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Brexit-Beschluss

Johnson führt die Briten aus der Union

21.12.2019

| Lesedauer: 3 Minuten
Dank der neuen Mehrheit ist Boris Johnson endlich Herr des Verfahrens im britischen Unterhaus geworden. Das zeigt auch seine neue Queen’s Speech. Großbritannien erhält damit die Chance, eine liberale Wirtschaftspolitik zu Ende zu denken – und das vor den Toren der EU.

Nach monatelangem Hin und Her unter zwei Premierministern und vielen lebhaften Diskussionen ist das Brexit-Abkommen nun auch vom frischgewählten Unterhaus beschlossen worden. Die Mehrheit fiel, dem jüngsten Wahlergebnis gemäß, deutlich aus; auch einige Labour-Abgeordnete stimmten mit Ja, einige mehr enthielten sich. Die dritte Lesung folgt im Januar, und es gibt keinen Zweifel, dass auch sie mit einer Mehrheit für den Gesetzesentwurf enden wird. Damit ist der Brexit beschlossene Sache. Bis zum 31. Januar 2020 wollen die Briten aus der EU ausgetreten sein.

Die Spannung bei den (auch internationalen) Beobachtern sinkt damit aber kaum. Denn erst nach dem offiziellen Austritt kann London sein endgültiges Verhältnis zur Europäischen Union klären. Boris Johnson hat sich dafür erneut eine Frist gesetzt. Bis zum 31. Januar 2021 will er einen Freihandelsvertrag mit der EU und möglicherweise mit anderen Partnern ausgehandelt haben und damit den zweiten und finalen Austrittsschritt machen. Eine wichtige Forderung der Hardcore-Brexiteers war, dass Großbritannien nicht langfristig durch eine Zollunion oder ähnliche Vorvereinbarungen mit der EU gebunden sein sollte. Eben das hat Johnson im Oktober verhandelt und damit den Raum für ein individuelles Abkommen mit der EU geöffnet. Im Unterhaus bekräftigte der Premier nun, dass es in der zu verhandelnden Vereinbarung keinerlei Übernahme von EU-Gesetzen geben soll. Die Briten nannte er »Herren ihres eigenen Geschicks« und sprach von der beinahe erreichten »Unabhängigkeit des Vereinigten Königreichs«.

Aber ist Boris Johnson nun wirklich ein »Brexit-Rambo«, wie uns die deutsche Presse erneut weismachen will, weil er möglichst rasch einen Freihandelsvertrag mit der EU verhandeln will? Oder weil er dank seinem Erdrutschsieg bei den Wahlen die klassisch starke Rolle der Exekutive im britischen System wieder herstellt? Das glaubt wohl wirklich nur Stefanie Bolzen in der »Welt«. Unterdessen stellt sich Stefan Cornelius in der »Süddeutschen« die Frage: »Wie kann […] Großbritannien an Europa gebunden werden, ohne dass die restliche Union vom separatistischen Virus angesteckt wird?« Und wieder tut man so, als ließen sich nicht auch internationale Verträge für einzelne Wirtschaftsbereiche schließen.

»Cherry picking« – zu deutsch eine liberale Handelspolitik

Hinter dem Vorwurf des »cherry picking« stand immer schon die Absicht, den Austritt am besten ganz zu verhindern oder, wenn nicht, so weit zu verdünnnen, dass erneut eine starke Abhängigkeit entstünde. Das Vorbild eines freieren Miteinanders existiert dagegen schon: Die Schweiz ist zahlreiche Handelsabmachungen mit der EU eingegangen, ohne sich global an EU-Recht zu binden. Das Neue der Situationen besteht wohl darin, dass mit Großbritannien eigentlich kein David vor dem Goliath EU steht, sondern es als eines der bevölkerungsreichsten und wirtschaftsstärksten Länder Europas von gleich zu gleich mit den Große der Union verhandeln kann, vielleicht sogar den einen gegen die andere ausspielen könnte.

Die neue Deadline könnte darauf hindeuten, dass Johnson ein eher einfaches Handelsabkommen abschließen will, das nur wenige Bereiche vereinheitlicht. Dennoch dürfte es noch einige hitzige Diskussionen um Fischereizonen und Steuersätze geben. Als leichteste Übung gilt dabei der produzierende Sektor, in dem die Briten seit Zeiten schwächeln; hier haben die Deutschen und auch einige andere EU-Partner am ehesten zu verlieren. Der wunde Punkt der Briten bleibt der Dienstleistungssektor. Doch haben sie noch einige Trümpfe in der inneren wie äußeren Sicherheit, also der militärischen wie auch der Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten. Auch hier gibt es Länder mit mehr oder weniger Technognosie.

Die »radikalste Queen’s Speech seit einer Generation«

Die Vorliebe des Premiers für die nationale Autonomie und eine liberale Wirtschaftspolitik könnte sich langfristig zu einem Plan »Singapur an der Themse« auswachsen – also zu einem weitgehend deregulierten Britannien, das es den Europäern mit niedrigen Steuersätzen und anderem mehr schwermacht (ähnlich wie jetzt schon das EU-Mitglied Irland darin abweicht). Zugleich hat es sich Johnson zum Ziel gesetzt, den Slogan des »One-Nation-Toryism« endlich mit Leben zu füllen. Das sollen Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung in der Breite des Landes erreichen. Die Globalisierung, so ein Minister aus Johnsons Kabinett, soll so für alle Teile des Landes funktionieren.

Johnson selbst nannte die von ihm geschriebene Queen’s Speech dieser Woche »die radikalste seit einer Generation«. Darin forderte er die Briten auf, ganz neu zu denken und ihren Platz in der Welt neu zu bedenken. Das ist es, was eigentlich auch für Deutschland und die EU anstünde – so sie denn nach innen diskurs- und nach außen handlungsfähig wären. Beides scheint dank einer fußlahmen Bundesregierung wie angesichts der gewohnten europäischen Disparatheit nicht der Fall zu sein. Großbritannien kann es nun besser haben, wenn Johnson Wort hält, mutig eine neue Strategie für sein Land finden und diese auch im Lande selbst durchsetzen kann. Die klare Tory-Mehrheit spricht dafür, dass das gelingen kann.

Den Staats- und Regierungschefs der EU kann man nur zurufen: Hört die Signale! Auch wenn die Briten immer ein eigensinniges Völkchen waren, ist der Brexit nicht nur für das Vereinigte Königreich von Bedeutung. Die Skepsis gegenüber dem Supranationalismus um jeden Preis wächst – auf osteuropäischen Regierungsbänken ebenso wie im noch unartikuliertem Protest auf der Straße. Es wird Zeit, das Subsidiaritätsgebot wieder ernst zu nehmen und Probleme möglichst niederschwellig und pragmatisch zu lösen, statt verzweifelt die Gunst der großen Zahl zu suchen und eine permanente »Ode an die Freude« in drei Gremien zu inszenieren.

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31 Kommentare

  1. Die Schweiz ist übrigens deutlich enger an die EU gebunden als Johnson das akzeptieren würde – inkl. Schengen Reisefreiheit. Und wenn man sieht, wieviel Zeit dort schon in die Einigung mit der EU über alle möglichen Einzelthemen gesteckt wurde, kann man sich vorstellen, welcher Berg von Arbeit da auf Johnsons Leute zukommt. Das wird wirklich gute Leute brauchen und man wird auf Experten vertrauen müssen – was ja nicht grade Johnsons Lieblingsbeschäftigung ist.

    • ach ja – auf Experten vertrauen ? Solche wie hier der Prof Pfeiffer bei Kriminalität oder die Klimahysteriker im Institut in Leipzig bei der globalen Erwärmung? Die braucht Boris so dringend wie einen Kropf. Und er hat Top Leute und Berater. Wie meinen sie denn hat er den Erdrutchsieg bei den Wahlen hingekriegt? Und gesunder Menschenverstand wie er ihn demonstriert hat kann auch nicht schaden.

  2. Wie lange dauert es denn im Schnitt, um internationale Freihandelsabkommen zu schließen? Liegt das nicht, mal ganz abgesehen von der EU, einige Jahre bis solch ein Vertrag unterschrieben werden kann?
    Woher nimmt Johnson die Kompetenz das in 12 Monaten hinzubekommen und mit wem?

  3. Die Briten machen Schule. Jede Wette.
    Und den Letzten beißen die Hunde. Wer der Letzte ist, weiß ich schon.

    • Eine untrainierte Garde von rhetorisch geschulten Nichtkönnern, voll der Überzeugung, die Besten zu sein und ohne Reflexionsvermögen, so dass das nicht mal im Ansatz in Frage gestellt werden kann?

  4. Merkel kann ganz stolz sein. Mit ihren Helfern in Deutschland und Brüssel hat Sie die Briten aus der EU getrieben. Das ist ein Desaster was da angerichtet würde.

    • @Bummi
      Das ist kein Desaster…das ist nur die logische Konsequenz!
      Das ist Europa… der Geist der Freiheit…der Selbstbestimmung!
      Die EU ist eine Diktatur und steht im Widerspruch mit Europa!

  5. Aus Eurokratenperspektive: Oberprimstens – die ewigen Störenfriede von der Insel mit ihrem sturen Festhalten an der Demokratie sind endlich weg, die ausfallenden Zahlungen werden von Deutschland übernommen, das damit noch schneller einknickt, jetzt kann der feuchte Traum vom durchzentralisierten, neofeudalen Überstaat, in dem obskure „Berater“ die Parlamente überstimmen können und die Einrichtung eines Zebrastreifens in einem polnischen Dorf durch ein Dutzend Instanzen der Brüsseler Ministerialbürokratie geht, gnadenlos durchgezogen werden.
    Froh bin ich, dass Deutschland kein einsatzfähiges Militär mehr hat, so dass es auch nicht involviert werden kann, falls die Spanier am 1.2.2020 ihre Pläne betreffend Gibraltar umsetzen wollen – GB hat die Zeit genutzt und zwei neue Flugzeugträger in Dienst gestellt, das gibt Falklands in Europa.

  6. Vielen Dank Herr Nikolaijadis, ein Glück gibt es noch Autoren die das glückliche Königreich richtig einordnen können. Was ich schon oft zu Bekannten sagte ist daß die EU eher geklammert hat als die Briten. Ach wären wir doch mehr british…

  7. Die Briten nannte er »Herren ihres eigenen Geschicks«
    Britannia Felix!
    Was hat Deutschland?Mülltrennung, Migration, Multikulti, Merkel.

      • Grossbritanniens Parlamant hat schon im Mai den Klimanotstand ausgerufen.

  8. Meine Prognose: Sollte Salvini oder Le Pen ernsthaft gewinnen, ist es das Ende des Euros. Das wird wirkliche Erschütterungen bringen.

  9. @nachtrag
    Und in 2 Jahren wird die Grande Nation…wird Frankreich aus der Kernenergie und CO2 Verbot EU aussteigen um es den erfolgreichen Briten nach zu machen. Die Kernenergie wird zwischen Deutschland und Frankreich stehen und Frankreich wird seinen eigenen Weg gehen…den Weg der Grande Nation mit und nicht ohne die Kernkraft ist Frankreich groß.
    Der Green Deal ist der letzte Nagel im Sarg der EU.

  10. Die EU ist ein Mafia Verein der Finanz NGOS dieser Welt und der internationale Sozialismus hat sich mit dieser Finanzmacht = Medien geld Propaganda ins Bett gelegt und gelangt mehr und mehr unter die Räder….zum Schluss bestimmt nämlich ein Soros oder andere Finanzspekulanten wo die Reise hingeht mit ihren Konstrukt EU. Nach dem Brexit hat Soros und co immer weniger Interesse an ihrem ehemaligen EU Werkzeug…die EU wird fallen gelassen und damit zerfällt dann die EU auch. Schon heute kann die USA, China und Russland mit einzelnen EU Länder bilaterale Wirtschaftsverträge abschließen und England wird dies in Zukunft noch einfacher haben… schließlich hat Frankreich ein Interesse daran, dass der Kernkraftwerk Bauvertrag des EPR in England erfüllt wird…auch betreibt EDF die Kernkraft Werke in England. Der Stromsektor in England ist zum grossen Teil in der hand von Frankreich EDF und als Geldgeber spielt auch China hier mit.
    Die Politik meint immer noch sie seien die Herren über das was passiert…der internationale Sozialismus meint das wirklich…nur wurde der Grüne Sozialismus nur als Marionette von den globalen Finanz NGOS gebraucht um deren Geschäfte=Spekulationen = Gewinne zu generieren. Der Green Deal versucht nun als letztes Mittel diese marktfeindlichen Politik Geschäfte zu retten bzw noch solange wie möglich Subventionen und Steuergelder ein zu kassieren!

    • Italien fiel auch ’43 und Mordor hielt…. In Berlin wird wie stets zuletzt das Licht gelöscht, wetten?!

      • Sagt Schukow. Irgendwie poetisch! 😀

      • Wobei das Löschen des Lichts diesmal tatsächlich hinsichtlich des zappelnden Strommanagements in einer ungünstigen Wetterlage vielleicht des Nachts tatsächlich von Deutschland ausgehen könnte…

  11. Warten wir doch mal ab, wie schnell sich die Vizegrad-Staaten auf gesonderte Beziehungen zu London besinnen, wie Russland diese suchen wird und Amerika hat es ohnehin schon angekündigt. Und dann wird plötzlich Monsieur Präsident unseres beliebten Nachbarlandes ein Licht aufgehen…

    • Und China und Australien und Kanada und das übrige Commonwealth. Und die Reichen aus Nord, Ost, Süd und West.

    • Ist auch meine Prognose. Ungarn hat mittlerweile ein GDP von 4,5% !!!
      Um das zu halten, müssen sie alternative Wirtschaftsbeziehungen haben. Die EU und Deutschland, werden dem nicht mehr genügen und zudem zusehends unattraktiv.
      Budapest alleine hat in den letzten 2-3 Jahren einen Zuwachs von 10.000en von Expatriaten.
      An Orbans Stelle würde ich die EU noch solange melken, wie es geht, um Infrastruktur aufzubauen und noch mehrere Fachkräfte nach Ungarn transferieren. Dann bilaterale Handelsbezeihungen mit GB aufbauen (übrigens auch deshalb wichtig, weil viele Ungarn in GB im Dienstleistungssektor arbeiten), sowie Schweiz und Norwegen

      Und dann heist es nur noch:

      Viszlát EU és Németország.

  12. EU-SCHRAUBE ÜBEDREHT

    Die EU in dieser Form funktioniert nicht. Man ist zu weit gegangen und hat aus einer zuvor überwiegend funktionierenden EG einen Gängelungs- und Zwangsapparat gemacht, der in erster Linie zu Lasten Deutschlands geht:
    -die Briten waren schon davor schlau genug, der €-Zone nicht beizutreten. Der € war eine finanzpolitische Totgeburt, die zu unserem Nachteil mit unverhältnismäßigem Aufwand künstlich am Tropf gehalten wird. Unser Volksvermögen wird verschleudert, wir müssen immer mehr und länger für immer weniger Geld arbeiten.
    -mit dem Austritt der Briten dürfte sich der absurde Gedanke der „Vereinigten Staaten von Europa“ wohl auch erledigt haben. Kein vereinheitlichtes Staatsgebiet kommt ohne einheitliche Sprache aus. Welche sollte das jetzt wohl sein? Die Weltverkehrssprache Englisch des Brexit-Landes GB?
    -Der Brexit hat der EU ihre Grenzen aufgezeigt. Auch unser Land muss wieder mehr seine Eigenständigkeit betonen und politisch leben. Vor allem hört der Spaß da auf, wo die kulturelle und wirtschaftliche Existenz unseres Landes auf dem Spiel steht. Die Briten waren schon immer in der Lage, einen interessanten Spagat zu leben: weltoffen zu sein und dabei sich selbst zu erhalten. Das muss man hierzulande aber erst noch lernen.

  13. Nicht „Am deutschen Wesen wird die Welt genesen“, sondern „Am Britischen Wesen wird Europa genesen.“ – voraussichtlich in einigen Jahren wieder einmal – wie schon bei Napoleon, Wilhelm II und Adolf Hitler.

    • Ich frage mich, ob unser Land nach der Behandlung durch unsere Chefärztin jemals wieder auf die Beine kommen wird.

      • Tragisch. Zumal der Patient den Ernst der Lage gar nicht erkennt und kurative Maßnahmen auch deshalb weder verlangt noch ergriffen werden…

    • Wer sagte: „Es werde Nacht oder die Preußen kommen?“

  14. Im Einleitungstext steht es geschrieben „vor den Toren der EU“. Auf einen Tor mehr oder weniger kommt es in der EU wirklich nicht mehr an, und Johnson kann es egal sein.

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