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Bundesverfassungsgericht

Das Wahlrechtsurteil: Ein Schlag gegen die Demokratie

03.08.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
Genau besehen ist das Urteil ein Schlag gegen den Geist der deutschen Demokratie. Es stärkt die Funktionärskaste, dient dem Konformismus, dem Erzübel aller politischen Machtspiele und schwächt den Föderalismus.

Es sieht nach einem salomonischen Urteil aus: Der Bundestag wird kleiner und die CSU muss trotzdem nicht fürchten, an der bundesweiten Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Genauer besehen ist das Urteil jedoch ein Schlag gegen den Geist der deutschen Demokratie. Es stärkt die Funktionärskaste, dient dem Konformismus, dem Erzübel aller politischen Machtspiele und schwächt den Föderalismus.

I.

Das neue Wahlrecht hat die Ampel gegen jede demokratische Gepflogenheit nur mit sich selbst ausgemacht. Die Opposition wurde nicht beteiligt – obwohl es doch um die gemeinsamen Spielregeln geht. Die CSU (und die Partei Die Linke) atmen auf. Es wäre ein Putsch mit juristischen Mitteln gewesen – also ein typisch deutscher Putsch, wo Ordnung in jeder Lebenslage das halbe Leben ist, selbst wenn sie den Tod kostet. Denn die Partei, die fast alle Wahlkreise in Bayern gewinnt, wäre womöglich bald nicht mehr im Bundestag vertreten gewesen. Das Verfassungsgericht hält die Fünf-Prozent-Klausel ohne die sie einschränkende Grundmandatsklausel (mit drei Direktmandaten ziehen auch kleinere Parteien ins Parlament ein) für verfassungswidrig. Aber das ist allenfalls ein halber Trost.

II.

Gelockert wird nun die Bindung des Parlaments an die Wahlkreise. Es werden nicht mehr alle Wahlkreise mit direkt gewählten Abgeordneten vertreten sein. Das bedeutet, und darin besteht das eklatante Unrecht, dass in machen Wahlkreisen die Erststimme nicht mehr zählt. Nicht mehr in den Bundestag kommen einige, voraussichtlich in Bayern direkt gewählte CSU-Kandidaten, weil das Gesamtergebnis wie bisher das bundesweite Zweitstimmenergebnis spiegeln muss, künftig jedoch ein Überhang direkt gewählter Abgeordneter ausgeschlossen ist, also auch nicht mehr durch Ausgleichsmandate kompensiert wird. Damit gehen einige direkt gewählte Volksvertreter leer aus, übrigens gerade die, die sich in besonders knappen Entscheidungen durchsetzten.

III.

Das heißt: Die Wähler sind nicht mehr gleich. Zwar hat jeder zwei Stimmen, aber nicht überall zählen beide Stimmen, sondern nur noch die Zweitstimme, die de facto zur Erststimme wird. Doch kaum jemand regt sich darüber auf. Die meisten Wähler finden es einfach nur prima, dass die Zahl der Sitze im Reichstagsgebäude reduziert wird und weniger Berufspolitiker Steuergelder verbraten. Das Gespür für das ursprüngliche Wesen der Bundesrepublik aber geht in der Berliner Republik weitgehend verloren. Es spielt keine Rolle mehr, dass sich viele Wähler zuerst mit ihrer Heimat, ihrer Region identifizieren und in der Zentrale auch entsprechend vertreten sein wollen.

III.

Die Waage neigt sich zugunsten der Abgeordneten, die von den Listen kommen, die damit deutlich abhängiger von ihren Parteien sind als direkt gewählte Volksvertreter. Die sich in direkter Auseinandersetzung gegen Kandidaten der anderen Parteien durchgesetzt haben. Das zählt nicht mehr. Direkt gewählte Volksvertreter stehen im Wahlkreis im Kontakt mit ihren Wählern und wissen, wo sie der Schuh drückt. Es kommt bei der Direktwahl mehr auf die Persönlichkeit der Kandidaten an. Die Listen-MdBs bemühen sich um Wiederwahl vorwiegend durch angepasstes Verhalten gegenüber ihrer Partei, deren Angestellte sie de facto sind. Die direkt gewählten Abgeordneten sind dagegen ihren Wählern rechenschaftspflichtig. Sie sind in vielen Fällen weniger stromlinienförmig und fügsam. Eine Reform, die allein auf Kosten direkt gewählter Parlamentarier geht, stärkt die Parteien, und schwächt den Einfluss der Bürger bei der Auswahl der Abgeordneten. Es beschädigt den Geist der repräsentativen Demokratie, wenn immer mehr Abgeordnete nur noch ihre Partei repräsentieren und nicht mehr einen Wahlkreis.

IV.

Das höchste deutsche Gericht hat Recht gesprochen, aber nicht richtig geurteilt. Es hat sich, wie so oft, einen schlanken Fuß gemacht, und sich mit der Bundestagsmehrheit nicht angelegt, wie es seine Pflicht gewesen wäre. Es hat der Ampel wohl, der Opposition nicht weh getan. Es nützt den Parteien, aber nicht den Wählern. Dass das Bundesverfassungsgericht dennoch für ein durch und durch opportunistisches Urteil fast einhellig gelobt wird, ist bezeichnend für den lahmen Zustand der deutschen Demokratie. Das Gefühl für das, was Demokratie bedeutet, geht vor die Hunde.


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