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die Ukraine zeigt, wie der Westen einmal war

Siehe da, eine Nation!

18.03.2022

| Lesedauer: 4 Minuten
Im Westen bewundert man den Abwehrkampf der Ukrainer. Dabei müsste deren nationaler Stolz den politisch-medialen Haltungseliten hierzulande eigentlich zuwider sein.

Ein Ruf geht derzeit um, in der Ukraine und in der ganzen Welt: „Слава Україні“ – „Slawa Ukraini!“ – Ruhm/Ehre der Ukraine! Er ist in unzähligen Videos zu sehen oder zu hören, die ukrainische Soldaten, Zivilisten, Politiker zeigen, er steht unter Tausenden Tweets und anderen Texten im Internet. Selbstverständlich gibt es auch einen Wikipedia-Eintrag.

Die Bewunderung, die die Ukraine in den Ländern des Westens nun erfährt, ist auch dadurch zu erklären, dass sie dort in Erinnerung ruft, wie und was man selbst einmal war. Denn dieser Krieg macht die Welt mit einem politischen Phänomen bekannt, das der dominierende Diskurs der westlichen Öffentlichkeit für historisch delegitimiert hält und als eine Quelle von Unterdrückung, Diskriminierung, „Menschenfeindlichkeit“ und so ziemlich allen Übeln der vergangenen beiden Jahrhunderte ausgemacht hat, und das deswegen aktiv zu überwinden sei: die Nation.

Wenn es bislang noch irgendeinen Zweifel daran gab und falls Putin tatsächlich am Vorabend seiner Invasion glaubte, was er in seiner bizarren historisierenden Rechtfertigungsansprache verkündete, nämlich dass die Ukraine keine eigene Nation sei, sondern ein „Brudervolk“, das zu Russland gehöre, dann haben die Ukrainer (ja, nicht einige Menschen, die zufälligerweise in der Ukraine leben, sondern die Ukrainer) dem Kremlherrn, der Welt und vor allem sich selbst bewiesen, dass sie eine sind.

[inner_post 1] Ihr Widerstand und Zusammenhalt belegt, was Ernest Renan 1882 als  Antwort auf die Frage „Was ist eine Nation?“ theoretisch formulierte: „Die Nation ist eine große Solidargemeinschaft, die durch das Gefühl für die Opfer gebildet wird, die erbracht wurden und die man noch zu erbringen bereit ist. Sie setzt eine Vergangenheit voraus und lässt sich dennoch in der Gegenwart durch ein greifbares Faktum zusammenfassen: die Zufriedenheit und den klar ausgedrückten Willen, das gemeinsame Leben fortzusetzen. Die Existenz einer Nation ist (man verzeihe mir diese Metapher) ein tägliches Plebiszit, wie die Existenz des Individuums eine ständige Bekräftigung des Lebens ist.“

Natürlich betonen die opferbereiten Ukrainer und ihr Präsident immer wieder den Wunsch, ja, die Forderung nach der Aufnahme in die Europäische Union. Man verteidige in der Ukraine nicht nur das eigene Land, sondern auch die Ideen des Westens (zu dem zumindest früher auch die Idee der Nation gehörte) und dessen Freiheit. Aber der Ruf, der den Ukrainern den Mut gibt, sich den russischen Invasoren bewaffnet zu widersetzen, lautet nicht „Ruhm der Menschheit“ oder „Ehre Europas“, sondern „Ruhm der Ukraine“! Dass das ukrainische Staatswesen ein reichlich korruptes war, steht auf einem anderen Blatt. Eine Nation ist eben gerade nicht identisch mit den Exponenten des Staates. 

Im politisch-medialen Betrieb des Westens und erst recht Deutschlands, der sich nun die Solidarität mit jener Ukraine auf die Fahne geschrieben hat, muss man merken, dass da irgendwas nicht ganz stimmt, wenn sich etwa eine Grüne Berufspolitikerin wie Rebecca Harms nun diesen Ruf zu eigen macht:

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Ein FAZ-Redakteur kommt unter der an Renan erinnernden Überschrift „Das Volk als Schicksalsgemeinschaft“ zu der Erkenntnis: „Wer vom Ukraine-Krieg spricht, kann vom Volk nicht schweigen.“ Und er wagt es sogar, den gedanklichen Schritt von der Ukraine nach Deutschland zu tun: Er erinnert dabei an all die einstigen Selbstverständlichkeiten, die im postnationalen Deutschland längst als peinliche Überbleibsel aus der vor-postnationalen Zeit gelten: den Eid der Bundeswehrsoldaten, „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“, den Eid des Kanzlers, seine Kraft „dem Wohle des deutschen Volkes“ zu widmen. Und er schreibt sogar: „Jedes Volk ist sich zunächst selbst das nächste.“ Da dürfte es reichlich Unbehagen unter den Kollegen gegeben haben.

„Ruhm/Ehre der Ukraine!“ – Dieser Ruf der Verteidiger muss zutiefst verstörend sein für Regierende, die wie Robert Habeck „Vaterlandsliebe … stets zum Kotzen“ fanden und sich wie Annalena Baerbock Außenpolitik als Weltinnenpolitik vorstellen, und für regierungsnahe Aktivisten, die „No Borders, no Nations“ zu ihrer Parole erkoren haben. „Ruhm/Ehre der Ukraine!“ – Im Diskurs der westlichen Welt wirkt das wie ein völlig anachronistischer Fremdkörper. Wer wagt es sonst in Deutschland und anderen westlichen Ländern auf Twitter, Wörter wie „Ruhm“ oder „Ehre“ zu verwenden im Zusammenhang mit dem eigenen Land?  

[inner_post 2] Doch nun zeigt ein fremdes Land, dass offenbar nur eine Haltung, die der post-nationalen Überzeugung der westlichen politisch-medialen Klasse der Gegenwart zutiefst zuwider ist, Menschen in die Lage versetzt, der Aggression einer imperialen, freiheitsfeindlichen Macht zu trotzen (obwohl das auch vorher schon eine Lehre der Geschichte hätte sein können). Wie wäre wohl Putins Invasion verlaufen, wenn die Ukrainer so wären, wie die meisten Gesellschaften in Europa schon sind oder zumindest nach Wunsch ihrer Meinungsbildner sein sollten? Wenn die Ukrainer in ihrer Mehrheit Habecks Haltung zum eigenen Vaterland teilten, wenn sie zum Großteil den Wehrdienst aus Gewissensgründen verweigerten und die Grenzen des eigenen Landes für nicht schützenswerte Relikte hielten? Putins Aggression wäre vermutlich erfolgreich, seine Truppen stünden wohl längst unmittelbar an der polnischen, slowakischen, ungarischen und rumänischen Grenze. 

Man muss sich das klarmachen: In der Ukraine kämpfen und sterben Menschen unter dem Beifall und mit Unterstützung der westlichen Eliten, deren auf die eigene Nation bezogene Haltung von ebenjenen eigentlich zutiefst verachtet und politisch delegitimiert wird. Es ist absurd: Die im Westen woke sind und „No Borders, no nations“ fordern, applaudieren, bewundern und unterstützen, können das letztlich nur so lange, wie es noch genug der von ihnen Verachteten gibt, die zwischen ihnen und der Gewaltherrschaft stehen und die eigenen Grenzen und die eigene Nation und damit die Freiheit schützen.

So eine Erkenntnis, dass zwischen den selbsterklärten Postnationalen und der Bedrohung durch Putinismus oder andere freiheitsfeindliche Kräfte nur die Wehrhaftigkeit von national gesinnten Menschen steht, verunsichert die Verächter der Nationen natürlich. Da aber Schweigen oder Selbstkorrektur nicht vorgesehen sind bei jenen, die sich so gerne auf große Trommeln schlagen hören, versuchen nun Luisa Neubauer und Co diesen Krieg in die eigenen Denkschemata und Feindbilder zu pressen. Dabei kommen dann Idiotien wie „Putins fossiler Krieg“ heraus oder „Frieden und Klimagerechtigkeit ist eins in diesem Moment“, die sich nicht für die Unabhängigkeit und Freiheit der Ukrainer interessieren, sondern nach zusätzlicher Legitimation für den eigenen Klimaschutzaktivismus gieren – und der Eitelkeit von Neubauer und Co neue Gelegenheiten schaffen sollen. 

Bezeichnend, dass Neubauer selbst in dieser Lage das Gendern nicht versäumt. 

Übrigens sind diejenigen, die in der Ukraine kämpfen (müssen), in überwältigender Mehrheit Männer. Während Frauen und Kinder fliehen dürfen. Neben der Legende von der Nation als Erfindung zur Unterdrückung von Menschen, die eigentlich nur Menschen und sonst nichts sind, zerplatzt in der Ukraine derzeit ganz nebenbei auch die Illusionsseifenblase vom Geschlecht als sozialem Konstrukt.

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