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Glosse

Steinmeiers Ordensleute

22.11.2023

| Lesedauer: 2 Minuten
Es regnet Orden: Der amtierende Bundespräsident überreicht sechs (!) amtierenden Ministerpräsidenten das Bundesverdienstkreuz. Ist das nun dreiste Dekadenz der politischen Klasse – oder sind es die letzten Zuckungen eines sterbenden Systems?

Im Normalfall guckt kein vernünftiger Mensch auf der Internetseite des Bundespräsidenten nach, was für Termine Frank-Walter Steinmeier denn so hat. Es gibt nun wirklich Spannenderes – oder besser: Alles ist spannender als das.

Am kommenden Freitag aber enthält der Kalender ein echtes politisches Kleinod: Da verleiht unser Staatsoberhaupt den „Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland“, im Volksmund Bundesverdienstkreuz genannt – und zwar an diese Menschen:

  • Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
  • Reiner Haseloff (CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
  • Winfried Kretschmann (Grüne), Ministerpräsident von Baden-Württemberg
  • Bodo Ramelow („Linke“), Ministerpräsident von Thüringen
  • Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen
  • Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg.

Der Bundespräsident zeichnet also sechs amtierende Länder-Regierungschefs aus. Und ohne jeden Anflug von Neid fragt man sich: wofür eigentlich? Haben die unter Einsatz ihres eigenen Lebens Ertrinkende aus den Fluten gerettet? Zumindest auf Malu Dreyer trifft das, wie wir wissen, auf keinen Fall zu. Und dass die anderen irgendwann einmal in ihrer Dienstkarosse eine Schwangere mit geplatzter Fruchtblase zur Entbindungsstation oder ein Lebendherz zur Organtransplantation transportiert hätten, ist auch nicht bekannt.

Das Bundesverdienstkreuz ist „die höchste Anerkennung, die die Bundesrepublik für Verdienste um das Gemeinwohl ausspricht“. So formuliert es das Bundespräsidialamt. In der Praxis ist es ein Orden, dem man ab einem bestimmten Jahreseinkommen kaum noch ausweichen kann. Alternativ reicht auch ein bestimmter politischer Einfluss.

Es ist eigenartig, was mittlerweile alles als Leistung am Gemeinwesen angesehen wird.

Angestellte Vorstandsvorsitzende von Großunternehmen werden mit dem Argument geehrt, dass sie dem Standort Deutschland geholfen hätten. Aber wenn sie’s getan haben, dann wurden sie dafür bezahlt, haben also ihren Job gemacht. Dafür braucht’s kein Kreuz. Geradezu pervertiert wird die Idee von „Verdiensten um das Gemeinwohl“, wenn Berufspolitiker geehrt werden: für ein vermeintliches Leben im Dienst der Allgemeinheit, das in Wahrheit ein Leben auf Kosten der Allgemeinheit ist, denn die bezahlt den Politiker ja.

Und das nicht zu knapp. Fast immer verdienen Politiker deutlich mehr, als sie in einem anständigen bürgerlichen Beruf jemals verdienen könnten. Deshalb gehen Menschen auch ausschließlich freiwillig in die Politik. Es sind keinerlei Berichte von bemitleidenswerten Geschöpfen überliefert, die mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen worden wären, für ein politisches Amt zu kandidieren.

Wozu also Orden? Dass der Berufspolitiker sein ganzes Leben lang keinen anderen Job gefunden hat, mit dem er sich an der Wertschöpfung hätte beteiligen können – ist das etwa ein Grund, ihn auch noch besonders auszuzeichnen?

Vielleicht ist es ja auch einfach nur ein begriffliches Missverständnis – und das Bundesverdienstkreuz wird sozusagen aus Versehen besonders oft an Menschen mit hohem Verdienst statt an Menschen mit besonderen Verdiensten verliehen.

Es gäbe freilich noch eine andere Erklärung dafür, dass es vom lebenslangen Berufspolitiker Steinmeier nun Orden auf sechs andere lebenslange Berufspolitiker regnet: Bevor kranke Tannenbäume eingehen, produzieren sie noch einmal besonders viele Zapfen.

Sollten die Orden für unser politisches System etwa das sein, was die Zapfen für Tannenbäume sind? Wir wissen es auch nicht. Aber wir werden es weiter für Sie beobachten. Versprochen.

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