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Spaziergang statt Fastnacht

Rosenmontag in Mainz: „Spaziergänger“ wollen die Straße für sich erobern

23.02.2022

| Lesedauer: 3 Minuten
Der Mainzer Rosenmontagszug fällt zum zweiten Mal in Folge aus. Die „Spaziergänger“ könnten in dieses Vakuum stoßen – sie kündigen Veranstaltungen mit mehreren Tausend Besuchern an.

Es gibt keine Formel für Spaß am Rosenmontag. Aber wenn es sie gäbe, würde sie lauten: Spaß am Rosenmontag ist Alkohol plus Aussicht auf Sex zum Quadrat. Wer an dem irren Treiben rund um den Rosenmontagszug keinen Partner findet, der braucht es an den anderen 364 Tagen des Jahres erst gar nicht zu versuchen.

Doch zum zweiten Mal in Folge gibt es in Mainz am Rosenmontag keinen Zug. Keine närrischen Motivwagen, keine Bonbons, die geworfen werden, und auch keine Rosenmondnacht. Wo sonst in der Dämmerung die Leute eng beieinander stehen, trinken und „Zehn nackte Frisösen“ beschwören. Doch es gibt ein Ersatzangebot: Von den nicht gebauten Motivwagen gibt es Skizzen. Die können sich Besucher in einer Ausstellung ansehen. Burner.

[inner_post 1] Dieser Rosenmontag wird ein neuralgischer Tag für Mainz. Dazu hat der eigene Oberbürgermeister beigetragen. Auch wenn der Zug ausfalle, falle die Fastnacht ja nicht aus, hat Michael Ebling (SPD) gesagt. Das sollte volksnah klingen, das sollte aufmunternd wirken – das könnte aber jetzt zum politischen Boomerang werden. Denn statt eines normalen Werktags, wie es der Rosenmontag in Hamburg, Süderbrarup oder Schwedt ist, bleiben die 24 Stunden zwischen Sonntag und Dienstag im Fokus – und um die kämpfen nun zwei Gruppen.

Beide Gruppen lassen sich jeweils nicht mit einem Wort beschreiben. Denn sie haben sich selbst keinen Namen gegeben. Also müssen Dritte Worte für sie finden. Keine dankbare Aufgabe. Denn beiden Seiten geht es um eine Haltung. Auch. Vor allem aber neigen beide Seiten dazu, die Deutungshoheit haben zu wollen. Angefangen mit ihrem Namen. Letztlich aber darüber, was richtig in der Pandemie ist.

Die einen sind die Spaziergänger. Sie demonstrieren gegen die Freiheitsbeschränkungen, mit denen Infektionen mit dem Corona-Virus verhindert werden sollen – und sehen sich selbst als Opposition, als Erneuerung der Fastnacht. Ihre Gegner würden sie gerne als „Querdenker“ bezeichnet sehen, noch besser als „Covidioten“ oder schlicht Nazis. Sie mobilisieren zu einer Sternfahrt. Stimmen ihre Ankündigungen, sollen Tausende Besucher am Rosenmontag via Sternfahrt nach Mainz kommen.

[inner_post 2] Die anderen befürworten die Maßnahmen. Sie stehen für die offizielle Fastnacht, die organisiert und vertreten wird von Vereinen wie dem Mainzer Carneval-Verein (MCV). Ihre Gegner wiederum reden von Mainstream oder böser von „Untertanen“ und „Schlafschafen“. Sie distanzieren sich von den Plänen, wollen sich die Deutungshoheit über die Fastnacht nicht nehmen lassen. Sie haben am Rosenmontag aber einen strategischen Nachteil. Zu ihrer Überzeugung gehört, freiwillig auf alles zu verzichten, wofür Fastnacht steht: auf die Straße gehen, sich näher kommen, feiern, singen und umarmen. Ihre Ersatzangebote verkaufen sie mit Worten wie: „Auch wenn’s ebbes närrisch wird, wir bleiben trotzdem vernünftig und schützen uns so gut als möglich.“

Mit diesen Worten lässt sich die Andau im führenden Mainzer Online-Portal, „Merkurist“, zitieren. Klingt ein wenig nach Kinderdisco mit alkoholfreiem Punsch. Und vor allem klingt es staatstragend.

Die Fastnacht sei aber da, um die Mächtigen zu ärgern, sagen die Spaziergänger. Sie zu parodieren, sie zu kritisieren. Und so kursieren denn Papiere, in denen die Obrigkeit verballhornt wird und in denen vor allem elf Spaziergänge entlang neuralgischer Punkte der Innenstadt angekündigt werden. Außerdem vertreiben sie Buttons, Aufkleber oder Narrenkappen mit Aufschriften wie „Impfzwangfrei Spaß dabei!“ oder „Es reicht/Grundrechte retten“. Sie machen sich über die „Honorationen-Fastnacht“ lustig und beanspruchen für sich: „In der Tradition“ zu stehen „der gegen die Obrigkeit aufmüpfigen politisch-literarischen Fastnacht, der Grundrechte und (für) eine freie Impfentscheidung“.

Der Rosenmontag könnte wild werden in Mainz. Tausende Besucher halten die Spaziergänger in ihren Papieren für möglich. Sie wollen durch die Stadt ziehen, beweglich sein. An unterschiedlichen Orten Kundgebungen durchführen. Für die Polizei könnte das bedeuten, dass der Rosenmontag mit einem enormen Aufwand verbunden wäre. Wenigstens das wäre wieder ein Stück Normalität.

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