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Vorwort zum Sonntag

„Wir haben die Lage falsch eingeschätzt“

21.08.2021

| Lesedauer: 2 Minuten
Nicht nur der Außenminister – vermutlich schätzen die meisten Menschen im Westen die Lage in Afghanistan und anderen muslimisch dominierten Gesellschaften noch immer falsch ein. Hoffentlich nicht auch demnächst die im eigenen Land.

Heiko Maas hat in dieser Woche einen richtig klugen Satz gesagt: „Wir haben die Lage falsch eingeschätzt.“ Der Außenminister hat damit allerdings nur die Lage in Afghanistan gemeint.

Da hatte man 2001 gedacht, Afghanistan mal eben von den tyrannischen Taliban zu befreien; dann würden die Afghanen von ganzem Herzen und mit fliegenden Fahnen auf die Seite des Westens hinüberstürmen. Doch schon damals hat Deutschland die Lage falsch eingeschätzt. Die Afghanen sind tief in ihrer eigenen muslimischen Kultur verwurzelt. Mit dem säkularen Westen und mit einer Regierung in Kabul, die am seidenen Faden der ausländischen Kuffar-Besatzung hing, wurde die Mehrheit der Afghanen niemals richtig warm. Warum sollten sie also mit deren überforderter Armee ihr Leben riskieren, wenn die „Taliban“ (= „Islam-Lernende“) kommen, mit denen sie religiös und national zusammengehören? Die Taliban genießen mehr Rückhalt im Land, als wir Deutschen uns das vorstellen können.

„Die armen Frauen jetzt in Afghanistan“, schrieb mir eine Freundin. Doch ich befürchte, auch sie schätzt die Lage falsch ein. Ein großer Teil der afghanischen Frauen ist vielleicht sogar froh, wenn ihre Töchter jetzt wieder anständig verhüllt herumlaufen, weniger teuflische Musik hören und weniger westliche Flausen im Kopf haben. „Endlich wieder Zucht und Ordnung in unserem Land.“

[inner_post 1] Auch ein großer Teil der Männer ist vielleicht erleichtert, dass wieder klar ist, wer Herr im Hause ist. Mit den 10 oder 20 Prozent Querdenkern nehmen die Taliban gerne den Kampf auf; das ist ja ihre göttliche Berufung, gegen das vermeintlich Böse mit (brutaler) Gewalt zu kämpfen. „Wir treten für die Rechte der Frauen und der Minderheiten ein, soweit sie mit der Scharia übereinstimmen“, betonen die Taliban. Das hört sich für muslimische Ohren sehr gut an; denn die Scharia aus Koran und klassischen Überlieferungen ist für Muslime „der Weg zur Oase in der Wüste“. Dieser Scharia-Weg ist in der gesamten muslimischen Welt unumstritten und steht selbstverständlich über den westlichen Menschenrechten. Lediglich die Interpretation dieses Weges ist unter Muslimen umstritten.

„Die Taliban sind noch im Mittelalter, die brauchen eine Reformation, eine Erneuerung von innen heraus“, so betont ein Kollege. Doch ich befürchte, auch er schätzt die Lage falsch ein. Die Taliban sind eine „Reformationsbewegung“. Genau wie Luther das Christentum zur Bibel und zu Jesus Christus zurückformen wollte, so wollen die Taliban den Islam zum Koran und zu Mohammed zurückformen (= reformieren). Da der große Prophet Mohammed für die Verschmelzung von Wirtschaft, Ethik, Kultur, Recht, Militär und Politik unter der Vorherrschaft der Religion steht, kommt genau das bei den Taliban heraus. Mehr muslimische Reformation als die Taliban geht nicht. Und das ganze fällt auf einen fruchtbaren Boden, der durch Jahrzehnte mehr oder weniger törichter ausländischer Besatzungen bestens gepflügt ist.

„Wir haben die Lage falsch eingeschätzt“, ein schonungsloses Resümee der deutschen Politik vor dem Scherbenhaufen in Afghanistan.

[inner_post 2] Das sollte eigentlich eine schrille Warn-Sirene für den deutschen Michel sein, der es sich im vermeintlich besten Deutschland aller Zeiten bequem gemacht hat: „Oh wie ist das schön im paternalistischem Merkel-Matriachat! Energiewende, EU-Schuldenunion, Willkommenskultur, Rentensicherheit, Covid-Politisierung – lobet die alternativlose Politik, die alles so herrlich regieret. Bedenkenträger und konstruktive Kritik brauchen wir nicht!“

Nicht dass der ergebene deutsche Untertan einmal am Scherbenhaufen Deutschland mit Heiko Maas feststellen muss: „Oh, wir haben die Lage falsch eingeschätzt.“

„Die Angst meines Herzens ist groß; führe mich aus meinen Nöten!“ (Die Bibel in Psalm 25,17)

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