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Nicht 19, sondern hunderte Fälle

Visa-Skandal: Alle Hebel in Bewegung gesetzt – zum Schaden deutscher Interessen

31.07.2024

| Lesedauer: 7 Minuten
Ein ermittelnder Bundespolizist berichtet von hunderten unberechtigten Einreisen aus Afghanistan, ermöglicht vom Auswärtigen Amt. Der Schluss, das eine oberste Bundesbehörde als Schleuserin tätig war, liegt nahe. Die Union scheut vor einem U-Ausschuss zurück. Andere fordern, dass Baerbock ihr Amt ruhen lasse.

Es sind eben nicht nur 19 Fälle, die von den Staatsanwaltschaften in Berlin in Cottbus untersucht werden. Ein Ermittler der Bundespolizei sagte nun gegenüber Focus online, dass im Rahmen der „drei Ermittlungen gegen drei leitende Beamte des AA“, die „sehr komplex“, also wohl zugleich umfangreich seien, zudem „hunderte nicht-berechtigte Einreisen“ untersucht werden. „All das muss untersucht werden, wir graben uns dabei durch alle Strukturen des AA und der deutschen Auslandsvertretungen.“

Dass das AA diese Tätigkeit nicht gern sieht, ist klar, es gibt offenbar erhebliche Widerstände im Amt gegen die Ermittlungen. Aber der interviewte Bundespolizist gibt sich stoisch: „Nichts kann uns dabei stoppen, auch wenn wir jeden Tagen den Unwillen des AA spüren.“ Die Zahl „hunderte“ klingt dabei nach einem Zurückrudern. Bisher war von tausenden Fällen die Rede, die von der Kriminalpolizei durchkämmt würden. Anscheinend haben sich nun in diesen hunderten Fällen stärkere Verdachtsmomente ergeben.

Das Reservoir an möglichen, denkbaren Prüffällen ist dabei enorm groß, wie Focus online ebenfalls berichtet: Allein seit 2018 – also in etwa drei Jahren Schwarz-Rot und drei Jahren Ampelregierung – wurden 12.000 Migranten von der Passpflicht ausgenommen, vor allem vermeintliche Palästinenser, Eritreer und Somalier, daneben angeblich Syrer und Afghanen. Dabei ist stets hervorzuheben, dass die Nationalitäten der Antragsteller ohne Pass oft gar nicht mehr eindeutig feststellbar sind. Unzählige Schein-Afghanen, Schein-Syrer, Schein-Palästinenser und Schein-Eritreer können so eingereist sein.

[inner_post 1] Auch ein großer Teil der 34.000 zum Teil über Pakistan und andere Länder nach Deutschland eingeflogenen Afghanen reiste ohne oder mit „nur primitiv gefälschten Dokumenten“ ein. Das wurde anfangs mit dem Fluchtcharakter der Ausreise gerechtfertigt. So schlich sich der Unrechtscharakter in die seit 2021 fast kontinuierlich fortgeführten Ausreisen ein. Ob es gültige, authentische Papiere gab oder nicht, war der Leitungsebene oft genug gleichgültig. So wie man sich an die illegalen Einreisen von „Syrern“, Afghanen und anderen an unseren Grenze gewöhnt hat, so auch – in kürzerer Zeit – an die Einreisen per Charterflug aus Islamabad, jedoch ohne Rechtsgrundlage.

Früh gab es die Berichte von Scharia-Gelehrten und Gefährdern, die so nach Deutschland kamen. Später wurde klar, dass auch Agenten unter den staatlicherseits eingeführten Migranten waren, etwa solche, die auch dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) aufgefallen waren und enge Kontakte zu einem Taliban-Führer oder auch der russischen Botschaft zugaben. In einem neueren Fall, den der Cicero recherchiert und geschildert hat, geht es um einen angeblich armen Friseur aus Afghanistan, der aber laut Berichten in der Islamabader Botschaft zahllose Regierungsdokumente aus Pakistan vorlegte und sich so verdächtig machte, besonders gute Beziehungen zur pakistanischen Regierung zu haben. Vielleicht war auch er ein Spion. Seine angebliche Familie wurde zum Teil schon nach Deutschland eingeflogen.

Das ganze Ausmaß des Skandals in einem Dokument

Seit 2022 wurde die Visumserteilung quasi systematisch trivialisiert und verwässert. In einer Weisung per E-Mail vom März 2022 hieß es bereits: „Der formelhafte Griff zu den bewährten Instrumenten wie der Urkundenüberprüfung ist nicht durchgehend zweckmäßig und muss durchdacht und ergänzt werden.“ (TE berichtete)

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Das Innenministerium verlangte „zusätzliche Sicherheitsinterviews“. Doch Baerbock verkündete in einem internen Schreiben vom 30. November 2022, hart bleiben zu wollen, im Zweifelsfall gar öffentlich „bis zu Ebene Bundesministerin“ zu „eskalieren“. Das Ergebnis war die Fortsetzung der bisherigen Politik – ohne zusätzliche Sicherheitsinterviews. Punktsieg für Baerbock, während ihre Mitarbeiter (in demselben internen Papier, das TE vorliegt) Methoden zur Umgehung der von den Sicherheitsbedenken gebildeten Lage ersannen. Dazu gehörten:

  • der „Ausbau der Gesprächskanäle“ mit Kabul über verschiedene Auslandsvertretungen, etwa auch in der katarischen Hauptstadt Doha, um „Reisefreiheit, faire Verteilung der Pässe“ und sogar die „Ausreise ohne Pass“ (!) zu erreichen.
  • „Passlieferung als Hebel“, „kommerzielle Lieferung von 3 Mio. Passrohlingen nach Kabul“, um „Menschen mit Aufnahmezusage zu einem Pass und damit zur Ausreise zu verhalfen“ – also ein diplomatischer Hebel nicht angewandt, um deutschen Interessen zu dienen, sondern um noch mehr afghanische Migranten nach Deutschland einzufliegen.
  • „Einwirken auf Schlüsselpartner PAK“ (= Pakistan): ein besonders perfides Manöver des AA, das versuchen wollte, die Pakistaner zur Fortsetzung der sogenannten „Taskira-Operationen“ zu überreden, das heißt: Einreisen aus Afghanistan in das südliche Nachbarland auch ohne Pass. Pakistan sei „bezüglich seiner eigenen Visavergabe … in der Pflicht“.
  • Schließlich werde auch die „Erschließung alternativer Ausreiserouten … immer dringender“. Angedacht waren Uzbekistan und „in kleinerem Umfang“ Tadschikistan, zwei muslimisch geprägte Länder im Herzen Asiens, mit denen die Ampel seit einiger Zeit eine Liaison anbahnt. In Taschkent wollte 2022 eine Delegation von Auswärtigem Amt, Innenministerium, Entwicklungsministerium sowie der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) „Ausreisen“ von Afghanen organisieren. Taschkent gab sich allerdings schon damals störrisch und wollte „bei generellem Interesse an Kooperation“ nicht von seiner „bisherigen Linie“ abweichen, was die Konditionen anging. Auch hier scheint man die Deutschen in diesen Dingen mit äußerstem Misstrauen beäugt zu haben. und vielleicht vor allem an den eigenen Vorteil („Konditionen“) gedacht, vielleicht auch in der simpelsten monetären Form des Zollstationen-Bakschisch.

Man sieht: Allein die geleakten Dokumente des letzten Jahres aus dem Auswärtigen Amt tragen noch viel in sich, was der Aufklärung bedürfte. Interessant ist, wie das deutsche AA anscheinend alle Hebel in Bewegung setzte, um Ausreisen aus Afghanistan über Pakistan an deutsche Flughäfen zu bewirken – bis hin in das zwielichtige Golf-Emirat Katar. Man sieht: Viele Botschaften im weiteren Umkreis konnten der Erleichterung von Einreisen aus Afghanistan und anderen Herkunftsländern dienen, auch als diplomatische oder reisetechnische Zwischenstationen. Deutsche Interessen standen dabei nicht im Vordergrund, vielmehr deren Schädigung.

Die Laxheit über Jahre könnte sich nun rächen

Doch im Auswärtigen Amt ist man der Meinung, dass es gar keinen Visa-Skandal geben könne, und zwar aus einem bestimmten Grund: „Man kann hier aber nicht von einem Visa-Skandal sprechen. Wir sind bei der Visavergabe an Recht und Gesetz und an Regeln gebunden, und die werden auch eingehalten.“ Doch eben das steht ja in Frage, nachdem konkrete Anweisungen leitender Mitarbeiter und generalisierte Weisungen der Führungsebene aufgetaucht sind, die eben die Missachtung grundlegender „Rechtsregeln“ empfahlen, vor allem die Ausstellung von Visa auch ohne gültige oder hochwertige Dokumente, korrekterweise von Pässen, die der Antragsteller selbst in einer Passstelle abgeholt hat.

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Die Praxis im Auswärtigen Amt zeichnete sich offenbar über Jahre durch eine große Laxheit bei der Anwendung administrativer Grundregeln aus. So gestand der leitende Referent Henning G. implizit ein, dass man sich gewohnheitsmäßig mit afghanischen Papieren von geringer Qualität zufriedengab und dennoch gerne deutsche Visa ausstellte, die den Träger zur Einreise ermächtigten, woraus dann meist noch ein Asyl- oder Schutzantrag folgte. Das bedeutet: Das Baerbock-Amt hat mit fadenscheinigen Argumenten und mangelhaften Verfahren Personen importiert, die niemals nach Deutschland hätten kommen dürfen. So etwas nennt man Schleusung, wenn es an deutschen Grenzen oder Flughäfen passiert. Man könnte es bei Charterflügen zwischen Islamabad und Berlin, Frankfurt oder Hannover genauso nennen.

Das hat die AfD-Vorsitzende Weidel getan: Das Auswärtige Amt habe „an geltendem Recht vorbei mutmaßlich als Schleuser agiert, um tausende Migranten ohne Papiere ins Land zu holen“. Die AfD-Bundestagsfraktion dringt seit letztem Jahr auf Aufklärung in dieser Sache und stellte im Dezember die erste Anzeige wegen Rechtsbeugung. Darauf folgte lange nichts. Stefan Keuter, AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, sieht die Vorgänge nicht als „Einzelfall“, sondern als „Spitze des Eisberges“. Alle involvierten Beamten müssten bis zur Klärung suspendiert werden. Alice Weidel ging dieser Tage weiter und forderte auf X angesichts der sich ausweitenden Visa-Affäre: „Baerbock hat ihr Amt bis zur Aufklärung ruhen zu lassen.“

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Union zögert wortreich vor einem U-Ausschuss

Doch die größte Oppositionsfraktion im Bundestag zögert noch, Konsequenzen aus der Sachlage zu ziehen. Sicher auch, weil man ja selbst zwischen 2018 und 2021 – und noch im Ortskräfte-Sommer 2021 – mit in der Sache drin hängt. Die CDU/CSU hat auch hier noch wichtige Weichen gestellt. Wie soll man nun also dagegen protestieren, wenn die Ampel einfach da weitermacht, wo man aufgehört hat? Der Ton ist folglich verhalten. Innenpolitischer Sprecher Alexander Throm (CDU) beklagt, die Bundesregierung lasse in dieser Affäre „jegliche Transparenz“ vermissen: „Da die Bundesregierung in der Affäre mauert, müssen wir alle Möglichkeiten einer parlamentarischen Aufklärung nutzen.“ Die CDU scheint vor allem zu stören, dass NGOs die Entscheidungen über Aufnahme oder nicht trafen. Die Namen der NGOs wurden zur „geheimen Verschlusssache“ erklärt.

Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Thorsten Frei, forderte gar gegenüber dem Cicero „strafrechtliche und politische Folgen“ für den Visa-Skandal im Auswärtigen Amt. Erst müssten aber alle Fakten auf den Tisch, „wenn nötig“ auch durch einen Untersuchungsausschuss: „Die jetzt schon vorliegenden Informationen legen den Verdacht nahe, dass im Auswärtigen Amt die Visavergabe zuweilen nach Gutsherrenart und über bestehendes Recht hinweg erfolgt ist.“ Das findet Frei „inakzeptabel“ und fordert die genannten Konsequenzen.

Daneben fordert er ein Ende des Bundesaufnahmeprogramms, das sich als missbrauchsanfällig erwiesen habe und für das zudem angesichts der „gewaltigen Migrationsherausforderungen … überhaupt kein Raum besteht“. Frei stellte oder erneuerte in dem Zusammenhang auch Forderungen nach:

  • Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien, wenn nötig über Nachbarländer,
  • eine Aktualisierung der Sicherheitseinschätzung des Auswärtigen Amtes zu Syrien,
  • Abschaffung des Individualrechts auf Asyl und Einführung von Asylkontingenten und schließlich
  • Asylverfahren in Drittstaaten und eine folgende Asylgewährung durch die beteiligten Drittstaaten (Ruanda-Modell).

Nach der Bundestagswahl will Frei angeblich nur dann in eine Koalition eintreten, wenn „der Partner ernsthaft gewillt ist, gemeinsam mit uns die irreguläre Asylmigration zu beenden und die humanitäre Migration zu begrenzen“. Man wird Frei und die Union hier an ihren Taten messen müssen.

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Rest der Opposition schießt sich auf Baerbock ein

Der Druck aus weiteren Oppositionsparteien wächst derweil. Aus dem BSW gab es bereits eine kritische Frage des Abgeordneten Christian Leye, der interne Untersuchungen im Auswärtigen Amt vermisst. Die Linkspartei, von der sich das BSW abgespalten hat, fordert derweil ganz im Gegenteil ein „Ende der Visa-Blockade“ für Kinder aus dem Gaza-Streifen. Auch eine Art mit einer Visa-Affäre im Auswärtigen Amt umzugehen.

Für Hans-Georg Maaßen, Jurist und Vorsitzender der sich formierenden Werteunion, steht laut einer aktuellen Pressemitteilung fest: „Das, was Frau Baerbock macht, widerspricht dem Gesetz. Ein Visum darf nur bei gültigen Pässen erteilt werden. Baerbock zeigt wieder einmal, dass diese Bundesregierung nicht bereit ist, sich an Recht und Gesetz zu halten.“ Für dringlich hält Maaßen nun vor allem eine „Aufarbeitung der Frage, in welchem Maße Annalena Baerbock konkret in die Affäre verwickelt ist“.

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ÖRR schließt beide Augen und berichtet von den stolzen Taliban

Derweil duckt sich ein Teil der Presse und vor allem das öffentlich-rechtliche Fernsehen samt Rundfunk sehr konsequent weg. Apollo News bemerkt, dass es noch keinen einzigen Beitrag der Tagesschau zum Baerbock-Skandal gibt. Nicht anders steht es bei der ZDF-Sendung heute. Das Thema Visa-Skandal existiert dort schlicht nicht wie so viele andere Themen und Gesichtspunkte der aktuellen Lage.

Stattdessen kontern Tagesschau und etwa auch die Süddeutsche Zeitung die Visa-Berichterstattung mit einer verwegenen Meldung, wonach nun die Taliban nicht mehr Pässe und Visa anerkennen wollen, die von afghanischen Vertretungen in westlichen Ländern ausgestellt wurden. „Sämtliche Dokumente, die afghanische Botschaften und Vertretungen in den folgenden westlichen Ländern ausgestellt hätte, besäßen keine Gültigkeit mehr“, heißt es in der Meldung.

Subtext-Botschaft: Nicht mit afghanischen Pässen und „Visa“ gibt es ein Problem, sondern mit uns Westlern und vielleicht mit den stolzen Taliban. Und das sei ein Problem zumal für Deutschland mit seiner afghanischen Exilantengemeinde: Jetzt müssten Ausländerbehörden vielleicht „in zehntausenden Fällen“ Passersatzpapiere ausstellen. Oder wurde es nun vielleicht auch den Taliban zu viel mit der deutschen Empörung über Proxypässe und falsche Visa vom Auswärtigen Amt? Möglich ist alles. Baerbocks Visa-Skandal hat Kabul erreicht.

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