Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron (41) ist kein Freund leiser und hyperdiplomatischer Töne. Nun hat er in einem Interview für das britische Wirtschaftsmagazin The Economist heftig über die NATO (französisch: OTAN) losgelegt. Das Interview war zwar bereits am 21. Oktober in Paris geführt, aber erst am 7. November veröffentlicht worden.
Macron wäre nicht Macron, wüsste er nicht um die Brisanz dieses Termins. Am 3./4. Dezember findet in London schließlich der NATO-Gipfel statt. Dort will sich die NATO auch zu ihrem 70jährigen Bestehen feiern. Aber ob sie dazu noch willens und in der Lage ist? Denn der eigentliche Hammer, den Macron losließ, war nicht so sehr die Terminierung des Interviews, sondern die Diagnose, die er der NATO ausstellte: „L’Otan en état de mort cérébrale.“ (Die NATO befindet sich im Zustand des Hirntods.)
Macron wäre auch nicht der gerissene Macron, würde er mit dieser Diagnose nicht Schuldvorwürfe und Perspektiven verbinden. Als die maßgeblichen Schuldigen für seine Hirntod-Diagnose betrachtet Macron die Türkei und die USA: die Türkei wegen ihres „unkoordinierten, aggressiven“ Vorgehens in Nord-Syrien, die USA wegen der Verlagerung ihrer Interessen weg vom atlantischen Bündnis und damit von Europa hin zum Pazifik und damit zum Konkurrenten China. Über die USA und den US-Präsidenten sagte Macron: „Wir finden uns erstmals einem amerikanischen Präsidenten gegenüber, der unsere Idee des europäischen Projekts nicht teilt.“
Ergo, so Macron: Europa könne sich nicht mehr auf die USA verlassen. Deshalb müsse Europa aufwachen, seine militärische Souveränität wiedererlangen und sich mehr um seine eigene Verteidigung kümmern. Anderenfalls laufe es Gefahr, nicht mehr selbst über sein Schicksal bestimmen zu können. „Wenn Europa sich nicht als Weltmacht sehen kann, wird es verschwinden.“ Kurz: Macron sieht Europa und damit Frankreich weltpolitisch an den Rand gedrängt.
Da hat Macron nicht Unrecht. Einen – durchaus berechtigten! – Seitenhieb auf Deutschland und den Zustand der Armee des wirtschaftsstärksten EU-Mitglieds ersparte er sich allerdings. Die von der angehenden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zeitgleich orchestrierte Vision der deutschen Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, Deutschland wolle und müsse sich militärisch mehr einbringen, überging Macron. Wahrscheinlich nimmt er diese Vision nicht sonderlich ernst. Er weiß ja auch um den Zustand der Bundesregierung und des Bundestages.
Wie nicht anders zu erwarten, ergoss sich über Macrons implizite Diagnose, man könne beim Patienten NATO ja eigentlich die lebenserhaltenden Geräte abschalten, allenfalls mehr oder weniger lauer Widerspruch. Pflichtschuldig widersprachen ihm Merkel, Maas, AKK und der NATO-Generalsekretär. Besorgt widersprachen ihm auch die Polen und die Balten. Aber Macron legte nach: In seiner Auftaktrede zum zweiten Pariser Friedensforum vom 12. November – 100 Jahre nach der Waffenstillstandsunterzeichnung von 1919 – räumte Macron ein, einige „vor den Kopf gestoßen“ zu haben; aber er warf seinen Kritikern zugleich „Zimperlichkeit und Scheinheiligkeit“ vor. Solche Worte hat man gewiss auch in Nord-Mazedonien und Albanien vernommen. Deren Aufnahme in die NATO blockiert nämlich vor allem Macron.
Was führt Macron im Schilde? Will er einfach nur aufrütteln? Sorgt er sich um den europäischen Pfeiler der NATO, der ja nicht nur mit der Schwäche der Bundeswehr zu tun hat, sondern auch durch den Brexit in Mitleidenschaft gezogen werden könnte? Will er dem US-Präsidenten zeigen, dass er ihm Paroli bieten kann?
Wahrscheinlich ist es von allem ein wenig. Das Kernmotiv Macrons freilich dürfte dessen Rückbesinnung auf Frankreich als „la nation“ und „la republique“ sein, die ja nur außerhalb Frankreichs, aber zu Frankreichs Gefallen als „grande nation“ bezeichnet wird. Und gewiss erinnert sich Macron seines Vorvorvorvorvorvorvorgängers Charles de Gaulle (1959 – 1969), der den USA und der NATO die kalte Schulter zeigte, als er 1959 begann, französische Verbände sukzessive aus der NATO herauszunehmen, um dann zum 1. Juli 1966 die NATO gänzlich zu verlassen. Erst 43 Jahre später – unter Präsident Sarkozy – kehrte Frankreich 2009 in die Kommandostruktur der NATO zurück.
Nun, Macron wird es nicht bei Worten lassen. Er will den europäischen NATO-Part und nach dem Brexit die EU allein dominieren. Frankreich als Koch, die anderen inkl. Deutschland als Kellner in Kontinentaleuropa! Auf ein Deutschland, das geopolitisch völlig von der Rolle ist, muss er dabei keine Rücksicht nehmen. Zugleich lenkt Macron in sein eigenes Land hinein von Problemen ab (siehe „Gelbwesten“!), die ihm über den Kopf zu wachsen drohen. Und er will ja gewiss 2022 wiedergewählt werden – zum Beispiel gegen eine Marine le Pen, die in Umfragen aktuell gleichauf mit ihm liegt.
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Ich vermute mal, dass Macron weiter auf eine European Army spekuliert unter Führung von Deutschland und Frankreich (brrr ganz böses Kopfkino). Kam diese Idee von einer gemeinsamen Europa-Armee nicht sogar seinerzeit von Macron selbst und wurde dies von Frau Merkel nicht sogar begrüßt?
Die Teilung der Führung zwischen Deutschland und Frankreich denke ich soll nach Macron so aussehen: Hauptsächlich französische Firmen liefern die Waffen, den Hauptteil.
Franmkreich gibt an was gemacht wird. Deutschland darf den Hauptteil bezahlen und bekommt immer gerade so viel zu sagen, daß die Mittel der von Frankreich gewünmschten Höhe fließen.
Eine hirntote NATO, ein neuer kleiner Napoleon in Frankreich und eine hirngeschädigte deutsche Politik; irgendwie verschließt sich mir der Eindruck nicht, dass es langsam zappenduster wird!
Man verwechselt in Dtl. ständig „Frankreich“ mit „Europa“. Das sind zwei sehr verschiedene Dinge. In Nord- und Osteuropa ist Frankreich uninteressant, als Geldgeber für Osteuropa ohne Bedeutung (dafür hat man wenn dann doch D. und andere Staaten in der EU) und sicherheitspolitisch kann FR den USA bei weitem nicht das Wasser reichen. Das einzige, was Macron kann, ist nach Dtl. hineinwirken. Das tut er ja, deshalb dieser Artikel. Es geht sicherlich um Geld , irgendetwas für ein „europäisches“ Projekt bzgl. Militär oder Rüstung. Wie beim neuen europ. Kampfflugzeug, dessen Finanzierung vdL kurz vor ihrem Weggang nach Brüssel FR zugesichert hat. Die „Achse Berlin Paris“ gehört zu den Illusionen, die sich die dt. Politik macht.
Macron steht in der Tradition französischen Maulheldentums. Schon die Visionen Charles de Gaulles und seiner „Force de frappe“ hatten wenig Boden unter den Füßen. Wenn man sich allerdings vor Augen führt, dass Deutschland das einzige Land ist, deren Eliten an das Ende des Nationalstaates glauben, dann dürfte Macron mit seinem kaum versteckten Anspruch auf politische und militärische Führung in Europa auf mittlere Sicht hin Erfolg haben. Auch Dank Trump, der liebend gern heute als morgen das undankbare Westeuropa militärisch verlassen möchte und Dank Frau Merkel und ihrer potentiellen Nachfolger, die Deutschland auf allen Politikfeldern weiter in die Marginalität führen werden. Welche Folgen dieser moderate Neo-Chauvinismus für Europa haben wird, bleibt offen. Sicher ist nur, dass die meisten kleineren europäischen Staaten Frankreich als Stabilitätsfaktor gerne akzeptieren werden, während sich in der Mitte Europas ein 80 Millionenvolk aus der wirtschaftlichen und politischen Rationalität verabschiedet.
Der interessante Beitrag verdeutlicht eins, überall werden Fakten geschafffen, aber niemand weiß genau warum. Den Einfluss der Türkei zu reduzieren, finde ich richtig, sie wird mehr und mehr ein Satellit Russlands. Eine öffentliche geostrategische Einschätzung kann man wohl von keinem der ernst zu nehmenden Akteure erwarten, damit wäre ja keine Vertraulichkeit mehr zu erzielen. Deshalb sollte man in D genauer überlegen, welche Patienten konkret Macrons Diagnose erfüllen. Bei dem einen oder anderen erscheint es sicher sinnvoll, die lebenserhaltenden Maßnahmen einzuschränken oder abzubrechen. Eine Diskussion darüber wird aber bestimmt nicht öffentlich geführt werden, also auch nicht zum 70. Geburtstag der Nato.
Bei Diagnosen darf es natürlich nicht bleiben. Zumindest über den Kern der transatlantischen Partnerschaft muss rasch Klarheit geschaffen werden. Wenn auch Frankreich die Kommunikationskanäle mit dem Pentagon verlieren sollte, Steinmeier und Maas mit ihren reaktionären, wenig diplomatischen Ansichten setzten sicherlich falsche Konnotationen, dann steht es allerdings sehr schlecht um die freie Welt, und alles Interesse wäre auf UK gerichtet. Das kann Macron natürlich nicht wollen und müsste die Kontakte zu den USA, zur Not auch einseitig, wieder ertüchtigen. Das hoffe ich wenigstens.
Während deutsche Politiker, allen voran Merkel, die Selbstauflösung Deutschlands zugunsten eines europäischen Staates betreiben, outet sich Macron zu France first. Clever. Ich warte auf Bilder, bei denen er seinen angewinkelten Arm in den Jackenaufschlag schiebt…
Was die Franzosen aber endlich verstanden haben ist, dass man aus Deutschland viel Profit schlagen kann: Tue so als ob du ihren Träumereien und Ideologien mitmachst, mache auf guten Freund und Deutschland wird sich selber abschaffen, deine Banken retten und zu einem nützlichen „Kellner“ beim Regieren Europas.
Deutschland kann und will diesen Plan nicht durchkreuzen, die einzige aber dafür große Gefahr für Macron liegt in den inländischen Unruhen. Wenn die Briten weg sind ist in der EU niemand mehr auf Augenhöhe mit den Franzosen, denn wir machen uns selbst zur Witzfigur. Der Plan kann also funktionieren
Zustimmung. Und irgendwie schon süß, wie die Kulturmarxisten in Regierung und Bundestag haltlos von Europa schwärmen, und der Franzose knüppelhart seine, rein französischen, Interessen positioniert.
Die vielen Frauen in der Regierung haben Deutschland regelrecht an die Wand gefahren. Typen wie Scholz, Maas, Altmeier, und Seehofer sind auch nur Hampelmänner.
Pardon Monsieur Macron, Sie sind ein fabelhafter Kerl und haben eine Ader von Napoleon, ganz gewiss. Aber im Ernst, glaubt dieser Präsident was er verlauten lässt aus der Position der Schwäche? Ich jedenfalls glaube kaum, dass Monsieur sein Land aus dieser permanenten Krise von zu viel verbrauchen und zu wenig produzieren heraushieven kann.
Natürlich, wer gewählt ist hat die Pflicht seinen Leuten Mut zu machen, aber wäre es nicht viel besser erst mal die „kleinen“ Herausforderungen seines Landes zu lösen, ehe er sich an den fundamentalen Klippen der politischen Situation Frankreichs den Rumpf des Staates endgültig aufschlitzt? Der permante politische Druck auf den Straßen der „Grande Nation“ muss ihn doch zu Bedenken geradezu animieren.
Gerade in Frankreich ist die Brutalität der Erkenntnis zum Zustand der Republik beängstigend und erfordert den ganzen Einsatz des ersten Dieners seiner Nation.
Hier beginne ich selbst sehr nachdenklich zu werden, ob dieser Mann einem solchen Ansturm von Verlangen der Straße gewachsen sein wird. Sein sicher nicht nur auf Ihn selbst beschränkter Versuch von den eigenen Problemen abzulenken, was auch bei anderen Staatenlenkern zu beobachten ist, taugt nicht dafür das eigene Unvermögen im Amt zu kaschieren.
Jedoch muss die Fairniss zugestehen, dass er in Bezug auf den Zustand der Nato die ziemlich treffenden Worte fand, zu seiner wohl auch sehr ehrlichen Diagnose zum Zustand dieser wohl nicht mehr ganz zeitgemäßen Vereinigung der Willigen.
Selbstverständlich wäre, wie er das sicher richtig sieht, ein Waffengang der Nato mit einem imaginären Feind in Europa wohl ein Offenbarungseid. Aber auch er sollte sich mehr Gedanken darum machen, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, wenn es nicht schon in der Vergangenheit reine Dummheit war, Konflikte in wirtschaftlichen Bereichen mit Waffen zu lösen.
Gewiss, es ist eine der einfachsten Sachen der Welt seine Kontrahenden einfach mundtot zu machen, in dem man sie militärisch unterwirft. Hat das aber an den Grundvoraussetzungen für ein gedeihliches Miteinander der Völker jemals etwas positives bewirkt?
Wenn jetzt noch die BW ausfällt, und wer würde das bezweifeln bei klarem Verstand, dass das so wäre wenn, dem ist leider nicht mehr zu helfen sollte er glauben einen Krieg, wie immer geartet, führen bzw. gewinnen zu können.
Dies und Einiges mehr sollten die Scharfmacher, egal wie sie alle heißen bedenken.
Also Junges, nicht so viel über Krieg und Machbarkeit eines solchen Nachdenken, sondern vom Grund her die eigenen Probleme in den Griff kriegen, dann liegt ihr richtig.
Und der Ehrlichkeit halber bemerkt geht das nur wenn man die Ärmel hochkrempelt und arbeitet und nicht neidvoll auf den Nachbarn oder Andere schaut, sondern seinen Acker bestellt und darauf achtet, dass die Wildsäue nicht fröhliche Urständ feiern und die Kartoffeln vor der Reife einfach fressen.
Was ein Politiker sagt, dient einzig dem Zweck davon abzulenken, was er denkt, plant und tut. Mangels ernsthafter Bedrohung ist die NATO derzeit zweitrangig. Und gegen die asymmetrischen wie ideologischen Bedrohungen unserer Zeit bräuchte es weniger Kanonen als cojones, vornehmer ausgedrückt (politisches) Wollen. Solches sehe ich nur bei einer Minderheit außerhalb des Mainstreams. Und was la republique betrifft, die besteht doch heute schon zur Hälfte aus Kaff… nun ja, jedenfalls nicht aus Europäern. Da soll er ‚mal zusehen, daß er damit klarkommt il Monsieur le President le Grand.
Was soll Macron auch machen? Die USA haben Probleme mit China, ihren Schulden und ihrer Demografie; sie wollen und können uns langfristig nicht mehr schützen. Die Briten wollen v.a. wegen der deutschen Migrationspolitik den Brexit. Und Deutschland will neue instabile EU-Mitglieder, obwohl die EU jetzt schon zu viele Mitglieder für eine gewisse Handlungsfähigkeit hat.
Das Problem ist Deutschland und seine Wähler.
Sehe ich genauso, nur ist unklar, was die östlichen europäischen Staaten, vor allem Polen dazu sagen werden. Ob er sich unser Macroleon da nicht ein wenig verspekuliert? Ich denke, die USA werden auch unter Trump ungern ihre strategisch günstige Position vor Putins Haustür aus den Händen geben.
Macron und der Rest von Europa wird sich erst einmal einer kleinen Eiszeit in Zukunft stellen müssen…Ernteausfälle usw.
Macron hat Recht. Weder Nordmazedonien und schon gar nicht Albanien gehören in die EU.
Die Diskussion gerät ins richtige Fahrwasser. Macron hat mit jedem Wort recht.
Was fehlt, ist der gleiche Tonfall aus Deutschland. AKK steuert in die richtige Richtung, es mangelt aber noch an Support und genügend Krawall und Provokation in der Öffentlichkeit, um die Sache entschieden voranzutreiben.
Europa braucht dringend eigene militärische Schlagkraft.