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Koalitionen auch mit Mehrheitswahlrecht

Großbritannien-Wahl: Vorbild für deutsches Wahlrecht?

12.06.2017

| Lesedauer: 10 Minuten
Das „House of Commons“ bleibt die Mutter der Demokratie. Das Parlament in Westminster fußt auf der klassischen Direktwahl. Ein allgemein verständliches Verfahren, das sich rasch auszählen lässt und deshalb besonders fälschungssicher ist. Davon lernen.

Am 8. Juni hat das Vereinigte Königreich gewählt. Die politische Sensation ist eingetreten. Wenige Wochen zuvor hatte das Unterhaus auf Antrag der Premier-Ministerin, Theresa May, mit zwei Drittel der Stimmen beschlossen, den regulären Wahltermin im Jahre 2020 doch vorzuziehen, obwohl sie Neuwahlen davor immer ausgeschlossen hatte. Mit dieser Kehrtwende hatte Theresa May vor allem aber auch die Faustregel in den Wind geschlagen: „Geh’ nicht zu deinem Fürst, wenn Du nicht gerufen wirst“. In einer Demokratie geht die Staatsgewalt vom Volk aus. Man soll nicht ohne Not den Volkssouverän um seine Meinung fragen und sich dann wundern, wenn er anderer Meinung ist.

Wahlen sind außerparlamentarische Volksentscheide. Sie haben den Zweck die Personen auszuwählen, die als Volksvertreter den Regierungschef zu wählen und während der Legislaturperiode für das Volk die notwenigen Entscheidungen zu treffen. Auf eine Rückdelegation der politischen Verantwortung reagiert das Volk allergisch. Viele Wähler sehen darin ohnehin nur eine Gelegenheit, der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Die Schadenfreude ist um so größer, wenn es tatsächlich gelingt, Politiker stürzen zu sehen.

Wahlen werden nicht vom Wahlrecht, sondern von den Wählern entschieden. Das hat die vorgezogenen Unterhauswahl einmal mehr bestätigt. Der Wechsel ist auch unter einem Wahlrecht der klassischen Direktwahl möglich und kommt tatsächlich auch vor. Schlimmer noch ist auch die „Mehrheitswahl“ nicht vor einem „hung parliament“ gefeit, weil die Wahl nicht zu einer Entscheidung durch das Volk geführt hat und eine Koalition oder eine Minderheitenregierung gebildet werden muss.

Die Konservativen unter Premierministerin Theresa May galten als die turmhohen Favoriten der Wahl. Ihr Vorsprung schmolz jedoch im Wahlkampf dahin wie Schnee vor der Sonne. Die Tories erzielten nur mehr 318 Mandate der insgesamt 650 Sitze – zwölf weniger als 2015 – und büßten damit die absolute Mehrheit unter den Abgeordneten im „House of Parliament“ ein. Labour konnte nur in 261 Wahlkreisen den Sieg erringen, gewann aber 29 Mandate hinzu. Die Liberalen waren in 12 Wahlkreisen siegreich und gewannen ebenfalls 4 Sitze. Die Schottische National Partei (SNP) büßte mit 35 erzielten Mandaten 21 Sitze gegenüber 2015 ein. Die nordirische „Demokratic Unionist Party“ (DUP) konnte sich in 10 Wahlkreisen behaupten und sich gegenüber 2015 um zwei Mandate verbessern. Die verbleibenden 13 Sitzen entfielen auf die sonstigen Parteien, die zwar 2 Mandate verloren, jedoch im Parlament vertreten sind, weil es in der Direktwahl keine Sperrklausel gibt. Die besonders EU-kritische UKIP hatte schon in der Unterhauswahl von 2015 nur einen einzigen Sitz errungen. Diesmal flog sie ganz aus dem Parlament. Parteichef Paul Muttall trat daraufhin zurück.

Wie man sieht, ist die klassische Direktwahl kein Zwei-Parteien-System. Die Liberalen haben Einbußen erlitten, blieben aber trotz „Mehrheitswahl“ die vierte Kraft Großbritanniens. Sie können also sehr wohl Wahlkreise gewinnen und hatten 2010 als drittstärkste Partei eine Koalitionsregierung gebildet. Seit 1974 hat es davor keine mehr gegeben. Koalitionen sind im Vereinigten Königreich sehr selten. Große Koalitionen wären zwar möglich, kommen praktisch aber nicht vor. Zur Überraschung aller will Theresa May eine Minderheitenregierung bilden, die von DUP geduldet wird. Zusammen haben die Abgeordneten beider Parteien eine Mehrheit im Unterhaus von einem Sitz.

Historisch gesehen bleibt das „House of Commons“ die Mutter der Demokratie. Das Parlament in Westminster fußt auf der klassischen Direktwahl. Ein allgemein verständliches Verfahren, das sich rasch auszählen lässt und deshalb auch besonders fälschungssicher ist. Das Wahlgebiet ist in genau so viele Wahlkreise eingeteilt wie es im Unterhaus Sitze gibt. Die Abstimmung ist eine Personenauswahl-Entscheidung. Sie zielt nicht auf eine Partei, sondern unmittelbar auf die Person der zur Auswahl stehenden Wahlkreis-Bewerber. Gewählt ist wer im Wahlkreis die meisten Stimmen erreicht. Die einfache Mehrheit genügt. Die absolute Mehrheit ist nicht erforderlich, kommt aber vor. Es gibt aber auch keine mathematisch hochkomplizierten Umrechnungen von Stimmen in Mandate der Parteien etwa nach d’Hondt, Hare/Niemeyer, Sainte-Lague/Schepers, Puckelsheim I, II oder III. Eine Sperrklausel ist der Personenwahl fremd.

1. Es gilt das Prinzip: „one man one vote“

Das britische Wahlrecht folgt dem klassischen Prinzip: „one man one vote“. In Deutschland ist das ganz anders. Hier wird nach den Grundsatz: „one man two votes“ abgestimmt. Man wird allerdings keinen Briten finden, dem man klar machen kann, dass man zwei Stimmen braucht: eine für den Kandidaten der Konservativen und noch eine für den Bewerber von Labour oder einer kleineren Partei? Das Panaschieren ist die Sache der Briten nicht. Aber auch in Deutschland gibt es ernst zu nehmende Zweifel daran. So hat kein Geringerer als der ehemalige Bundesverfassungs-Richter Ernst Gottfried Mahrenholz unter dem Titel: „Bigamie im Wahlrecht?“ in der Festschrift für seinen Richterkollegen Winfried Hassemer (2010, S 111 ff.) Bedenken gegenüber der Doppelwahl nach dem sogenannten Grabensystem vorgetragen, das vom BVerfG niemals auf Herz und Nieren geprüft worden sei.

Würde man den Bundestag nur mehr mit der Erststimme wählen, wäre der ganze Spuk des dualen Wahlsystems mit zwei Stimmen auf einen Schlag verschwunden.

Das setzt allerdings voraus, dass die Zahl der 299 Wahlkreise durch Halbierung verdoppelt und so auf die gesetzliche Zahl von 598 Plätze im Bundestag angehoben wird. Denn niemand kann 598 Plätze im Berliner Parlament mit unmittelbar gewählten Personen besetzen, wenn es nur 299 Wahlkreise gibt.

Wer dagegen mit zwei Stimmen wählt, holt sich den Teufel ins Haus: die leidigen Überhänge, „negative“ Stimmengewichte, gespaltene Abstimmung (Stimmensplitting), Ausgleichsmandate, Doppelkandidaturen im Wahlkreis und auf der Liste, Zweitstimmen-Abzug und Ergänzungsmandate, Listennachfolge für Direktmandate, Erschöpfung der Landeslisten, leer stehende Wahlkreise und anderes mehr. Das alles gibt es nicht, wenn man wie die pragmatischen Briten nur mit einer Stimme wählt. Doch die Deutschen sind ein Volk der Dichter und Denker. Sie sehen nicht ein, etwas zu vereinfachen, wenn man es auch kompliziert machen kann.

2. Die Direktwahl der Parlamentarier

Die klassische Direktwahl der Mitglieder im „House of Commons“ kann in Großbritannien seit 1429 in den Urkunden nachgewiesen werden. Zwar hat es in seiner langen Geschichte zahlreiche Änderungen erfahren, das Verfahren ist aber immer eine Personenwahl in überschaubaren Wahlkreisen geblieben. Gegen die Verwässerung ihres Wahlsystems, haben die Bürger des „United Kingdom“ (UK) in einer Volksabstimmung vom 6. Mai 2011 mit großer Mehrheit basisdemokratisch zur Wehr gesetzt. Ganz anders als die „continentals“ sehen die Briten das althergebrachte Verfahren zur personellen Besetzung ihres Parlaments mehrheitlich als fair und gerecht an. Sie stören sich auch nicht daran, dass die Konservativen Stimmen hinzugewonnen, aber Wahlkreise verloren haben.

In Deutschland gilt im Bund und in 13 Ländern die „personalisierte“ Verhältniswahl, bei der „nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl“ abgestimmt wird. Beide Stimmen, die Erststimme für den örtlichen Wahlkreis-Bewerber (Wahlkreis-Stimme) und die Zweitstimme für dessen Partei (Landesstimme) sind also im Verbund abzugeben. Das tun die meisten Wähler auch, doch ein von Wahl zu Wahl schwankender Teil der Wähler tut das nicht. Sie wählen mit der Zweitstimme eine bestimmte Partei, vergeben die Erststimme aber an einen Kandidaten einer anderen, einer Konkurrenzpartei (Stimmensplitting).

Hinzu kommt, dass die Zahl der Sitze im Parlament nicht mit der Zahl der Wahlkreise übereinstimmt. Im Bundestag gibt es regulär 598 Sitze, aber nur 299 Wahlkreise (Grabensystem). Selbst wenn alle Wähler treu beide Stimmen im Verbund abgäben – was die Splittingwähler ja nicht tun – könnten sie damit auf keinen Fall erreichen, dass alle Abgeordneten mit beiden Stimmen gewählt werden. Neben 299 direkt gewählten Abgeordneten gibt es also mindestens 299 von ihnen, die nicht direkt gewählt wurden, sondern allein über eine Landesliste in das Parlament eingezogen sind. Die Abgeordneten gelangen also über zwei grundverschiedene Wege in das Berliner Parlament. Die einen werden mit beiden Stimmen gewählt, die anderen nur mit einer. Und werden beide Stimmen getrennt vergeben, haben sie sogar einen doppelten Erfolgswert. Denn es ist ein großer Unterschied, man einen Abgeordneten mit beiden Stimmen oder zwei Abgeordnete jeweils mit einer Stimmen auswählt.

Erschwerend kommt hinzu, dass 299 Abgeordnete zweimal kandidieren können: im örtlichen Wahlkreis und auf der Landesliste ihrer Partei. Verlieren sie in ihrem Wahlkreis, können sie über einen sicheren Listenplatz trotzdem in das Parlament einziehen. Der prominenteste Wahlkreis-Verlierer, der über einen sicheren Listenplatz gleichwohl in den Bundestag einzog, war der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück. Er verlor seinen Wahlkreis Nr. 104 (Mettmann I), zog aber über die SPD-Landesliste in NRW trotzdem in den Bundestag ein. In Großbritannien könnte sich niemand im Parlament zum Premier wählen lassen, der nicht zuvor in seinem Wahlkreis gewonnen hat. Peer Steinbrück hatte also zwei Wahlchancen. Die meisten Abgeordneten haben aber nur eine. – Und so geht es natürlich nicht.

Diejenigen Abgeordneten, die über die Landeslisten in den Bundestag einziehen, sind aber nicht selbst und unmittelbar gewählt worden, wie es das Grundgesetz in Art. 38 verlangt, sondern mittelbar über die Listen der Parteien in das hohe Haus gelangt. Denn mit der Zweitstimme wird auf den Stimmzetteln ja keine Person, sondern eine Partei gekennzeichnet. Damit stehen gleich zwei Problem im Raum: Das deutsche Wahlrecht entspricht nicht den Grundsätzen einer Wahl unter gleichen Bedingungen und auch nicht der unmittelbaren Abstimmung über die Person der Volksvertreter, was beides in Art. 38 GG verbürgt ist.

3. Das Quorum der einfachen Mehrheit

Warum auch immer wird das englische System auf dem europäischen Kontinent abfällig als „relative Mehrheitswahl“ bezeichnet. Ein triftiger Grund dafür ist nicht zu erkennen. Der örtlichen Wahlkreis- Bewerber mit dem besten Wahlergebnis zieht in das Unterhaus ein. Wurde er mit absoluter Mehrheit gewählt, erhält er dafür keinen Bonus. Das demokratische Grundprinzip: „Mehrheit entscheidet“ bleibt als unangetastet. Trotzdem hat sich in Europa seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das Gegenmodell der „Verhältniswahl“ eingebürgert. Dabei werden auf den Stimmzetteln nicht die in den Wahlkreisen kandidierenden Personen angekreuzt – wie es das Grundgesetz verlangt – , sondern die in den 16 Bundesländern gegeneinander kandidierenden Parteien gekennzeichnet. Diese ziehen dann im Verhältnis der von ihnen erlangen Zweitstimmen, also mit den Stimmen, die den Parteien in den Wahlgebieten der 16 Bundesländer gelten, in den Bundestag ein (Föderatives Wahlsystem).

Die Kritiker der klassischen Direktwahl stoßen sich vor allem am Quorum der einfachen Mehrheit. Sie akzeptieren nicht, wenn es passiert, dass der Gewählte mehr Stimmen gegen sich hat, als er für sich gewinnen konnte. Sie verkennen dabei, dass es bei einer Wahl gar keine Gegenstimmen gibt. Wer gegen einen bestimmten Kandidaten abzustimmen versucht, macht den Stimmzettel ungültig. Das Quorum der einfachen Mehrheit hat jedoch den herausragenden Vorteil, dass man regelmäßig nur einen Urnengang braucht, um eine Entscheidung durch die Wähler herbeizuführen, was die Unterhauswahl vom 8. Juni 2017 ja erneut gezeigt hat.

Bei einem Quorum von mehr als der Hälfte der Stimmen (absolute Mehrheit) ist die Stichwahl der Normalfall. Diesem Modell, der Personenwahl mit absoluter Mehrheit folgen die Franzosen. Bei einer Zwei-Drittel-Mehrheit mit qualifizierter Mehrheit, die bei der Papstwahl angewendet wird, ist man schon erstaunt, wenn nach fünf Wahlgängen „weißer Rauch“ aufsteigt, also die Entscheidung gefallen ist. Bei einer Volkswahl wäre das Quorum der qualifizierten Mehrheit und mit fünf Wahlgängen oder mehr absolut untauglich. Daher ist der Wahlgesetzgeber gut beraten, das Quorum nicht zu hoch anzusetzen und damit zu riskieren, dass der Urnengang ergebnislos ausgeht.

Natürlich muss man einräumen, dass man mit der einfachen Mehrheit der Stimmen die absolute Mehrheit der Mandate erlangen kann und deshalb die Regierung zwar die absolute Mehrheit der Mandate, aber nicht der Stimmen hinter sich hat. (Accidental bias) Tatsächlich ist das ein Wesensmerkmal des „Westminster-Modells“. Die Briten stört es aber nicht, dass die Regierung mit einfacher Mehrheit der Stimmen gebildet werden kann, solange sie mit einfacher Mehrheit abgelöst werden könnte. Der politische Wechsel ist mit einfacher Mehrheit sogar leichter zu erreichen als mit absoluter und kommt tatsächlich ja auch vor. Es herrscht also volle Waffengleichheit zwischen Regierung und Opposition. Das ausschlaggebende Argument wird jedoch sein: Bei einer Direktwahl mit einfacher Mehrheit gibt es keine undemokratische Sperrklausel.

5. Keine Sperrklausel

Die „Verhältniswahl“ heißt nur so. Bei Landtags- und Bundestagswahl ist der Anteil an den Mandaten regelmäßig größer als der Anteil an den Zweitstimmen. So erreichte die CDU im Bund 2013 mit 34,1 % der Zweitstimmen 40,4 % der Mandate.

Die CSU erzielte mit 7,1 % für ihre Liste 8,9 % der Sitze im Parlament. Die SPD freute sich natürlich, mit 25,7 % der Zweitstimmen 31,0 % der Sitze zu erlangen. Bei den Linken stand ein Stimmenanteil von 8,6 % einem Mandatsanteil von 10,1 % gegenüber. Und auch den Grünen sind mit 8,4 % der Stimmen 10,0 % der Mandate in den Schoß gefallen. Die Ursache dafür ist der sogenannte Sperrklausel-Zugewinn.

Den berühmten „accidental bias“ gibt es nicht nur in der klassischen Direktwahl mit einfacher Mehrheit, sondern auch in der Verhältniswahl mit Sperrklausel. Mit der Fünf-Prozent-Hürde hat die Verhältniswahl ihre Unschuld verloren. Wegen der Sperrklausel-Zugewinne ziehen die Parteien eben gerade nicht im Verhältnis ihrer Zweitstimmen in den Bundestag ein. Sieht man davon ab, dass die Personenwahl ein Gebot der Verfassung ist, kommt hinzu, dass die indirekte Wahl der Abgeordneten über die Listen der Parteien also keineswegs gerechter ist als die klassische Direktwahl der Abgeordneten mit einfacher Mehrheit. Denn in beiden Fällen ist der Anteil an den Stimmen mit dem Anteil an den Mandaten nicht identisch.

Man kann also festhalten: Die Sperrklausel gibt es nur bei der Parteienwahl. Sie ist ein nachträglicher Eingriff in das Wahlergebnis. Und das ist die Personenwahl mit einfacher Mehrheit nicht. Wer seinen Wahlkreis mit einfacher Mehrheit gewonnen hat, zieht also auch dann in das Parlament ein, wenn seine Partei weit weniger als fünf Prozent aller Stimmen erreicht. Die Direktwahl mit einfacher Mehrheit bietet also einen überzeugenden Minderheitenschutz, verhindert aber weitgehend, dass Minderheiten als Koalitionspartner die Rolle einer undemokratischen Sperrminorität erlangen, durch die der Grundsatz: „Mehrheit entscheidet“ geradezu auf dem Kopf gestellt wird.

6. Das deutsche Wahlrecht muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden

Im Bund und in 13 Bundesländern gilt das duale Wahlsystem mit Erst- und Zweitstimme: personalisierte Verhältniswahl. Als 1949 das Grundgesetz aus der Taufe gehoben wurde, wollte niemand von der Urhebern der Verfassung zur Verhältniswahl zurückkehren, die in Art 22 der Weimarer Reichsverfassung verankert war. Den Mitgliedern des parlamentarischen Rates steckte das Trauma noch in den Knochen, dass es zwischen Februar 1919 und März 1930 insgesamt 16 Regierungen gab, die im Durchschnitt nur acht Monate im Amt waren. Viel zu frisch war außerdem die Erinnerung, dass die Nazidiktatur, die den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatte, unter der Geltung der Weimarer Verhältniswahl regulär an die Macht gekommen war. Trotzdem konnte man sich nicht auf die klassische Direktwahl in überschaubaren Wahlkreisen verständigen. Und die Siegermächte mit Großbritannien in ihrer Mitte verlangten das auch nicht.

In dieser Situation verständigte man sich auf den Kompromiss, die Verfassungsgarantie der Verhältniswahl fallen zu lassen und die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts dem einfachen Gesetzgeber zu überlassen. Der Wechsel zur Direktwahl der Abgeordneten blieb damit – ohne verfassungsändernde Mehrheit – in Reichweite, falls man sich im Parlament darauf verständigen sollte, und damit gab man sich bis auf Weiteres zufrieden. Es gibt also keine Verfassungsgarantie für die Verhältniswahl. Der Wechsel zur Direktwahl ist jederzeit möglich, wenn das Parlament ihn beschießt.

Grundsätzlich ist eine Wahl keine Sachentscheidung, sondern eine „Personenauswahl-Entscheidung“. (Vgl. Strelen/Schreiber, BWahlG 9. Aufl. 2013, Rdnr 4.) Und das wird durch den Wortlaut von Art 38 GG grundrechtlich „verbürgt“ (Vgl. Hahen/Schreiber, aaO, § 48, Rdnr 13.) Denn dort heißt es keineswegs: „Die Parteien werden in (…) unmittelbarer (…) Wahl gewählt.“ Der Wortlaut ist ein anderer. In Art. 38 GG heißt es vielmehr: „Die Abgeordneten werden in (…) unmittelbarer (…) Wahl gewählt.“ Die Personenwahl steht also dem Grundgesetz viel näher als die Parteienwahl. Und das hat eine sehr einfache Konsequenz: Wie auch immer das Wahlrecht konkret ausgestaltet ist, muss auf dem Stimmzettel von den Wählern immer eine Person gekennzeichnet werden. Dem verlangt auch das Verfassungsgericht in Karlsruhe. In der „Nachrücker-Entscheidung“ v. 26.2. 1998, BVerfGE 97, 317 (323) hält das Gericht fest: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ Und diese Position hat das Gericht schon in seiner „4 : 4 Grundsatz-Entscheidung“ v 10.4.1997 eingenommen. 95, 349 (355).

Die Doppelwahl im Bund und in 13 von 16 Bundesländern geht also in Ordnung insoweit dort „nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl“ gewählt wird. Und das ist bei 299 Abgeordneten der Fall, die mit der Erststimme in überschaubaren Wahlkreisen gewählt werden. Diese Zwillingswahl geht nicht in Ordnung, insoweit die bloße Parteienwahl zu Anwendung kommt. Und das ist bei mindestens 299 Abgeordneten der Fall, die nicht unmittelbar, sondern mittelbar über die Listen der Parteien in den Bundestag gelangen. Denn hier wird auf dem Stimmzettel nicht mit der Erststimme, also der Wahlkreisstimme eine Person, sondern allein mit der Zweitstimme, also der Landesstimme, eine Partei gekennzeichnet. Und das schließt die Verfassung aus.

Das deutsche Wahlrecht muss also insoweit vom Kopf auf die Füße gestellt werden: Die Zahl der Wahlkreise und der Sitze im Parlament muss übereinstimmen, und alle Abgeordneten müssen durch die Bank mit beiden Stimmen gewählt werden. Wenn alle Volksvertreter immer auch mit der Erststimme namentlich gewählt werden müssen, fragt man sich natürlich, wozu man die Zweitstimme überhaupt braucht.

Zwei Stimmen sind zwei Wahlen und eine davon, „die bloße Parteienwahl“, kann man sich dann sparen.

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89 Kommentare

  1. Die englische Wahl zum Vorbild machen wäre eine Wahl zwischen Pest und Cholera und der Wahlbetrug würde keine Grenzen mehr kennen. Das wäre ein Freifahrschein für die Diktatur-Parteien ,denen wir heute schon den Schlamassel zu verdanken haben, den wir haben, nein danke!

  2. Sehr geehrter Herr Hettlage, in einem Artikel vor einigen Wochen haben Sie das Thema schon einmal behandelt und auch auf die Problematik mit der doppelt so hohen Anzahl Sitze im Bundestag in Relation zur Anzahl der Wahlkreise hingewiesen.

    Ich hatte daraufhin kommentiert, daß es vielleicht auch die Möglichkeit gäbe, pro Wahlkreis zwei Abgeordnete zu entsenden, nämlich den mit den meisten und den mit den zweitmeisten Stimmen. Einerseits würde die direkte Mehrheitswahl angewendet, andererseits gingen nicht so viele Stimmen ganz verloren.

    Das können Sie zwar auch mit einer Halbierung der Wahlkreise erreichen, aber die relative Ausgewogenheit der Abbildung des gesamten Wählervotums wäre nicht so wahrscheinlich, wie wenn auch die Zweitplatzierten ein Mandat erreichen.

    Nun wüßte ich nicht, daß ein solches Verfahren irgendwo angewendet wird, aber Sie sind sicher ein Experte, der das irgendwie wieiter beurteilen kann. Mir scheint es einfach so plausibel, daß ich es hier gerne noch einmal erwähne.

  3. „Wie man sieht, ist die klassische Direktwahl kein Zwei-Parteien-System. Die Liberalen haben Einbußen erlitten, blieben aber trotz „Mehrheitswahl“ die vierte Kraft Großbritanniens. Sie können also sehr wohl Wahlkreise gewinnen und hatten 2010 als drittstärkste Partei eine Koalitionsregierung gebildet“

    Sie haben 12 von 650 Sitzen gewonnen. Das sind nicht mal 2% aller möglichen Sitze bei einem Stimmenanteil von 7,4%. Dagegen holte die Regionalpartei SNP 35 Sitze mit gerade mal 3,0% Stimmenanteil. Diese und ähnliche Beispiele sind hier schon öfters genannt wurden. Trotzdem hält sich hartnäckig das Gerücht, dass das Mehrheitswahlsystem so viel besser und gerechter wäre als beispielsweise unser Wahlsystem.

    „Würde man den Bundestag nur mehr mit der Erststimme wählen, wäre der ganze Spuk des dualen Wahlsystems mit zwei Stimmen auf einen Schlag verschwunden.“

    Und man hätte einen Bundestag, dass zu über 95% aus Politikern von CDU, CSU und SPD bestehen würde. Ich glaube, darauf freuen sich die Leser hier am meisten. 😉

    Und was auch übersehen wird, natürlich hat die Mehrheitswahl eine Sperrklausel. Im Gegensatz zu unserem System ist die aber nicht fix, sondern hängt vom jeweiligen Wahlausgang ab. Alle Stimmen, die nicht dem Gewinner gegeben wurden, werden gesperrt. Das kann in umkämpften Wahlkreisen mit 3-4 fast gleichstarken Kandidaten bis zu 70-80% sein.

    „Das deutsche Wahlrecht muss also insoweit vom Kopf auf die Füße gestellt werden“

    Das ist das, was mich an dem gesamten Beitrag stört, diese Zwanghaftigkeit. Es wurden nur vermeintliche Vorteile des britischen Systems erklärt, aber die Nachteile, die hier schon öfters genannt wurden, ignoriert. Zudem, auf der britischen Insel herrscht eine hohe Unzufriedenheit mit dem politischen System und Institutionen, was mit dem Brexit seinen Höhepunkt erreichte. Zudem stand das Land kurz vor seinem Zerfall, hätten sich wenige Prozent für die Schottland-Eigenständigkeit gestimmt. Was ich völlig vermisse ist eine Betrachtung der Zufriedenheit der Menschen mit ihrem politischen System. Es wurde gesagt, dass die Briten sich nicht an ihrem Wahlsystem stören, aber das ist mir einfach zu wenig. Die Frage ist auch, ob wir das wirklich wollen, dass Parteien wie die FDP oder AfD von der Bildfläche verschwinden und stattdessen Regionalparteien stärken wollen, die nur partikulare Interessen verfolgen.

    • Beim Mehrheitswahlrecht würden die Karten neu gemischt.

      Beispielweise würden Grüne zur SPD und LINKE wechseln und dort Flügel bilden. In anderen Lagern entsprechend. Wer Politik machen will, wird nicht irgendwo versauern wollen, wo er lebenslänglich nur allerminimalste Chancen auf Mitbestimmung hat.

      Was heißt „gerecht“ in diesem Zusammenhang? Dass die Mehrheit grundsätzlich gegen die Minderheit regiert, hat das etwas mit Gerechtigkeit zu tun?

      Wird die Bedeutung der Anwesenheit der Opposition im Parlament nicht überschätzt? Im Streitfall unterliegt sie bei Abstimmungen. Für die Bevölkerung kommt es aufs selbe raus, als ob sie gar nicht im Parlament säße. Welchen Wert hat also eine Opposition im Parlament, wenn sie sich genausogut außerhalb des Parlaments artikulieren kann?

      • „Mehrheit entscheidet.“ Wenn wir diesen Grundsatz auch noch kippen, dann ist das das Ende der Demokratie

      • Formalordnung der Demokratie wichtiger als Gerechtigkeit?
        Was ist mit Liberalität?

    • Sehr geehrter Herr Hader,

      es ist natürlich Ihr gutes Recht, meine Ausführungen zu kritisieren. Ich gebe ja zu: Es freut mich, wenn ich auf Zustimmung treffe. Und das kommt ja auch vor. Aber die kritischen Beiträge sind interessanter: Aus ihnen kann man lernen, was man noch besser formulieren und noch deutlicher darstellen kann. Kritik wurmt, macht aber selbstkritisch.

      Wahrheit lebt vom Widerspruch. Dieses Recht zum Widerspruch, dass ich Ihnen zubillige, ist mir heilig. Ich neme es aber auch für mich in Anspruch. Bitte, nehmen Sie es einfach hin, dass ich nicht Ihrer Meinung bin, und dass es Ihnen nicht gelungen ist, mich von Ihrer Position zu überzeugen

      Sie zitieren mich, das ist gut. Aber Sie zitieren sinnentstellend. Das ist schlecht. Das, was Sie mir in den Mund legen, habe ich in ganz anderen Zusammenhängen gesagt.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Manfred C. Hettlage

      ed.egalttehderfnam@liam
      http://www.manfredhettlage.de

  4. Die B-DDR (Einheitspartei, gleichgeschaltete Presse, Staatsfernsehen, umfassende Überwachung des Volkes bis zur Kanzlerdarstellerin, Denunziantentum, Aufgabe der Gewaltenteilung, Ermächtigungsgesetze in Form von ESM und PPP, Repression der Meinungsäusserungsfreiheit, staatlich gelenkte Entfremdung zwischen Eltern und Kindern, Liste nicht abschliessend) ist nicht zuletzt aufgrund ihres „Wahlrechts“ unversehens zur Parteiendiktatur geworden. Diese kann nur noch oppositionslose „GroKo“. Es ist völlig egal, wo die Insassen alle vier Jahre wieder ihr Kreuzchen machen.

    In Eurem südlichen Nachbarland, von dem nur wenige von Euch etwas wissen wollen, bekomme ich von jeder Partei eine Liste plus eine leere Liste, die ich handschriftlich ausfüllen kann. Auch die Parteilisten kann ich so verändern, ohne dass sie ungültig werden, bei einmaliger Beschränkung des Kumulierens (Kandidaten doppelt aufführen, aber nicht mehr). Am Schluss darf ich natürlich nur eine Liste einwerfen. Aber sie enthält keinen einzigen Kandidaten, der mir nicht passt, eine dringend notwendige Beschränkung der Parteimacht, wie es auch das grundgesetzlich, und damit ebenso dringend gebotene Verbot der Fraktionshörigkeit wäre. – Proporz (Verhältniswahlrecht) geschieht dadurch, dass zuerst die Listenstimmen ausgewertet werden, wobei auch eine Liste „Parteilos“ konkurrieren kann. Das legt die Listenanteile der Vertretung in % fest. Innerhalb dieser Anteile kommen diejenigen Kandidaten zum Zug, welche persönlich die meisten Stimmen erhalten haben (Majorz-Element). Wahlkreise sind die Kantone nach Massgabe ihrer Einwohnerzahl, d.h. zB. dass Graubünden nur fünf Nationalräte zugut hat, Zürich aber Dutzende (Quantität ersetzt keine Qualität). Den Ausgleich dazu bildet der gleichberechtigte Ständerat mit zwei Vertretern pro Kanton, deren Wahl die Kantonsverfassung bestimmt. – Zudem: Die Parteien müssen jeden von ihnen vorzuschlagenden Kandidaten einzeln in der Parteiversammlung bestätigen lassen, und da gibt es keine 100%-Ergebnisse.

  5. Das Problem in D ist, daß zwei unterschiedliche Systeme zusammen gemixt werden, die prinzipiell einander widersprechen. Wenn man unser Mischsystem behalten will, müssen Mehrheits- und Verhältniswahl getrennt werden und nicht mittels Überhang-, Ausgleich- und weis der Geier was noch für Mandaten vermengt werden. Soll heißen wenn eine Partei 100% der Direktmandate erreicht, aber nur 50% der Stimmen, hätte sie im Parlament 75% der Abgeordneten (100% von 50% sind 50%, 50 % von 50% sind 25% zusammen 75%)

  6. Es lohnt sich immer, das Wahlrecht zu diskutieren im Streit darüber, welches das bessere ist, heißt, welches den Prinzipien der Demokratie am ehesten gerecht wird.
    Ungeordnet ein paar Gedanken dazu: Mehrheitswahlrecht macht jedenfalls die Verantwortlichkeit klar; wer durch sein politisches Handeln Schaden angerichtet hat, wie z.B. Frau Kanzlerin in Deutschland, wird gnadenlos abgewählt (Wahl als Volksgericht). Und das Ärgerlichste am Verhältniswahlrecht sind die Listen. Die sind eine geheime Vorwahl, auf die auch Parteimitglieder an der Basis keinen Einfluss haben. Ein höchst undemokratischer Vorgang! Wählen Sie unter Verhältniswahlrecht Herrn Trittin oder Herrn Stegner mal ab, es wird Ihnen nicht gelingen. Politkarrieren von Leuten, die 30-40 Jahre im Bundestag sitzen, vom Steuerzahler ausgehalten, in England oder Amerika eher selten.
    Auch wechselnde Koalitionen, ohne den Wähler zu befragen, wie bei uns mehrfach geschehen, unter MWR nicht möglich.
    Aber es gilt auch, was Illusionslos schon sagte, wer profitiert, ändert nichts.

    • Eine Kanzlerin könnte auch heute schon indirekt vom Wähler abgestraft werden. Indem sie ihren Wahlkreis verliert. Sie würde zwar vermutlich über die Landesliste trotzdem einziehen, aber es wäre ein ziemlicher Denkzettel. Die Realität sind aber so aus, dass sie immer wieder ihren Wahlkreis gewonnen hat und das auch 2017 wieder tun wird.

      „Wählen Sie unter Verhältniswahlrecht Herrn Trittin oder Herrn Stegner mal ab, es wird Ihnen nicht gelingen.“

      Das würde nur Sinn machen, wenn Sie zwar die Grünen oder die SPD wählen wollen, aber nicht diese beiden Politiker ihre Stimme geben möchten. Außerdem, man kann niemanden direkt abwählen, egal ob nun Verhältniswahl oder Direktwahl. Sie können nur jemand anderen die Stimme geben und hoffen, dass genügend viele Wähler das genauso machen, dass er den Sitz gewinnt.

      „Politkarrieren von Leuten, die 30-40 Jahre im Bundestag sitzen, vom Steuerzahler ausgehalten, in England oder Amerika eher selten.“

      Das stimmt so auch nicht. McCain in den USA ist seit 30 Jahren Senator, Bob Dole war auch über 30 Jahre dabei und Chuck Schumer, derzeitiger Fraktionsvorsitzender der Demokraten ist seit 1980 im Parlament. Gerade in solchen Ländern zahlen sich langfristige Beziehungen und Netzwerke noch mehr aus.

    • Sehr geehrter Herr Eckhard,

      Ihre Argumentation verunsichert mich. Ich kann Ihren Ausführungen nur bedingt zustimmen. Es gibt auch im sog. „Mehrheitswahlrecht“ Hochburgen mit Abgeordneten, die immer wieder gewählt werden. Und wenn die Wähler das wollen, warum nicht.

      Nimmt man die Lupe zur Hand, um die Dinge möglichst genau zu erfassen, dann kommen die ersten Zweifel schon bei der Wortwahl auf: Was heißt „Verhältniswahl“? Was heißt „Mehrheitswahl“? Eine wie auch immer geartete Mehrheit gibt es auch in der Verhältniswahl. Und eine wie auch immer geartete Verhältnismäßigkeit gilt auch für die Mehrheitswahl. Hier liegt der Hase nicht im Pfeffer.

      Um die Tücken der sprachlichen Semantik zu vermeiden, sollte man besser von Personenwahl und Parteienwahl sprechen. Und was das Letztere betrifft hat das Verfassungsgerich klar gesagt: „Eine bloße Parteienwahl schließt, die Verfassung aus.“

      Und damit sind wir beim Kern der Sache!

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Manfred C. Hertlage
      ed.egalttehderfnam@liam
      http://www.manfredhettlage.de

  7. Ich werde in mehreren Schitten beweisen

    1) dass die Auffasung des Autors falsch ist, das Wahlgesetz widerspreche dem Grundgesetz
    2) dass mit der Zweitstimme eine Partei gewählt werde, ebenfalls falsch ist

    Punkt 1:
    Den Begriff „unmittelbar“ für die Wahl kann man auf zwei Arten interpretieren, aber nur eine kann die richtige sein. Der Autor hat die falsche Interpretation herangezogen. Begründung:

    Mittelbar wäre eine Wahl, wo man ähnlich wie bei der US-Präsidentenwahl zunächst Wahlpersonen wählt, die dann erst die Abgeordneten wählen. Die gegenteilige Absicht der Väter des Grundgesetzes muss als Hauptsache zwingend im Grundgesetz verankert sein. Daher muss der Begriff „unmittelbar“ auch zwingend „meiner“ Interpretation folgen, denn eine andere Bestimmung, um diese Absicht zu erfüllen, gibt es im Grundgesetz nicht. Eine Personenwahl wäre andernfalls via zwischengeschalteter Wahlpersonen grundgesetzlich statthaft.

    Punkt 2:
    Mit der Zweitstimme wird nicht die Partei gewählt sondern Personen, die auf den Landeslisten stehen, die vor der Wahl bestimmt werden und bekannt sind. Dieser wichtige Unterschied wird dann auffällig und ist auch sonst entscheidend, wenn es darum geht, Nachrücker aus der Landesliste zu holen. Ist die Liste nämlich aufgebraucht, darf die Partei nachträglich keine weiteren Nachrücker bestimmen. In diesem Fall kann die Partei keinen ihr zustehenden Abgeordnetensitz besetzen, weil es eben nicht die Partei ist, welcher der Sitz zusteht.

    Nimmt man Punkt 1 und 2 zusammen, sind die hier besprochenen Bestimmungen des Grundgesetzes in allen Punkten erfüllt. Die Wahlen sind unmittelbar (auch „direkt“ genannt), weil keine Wahlpersonen dazwischen sind – und es werden nur Personen gewählt, keine Parteien.

    Dass mit einer Wählerstimme nur ein ganz konkreter Abgeordneter (d.h. keiner aus einer abzuarbeitenden Liste) zu wählen wäre, dazu enthält das Grundgesetz keine Bestimmung, denn der Begriff „unmittelbar“ ist bereits für einen anderen Sachverhalt vergeben, und einen weiteren Begriff oder Passus enthält das Grundgesetz für diesen Zweck nicht. Das Grundgesetz schließt lediglich nicht aus, dass durch die dem Parlament anheimgestellte, detailliertere Wahlgesetzgebung auch die Möglichkeit zu konkreter Abgeordnetenwahl offensteht.

    Eine andere Diskussion wäre, ob eine Opposition im Parlament überhaupt noch zeitgemäß ist. Die Opposition hat schließlich keine Entscheidungsmehrheit, kassiert aber Diäten, Zulagen sowie Spesen, braucht Räumlichkeiten und das sonstige Drumherum – bleibt dennoch auch als Kontrollorgan nicht wirkungsvoller als eine außerparlamentarische Opposition, die sich über den modernen „Nachfolger“ des Plenarsaals artikulieren und wirken kann: die Medien. Protokolle von Parlamentsdebatten oder TV-Übertragungen aus dem Parlament, soweit es überhaupt welche gibt, sind heutzutage nicht gerade der Publikumsrenner.

    Ein parlamentarischer Ausschluss würde der Opposition natürlich weh tun, vor allem, weil es das kontinuierliche Berufspolitikertum torpediert – aber gerade das könnte irgendwo mitschwingende und auch kluge Absicht der Vordenker des Grundgesetzes gewesen sein, die sich eine Volksvertretung aus allen Schichten und Gruppen des Volkes vorstellten – und somit eben keine Vollberufler auf Lebenszeit, die früher oder später die Bodenhaftung zum realen Leben verlieren – was freilich auch ideologisierten Aktionsgruppen außerhalb des Parlaments passieren kann. Auch das sind nämlich Theoretiker.

    • Brillante Analyse!

      Nur im Punkt Opposition kann ich Ihnen nicht zustimmen: Wir haben leider seit vielen Jahren (spätestens seit Zeiten der großen Koalition) keine wirkliche Opposition mehr im Bundestag, aber das heißt nicht, daß so etwas nicht gut oder notwendig wäre – ganz im Gegenteil.

      Die Medien, die sich ja so gerne als „vierte Macht“ der Demokratie ansehen, sind ja leider zum überwiegenden Teil (bis auf lobenswerte Ausnahmen wie z.B. TE hier) stramm auf Regierungslinie in allen Punkten, d.h. sie fallen als Kontrollinstanz aus.

      • Franz Müntefering hat den Satz geprägt: „Opposition ist Mist.“ Aus parteipolitischer Sicht trifft das zu. Aus staatspolitischer Sicht ist das grundfalsch. Große Koalition heißt immer schwache Opposition. Deshalb ist große Koalition „großer Mist“.

        In NRW hätte die SPD die Bildung einer „GroKo“ sehr wohl haben können, wenn Hannelore Kraft sie gewollt hätte. Sie hat das in Absprache mit dem SPD-Vorsitzenden Martin Schulz ausgeschlagen. Wird Martin Schulz bei der Bundestagswahl am 24.9.2017 das Gleiche tun? Vielleicht wird er es wie Sigmar Gabriel machen und die Mitglieder befragen.

        Das hatten wir schon einmal: Wir gehen alle zur Wahl, und dann entscheiden die Mitglieder der SPD, was passieren soll. Warum fragen wir nicht gleich die Mitglieder der SPD. Wir könnten uns dann die Wahl sparen und brauchen über das richtige Wahlverfahren doch gar nicht mehr zu diskutieren.

        Mal im Ernst: Die Wähler können abstimmen, wie sie wollen, es kommt immer eine „GroKo“ dabei heraus? Was soll das? Dann gehe ich lieber gleich aufs Oktoberfest, das sinnigerweise im September beginnt. Dort wird das Bier literweise ausgeschenkt. Und wenn Du mehr als drei Liter in der Stunde schaffst, fühlst du dich sowieso schon wie der Bundeskanzler persönlich. Da braust Du keine Wahl mehr.

      • Ich kann bei dieser Antwort keinen nennenswerten Zusammenhang mit meinem Beitrag entdecken.

        Aber um den Köder mit „es kommt immer eine GroKo heraus“ einfach mal aufzuschnappen: Das trifft es leider nur zu gut, weil alles andere schon rechnerisch nicht aufgehen wird, wenn man realistischerweise Kombinationen wie schwarz/grün/dunkelrot oder schwarz/blau/irgendwas aus der Kombinatorik herausnimmt.

        Aber das war wie bereits erwähnt nicht Gegenstand meines Beitrags, auf den Sie hier geantwortet haben.

    • vielen Dank für Ihre Ausführungen zu meinem Artikel über die Wahl im Vereinigten Königreich v. 8.6.2017, die auf ein großes Echo in Presse und Medien traf. Sie werden vermutlich schon einmal einen deutschen Stimmzettel ausgefüllt haben. Mit der Erststimme wird in Deutschland eine Person angekreuzt. Darüber besteht zwischen uns wohl kein Meinungsunterschied. Mit der Zweitstimme wird dagegen durch ein Kreuz oder in anderer Form der Name einer Partei gekennzeichnet. Vgl. auch Paragr. 30 Abs 2, Ziff 2 BWahlG. Der Musterstimmzettel ist im Internet leicht zugänglich. Sie können das also sehr leicht selbst überprüfen.

      Solange die Zweitstimme durch die Erststimme personifiziert wird, geht das in Ordnung. Es gibt im Bundestag regulär 598 Sitze, aber nur 299 Wahlkreise. Deshalb ist es auch dann nicht möglich, dass alle Abgeordneten mit beiden Stimmen gewählt werden, wenn alle Wähler beide Stimmen im Verbund abgeben würden, was die Splittingwähler ja gar nicht tun. Es bleibt also ein Rest von mindesten 299 Abgeordneten, der nur mit der Zweitstimme gewählt werden kann. Und mit der Zweitstimme wird nun einmal der Name einer Partei gekennzeichnet. Genau das hat das Verfassungsgericht schon zweimal ausgeschlossen.

      • Guten Tag Herr Hettlage
        Ich hatte schon beim Lesen Ihres Artikels auch ohne Berücksichtigung eigener Gedanken den zwar subjektiven aber umso deutlicheren Eindruck, dass Sie aus der „Tube“ mehr rausquetschen wollten als drin ist.

        Hatten Sie eigentlich das Gefühl, man würde Sie nicht verstehen, oder warum schreiben Sie so viel mit variierten Sätzen mehrfach?

        Wahlzettel: Ich sehe sowohl bei der Erststimme als auch bei der Zweitstimme die Partei(!), bei der Erststimme zusätzlich einen Wahlkreiskandidaten, bei der Zweitstimme zusätzlich mehrere Kandidaten der Landesliste. Haben Sie das auf dem Wahlzettel nicht komplett so gesehen? Ein signifikanter struktueller Unterschied ist das nicht gerade, wodurch man Personen- und Parteiwahl differenzieren könnte.

        Was dachten Sie, wozu die Listenmitglieder aufgeführt sind? Nach Ihrer Lesart wäre dies ja überflüssig, wie eigentlich die ganze Aufstellung der Landesliste im Voraus.

        PS: Es berührte und berührt zwar nicht meine Beweisführung, aber wenn Sie gerade nochmal etwas anderes nachlegen (warum eigentlich?):
        Weder die Zahl der Wahlkreise noch die der Parlamentssitze ist in Stein gemeißelt. Wenn die Politik sich wider Erwarten entschlösse, den Wahlmodus in Ihrem Sinn zu ändern, was keine unerhebliche Änderung wäre, dann braucht man sich an die gegenwärtigen Zahlen der Kreise und Sitze auch nicht zu klammern. Das eine oder das andere kann man passend machen.

      • Vielleicht gelingt es Ihnen, zu akzeptieren, dass wir unterschiedliche Auffassungen vertreten. Ich kann Sie nicht überzeugen, Sie können mich nicht überzeugen. Natürlich will ich vermeiden, dass dieser Meinungsunterschied mit Fäusten oder sogar mit Duellpistolen ausgetragen wird.

        Das gilt auch für die Wahrnehmung, was tatsächlichn auf dem Stimmzettel steht und was nicht darauf steht, ob Sie mit der Erststimme eine Person kennzeichnen und mit der Zweitstimme eine Partei ankreuzen. Ich gebe zu, wir leben im „postfaktischen“ Zeitalter. Da zählen die Tatsachen nicht mehr.

        Ich glaube von Wittgenstein stammt die Formulierung: Wahr ist alles, was der Fall ist. Wittgenstein hat jedenfalls den berühmten Satz geprägt: „Alles, was man überhaupt sagen kann, kann man klar sagen. Und worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen.“

  8. Die wichtigste Reform unseres Wahlrechts betrifft meiner Meinung nach gar nicht die Debatte Mehrheits- vs. Verhältniswahl, sondern zielt darauf ab, das Berufspolitikertum, das in beiden Systemen für den Niedergang der Demokratie verantwortlich ist, zu unterbinden.

    Ich halte es für zwingend erforderlich, dass man das passive Wahlrecht erst dann erhält, wenn man mindestens sieben Jahre lang Vollzeit gearbeitet hat. Für Staatsangestellte wird diese Zahl verdoppelt.
    Weiterhin finde ich, dass wir es wie die Amis halten sollten und Strafgefangenen das Wahlrecht entziehen. Wer sich an der Gesellschaft „versündigt“, hat sein Recht verwirkt, mitzubestimmen.
    Drittens halte ich es für geboten, was mit Sicherheit höchst kontrovers ist, dass das aktive Wahlrecht nur Menschen zusteht, die Steuern zahlen. Denn wer soll denn sonst über die Verwendung der Steuergelder bestimmen, wenn nicht diejenigen, die das alles finanzieren?

    • Jeder zahlt Steuern. Allein schon durch die MWST.

      • Und wo haben HartzIV-Empfänger das Geld her, um MwSt zu bezahlen?
        Richtig: Von Leuten wie mir, die arbeiten gehen.

    • Das preussische Wahlrecht war daran geknüpft, dass die Wählwr auch Seuerzahler sind. Wer viel Steuern entrichten musste hatte sogar mehr Stimmen als eine. Davon hat man Abstand genommen. Wählen darf, wer die Staatsbürgerschaft besitzt.

      • Das weiß ich, dass man davon Abstand genommen hat und ich kann das durchaus verstehen. Bei den Preußen gab’s aber auch nicht unseren heutigen vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Sozialstaat.

        Aber raten Sie mal, was dabei rauskommt, wenn die Menschen darüber abstimmen dürfen, ob sie andere Menschen enteignen. Richtig: Immer mehr Enteignungen, bis irgendwann niemand mehr da ist, der das System finanzieren kann. Politiker bestechen mit dem Geld, das Menschen wie ich verdienen, die Wähler. Und sie bestechen damit nicht mich. Ich bin nur als Zahlvieh gern gesehen, sonst bin ich Pack, das die Fresse zu halten hat. Und was passiert, wenn man massenweise Wahlvolk ins Land holt, das dauerhaft vom Sozialstaat abhängig ist, ist auch klar: Es zementiert auf alle Ewigkeit sozialistische Politik (bzw. so lange, bis alles zusammenfällt.)

        Man muss sich entscheiden: Wahlrecht für alle Bürger, oder bedingungslose Sozialleistungen. Beides führt zwangsläufig zum sozialistischen Kollaps.

  9. Ausgezeichnete Analyse! Besonders hervorzuheben ist die starke Bindung direkt gewählter Abgeordneter an ihren Wahlkreis. Britische Parlamentsabgeordnete verbringen wesentlich mehr Zeit im direkten Kontakt mit ihren potentiellen Wählern als deutsche Listenplatz-Mandatsträger in ihren lokalen Büros. Direkt gewählte britische Abgeordnete stützt ein starkes Mandat und sie treten gegenüber ihrer Parteiführung viel selbstbewusster im Interesse ihrer Wähler auf, als das deutsche Abgeordnete tun. Die wenigen löblichen Ausnahmen im Deutschen Bundestag spüren dann rasch die Knute der Fraktionsvorsitzenden. Allerdings empfinden die direkt gewählten Abgeordneten des Bundestags ihren Erfolg als eine Art besonderen Ritterschlag. Dass das Mehrheitswahlrecht Parteineugründungen erschwert, ist richtig. Dennoch hat UKIP derartigen Druck aufbauen können, dass schlussendlich die Tories nachgeben mussten und UKIP Kernanforderungen gar vollzogen haben. Wie Manfred Hettlage völlig richig bemerkt, werden die Deutschen dieses genial einfache System nicht übernehmen, weil sie ein kompliziertes vorziehen.

    • Ganz genau. Das deutsche Parlament ist doch nur noch der Wurmfortsatz der Regierung und nickt alles ab, was diese beschließt. Darüber können britische Parlamentarier nur lachen. Die britische Regierung muss das Parlament ernsthaft fürchten. Und: Vergleichen Sie mal das Niveau der Debatte im Unterhaus mit dem im Bundestag. Das sind Welten. Weil die Deutschen blöder sind? Nein, weil durch das deutsche Wahlsystem willenlose und speichelleckende Karrieristen begünstigt werden.

      • Sehr geehrter Herr Sander,

        es ist doch viel schlimmer als wir denken. Das Verfassungsgericht hat gesagt: „Eine bloße Parteienwahl schließt die Verfassung aus.“ Im Saarland gilt trotzdem die blanke Verhältniswahl. Eine Abschwächung durch eine Personifizierung mit der Erststimme findet dort nicht statt. Die Landtagswahl v. 27.3.2017 war ungültig, weil verfassungswidrig. Es gibt aber keinen Saarländer, der auch nur den Versuch unternimmt, die ungültige Wahl zu Fall zu bringen. Und wo kein Kläger, da kein Richter!

        Damit müssen wir leben.

        Mit freundlichen Grüßen
        Dr. Manfred C. Hettlage

        ed.egalttehderfnam@liam
        http://www.manfredhettlage.de

    • Sehr geehrter Herr Paluch,

      vielen Dank für die freundliche Unterstützunng. Ihnen wird allerdings auch aufgefallen sein, dass die Mehrheit nicht für das „Westminstermodell“ eintritt. Wir stehen also vor einer Herkulesaufgabe, für die sog. „Mehrheitswahl“ in Deutschland die erforderliche Mehrheit zu finden. Denn „Mehrheit entscheidet“.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Manfred C. Hettlage,

      ed.egalttehderfnam@liam
      http://www.manfredhettlage.de

  10. „Wahlen sind außerparlamentarische Volksentscheide. Sie haben den Zweck
    die Personen auszuwählen, die als Volksvertreter den Regierungschef zu
    wählen…“. Schön wäre es. Bei uns werden Listen gewählt, deren Zusammensetzung in Hinterzimmern ausgeküngelt werden und auf deren Zusammensetzung der Wähler überhaupt keinen Einfluß hat.. Bei uns darf der Souverän alle paar Jahre zur Wahlurne trotten und scheinbar wählen. Das Ergebnis und die Personen sind immer die Gleichen, nur in unterschiedlichen Positionen. Sind ja Alleskönner. siehe vdL und die jetzige Personalrochade bei den Roten.

    • Sehr geehrter Herr Gramm,

      Recht und Wirklichkeit muss man auseinander halten. Aber Sie haben treffend kritisiert, dass im Deutschen Wahlrecht die Wirklichkeit nicht den Vorgaben der Verfassung entspricht. Wir haben keine unmittelbare Wahl der Volksvertreter, wie sie im Grundgesetz angeordnet wird.

      Die unmittelbare, die direkte Wahl der Abgeordneten gibt es in England, in den USA und mit Stichwahl auch in Frankreich. In Deutschland werden „contra legem“, also gegen den streng zu nehmenden Wortlaut der Verfassung mindestens 299 Abgeordnete über die Listen der Parteien, also mittelbar, d.h. indirekt gewählt. Die Unmittelbarkeit der Abgeordnetenwahl wird insoweit durch die Parteienwahl in den Hintergrund gerdrängt. Das ist der Kern des Problems. Das ist der Punkt, auf den es ankommt. In Deutschland gibt es ein Mischsysten aus Personen- und Parteienwahl.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Manfred C. Hettlage

      ed.egalttehderfnam@liam
      http://www.manfredhettlage.de

  11. Als erstes sollten Wahlversprechen unter Strafe gestellt werden…Corbyn hat mit unhaltbaren Versprechen Stimmen bekommen. Nach der Wahl müssen die entweder eingehalten oder der Urheber strafrechtlich belangt werden, mit mindestens 3 Jahren Haft.
    Das Parlament braucht nicht mehr wie 300 Abgeordnete, die keine Pensionsansprüche bekommen dürften. Beamte müssen von der Kandidatur ausgeschlossen werden, da sie Interessenkonflikte automatisch haben müssen.
    Die 5 % Hürde ist in einer Demokratie unrechtmäßig, da 5 % der Wähler einfach ausgeschlossen werden.
    Ach ja, zunächst sollte man aber eine Demokratie einführen, die Parteienfinanzierung nur durch Mitglieder festlegen…ansonsten wird nie eine Besserung eintreten

  12. Ich finde es besser wenn auch kleine Parteien im Parlament vertreten sind.

    Also Verhältniswahlrecht, wäre nur schöner aber auch komplizierter mit komulieren u. panaschieren, dann hätte der Wähler auch noch Einfluss auf die Liste der zu Wählenden.

    • Im Unterhaus waren nach der Wahl 2015 zehn Parteien vertreten. Davon sind zwei bei der Wahl v. 8.6.2017 ausgeschieden. Es zog sogar ein Unabhängiger in das House of Parliament ein. Im Bundestag haben wir z. Z. nur vier Fraktionen.

      Kumulieren und Panaschieren kann man nur, wenn man mehr als eine Stimme hat. Die Briten sehen aber nicht ein, dass man zwei Stimmen braucht: eine für die Konservativen und noch eine für Labour. Sie wählen nach dem klassischen Prinzip „one man one vote“.

  13. Klare politische Verhältnisse als erklärtes Ziel des rigorosen britischen
    Mehrheitswahlrechts sind bei der aktuellen Unterhauswahl wieder einmal nicht
    erreicht worden. Stattdessen ist erneut, wie zuletzt 2010, eine Hängepartie entstanden oder, in der britischen Terminologie, ein Hung Parliament zu verzeichnen. Weder die Tories mit ihren 318 erlangten Sitzen noch Labour mit 261 Sitzen haben eine absolute Mehrheit der insgesamt 650 Parlamentssitze gewonnen und sind deshalb als fatales Zünglein an der Waage auf einen Koalitionspartner angewiesen, der unbeschadet der sonst waltenden Dominanz der beiden großen Parteien noch irgendwie infolge lokaler oder regionaler Besonderheiten nach den Mechanismen des strengen Direktwahlrechtes Parlamentssitze hat ergattern können.

    Und genau hier zeigt sich im konkreten britischen Wahlergebnis der gewaltige
    Pferdefuß des reinen Mehrheitswahlrechts. Denn die UKIP hat jetzt mit immerhin noch 593.852 auf sie insgesamt entfallenden Stimmen keinen Parlamentssitz mehr erworben, ihren zuvor einzigen und nach dem Brexit-Entscheid auch in der Sache entbehrlich gewordenen Parlamentssitz vielmehr eingebüßt, während andererseits die nordirischen Unionsdemokraten der Democratic Unionist Party (DUP) für ihre jetzt erlangten – und, wie es ausschaut, für die parlamentarische Mehrheitsbildung mit den Konservaten fruchtbar werdenden – 10 Sitze lediglich 292.316 Stimmen insgesamt, also rund 29.232 pro Parlamentssitz benötigten. Krasser dürften die demokratisch bedenklichen, wenn nicht gar verheerenden Auswirkungen eines reinen Mehrheitswahlrechts kaum mehr sichtbar gemacht werden können.

    Dann mag doch wohl eher als vergleichsweise weniger schlechte Alternative das bei uns übliche Gemisch aus Direkt- und Verhältniswahlrecht vorzugswürdig sein, das mit seinen zahllosen, die Proportionalität der Stimmanteile verzerrenden und das Parlament personell wie kostenintensiv aufblähenden Überhang- und Ausgleichsmandaten zwar auch alles andere als unproblematisch und durchaus im Detail reformbedürftig erscheint, aber doch im Vergleich zu jenen allfälligen gravierenden Ungereimtheiten sich als leidlich passabel erweist.

    Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, weshalb die jetzige stolze Zahl der Bundestagsabgeordneten ebenso wie die der weithin unbeschäftigen oder wenigstens unterbeschäftigten Landtagsabgeordneten nicht um ein gehöriges Maß, mindestens um ein Drittel im Bundestag und die Hälfte im Landtag, verringert werden können sollte. Aber dazu bedürfte es wohl schier übermenschlicher oder überparteilicher Anstrengungen, da niemand den Ast absägen wird, auf dem er selbst, bestens versorgt, weiterhin wird sitzen wollen.

    Aus dem nämlichen Grunde erscheint es auch illusorisch, anzunehmen, dass durch eine an sich ökonomisch wie sachlich sinnvolle und rechtlich mögliche Zusammenlegung einiger Bundesländer die Zahl der tatsächlich benötigen Parlamentsabgeordneten auf ein vertretbares Minimum zurückgeführt wird.

    Abschließend dürfte die grundlegend thematisch gestellte Frage „Großbritannien-Wahl: Vorbild für deutsches Wahlrecht?“ zu verneinen sein.

    • So populär das auch klingt, aber weniger Abgeordnete hat auch wesentliche Nachteile. Zum einen wird es für kleine Parteien noch schwieriger, einen Sitz zu erlangen. Zum anderen müsste man Wahlkreise größer machen und ein Abgeordneter wäre für mehr Menschen zuständig. Umgekehrt heißt das, man hat als Bürger noch weniger Einfluss auf den Abgeordneten.

      So weit ich mich entsinne haben Großbritannien und Frankreich zwischen 500 und 650 Sitze im Parlament. Von daher finde ich den Bundestag nicht überdimensioniert, bei einer größeren Bevölkerungszahl.

      • Sie haben damit ins Schwarze getroffen. Ich bin genau der gleichen Meinung wie Sie,

    • Das „hung parliament“ ist in Großbritannien nach wie vor eine Ausnahme. in Deutschland ist die „Hängepartie“ dagegen die Regel. Anders formuliert hat der Wähler in Grßbritannien wegen der unmittelbaren Wahl der Abgeordneten auf lange Sicht viel mehr Einfluss auf die Regierungsbildung als der Wähler in der Berliner Republik mit einer mittelbaren Wahl von mindestens 299 der regulären 598 Abgeordneten.

      Die Stimmenzahl pro Wahlkeis-Sieger schwankt aus zwei Gründen. Erstens, weil für den Sieg im Wahlkreis die einfache Mehrheit genügt, in vielen Wahlkreisen aber die absolute Mehrheit der Stimmen erreicht wird. Zweitens, weil die Größe des Parlaments die Zahl der Wahlkreise bestimmt. Die Bevölkerung in UK ist kleiner als in Deutschland, die Zahl der 650 Wahlkreise aber wesentlich größer. In Deutschland gibt es reguläre nur 598 Sitze im Bundestag. Erschwerend kommt hinzu, dass in Deutschland mindesten 299 Abgeordnete gar nicht in Wahlkreisen gewählt werden. Es liegt daher auf der Hand, dass die Stimmenzahl pro Wahlkreis-Sieger in UK und in Deutschland sehr unterschiedlich sein muss.

  14. Wer ist Herr Hettlage? Es tut mir leid, aber von Politikwissenschaft scheint er keine Ahnung zu haben. Ist er Journalist – oder, noch schlimmer, Jurist? Seine Darstellung der britischen Demokratie und des Wahlrechts dort ist ein schlechter Witz.
    „Fälschungssicher?“. Keine westliche Demokratie – ausser der amerikanischen in einigen Staaten wie Florida oder auf niederer Ebene wie Landtagswahlen in Bremen – hatte in der Vergangenheit Probleme mit Fälschungen oder zweifelhaften Stimmen. Auch in GB in einigen Wahlkreisen musste man jetzt mehrmals nachzählen. Scheint Herrn Hettlage nicht bekannt zu sein.
    Die Fälschungssicherheit ist also nicht das, was die Engländer von uns unterscheidet.
    Aber wichtiger ist das Postulat von „One Man, One Vote“. Hört sich toll an, aber aus dem britischen Wahlsystem (first by the post in jedem Wahlkreis) ergibt sich, dass viele Stimmen eben unter den Teppich fallen. Genau jene, die nicht dem Mehrheitskandidaten im Wahlkreis gegeben wurde. Das soll gerecht sein?
    Das ist zumindest „debatable“. Eine Minderheit der Stimmen kann so – weil sie die Mehrheit der Wahlkreise hat – die parlamentarische Mehrheit stellen. Ist zwar in anderen Systemen auch möglich, aber weit weniger wahrscheinlich.
    Die Argumente gegen den „accidental bias“ sind hanebüchen und entbehren jeder Logik. Dieser Artikel und seine Argumentation greifen einfach zu kurz,.

    • In Frankreich wird es noch extremer sein. Obwohl die Macron-Partei beim ersten Wahlgang 33% der Stimmen holte, sprechen einige davon, dass nach dem zweiten Wahlgang sogar 4/5 aller Parlamentssitze im Bereich des Möglichen liegt.

      • Das habe ich noch nicht nachgerechnet. Es wundert mich aber nicht. Demokratie heißt Volksherrschaft. Und der Wille des Volkes ist amorph, wechselhaft und selten eindeutig. Meisten gibt es nur eine einfache Mehrheit im Wahlvolk. Wendet man das Prinzip an, dass mehr als die Hälfte zustimmen muss, dann kommt es zum Stillstand bei der „res publica“ d.h. bei den Angelegenheiten, die uns alle angehen.

        Um das zu vermeiden gibt es drei Verfahren: Erstens die Auswahl der Volksvertreter nach den Prinzip der einfachen Mehrheit (Westminstermodell); zweitens die Sperrklausel d,h. Fünf-Prozent-Hürde, also die nachträgliche Umverteilung der Mandate von den kleinen auf die großen Parteien, die von den Italiener neuerdings als „Tedescum“ bezeichnet wird. (Das deutsche Ausschluss-Verfahren); drittens die Stichwahl, wie sie bei den Kommunalwahlen üblich ist und vor allem Frankreich Anwendung findet. (Romanisches Wahlsystem)

        Alle drei Verfahren überbrücken auf verschiedenen Wegen die im Normalfall fehlende „absolute“ Mehrheit in der Urwahl der wahlberechtigten Bevölkerung. Die Relation von Stimmen und Mandaten stimmen also in allen Wahlverfahren nicht überein. Der Anteil an den Stimmen bleibt also immer hinter dem Anteil an den Mandaten zurück. Würden wir das nicht akzeptieren, müssten wir uns von der Demokratie verabschieden, weil das Verfahren nur in Ausnahmefällen zur absoluten Mehrheitsentscheidunng durch das Volk führt und deshalb das Schiff keinen Steuermann und keinen Kapitän hat.

        Also muss man „die Kröte schlucken“. „Nil perfectum sub sole“, d.h.: es gibt nichts Vollkommenes unter der Sonne. „Summum jus summa injuria“. Wenn man das Recht auf die Spitze treibt, schlägt es in Unrecht um.

    • Vielen Dank für die schönen Blumen, mit denen Sie mich empfangen haben. Es hat etwas sehr Erfrischendes im persönlchen Umgang miteinander, wenn man so höflich und zuvorkommend begrüßt wird, wie Sie es tun. Leider ist Ihnen entgangen, dass der Wahlleiter bei der Landtagswahl in NRW am 14.6.2017 noch einmal nachzählen lassen musste, obwohl das vorläufige amtliche Endergebnis schon verkündet war. Alle Zeitungen haben das berichtet. Und vielleicht kann ich Sie doch noch davon überzeugen, dass man – nach Adam Riese – eine Wahl mit einer Stimme leichter und schneller auszählen kann als eine Wahl mit zwei Stimmen.

      Die Verhältniswahl heißt ja nur so. Die Parteien rücken jedenfalls nach deutschem Wahlrecht eben gerade nicht im Verhältnis der von ihnen erlangten Stimmen in das Parlament ein. Bei der Bundestagswahl am 22.9.2013 hat die CDU 34,1 % der Zweitstimmen erreicht, damit aber 40,4 % der der Mandate erlangt. Auf die CSU entfielen 7,1% der Zweitstimmen und 8,9 % Prozent der Mandate. Die SPD konnte sich darüber freuen, dass ihr mit 25,7 % aller Landesstimmen 31,0 Prozent der Listenplätze zugeteilt wurden. Die Linken kamen auf 8,6 % bei den Stimmen für die Listen und erzielten damit 10,1 % der Listenplätze. Auch die Grünen erlangten mit 8,4 % der Zweitstimmen 10,0 % der Mandate. Der „accidental bias“ ist also keine Spezialität der klassischen Direktwahl, sondern kommt auch in der Verhältniswahl vor.

      • Entschuldigen Sie, da habe ich mich im Ton vergriffen. Das sollte satirisch gemeint sein, ging aber daneben.

      • Vergessen wir es, ich nehme Ihre Entschuldigung an. Zugleich fordere ich Sie auf, am Ball zu bleiben und die kontroverse Debatte um das Wahlrecht fortzuführen. Politik ist das Verfahren zur Feststellung, was im öffentlichen Interesse liegt. Politik lebt also vom Widerspruch, der allerdings von der „Kunst zu überzeugen“ gebändigt wird.

  15. Was die 5%-Klausel angeht: Das könnte man auch beim bestehenden Wahlrecht so ändern, daß man eben solange Parteien dazunimmt, bis ein festzulegender Prozentsatz der Wählerstimmen (90%? 95%?) im Parlament repräsentiert ist.

    Das darf natürlich nicht dazu führen, daß die Anzahl Abgeordneter krass schwankt (noch mehr Überhangmandate als jetzt schon), aber ich bin sicher, findige Mathematiker können sich dazu ein passendes Auszählungsschema ausdenken.

  16. Ich weiß, ich wiederhole mich, aber diese einseitige Darstellung des Mehrheitswahlrechts als das alleine Seligmachende geht mir nunmehr zunehmend auf den Senkel.

    Die aktuellen britischen Wahlen haben gezeigt, daß dieses Wahlrecht ein krasses Mißverhältnis zwischen den Prozentualen Wählerstimmen und den gewonnenen Sitzen für die jeweiligen Parteien mit sich bringt:

    http://www.faz.net/aktuell/politik/wahl-in-grossbritannien-umfragen-prognosen-und-ergebnisse-15031536.html

    Konservative: 42% der Wählerstimmen, 318/650 = 48,9% der Sitze
    Labour: 40% Wähler, 262/650 = 40,3% Sitze
    SNP: 3% Wähler, 35/650 = 5,5% Sitze
    LibDem: 7% Wähler, 12/650 = 1,8% Sitze

    Labour ist die einzige Partei, wo beides vernünftig korreliert (und das mag reiner Zufall sein), bei den anderen steht die Anzahl der resultierenden Abgeordnetensitze in krassem Mißverhältnis zum Prozentsatz der Wählerstimmen.

    Das ist auch mathematisch völlig verständlich, weil die verlierenden Stimmen jedes einzelnen Wahlkreises komplett unter den Tisch fallen, egal, ob dieser Wahlkreis nun mit 98% zu 2% oder mit 51% zu 49% gewonnen wurde.

    Wenn man zu den 2% gehört, dann kann man sagen, das ist Schicksal und das Wesen einer Demokratie. Aber wenn wiederholt 49% (oder ein ähnlich knappes Ergebnis) ignoriert werden, dann verzerrt das das Gesamtergebnis; diese ignorierten Wählerstimmen summieren sich eben auf.

    Das ist nicht nur nicht erstrebenswert, ich halte das für zutiefst undemokratisch.

    Zu dem Einwand, der bei der gleichen Diskussion neulich erst kam, daß man ja bei Parteilisten keinen Einfluß auf die Rangfolge der Kandidaten habe: Das ist bei bloßen Wahlkreiskandidaten genauso der Fall; da muß ich erst recht damit zufrieden sein, was mir vorgesetzt wurde.

    • Nein, nein und nochmals nein. Es stimmt schlicht und einfach nicht, dass irgendwelche Stimmen unter den Tisch fallen. Alle Stimmen werden ausgezählt.

      Wer aufgibt, bevor ausgezählt wurde, der trägt dazu bei, dass der Sieger gar nicht mehr verlieren kann. Es gibt keinen Grund zu fliehen, bevor die Schlacht geschlagen ist. Und es gibt genug Beispiele dafür, dass die Favoriten einer Wahlprognose, bei der tatsächlichen Abstimmung ein Debakel erlebt haben. Peer Steinbrück u.B. hat seinen Wahlkreis (Mettmann I) in NRW verloren.

      Theresa May hat die Mehrheit im Unterhaus verloren, weil ihre Gegner zur Wahl gegangen sind. Hätten sie sich gesagt, die Konservativen gewinnen doch, warum soll ich wählen gehen, wäre es anders gekommen. Dann hätte Theresa May die Mehrheit im Unterhaus behalten. Wahldefätismus ist ein ganz schlechter Ratgeber.

      • Natürlich werden alle Stimmen ausgezählt; und dann werden die, die im jeweiligen Wahlkreis unterlagen, ignoriert. Das kann eben – wie oben ausgeführt – dazu führen, daß eine Partei prozentual viel mehr Stimmen hat, als sie dann Abgeordnete bekommt.

        Ihr Punkt ist, daß man ja den Abgeordneten wählt und nicht die Partei; das nehme ich wohl als Ihren Standpunkt zur Kenntnis, aber nicht als überzeugendes Argument für ein Mehrheitswahlrecht. Ich kenne kaum jemanden, der seinen Bundestags- oder Landtagsabgeordneten kennt (und schon gar nicht dessen Gegenkandidaten); die meisten wissen noch nicht einmal deren Namen, geschweigedenn, wofür sie stehen.

        Abgeordnete hierzulande glänzen typischerweise dreieinhalb Jahre durch Abwesenheit, um dann ein paar Monate vor der Wahl in jedem Bierzelt und bei jedem Jubiläum der örtlichen Karnickelzüchter aufzutauchen und sich dort anzubiedern. Dafür kann ich nur tiefste Verachtung aufbringen. Die Bürger sind diesen Herrschaften die ganze Zeit über schnurzegal, nur alle vier Jahre muß man sie als Stimmvieh bespaßen.

        Es ist ein hehrer Wunsch, daß das bei einer Änderung des Wahlrechts anders sein sollte; ich mag das nicht glauben.

        Die Bürger verfolgen aber sehr wohl, was die Parteien ständig von sich geben und was sie vorhaben (oder behaupten vorzuhaben), und DAS ist es, wofür (oder wogegen) die Wähler stimmen.

        Ex-Bundespräsident Roman Herzog hat einmal gesagt „die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht“, und das ist leider richtig. Leider, denn es sind nur die wenigsten Bürger in Parteien organisiert, und leider, denn das meiste wird von einem kleinen Kreis der Parteioberen in Hinterzimmern ausgemauschelt; das ist vom demokratischen Standpunkt aus sehr bedenklich.

        Ich bin voll bei ihnen, daß die Übermacht dieser Parteien (zumindest, was bei uns daraus geworden ist) gebrochen werden muß. Aber ich kann nicht daran glauben, daß eine Umstellung auf das Mehrheitswahlrecht der richtige Weg dazu ist.

  17. Mich irritiert diese – wohlwollend formuliert – sehr ausführliche Streitschrift für das Mehrheitswahlrecht angesichts einer Wahl im Vereinigten Königreich, die doch gerade einen gravierenden Nachteil dieses Systems offenbart. Der Autor hat das in nur einem Satz beiläufig angesprochen: „Sie stören sich auch nicht daran, dass die Konservativen Stimmen hinzugewonnen, aber Wahlkreise verloren haben.“

    Die Konservativen haben gegenüber der letzten Wahl nämlich um 5,1 Prozentpunkte zugelegt. Zurückzuführen ist dieser Stimmenzuwachs nicht zuletzt auf den Rückzug der UKIP, die ihr Hauptziel mit dem Brexit erreicht hat und in vielen Wahlkreisen gar nicht mehr angetreten ist.

    Ein Mehrheitswahlrecht, zumal ohne entsprechende Tradition und Verwurzelung, wie sie in Großbritannien unzweifelhaft vorhanden ist, hierzulande aber eben nicht, hat aus meiner Sicht keineswegs nur Vorteile. Zwar können sich die gewählten Parlamentarier darauf berufen, ihren Wahlkreis gewonnen zu haben, was eine direktere Bindung und Verantwortung begründet. Doch wie steht es um die nationalen Fragestellungen? Wie sind die Chancen kleinerer Parteien zu wahren? Was mache ich, wenn der Zufall es will, dass mein lokaler Kandidat zwar die „richtige“ politische Richtung/Partei vertritt, ich ihn persönlich aber für eine Null halte?

    Mir wäre es lieber, würde unser Wahlsystem dahingehend überarbeitet, dass

    – die 5%-Hürde abgesenkt oder ersatzlos gestrichen wird, unter Umständen bei Anpassung der Mindestzahl an Abgeordneten, um Fraktionsstatus zu erlangen,

    und

    – dass der Wähler direkten Einfluss auf die von der Partei erstellte Liste nehmen, also „Parteikandidaten“ explizit (aus)wählen kann (und damit andere implizit abzuwählen vermag). Damit hätte nicht der Parteivorstand das letzte Wort, wer auf diesem Weg ins Parlament einzieht, sondern der Wähler und es bestünde die Chance, das System der elendigen Parteikarrieren zu beschränken.

    • Selbstverständlich haben alle Wahlsysteme ihre Vor- und Nachteile. Das heißt jedoch nicht, dass alle gleich gut oder schlecht sind.
      Der immer wieder vorgebrachte Einwand, dass eine Partei insgesamt Stimmengewinne haben und trotzdem Wahrkreise verlieren kann, löst sich in Luft auf, wenn man mal realisiert, das bei der Mehrheitswahl überhaupt keine Parteien, sondern Kandidaten gewählt werden. Und auch das Argument, dass Minderheiten und kleinere politische Strömungen unzureichend repräsentiert werden stimmt so nicht. Wer einen überzeugenden Kandidaten präsentieren kann, wird damit auch in dem ein oder anderen Wahlkreis punkten. Und durch die relative Mehrheitswahl ist das gar nicht mal so schwierig. Im britischen Unterhaus sind zur Zeit 5 – vorher 6 Parteien vertreten – im deutschen zur Zeit auch nur 5. Und im deutschen Wahlsystem scheitern kleine Parteien regelmäßig an der 5% Hürde. Bei Mehrheitswahl gibt es keine derartigen künstlichen Hürden. Tatsächlich ist es daher für Minderheiten sogar einfacher, ins Parlament zu kommen. Es reicht eine ausreichende lokale Unterstützung. Seitdem bei uns die Bürgermeister überall direkt gewählt werden, lässt sich beobachten, dass regelmäßig auch Aussenseiter ohne Parteibuch in dieses Amt gelangen. Das zeigt doch, dass die Parteien an Bedeutung verlieren.
      Was von den Befürwortern des Proporzprinzips ebenfalls nicht gesehen wird, ist, dass man mit der Mehrheitswahl einen ganz anderen Typus von Abgeordneten bekommt. Das sind dann eben nicht mehr die blassen Parteisoldaten, die nur dann wieder auf die Wahlliste ihrer Partei kommen, wenn sie sich der Parteiführung gegenüber loyal verhalten und die hier schon oft als Klatschhasen verspottet wurden. Bei reiner Mehrheitswahl gibt es auch kein Netz und keinen doppelten Boden für Parteifunktionäre. Jeder muss sich nach 4 Jahren wieder in seinem Wahlkreis zur Wahl stellen. Und da das selbstverständlich auch für die Parteinomenklatura gilt, sorgt die Wahl auch in den oberen Etagen für Respekt vor dem Wähler und führt zu einer ganz anderen politischen Kultur.

      • Das ich ihr Lob für das Mehrheitswahlrecht nicht teile, muss ich nicht wiederholen. 😉 Aber ich möchte einen Aspekt herausgreifen, weil der neu in der Diskussion ist:

        „Seitdem bei uns die Bürgermeister überall direkt gewählt werden, lässt sich beobachten, dass regelmäßig auch Aussenseiter ohne Parteibuch in dieses Amt gelangen. Das zeigt doch, dass die Parteien an Bedeutung verlieren.“

        Das ist richtig. Selbst Parteilose gewinnen Bürgermeisterwahlen in größeren Städten. Ich finde aber, es gibt einen wesentlichen Unterschied. Ein Bürgermeister hat wesentlich mehr Macht und Gestaltungsspielraum als ein Abgeordneter in einem 600-Sitze-Parlament. Da macht es für mich durchaus Sinn, jemanden nicht nach Parteibuch, sondern nach Persönlichkeit zu wählen. Bei einer Bundestagswahl möchte ich wissen, wie ein Kandidat sich im Parlament verhält. Ohne Parteibuch weiß nicht viel (würde er/sie Merkel wieder zur Kanzlerin wählen oder nicht?). Und als Einzelkämpfer kann man im Parlament nicht viel ausrichten. Übrigens, selbst 2017 kann man Parteilose in den Bundestag wählen, wenn die auf dem Wahlzettel stehen. Aber soweit ich weiß, hat das bisher noch keiner in den Bundestag geschafft.

      • Danke für Ihren Diskussionsbeitrag.
        Sie machen meiner Meinung nach den Fehler, die Unzulänglichkeiten des bisherigen Systems auch auf ein alternatives Wahlsystem zu projizieren. In der Tat ergibt es momentan wenig Sinn, sich die Kandidaten der Parteien genauer anzuschauen, da es sich erstens (fast) ausnahmslos um Kandidaten der jeweiligen Partei-Nomenklatura handelt und zweitens die sogenannten Direktkandidaten ohnehin über die Parteilisten „abgesichert“ sind. Wenn man jedoch die Parteilisten abschafft und jeder Wahlkreis (bei kleinerem Zuschnitt) nur noch einen einzigen Kandidaten in den Bundestag schicken kann (der dafür eine relative Mehrheit im Wahlkreis benötigt) kommt überhaupt erstmal Leben in die Bude. Jetzt reicht es nämlich plötzlich nicht mehr, sich bei den Parteioberen anzudienen, denn der Wahlkreis muss bei jeder Wahl neu erobert werden. Und wer darin erfolgreich sein will, muss seine Wähler überzeugen. Ich hoffe, Sie verstehen, dass das einen Paradigmenwechsel bedeutet. Und das führt zwangsläufig auch zu andern Kandidaten und auch zu einer anderen Einstellung der Wähler zu „ihrem“ Kandidaten. Man könnte nun überlegen, wie man das System noch demokratischer macht. Beispielsweise könnten, wie in den USA, Vorwahlen stattffinden, bei denen der Wahlkreiskandidat der jeweiligen Partei gekürt wird. Eine weitere Maßnahme, um die Macht der Parteien zu begrenzen, wäre die längst überfällige Streichung des Parteienprivilegs im Grundgesetz, was ein Ende der staatlichen Parteienfinanzierung bedeuten würde. Die Parteien würden von Staatsparteien wieder zu privaten Wahlvereinen. Und wie finanziert sich so ein privater Wahlverein? Über Mitglieder und Spenden. Auch das wäre ein Paradigmenwechsel und würde zwangsläufig zu einer Hinwendung zur Basis – also zum einfachen Wähler führen.

      • „Ich hoffe, Sie verstehen, dass das einen Paradigmenwechsel bedeutet.“
        Das verstehe ich absolut. Das streitet auch niemand wirklich ab. Trotzdem stellt sich die Frage, ob in der Gesamtbilanz was positives herauskommt. Anders ist das Wahlsystem auf alle Fälle. Aber auch besser? Genau so sind die vielen Beiträge zu verstehen, die sich gegen das Mehrheitswahlrecht aussprechen.

      • Übrigens, fast schon kurios ist in Frankreich nach dem 1.Wahlgang eine öffentliche Wahlrechtsdebatte entstanden. Man musste nämlich feststellen, dass eine Partei mit nur einem Drittel Stimmenanteil vermutlich über zwei Drittel der Parlamentssitze holen wird, und damit volle Kontrolle auf allen wichtigen Feldern haben werden. Inwieweit diese Debatte mal zu einer richtigen Willensbildung wird, sei dahingestellt. Es zeigt aber schön, dass es keinen Grund gibt, die Sache immer nur total einseitig zu sehen. Die Zufriedenheit der Bevölkerung zu ihrem Wahlsystem sollte bei der ganzen Betrachtung auch eine Rolle spielen, fällt aber bei vielen Mehrheitswahl-Befürwortern unterm Tisch.

      • Sie berühren ein sehr interessantes Thema: die parteifreie Bürgerkandidatur, die mit 200 Stützunterschriften von Wahlberechtigten „aus der Mitte des Wahlkreises“ heraus möglich ist. Das hat es in der Bundesrepublik aber nur bei der ersten Wahl im Jahre 1949 gegeben. Damals sind drei „Parteilose“ in den Bundestag eingezogen. Später ist das nie wieder vorgekommen.

        Parteilose Bürgerkandidaten können also jederzeit kandidieren. Sie tun das auch, werden aber nicht gewählt. Sie müssen nämlich nachweisen, dass 200 wahlberechtigte Staatsbürger eine solche Kandidatur unterstützen. Diese Unterschriftensammlungen sind natürlich harte Knochenarbeit und haben eine viel härtere Sperrwirkung als die Fünf-Prozent-Klausel. Die Bürgerkandidatur steht von vornherein unter beschwerten Bedingungen.

        Ausschlaggebnd ist aber etwas anderes: Wer wie Peer Steinbrück 2013 in seinem Wahlkreis (Mettmann I) verloren hat, kann als „abgesicherter“ Bewerber über die Landesliste seiner Partei trotzdem in den Bundestag einziehen. Peer Steinbrück hatte also zwei Wahlchancen. Bei einem Bürgerkandidaten, ist das ganz anders. Weil er keiner Partei angehört kann er auch nicht auf einer Landesliste einer Partei „abgesichert“ werden. Landeslisten können nur von Parteien eingereicht werden. So steht es im Gesetz.

        Allein in Bayern gab es 2013 neun parteilunabhängige Wahlkreis-Bewerber. Wenn sie in ihrem Wahlkries verlieren, dann ist das endgültig. Denn sie haben ja nur eine Wahlchance. Und so geht es natürlich überhaupt nicht. Ich kenne zwei Bürgerkandidaten, die 2013 in Bayern kandidiert haben. Sie haben die Wahl angefochten. Der Bundestag hat die Anfechtung – wie zu erwarten war – niedergestimmt. Dagegen dürfen die offensichtlich benachteiligten Bürgerkandidaten beim Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungs-Beschwerde führen.

        Und von diesem in der Verfassung in Art . 41 GG garantierten Grundrecht haben die beiden Bürgerkandidaten Gebrauch gemacht. Das Verfahren ist in Karlruhe unter dem Aktenzeichen 2 BvC 64/14 anhängig. Ich rechne damit, dass sich die beiden Beschwerdeführer auf dem Rechtsweg durchsetzen werden und das Verfassungsgericht ihre offensichtliche Ungleichbehandlung beendet.

      • Wobei man aber auch sagen muss, wer 200 Unterstützerunterschriften im Wahlkreis nicht zusammenbekommt, hätte auch so keine wirkliche Chance von der Bevölkerung auf Platz 1 gewählt zu werden. Von daher ist diese Mindestanforderung akzeptabel.
        Es ist schon richtig, dass Kandidaten bei uns für den BT über die Landesliste „abgesichert“ sind. Aber das ist kein Muss bei einer Verhältniswahl. In Baden-Württemberg zum Beispiel hat man bei den Landtagswahl nur eine Stimme und es gibt keine Listen. Trotzdem ist es eine Verhältniswahl. Dort werden Erstmandate (Gewinner des Wahlkreises) und Zweitmandate (die besten Wahlkreisergebnisse einer Partei) vergeben. Es gibt viele Möglichkeiten eine Wahl zu gestalten. Wichtig ist nur, was sind die Vor- und Nachteile.

      • Gewiss, damit hätten Sie vollkommen Recht, wenn es in Baden-Württemberg keine Ausgleichsmandate gäbe. Es gibt keine Landeslisten, und der Stimmzettel kann nur einmal gekennzeichnet werden. Da liegt das Problem aber nicht. Es liegt darin, dass die Wahl zweimal ausgezählt wird: einmal, um die Erstmandate an die örtlichen Wahlkreisieger zu vergeben und nocheinmal um die Zweitmandate zu erfassen. Und das Zweitmandat erhalten, warum auch immer, diejenigen, die in den Wahlkreisen verloren haben. Irgendwie schräg das Ganze. Aus welchen Grund müssen die Wahlkreisverlierer auch in den Landtag?

      • Sie haben die Sache auf den Punkt gebracht.

        Nach meinem Kenntnisstand, der sich auf Wikipedia stützt, sind nach der Unterhauswahl 2015 insgesamt zehn Parteien in das Parlament eingezogen. Hinzu kam ein Unabhängiger und der Speaker. Bei der Wahl am 8.6.2017 verfehlten die Ukip und die Ulster Unionists den Wiedereinzug in das House of Parliament. Wir haben jetzt also acht Parteien, einen Unabhängigen und den Speaker.

        Gegen den Speaker tritt traditionell niemand als Konkurrent an. Weil es bei einer Wahl keine Gegenstimmen gibt, erreicht er zwangsläufig alle gültig abgegebenen Stimmen. In manchen Wahlkreisen gibt es nur zwei Bewerber. Einer von beiden erreicht also mit hoher Wahrscheinlichkeit die absolute Mehrheit. Je mehr Bewerber sich Konkurrenz machen, umso unwahrscheinlicher wird das.

      • Die meisten dieser Parteien haben gerade mal Grüppchenstärke, Manche von ihnen haben nur einen Abgeordneten. Das wäre so, als wenn man 2013 gesagt hätte, okay, die FDP darf wenigstens 2 Leute reinschicken, damit wir wieder 5 Parteien im Bundestag haben.

      • Ich glaube nicht, dass die FDP die beiden Mandate ausgeschlagen hätte. Und die Liberalen haben im UK mehr als nur zwei Abgeordnete.

        2010 waren die Liberalen sogar so stark, dass sie den Konservativen eine Koalition aufzwingen konnten, was jedoch in Großbritannien sehr selten ist. Das gebe ich zu. Damals wollten die Liberalen das englische Wahlsysten ändern. David Cameron musste sich darauf einlassen und ein Referendum über die traditionelle Direktwahl abhalten.

        Die Volksbefragung über das Wahlrecht fand am 6.5.2011 statt. Zur Überraschung aller lehnten bei einer hohen Wahlbeteiligung mehr als zwei Drittel der Teilnehmer am Referendum einen Wechsel zu dem von den Liberalen gewünschten Wahlsystem ab. Die Briten finden ihre Art, die Abgeordnete in überschaubaren Wahlkreisen direkt zu wählen „verry britsish“. Sie lassen sich von den „continentals“ nicht aufschwatzen, das klassische Systen: „one man one vote“ sei ungerecht und unfair. Auch im Fußball gibt es ja die k.o.-Runden, und niemand regt sich darüber auf. Niemand kommt auch nur auf die Idee, dass alle Mannschaften im Verhältnis der von ihnen erzielten Tore in die Endrunde kommen müssten. Das würde man als absurd empfinden. Wo es Sieger gibt, muss es auch Verlierer geben. Und wir haben nur eine Stelle für den Bundeskanzler frei.

        Wenn etwas ungerecht ist, dann ist es die typisch deutsche Wahl mit zwei Stimmen. Sie führt zu grotesken Ungereimtheiten. Im Bundestag gibt es regulär 598 Sitze. Tatsächlich sind 2013 aber 631 Abgeordnete in das Parlament eingezogrn und 29 von ihnen haben ein nachgeschobenes Ausgleichsmandat erhalten, ohne dass die Wähler gefragt worden sind, wer von welcher Partei und in welchem Bundesland denn das begehrte Ausgleichsmandat erhalten soll. Und noch etwas: Der Freistaat Bayern darf 92 Abgeordnete in das Berliner Parlament wählen. Tatsächlich gibt es dort aber nur 91 Bayern, weil der Freistaat ein „negatives Ausgleichmandat hinnehmen musste. Das gleicht einem Schildbürgerstreich mehr als eine sinnvollen Wahlgesetz.

        Dass Theresa May bei der Wahl vom 8.6.2017 die Mehrheit verloren hat, hält im UK niemand für eine Systemfehler. Theresa May hätte ja keine Wahl ausrufen müssen. Sie muss sich dafür an die eigene Nase fassen, dass sie Mist gebaut hat.

      • Es ist beim Mehrheitswahlrecht jedenfalls für Minderheiten einfacher einen Sitz im Parlament zu erhalten, als bei einem Verhältniswahlsystem. Dass diese dann i.d.R nur wenige Sitze erhalten, sehe ich eher als Vorteil. Ich sehe auch keinen Vorteil darin, möglichst viele Parteien im Parlament zu haben. Viele Parteien erschweren die Regierungsbildung und erzwingen Koalitionen. Und damit sind gleich eine ganze Reihe von Nachteilen verbunden:
        – Koalitionen erfordern detaillierte Koalitionsverträge. Dadurch verengt sich der Spielraum des Parlaments auf dramatischste Weise. Das Parlament wird nur noch benötigt, um die Regierungbeschlüsse durchzuwinken.
        – Oft ist der kleinere Koalitionspartner der Königsmacher und kann die Agenda bestimmen. Der Schwanz wedelt mit dem Hund. Man sieht am Beispiel der Grünen, wie eine Minderheit die ganze Republik am Nasenring führen kann.
        – die Zuordnung von Verantwortlichkeiten wird erschwert. Es entsteht Unmut, die tendenziell zu immer mehr neuen Parteien führt.
        – Der Wählers weiß nicht, was er mit seiner Stimme bewirkt, da Koalitionsbildungen nicht vorhersehbar sind.
        – Oft ist es aufgrund unterschiedlicher Koalitionsmlglichkeiten unmöglich, eine Regierungspartei wieder abzuwählen (s. CDU).

        All diese Nachteile treten beim Mehrheitswahlrecht selten oder gar nicht auf. Man braucht auch keine neuen Parteien, wenn die Abgeordneten durch das Wahlsystem gezwungen werden, sich an ihren Wählern im Wahlkreis zu orientieren, statt sich einer Oligarchie von Parteifunktionären anzudienen.

    • Sie wollen also die Sperrklausel abschaffen. Das ist gut und richtig. Sie übersehen aber, dass es in der klassischen Direktwahl gar keine Sperrklausel gibt. Das was Sie im Rahmen der Parteienwahl durchstzen wollen ist in der Personenwahl überhaupt kein Thema. In Großbritannien kann ein Abgeordneter auch dann in das Parlament einziehen, wenn er weit weniger als fünf Prozent aller Stimmen erreicht. Im Gegenteil: Niemand erreicht in einem Wahlkreis mehr als fünf Prozent der Stimmen. Dazu sind die Wahlkreise viel zu klein.

  18. Das Vereinigte Königreich hat seit Jahrhunderten ein vorbildiches parlamentarisches System. Daher muss ich mich immer wundern, wenn die deutsche Presse etwa den Brexit in den Schlamm ziehen will; der Brexit ist das Ergebnis eines demokratischen Prozesses, daran gibt es nichts zu rütteln.
    Deuschland sollte sich lieber intensiver mit seiner eigenen Demokratie befassen. Anscheinend gibt es jetzt so etwas wie eine „Merkel-Demokratie“.

  19. “ Das deutsche Wahlrecht muß also vom Kopf auf die Füße gestellt werden.“
    Richtig, nur wer sollte das tun ? Diese Regierung bestimmt nicht, sie sägt sich doch damit den Ast ab, auf dem sie sitzt. Deshalb wird es so bleiben wie es ist und der Wähler kann sich nicht wehren. Ganz tolles demokratisches Verständnis haben wir in unserer Regierung.

    • Ob man so pessimistisch sein muss, weiß ich nicht. Was mich betrifft, darf ich Ihnen sagen, dass ich die Bundestagswahl v. 22.9.2013 unter dem Aktenzeichen WP 187/13 nach Ar. 41 GG förmlich angefochten habe. Der Deutsche Bundestag hat meinen Antrag auf Wahlwiederholung unter einem grundgesetzkonformen Wahlrecht, wie zu erwarten war, zurückgewiesen. Vgl. Bundestagsdrucksache 18/2700, Anlage 6.

      Dagegen steht mir nach Art. 41 GG i.V.m. Paragr. 48 BVerfGG das Recht zu, vor dem Bundesverfassungsgericht Wahlprüfungs-Beschwerde zu führen. Das habe ich getan. Das Verfahren ist in Karlsruhe unter dem Akrenzeichen 2 BvC 67/14 anhängig. Ich versuche also im Alleingang das geltende Wahlrecht zu Fall zu bringen. Fällt es, brauchen wir ein neues Wahlrecht. Und dann müssen wir abwarten, was den Volksvertreter Neues einfällt.

      Der Bürger ist so wehrlos nicht, wie Sie annehmen. Freilich ist der Weg einer Wahlanfechtung mit anschließender Wahlprüfungs-Beschwerde lang und steinig. Es sind ja keine 100 Tage bis zur nächsten Bundestagswahl. Das Verfassungsgericht hat noch immer nicht entschieden. Vielleicht tut es das erst nach der Wahl, die für den 24.9.2017 anberaumt ist. Wenn das eintritt, stehe ich vor der Frage, ob ich auch diese Wahl anfechten soll.

      Wenn es dazu kommt, werde ich Sie fragen, ob Sie bereit sind, sich meiner Wahlanfechtung anzuschließen. Ich meine das nicht ironisch. Ich meine das in vollem Ernst. Allerdings brauche ich Ihren Namen und Ihre Adresse. Unter einem Pseudonym kann man natürlich nicht klagen oder verklagt werden. Dann müssen Sie das Visier hochklappen und sich zeigen.

  20. Das Mehrheitswahlrecht wird nur ins Gespräch gebracht, um die aufstrebenden Konkurrenten, wie bei uns die AfD, weiterhin von der Macht auszuschließen.
    Selbst wenn diese 20 oder 30% der Stimmen im Land gewinnen könnten, würde dies dann nämlich trotzdem nicht reichen, um genug Wahlkreise zu gewinnen.
    Die anderen Parteien bei uns würden nämlich garantiert (ich halte jede Wette !) ihre Stimmen immer passend bündeln, also ihre Anhänger jeweils zur Wahl eines gemeinsamen Kandidaten aufrufen, um den AfD-Bewerber in jedem Wahlkreis zu
    verhindern.
    Eine derartige Blockbildung des Establishments war z.B. auch bei der
    Präsidentschaftswahl in Österreich sehr schön zu sehen, oder unlängst im Zuge
    zweiten Präsidentschaftswahlgangs in Frankreich.
    Dieser linke „Block“ hätte auch bei uns in nahezu allen Wahlkreisen die Mehrheit.

    Neben den großen Parteien CDU und SPD hätten höchstens noch regional verwurzelte Parteien eine gute Chance auf einen Wahlkreissieg, wie z.B. die CSU.
    Alle kleinen Parteien aber, deren Anhänger eher gleichmäßig über das Land verteilt leben, hätten das nachsehen. Nur vereinzelt kämen ihre Kandidaten als Exoten ins Parlament.

    Warum aber überhaupt noch zur Wahl gehen, wenn eh klar ist, daß der Kandidat der eigenen Partei keine Chance hat und die eigene Stimme somit unter den Tisch fällt?
    Denn das wäre dann, bis auf ein paar „Swing-Wahlkreise“, der traurige Normalfall.
    Da bleibt man doch gleich frustriert zu Hause, oder wählt mit Wut im Bauch das vermeintlich geringe Übel aus dem Angebot von Rot und Schwarz.
    In beiden Fällen würde die Politikverdrossenheit noch weiter steigen.
    Das Gefühl, in unserem System (bewußt?!) keinen Einfluß zu haben.
    Ganz im Geiste unseres Ex-Präsis Gauck: „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem.“

    • Ein Wahlkreis ist mit einfacher Mehrheit leichter zu gewinnen als mit absoluter. Die Chancen der AfD sind keineswegs so schlecht, wie Sie das darstellen. Bei der Landtagswahl v. 13.3.2016 in Sachsen-Anhalt hat die AfD aus dem Stand in 15 von 43 Wahlkreisen gewonnen. Ich bin mir sicher, dass die AfD auch bei der Bundestagswahl in einer Reihe von Wahlkreisen den Sieg erringen würde, weil ja alle 299 Wahlkreise halbiert und damit insgesamt verdoppelt werden müssen, damit man 598 Plätze im Bundestag mit direkt gewählten Abgeordneten überhaupt besetzen kann. Der Sieg im Wahlkreis ist allerdings harte Knochenarbeit. Vor allem aber muss die AfD im eigenen Interesse Kandidaten aufstellen, die von den Wählern akzeptiert werden. Daran führt kein Weg vorbei.

  21. Ich kann nur vor solch einem Wahlrecht warnen! Wenn wir Frau Merkel und Etatisten in CDU/CSU und SPD für immer eine noch extremere Mehrheit zementieren wollen und die letzten vernünftigen Stimmen auf Dauer marginalisieren wollen, dann müssen wir das britische Wahlrecht als Vorlage nehmen.

    • Eine sehr interessante Schlussfolgerung, die ich aber nicht teilen kann. Niemand kann 598 Plätze im Bundestag mit direkt gewählten Abgeordneten besetzen, wenn es nur 299 Wahlkreise gibt. Das ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Zahl der Wahlkreise muss also durch Halbierung verdoppelt werden. Und dann werden die Karten ganz neu gemischt. Peer Steinbrück hat am 22.9.2013 seinen Wahlkreis Nr 104 (Mettmann I) nicht gewonnen. Und Frau Merkel kann das auch passieren. Warum denn nicht?

  22. Personen- und nicht Parteienwahl lt GG –
    dann sind unsere Wahlgesetze ja von Beginn an
    verfassungswidrig und alle bisherigen Entscheidungen
    wurden von nicht verfassungsgemäß zustande gekommenen
    Volksvertretungen beschlossen.
    Und das wurde bisher nie beachtet, bzw. doch,
    dann unter den Teppich gekehrt?

    • Eine sehr berechtigte Frage. Wir wählen aber gar nicht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl, sondern „nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl“. Sind beide Wahlen mit einander verbunden, geht die Sache verfassungsrechtlich in Ordnung. Denn die Parteienwahl wird durch die Personenwahl konkretisiert und personifiziert, wie es das Grundgesetz verlangt.

      Nun gibt es 598 Plätze im Bundestag, aber nur 299 Wahlkreise. Es ist daher unmöglich, dass ausnahmslos alle Listenplätze, über die mit der Zweitstimme entschieden wird, durch die Direktwahl mit der Erststimme personifiziert werden kann, wenn es nur 299 Wahlkreise gibt. Und genau darin liegt das Verfassungsproblem: Es gibt mindesten 299 Abgeordnete, die nicht mit beiden Stimmen gewählt werden können, weil es dafür gar nicht genug Wahlkreise gibt und deshalb die im Grundgesetz verlangte Personifizierung gar nicht möglich ist.

      Die Personenwahl mit der Erststimme und die Parteienwahl mit der Zweitstimme sind nicht deckungsgleich. Die „mit der Personenwahl verbundene Verhältniswahl“ ist daher in mindesten der Hälfte aller Fälle undurchführbar. Und das geht nicht in Ordnung.

  23. Eine Direktwahl würde eine (zumindestes teilweise) Entmachtung der Parteien und eine Stärkung des Bürgers ergeben. Das lassen unsere Politiker, die gelernt haben, sich den Staat zur Beute zu machen, natürlich nicht mit sich machen. Ohne Revolution und Systemwechsel geht da leider gar nichts.

    • Wie man sieht, funktioniert das ja in Großbritannien und in Frankreich genausowenig, also kann es nicht am Wahlrecht liegen.

      • Man soll nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.

        Theresa May ist mit einem blauen Auge davon gekommen. Gewiss, das ist ein schwacher Trost, zeigt aber, dass diese Wahlsysten sogar die Dummheit verzeiht, die ordentliche Wahl vorzuziehen und damit die Mehrheit im Parlament zu riskieren. Es kommt jetzt zu einer Minderheitenregierung. Und das ist besser als gar keine Regierung.

        Wenn Theresa May das politisch überlebt, wird sie diesen kapitalen Fehler bestimmt nicht wiederholen. Erfahrung ist ein gutes, wenn auch sehr teueres Lehrgeld.

    • Wir brauchen keine Revolution. Solange wir den Rechtsweg beschreiten können, sollten wir die Finger davon lassen.

      Der Bund der Steuerzahler hat 87.000 Unterschriften gegen einen „XXL-Bundestag gesammelt und als Petition beim Deutschen Bundestag eingericht. Der Verband will damit erreichen, das die Regelzahl der 598 Mandate als feste Obergrenze zu betrachten ist, die nicht überschritten werden kann. Und das würde bedeuten, dass im Parlament ein Wahlrecht beschlossen wird, in dem es keine Überhangmandate uns vor allem keine Ausgleichsmandate gibt.

      Petitionen sind fristlos, formlos und nutzlos. Wenn der Bund der Seuerzahler Nägel mit Köpfen machen will, dann muss er den Rechtsweg beschreiten. Und wenn 87.OOO Mitglieder des Steuerzahlerbundes die Wahl nach Art. 41 GG anfechte, dann hat das Gewicht. Das können Sie mir glauben. – Also ran an den Speck!

  24. Deutschland braucht kein besseres Wahlrecht, Deutschland braucht bessere Kandidaten oder dahinter bessere Parteien. Ich lasse mich z.B. seit vielen Jahren vom Wahl-O-Mat beraten. Und bin immer gut damit gefahren. Da zählen nur die Themen, der Politiker dahinter ist mir egal. Und ich wähle eben zweimal Partei. Für mich ist eine Wahl also eine reine Sachentscheidung.

    • Die Qualität der Kandidaten hängt jedoch mit dem Wahlrecht zusammen.

      • Inwiefern? Wie würde ein anderes Wahlrecht zu besseren Kandidaten führen? Die Kandidaten rekrutieren sich so oder so aus dem gleichen Pool von verfügbaren Parteimitgliedern, die auch gewillt sein müssen, im Fall einer Wahl ihren bisherigen Beruf bis auf Weiteres aufzugeben und ins Parlament einzuziehen. Alleine das schränkt die Auswahl ziemlich ein.

      • Eben nicht. Es erfordert ganz andere Qualitäten, einen Wahlkreis zu erobern und zu halten, als sich einer Parteiführung anzubiedern, damit der eigene Name auch das nächste Mal wieder auf der Liste erscheint.

    • Permanente Demokratie? Wie soll das in der Praxis funktionieren?

      Soll täglich nach den Abendnachrichten das ganze Volk im Internet abstimmen? Sie werden sich wundern, was dabei am Ende herauskommt.

      Die demokratische Willensbildung braucht eingeordnetes Verfahren, sonst endet sie in Chaos und Anarchie.

  25. Das ist nicht der erste Artikel hier zum Thema Mehrheitswahlrecht. So sehr ich dem Artikel auch hinsichtlich der Schwächen unseres aktuellen Wahlsystems zustimme, muss ich jedoch der Behauptung, das britische Mehrheitswahlrecht sei das richtige System für Deutschland widersprechen. Der Autor nimmt eine einzige Wahl in einem Land mit Mehrheitswahlrecht, um damit die Überlegenheit dieses Systems zu begründen. Dass es vlt Ausnahmegründe waren, die zu diesem Ergebnis der Wahl in GB geführt haben, kommt wohl nicht in Frage?

    Bsp:
    Dass es gerecht sein soll, dass kleine Parteien mit regionalem Schwerpunkt (SNP) gegenüber nationalen kleinen Parteien (UKIP) extremst bevorteilt werden, erschließt sich mir nicht. In Deutschland würde so der SSW ev. mehr Abgeordnete bekommen als FDP, AFD oder Linke.

    In Deutschland herrscht zudem eine extreme Dominanz der großen Parteien hinsichtlich Einfluss und finanzieller Potenz. Mehrheitswahlrecht würde bei uns nicht zu britischen Verhältnissen führen, sondern zu Amerikanischen. Bei der aktuellen Wahl 2017 würde allein schon der Gewohnheitseffekt der Wähler, auch bei der Erststimme vor allem auf die Parteizugehörigkeit zu schauen, zu einem reinen CDU-SPD-Parlament mit vlt drei, vier PDL & AFD Abgeordneten führen. Wer kennt schon seinen Wahlkreis-Abgeordneten persönlich? Bis sich das Wahlverhalten anpasst, vergehen mehrere Legislaturperioden. Solange überleben aber die kleineren Parteien nicht, weil ihre Köpfe aus (teils) egoistischem Selbsterhaltungstrieb sofort zu CDU/SPD abwandern.

    Unabhängige Kandidaten wären chancenlos – selbst wenn sie gewählt werden, droht ihnen ein Schicksal der Bedeutungslosigkeit (sh. aktuell Erika Steinbach). Ohne Fraktion (also de facto Partei) im Rücken kein Einzug in Ausschüsse, keine Unterstützung im Wahlkampf etc.

    Das Argument, einfache Mehrheiten seien in Ordnung, weil man ja für und nicht gegen jmd stimmt, kann ich nicht nachvollziehen. Soll es in Ordnung sein, wenn jmd mit z.B. 12% Stimmenanteil gewählt wird? Nein – eine Stichwahl als Entscheidung, für all diejenigen, die nicht für den Führenden gestimmt haben, ist unerlässlich.

    • Je höher Sie das Quorum ansetzen um so schwieriger wird es, den Sieg zu wrreichen. Bei der einfachen Mehrheit genügt ein Wahlgang für den Sieg.

      Bei der absoluten Mehrheit (mehr als die Hälfte) genügt das nicht. Wird sie verfehlt, brauchen sie entweder eine Wahlwiederholung oder aber sie greifen auf der Seite des passiven Wahlrechts in das Prinzip der Wahl unter vergleichbaren Bedingungen ein und ordnen die exklusive Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten an. Das hat in Frankreich zu vier Urnengängen innwrhalb weniger Wochen geführt: zwei Wahlgänge für die Direktwahl des Präsidenten und zwei Wahlgänge für die Wahl des Parlaments. Und oft genug kam es dabei zur sog. „cohabitation“, d.h. dass der direkt gewählte Präsident nicht von der Mehrheit im Parlament getragen wird.

      Schrauben sie das Quorum noch höher, wie bei der Papstwahl, bei der die Entscheidung mit qualifizierter 2/3 Mehrheit fällt, ist man schon erstaunt, wenn nach nur fünf Wahlgängen „weißer Rauch“ aufsteigt. Und in Europa gilt für den Rat das Prinzip der Einstimmigkeit, das man allerdings ein wenig gelockert hat. Im Prinzip hat deshalb jedes Mitglied im Europäischen Rat eine Sperrminorität in der Hand. Und dann geht gar nichts mehr. Europa scheitert daran, dass für die Entscheidung ein unerreichbares Quorum gilt. Wer Europa retten will muss den Grundsatz: „Mehrheit entscheidet“ auf einem praktikablem Niveau durchsetzen.

      Man muss sich also sehr genau überlegen, wie hoch man die Latte legt, die überwinden werden muss, um zur Entscheidung zu kommen. Die Abstimmung mit einfacher Mehrheit kann in Großbritannien seit 1429 in den Urkunden nachgewiesen werden. Das berichtet jedenfalls Joachim Raschke in seinem Buch „Wie wählen wir morgen?“ das drei Auflagen erreicht hat.

  26. Der Artikel behauptet, Mehrweitswahlrecht nach englischem Muster sei eines, „das sich rasch auszählen lässt und deshalb auch besonders fälschungssicher ist.“ Nein: Auch beim Mehrheitswahlrecht wird gefälscht, wie die USA zeigen. Das Mehrheitswahlrecht ist zudem hochgradig *manipulierbar* durch den Zuschnitt der Wahlkreise; wer diesen Zuschnitt bestimmt, hat die Wahl schon zu 2/3 gewonnen. Man sieht das deutlich in den USA; dort heißt diese Manipulation „gerrymandering“.

    So wie dieses Argument sind viele Argumente des Artikels zweifelhaft. Ich selbst vermute, dass unser Verhältniswahlrecht dazu beigetragen hat, dass die Parteien so übermächtig geworden sind und dass das Parlament die Bodenhaftung verloren hat. Das Wahlrecht hat auch durch die Verweigerung von klaren Mehrheiten mitgeholfen, durch die ewige Notwendigkeit von Koalitionen alle erfolgreichen Politiker so glattzuspülen, dass ihre Konfliktfähigkeit, vermutlich auch ihre Denkschärfe darunter gelitten hat.

    • Das Gerrymandering ist ein ernstes Problem. Es ist aber kein völlig unlösbares Problem. Man könnte z.B. in das Gesetz hineinschreiben, dass der Zuschnitt der Wahlkreise nicht nach Belieben verändert werden werden kann, sondern nur wenn es Verschiebungen bei den Eknwohnerzahlen gibt. Wenn ich,richtignsehe, ist das jetzt schon der Fall. Außerdem kann man die Kommission, die über den Zuschnitt der Wahlkreise entscheidet, dem Zugriff der Abgeordneten entziehen und beim Herrn Bundespräsidenten ansiedeln. Man kann auch das Quorum hochsetzen und ähnlich wie beim Richterwahlausschuss in der zuständigen Kommission für den Zuschnitt der Wahlkreise die Zwei-Drittel-Mehrheit verlangen bevor der Bundestag ohne Änderungsanträge darüber abstimmt.

  27. Wo bleiben da die Parteien? Keine Mauscheleien mehr. Kein „Verkauf“ sicherer Listenplätze gegen Wohlverhalten. Nein, nein, nein! So geht es nicht in der Islamischen Bananenrepublik Merkelannia.

    • Ich teile Ihre Auffassung: Das Abendland, d.h. Europa, Nord- und Südamerika ist christlich geprägt, das Morgenland, der nahe und mittlere Osten und Teile Südostasiens, islamisch. Der Kalender ist christlich, die Wochentage, die Einehe, die späte Errungenschaft der Trennung von Kirche und Staat, die rechtliche Garantie der freien Religionsausübung und die Toleranz gegenüber Andersgläubigen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau. etc.

      Das alles und mehr, wie zum Beispiel die Schriftzeichen, ist Bestandteil unserer christlich geprägten, unsere abendländischen Leitkultur. Ich will nicht, dass die abendländische Tradition zur Disposition gestellt wird. Deshalb bin ich gegen den Doppelpass, die doppelte Staatsbürgerschaft und das doppelte Wahlrecht.

      Eine Familie, eine Heimalt, ein Vaterland, ein Pass und eine Wahlurne.

  28. Einfach zu denken ist nicht unbedingt Sache der Deutschen. Das britische Wahlsystem würde jede Menge Zeit und Geld sparen, allerdings würden dann etliche, die an ihrer Macht und ihrem Sitz kleben wie Pattex, beides verlieren. Unglücklicherweise liegt in diesem unserem Land das Hauptgewicht auf den Parteien, nicht auf den einzelnen Politikern. Damit ist der Einzelne vorrangig der Ideologie der Partei verpflichtet, auch wenn selbige seinen Überzeugungen widerspricht. Man ballt die Faust in der Tasche und gehorcht, wenn man wieder aufgestellt werden will. Die Wähler sind dabei Nebensache. Außerdem entstehen so meist Konstellationen, die dem Willen des Souveräns (des Volkes) im Grunde zuwider laufen. Sicherlich ist das Wahlsystem in Großbritannien auch nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluß, besser als unseres finde ich es allemal.

    • Sehr geehrte Frau Gmeiner,

      im Grundgesetz steht nicht: „Die Parteien werden in (…) unmittelbarer (…) Wahl gewählt.“ Der Wortlaut von Art. 38 GG ist ein anderer. Dort heißt es: „Die Abgeordneten werden in (…) unmittelbarer (…) Wahl gewählt.“

      Die Personenwahl steht also der Verfassung viel näher als die Parteienwahl. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags sind durch die Bank Legastheniker. Sie können nicht richtig lesen.

      Mit freundlichen Grüßen
      Dr. Manfred C. Hettlage

      P.S. Mehr über das Wahlrecht und mich können Sie aus meiner Internetseite: http://www.manfredhettlage.de entnehmen.

      • So ist es. So gesehen ist das gesamte Wahlsystem in Deutschland eigentlich verfassungswidrig, aber wie heißt es so schön: Wo kein Kläger, da kein Richter.

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