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Deutschland

Die „Mauer“ ist wieder da

11.02.2025

| Lesedauer: 2 Minuten
Merz war „kontaktschuldig“: Wie bei einer Epidemie genügt es nun auch in der Politik, mit einem „Infizierten“ in Kontakt zu kommen, um unter Quarantäne gestellt zu werden. Eifrige Brandmauerwächter fordern deshalb bereits im Internet, die Brandmauer auf die CDU/CSU auszuweiten.

Fast drei Jahrzehnte, von 1961 bis 1989, gab es in Deutschland die Berliner Mauer als steinernes Symbol für die Teilung des Landes in Bundesrepublik und DDR. Dann fiel die Mauer, und es kam zur Wiedervereinigung Deutschlands. Heute wird wieder eine Mauer, die sogenannte „Brandmauer“, hochgezogen, am höchsten durch politische Gruppen wie die Grünen, die 1990 die Wiedervereinigung („ideologischer Schrott“) nicht wollten und dagegen demonstrierten.

Unter „Brandmauer“ (auch Brandwand) versteht man eine massive, dem Brandschutz dienende Trennmauer, hauptsächlich zwischen aneinanderstoßenden Gebäuden. In dieser bautechnischen Bedeutung ist das Wort seit Jahrhunderten üblich: „Wo feuer hinkommen kan, müssen brandmauern aufgefüret [errichtet] werden“, heißt es in einem Rechtshandbuch von 1757. Auch die übertragene (metaphorische) Bedeutung „Abwehrmechanismus“, „(gesellschaftliche) Isolierung“ ist schon lange belegt: Goethe berichtet in seiner Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“ (1811-1814), wie sein Vater „nach so viel Studien, Bemühungen, Reisen und mannigfaltiger Bildung“ im Alter sich zurückzog und „zwischen seinen Brandmauern ein einsames Leben [führte]“.

Wortgeschichtlich wurde „Brandmauer“ allerdings nur selten im übertragenen Sinn verwendet; es dominierte die technische Bedeutung. In der deutschen Politik kam das Bild von der „Brandmauer“ vor den Wahlerfolgen der AfD nur vereinzelt vor: 2006 forderte der damalige Vizekanzler und Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) „Brandmauern gegen [ausländisches] Lohndumping“, und in der Euro-Krise 2012 wurde von „Brandmauern zur Euro-Stabilisierung“ gesprochen. Seit 2020 hat sich im öffentlichen Sprachgebrauch die „Brandmauer gegen Rechts“ bzw. „Brandmauer gegen (die) AfD“ so verbreitet, dass die Neue Zürcher Zeitung (22.09.2023) von einer „Brandmauer-Rhetorik“ sprach. Das Wort „Brandmauer“ soll maximale politische Abgrenzung von einer anderen Partei oder Organisation anzeigen, deren Ausbreitung es zu verhindern gilt – wie bei einem Brand das Übergreifen des Feuers.

In der politischen Praxis führt diese Abgrenzung zum Kommunikationsabbruch: Man redet nicht mehr miteinander, sondern übereinander und, vor allem, gegeneinander: Der politische Gegner wird dabei zum „Feind“ erklärt, den man – wie im Krieg – vernichtet, nicht physisch, aber moralisch; denn der Feind ist böse, biblisch gesprochen: der Teufel, der in die Hölle zurückgestoßen werden muss. In der Bundestagsdebatte vom 31. Januar 2025 über die Migrationspolitik hielt deshalb der SPD-Fraktionsvorsitzende Mützenich der CDU/CSU (und ihrem Kanzlerkandidaten Merz) metaphorisch stimmig einen „Sündenfall“ vor und das „Tor zur Hölle“ zu öffnen, weil sie für ihr „Zustrombegrenzungsgesetz“ auch die Stimmen der AfD akzeptiere, um die Mehrheit zu bekommen.

Merz war „kontaktschuldig“: Wie bei einer Epidemie genügt es nun auch in der Politik, mit einem „Infizierten“ in Kontakt zu kommen, um unter Quarantäne gestellt zu werden. Eifrige Brandmauerwächter fordern deshalb bereits im Internet, die Brandmauer auf die CDU/CSU auszuweiten.

Was sind die kommunikativen Folgen der Brandmauer-Politik? Erstens Hass und Hetze (die Bundestagsdebatte war dafür ein beredtes Beispiel) und, zweitens, eine Spaltung der Gesellschaft. Dass ausgerechnet die Prediger der Brandmauer ansonsten den „Zusammenhalt“, das „Miteinander“ und die „Solidarität“ Aller fordern, kommt einem so vor, als würden Brandstifter für die Freiwillige Feuerwehr werben.

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