gefahr ins Auge blicken – im Dienste der Wahrheit und ihrer Zuschauer. Im redaktionellen Teil des Formats war dann ein Team des Morgenmagazins zu Besuch bei einem Minister. So sind Journalisten tatsächlich: Sie sitzen zum Kaffee beim Mächtigen und gehen mit ihm Fragen durch, die vorab mit seiner Pressestelle abgestimmt wurden.

ZEIT ZUM LESEN
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Skandale der Regierung, die Medien in den letzten Jahren aufgeklärt haben, lassen sich an einer Hand abzählen. Zumindest von den Medien, die sich besonders gerne als Ermittler zwischen Kriegsgebieten und brennenden Städten sehen. So berichtet die Süddeutsche Zeitung aktuell, sie sei an interne Mails des „Verfassungsschutzes“ gekommen. Die wiederum belegten, dass der Inland-Geheimdienst eine Offensive gegen die AfD plant.

Wie müssen wir uns das vorstellen? Hackt eine Zeitung, für die vor allem Geisteswissenschaftler schreiben, die Rechner des Inland-Geheimdienstes? Sind Journalisten gar in die Büros des „Verfassungsschutzes“ eingebrochen, haben sich in den Rechner eines Mitarbeiters eingewählt und haben Mails ausgedruckt? Hat die SZ gar mit einem anderen Geheimdienst zusammengearbeitet, um an das Material zu kommen?

Oder war es nicht doch eher so: Der „Verfassungsschutz“ hat unter seinem Chef Thomas Haldenwang (CDU) das Ziel ausgegeben, die Partei rechts von der CDU zu bekämpfen. Die Behörde will Material dazu veröffentlichen – fürchtet aber kritischen Journalismus zu dem Vorgang. Also gibt die Behörde das Material an ein Medium weiter, von dem sie weiß, dass es fest an der Seite der Bundesregierung und ihrer Untergebenen steht – und stets aus deren Perspektive berichtet. Mag jeder für sich entscheiden, welche Variante er für plausibel hält.

Anderes Beispiel: Das Recherchenetzwerk Deutschland, das stets seine Ferne zur SPD betont, berichtet, dem Sozialdemokraten Karl Lauterbach sei es gelungen, dass der Medikamente-Engpass dieses Jahr nicht ganz so schlimm ist wie letztes Jahr. Dafür sind die nicht-sozialdemokratischen Journalisten des RND an Papiere gekommen aus dem Haus des Sozialdemokraten.

KARL-EDUARD-VON-SCHNITZLER-PREIS
Jan Böhmermann oder der neue deutsche Medienmacher in Reinstform
Wie müssen wir uns die Reaktion von Karl Lauterbach auf diese Berichterstattung vorstellen? Sitzt er jetzt in Leverkusen und tröstet sich mit einer Flasche Rotwein darüber hinweg, dass sein Haus eine undichte Stelle hat? Denkt er, dass er als Sozialdemokrat in der Berichterstattung des RND ganz gut weggekommen ist? Bedauert aber den Vorfall trotzdem, weil ihm sein Ego nicht so wichtig ist wie journalistische Fairness der Bundesregierung gegenüber allen Medien? Wer sich all diese Fragen mit Ja beantworten kann, darf gerne weiter eine Zeitung abonnieren, die auf das Material des RND zurückgreift. Wobei: Dieses Redaktionsbüro ist Teil des Madsack-Medienkonzerns, der wiederum Filetstück der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) ist – einem Unternehmen der SPD. Das RND beliefert SPD-Zeitungen mit Berichten aus Berlin und darüberhinaus noch andere Zeitungen.

George Orwell wird das Zitat zugeschrieben: „Journalismus ist etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird. Alles andere ist Werbung.“ Wenn einem also ein Medium versichert, es sei an Material von jemandem gekommen, muss derjenige sich nur fragen: Profitiert der, über den berichtet wird, von besagtem Material? Falls ja, ist auch die Frage geklärt, wer das Material den Medien zugespielt hat.

Der Gesundheitsminister hat uns gebeten zu verkünden … Wie der Inland-Geheimdienst verlautbaren will … Das klingt blöd. Also berichten Medien stattdessen, sie seien an Quellen gekommen. So kann man den Lesern und Zuschauern ein falsches Bild von sich vortäuschen. Was aber noch viel wichtiger ist: Man kann sich selbst belügen. Man muss sich selbst nicht als Hofschranze sehen, die wartet, bis etwas vom Tisch abfällt – man kann sich selbst immer noch einreden, man sei der harte Typ im Kriegsgebiet oder in der brennenden Stadt, der unerschrocken nach der Wahrheit fahndet.

Anzeige
Ad
Unterstuetzen-Formular

WENN IHNEN DIESER ARTIKEL GEFALLEN HAT, UNTERSTÜTZEN SIE TICHYS EINBLICK. SO MACHEN SIE UNABHÄNGIGEN JOURNALISMUS MÖGLICH.

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

8 Kommentare

  1. Wir sollten doch endlich mal aufhören zu denken, dass der Journalismus erst jetzt (mit der Ampelregierung) ein Ende gefunden hat. Bis zuletzt hat Helmut Schmidt jedem Journalisten, die ihrerseits ein gewisses Maß an Anständigkeit ihr Eigen nannten, jedem alles beantwortet.
    Mit Helmut Kohl fand das schon ein Ende, weil Journalisten bei ihm auch mehr als genug Schmutz fanden, wobei ihm manch eine Sache ihm das politische Genick hätte brechen können. Um dem vorzubeugen, wurden Journalisten auch gerne mal zum »schweigen« verurteilt, was notfalls auch mit einer ganzen Horde Anwälte durchgesetzt wurde.
    Bei Angela Merkel, die noch viel mehr Dreck am Stecken hatte, wurde schon dafür gesorgt, dass nur genehme Journalisten und »ungefährliche«Männer und Frauen dieser Berufsgruppe an Pressekonferenzen teilnehmen konnten.
    Dass es eine Steigerung geben könnte, hätte wohl niemand wirklich geglaubt. Mit der Ampel wurde alles anders, denn nicht nur die Uneinigkeit innerhalb der Koalition ist ein Angriffspunkt, sondern auch die ständigen Fehlentscheidungen, die nur weiter Probleme bringen.
    Man kann in Berlin eigentlich glücklich darüber sein, dass Journalisten der »alten Garde« nicht mehr aktiv sind, die der Regierungskoalition das Fell über die Ohren gezogen hätte.
    Heutzutage werden die Medien mit sogenannten Journalisten beglückt, denen jegliches Rückgrat fehlt, denn sie trauen sich nicht Politikern auf die Füße zu treten. Genauso gut könnte man den Beruf des Journalisten abschaffen und Zeitungen könnten von den Parteien selbst herausgebracht werden. Wie die Meldungen dann aussehen würden, kann man sich ja denken.
    Im Grunde haben wir doch selbst Schuld, dass solche Personen überhaupt so weit kommen konnten. Wähler haben nämlich das große Problem, dass sie Personen statt Programme zu wählen und Politiker dann darauf festzunageln.
    Derzeit wird also nichts weiter getan, als auf allerhöchsten Niveau zu jammern, damit man sich nicht eingestehen muss, selbst Teil des Problems zu sein. Wären die Wähler ehrlich, würden sie zumindest zugeben, die Programme der einzelnen Parteien gar nicht erst zu lesen und schon mal gar nicht in der Lage sind, Widersprüche in den politischen Plänen zu erkennen.
    Und die wenigen Journalisten, die sich ein wenig »dahinter klemmen« erreichen gar nicht genug Menschen, damit sich Änderungen ergeben könnten oder zumindest eine größere Diskussion auslösen.
    Hätte man vor 30 Jahren damit angefangen, mehr nachzudenken statt viel Unfug als logische Konsequenz hinzunehmen, wäre eine Truppe wie diese Ampel niemals zum Regieren gekommen. Da gibt es drei Programme, die im Grunde unterschiedlicher nicht sein könnten, die dann so zurechtgebogen werden, damit ein Regieren möglich wird.
    Und dann wird sich heute zusätzlich gewundert, warum es mutmaßliche Journalisten gibt, die nur das schreiben, was einer Regierung genehm ist um bloß nicht unangenehm aufzufallen.
    Es müssen ja nicht gleich Journalisten wie Bob Woodward und Carl Bernstein sein; es reicht ja schon Rückgrat.

  2. Dem britische Journalisten und Romanautor Gilbert Keith Chesterton wird der Satz zugeschrieben, wonach schlimmer noch als die Zensur der Presse die Zensur durch die Presse sei.

  3. Der Ehrlichkeit halber muss man aber auch sagen, das nur Wenige völlig verstrahlte noch glauben was von SED Presse und Sendern verbreitet wird. Insofern machen diese sich selber mehr lächerlich damit als das sie irgendeine Wirkung erzielen. Wie gesagt, abgesehen von den regierungshörigen Schlafschafen.

  4. Vielleicht haben die Medien ja auch als V-Leute an den Mails mitgeschrieben und richtig heftige Mails verfasst, die der Geheimdienst jetzt auf den Servern der AfD entdeckt hat.
    Dann wäre das für alle Beteiligten eine Win-Win-Situation.

  5. Herrn Tichy muss man zugute halten, dass er beispielsweise die Ungereimtheiten bei der Berlin-Bundestagwahl nachgewiesen hat. Klasse – danke.
    Außerdem wirkt Tichy als journalistisches Medium, das wirklich fähig ist, kritisch zu denken, logisch zu folgern – nochmal danke, klasse.

  6. Der Artikel schildert zu 100% die Gründe, warum ich bereits im Januar 2017 das Zeitungs-Abo bei meiner Lokal-/Regionalzeitung gekündigt habe:

    Überregional viel zu viel original RND, …obendrein massiv rot-grün eingefärbt.

    Viel zu wenig Lokales und Regionales, …ebenfalls rot-grün eingefärbt und obendrein noch absolut lieblos präsentiert.

    Mit TE, Achgut, Reitschuster etc. und deren -zwar nicht exklusiv „erworbenen“ Material-, …dafür aber „eigenhändig erarbeiteten recherchierten und geschriebenen“ Berichten und Artikeln lebt es sich bedeutend besser. Und das TE-Abo ist auch nicht schlecht !

  7. Am Anfang des Ukraine-Krieges hat der Restle aus Kiew in die Kamera geblubbert ( ca. 3 Meter neben der Hotelbar), dass es für Journalisten nicht möglich ist von der Front zu berichten. In einem anderen Programm wurde berichtet, dass sich ca. 50 freie Journalisten an der Front aufhalten, aber Restle meinte sicher nur GEZ-Journalisten.

Einen Kommentar abschicken