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"Sind wir die Bösen?"

Wie Deutschland seine Zensur normalisiert und die Welt schockiert

17.02.2025

| Lesedauer: 3 Minuten
Ein US-Reportage-Team begleitet deutsche Behörden bei Hausdurchsuchungen wegen „Hate Speech“. Das Publikum sieht kichernde Beamte und systematische Einschüchterung. In den USA wie in Deutschland sorgt das für einen Schock: Hat Deutschland wirklich aus der Vergangenheit gelernt?

Die von Hannah Arendt dargelegte „Banalität des Bösen“ ist zu einem gewissen Grad selbst banal geworden; der Ausdruck und das Beispiel des Eichmann-Prozesses hat sich tief in das westliche Kulturgedächtnis eingeprägt. Das Sujet des Schreibtischtäters findet sich seit der Nachkriegszeit immer wieder in der Popkultur, nicht nur in Erinnerung an den Nationalsozialismus, sondern auch an die real existierenden totalitären Systeme im Ostblock und der Dritten Welt. Dystopische Romane haben das Thema ebenso aufgegriffen wie Komödien. Ikonisch geworden ist dabei in jüngster Zeit ein Internet-Meme, das ursprünglich vom Comedy-Duo Mitchell und Webb in die Welt gesetzt wurde: „Are we the baddies?“ Plötzlich ahnt ein SS-Offizier, dass seine Division möglicherweise auf der moralisch eher fragwürdigen Seite steht.

Nun könnte man denken, dass gerade die Deutschen, die gleich zwei totalitäre System durchgestanden haben, ein besonders sensibles Gespür dafür hätten, wenn etwas faul im Staate ist. Manchmal hilft ein Blick auf Deutschland aber nur, wenn man die Außenperspektive wahrnimmt – in diesem Fall eine Dokumentation der Sendung 60 Minutes auf CBS. Das US-amerikanische Format begleitet in Niedersachsen die Staatsanwaltschaft, und berichtet von der Verfolgung und Ahndung von „Hate Speech“ – inklusive Hausdurchsuchungen.

Dass die Reporterin dabei eher mit den Zensoren, denn den Zensierten mitfiebert, gibt der Sendung eine unfreiwillig frische Note: Keiner der Beteiligten erkennt wirklich, was er tut, aber die Aussagen und Taten stehen so plastisch vor Augen, dass das Publikum einen Film schaut, in dem es lediglich Schauspieler gibt, die ihre Rolle spielen. Mit dem feinen Unterschied, dass es sich nicht um eine Neuverfilmung von „Brazil“ handelt, sondern den Alltag in Deutschland.

Dass spätestens seit dem Fall Stefan Niehoff und dem „Schwachkopf“-Meme die Hausdurchsuchungen ein umstrittenes Thema sind, ist für die Journalisten eher zweitrangig. Man begleitet die niedersächsische Polizei, die um 6 Uhr morgens ein kriminelles Subjekt aus dem Schlaf klingelt, weil dieses einen rassistischen Cartoon verbreitet hat. Sechs bewaffnete Beamte durchsuchen die Wohnung. Sein Handy und sein Laptop werden beschlagnahmt. Während mittlerweile wöchentliche Attentate Deutschland erschüttern, funktioniert wenigstens hier alles wie am Schnürchen.

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Und dann die Nachricht, diesmal mit Bildern aus einem anderen Teil des Landes: zur selben Zeit finden in Deutschland 50 Hausdurchsuchungen auf ähnliche Weise statt. Es handele sich um eine „koordinierte Aktion“ um „Hate Speech“ im Internet einzudämmen.

Fasziniert davon stellt die 60-Minutes-Reporterin drei Mitarbeitern der Staatsanwaltschaft Fragen zum real-existierenden deutschen Hate-Speech-Verfolgerstaat. Etwa, was denn die erste Reaktion derjenigen sei, die man morgens aus dem Bett klingelt. Höhnisch meint einer: „Das wird man doch wohl mal sagen dürfen!“ Aber nein. Nicht in Deutschland. Die Leute seien überrascht, dass es illegal sei, so etwas im Internet zu posten. Sie glaubten, sie hätten Meinungsfreiheit. Aber Meinungsfreiheit hat auch ihre Grenzen.

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Es könnte sich um einen neuen Gag von Mitchell und Webb handeln. Aber es folgen keine Lacher, und niemand scheint zu begreifen, was da vor sich geht. Doch es geht weiter. Beleidigungen im Internet seien schwerwiegender als im Alltag. Weil die Worte bestehen bleiben. Später schlägt einer der drei das Kostenregister auf. Es geht um vierstellige Beträge. Der Mitarbeiter spaßt: Das kommt teurer als Falschparken. In einigen Fällen drohten Haftstrafen. Hinter dem treuen Staatshelfer und der ausländischen Bewunderin ragen Regale mit roten Aktenordnern hervor, in denen die Beweise gesammelt sind.

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Auf X, wo die Videos viral gehen, sieht sich das US-Publikum mindestens überrascht, wenn nicht schockiert. Da ist es wieder, das Klischee des „Guten Deutschen“. Man handelt nach Vorschrift. Erst am Freitag hatte US-Vizepräsident J. D. Vance die Verfolgung der Meinungsfreiheit in Europa gegeißelt und in München dazu aufgefordert, sich nicht von den Werten zu entfernen, die das transatlantische Bündnis ausmachten. Es gab Hohn, Empörung, Wut.

Viele US-Amerikaner, die nicht wussten, was Vance tatsächlich meinte, sehen es nun mit eigenen Augen. Nicht, weil sie die Sendung selbst gesehen hätten, sondern weil die Ausschnitte in den sozialen Medien geteilt werden – und damit auch zum deutschen Publikum zurückschwappen. Sie sind willkommene Splitter im Ringen um die Realität. Denn insbesondere aus den Reihen von SPD und Grünen wurde immer wieder behauptet, dass Vance sich seine eigene Welt gebaut habe. Doch die Bilder, die Fakten – sie geben ihm, nicht den hiesigen Politikern Recht.

Mehrere große US-Accounts aus der X-Szene greifen das Thema auf. Darunter auch Elon Musk. Doch auch die deutschen Meinungsvervielfältiger sind, obwohl sie die Fakten kennen, überrascht. Kichernde Staatsanwälte. Offene Einschüchterung. Zerstörte Leben, über die man süffisant hinweg geht. Die ganze Welt weiß nun von der deutschen Repression. Aber es fehlt die deutsche Hannah Arendt.

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