Wer auf einer privaten Homepage Frauen regelmäßig als „Menschen zweiter Klasse“, als „minderwertige Menschen“ und als „den Tieren näherstehend“ bezeichnet, ist gewiss ein Fall für die Justiz, aber noch mehr ein – vermutlich therapieunfähiger – Fall für die (geschlossene?) Psychiatrie. Denn es wäre in der Kriminalgeschichte nicht das erste Mal, dass ein pathologischer Frauenhasser es nicht bei verbal ausgedrücktem Hass belässt.
Bleiben wir zunächst in chronologischer Darstellung bei der juristischen Betrachtung des „Falls“: Vom Amtsgericht Bonn wurde der Betreffende zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen (entsprechend etwa einem Zwei-Monate-Netto-Einkommen) verurteilt. Der „Herr“ ging damit in die nächste Instanz vor das Landgericht (LG) Bonn. Dieses sprach den Angeklagten frei, indem es die Auffassung vertrat, dass das Strafgesetzbuch in Paragraph 130 (StGB, „Volksverhetzung“) nur Gruppen schütze, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder ihre sozialen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, ihren Beruf oder ihre soziale Funktion erkennbar seien. Eine geschlechtsspezifische Bestimmung nehme die Norm dagegen nicht vor. Die Gesetzgebungsgeschichte zeige, dass der allgemeine Geschlechterschutz von der Norm gerade nicht beabsichtigt sei.
[inner_post 1] Dagegen wiederum legte die Staatsanwaltschaft Revision ein. Das Oberlandesgericht Köln (OLG) hob den Freispruch am 9. Juni 2020, veröffentlicht am 15. Juni 2020, auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer des LG zurück. Zu den von Paragraph 130 StGB geschützten „Teilen der Bevölkerung“ zählten, so das OLG, auch Frauen. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut des Gesetzes, der Auslegungshistorie, der Systematik und aus dem Zweck der Vorschrift. Das heißt: Pauschale Verunglimpfungen von Frauen können als Volksverhetzung strafbar sein. Denn, so das OLG, Hauptanwendungsbereich der Vorschrift sei zwar der Schutz von Minderheiten, es seien nach Wortlaut, Sinn und Zweck aber auch Angriffe auf die Menschenwürde von Frauen erfasst. Und weiter: Zwar werde in der juristischen Fachliteratur vereinzelt argumentiert, dass die Vorschrift nur dem Minderheitenschutz dienen solle und aus diesem Grund die Vorschrift für Frauen als statistische Mehrheit der Bevölkerung nicht anwendbar sei. Dafür könne als Argument ins Feld geführt werden, dass Angehörige der Mehrheitsbevölkerung von Anderen nichts zu befürchten hätten, weil ihnen alleine die zahlenmäßige Überlegenheit genügend Schutz biete. Eine solche Konzeption finde aber im Gesetzeswortlaut keinen Ausdruck. Die Rechtsanwendung könne zudem kaum von Zufälligkeiten der (möglicherweise wechselnden) Majoritätenbildung abhängig gemacht werden, merkt das OLG an. Auch zeige die Historie der Vorschrift eine Entwicklung zu einem umfassenden „Anti-Diskriminierungstatbestand“ auf. Der in den Schutzbereich einbezogene Teil der Bevölkerung sei keineswegs anhand der ausdrücklich erwähnten Merkmale beschränkt. Zwar möge der Hauptanwendungsbereich der Vorschrift in der Praxis nach wie vor im Bereich rechtsradikaler Hetze gegen Minderheiten liegen. Unter die Vorschrift fielen aber auch diskriminierende Äußerungen gegen Frauen. Da der Angeklagte mit seinen Äußerungen Frauen unter Missachtung des Gleichheitssatzes als unterwertig dargestellt und ihre Menschenwürde angegriffen habe, sei davon auszugehen, dass er den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt habe. Konkret heißt das: Wer Frauen verunglimpft, kann für bis zu drei oder gar fünf Jahre ins Gefängnis gehen.
Schauen wir uns als juristische Laien den Paragraphen 130 („Volksverhetzung“) im Wortlaut an. Dort heißt es in Absatz (1):
- Wer in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe, gegen Teile der Bevölkerung oder gegen einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert oder
- die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er eine vorbezeichnete Gruppe, Teile der Bevölkerung oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer vorbezeichneten Gruppe oder zu einem Teil der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
Bislang kam der Straftatbestand des § 130 StGB vor allem dann zum Tragen, wenn jemand den Holocaust billigte, leugnete oder verharmloste. Dann drohte eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren. Das Bundesverfassungsgericht lehnt hierbei eine Berufung auf Artikel 5 des Grundgesetzes (Meinungsfreiheit) ab, denn die Holocaustleugnung ist eine unwahre Tatsachenbehauptung, die nicht durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein kann.
[inner_post 2] Im vorliegenden Fall (AG Bonn, LG Bonn, OLG Köln) ist der „Knackpunkt“ nicht so sehr die Frage nach der Meinungsfreiheit, sondern der Passus „Teile der Bevölkerung“. Oder als Frage: Sind Frauen „Teile der Bevölkerung“? Als „Teile der Bevölkerung“ waren bislang Personen gemeint, die durch ihre politische oder weltanschauliche Überzeugung oder durch soziale oder wirtschaftliche Verhältnisse als besondere Gruppe erkennbar sind: Soldaten, Bauern, Richter, Ausländer, Flüchtlinge, Juden, Türken … etc.
Gibt es den Tatbestand einer „Volksverhetzung“ gegen Deutsche?
Es sind ohne Zweifel ekelhafte, kranke, gefährliche Äußerungen, die der Frauenhasser auf seiner Homepage losgelassen hat. Gewiss auch sind Hass und Hetze ein Tatbestand, der den (Rechts-)Frieden in diesem Lande gefährdet. Hass und Hetze gegen Frauen gehören dazu. Ob sie den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, mag man bezweifeln.
Schief ist allerdings die bisherige (Nicht-)Rechtsprechung, wenn es um Hass und Hetze gegen Deutsche insgesamt geht. Paragraph 130 des StGB lässt nämlich offen, ab welcher Zahl bzw. ab welchem Anteil an der Gesamtbevölkerung eine Gruppe ein „Teil der Bevölkerung“ ist oder nicht.
Nur als Frage: Fällt unter „Volksverhetzung“ auch, wenn bestimmte „rechte“ Gruppen als „Nazis“ oder als „Pack“ bezeichnet werden? Oder gelten hier „Teile der Bevölkerung“ als tatbestandsmäßig ungeeignet? Und wie ist es, wenn ein Hamburger Deutschtürke 2017 Deutsche auf Facebook als „Köterrasse“ beschimpft? Strafbar hat er sich damit laut Staatsanwaltschaft nicht gemacht.
Und als weitere Frage: Ist „deutsch“ ein Merkmal, das jeden „Deutschen“ zum rechtstauglichen Angriffsobjekt einer Volksverhetzung macht? Sind nicht auch „die Deutschen“ ebenso wie „Ausländer“ volksverhetzungstauglicher „Teil der Bevölkerung“? Sind Deutsche keine nationale Gruppe?
Die Lesart „Volksverhetzung gegen Deutsche ist nicht strafbar“ überzeugt nicht. Insofern ist die von der AfD-Fraktion im Bundestag gestellte Forderung, den Text des § 130 StGB zu ergänzen und durch den Volksverhetzungstatbestand auf Taten gegen Deutsche zu erweitern, nicht unberechtigt.
Das heißt: Der Paragraph 130 StGB ist zu vage formuliert. Professor Dr. Wolfgang Mitsch hat dies in einem Aufsatz in der „Kriminalpolitischen Zeitschrift“ (KriPoZ), Heft 4/2018, S. 198 – 203, auch für juristische Laien lesbar dargestellt. Mitsch hat eine Professur für Strafrecht mit Jugendstrafrecht und Kriminologie an der Universität Potsdam. Die Abhandlung unter dem Titel „Der unmögliche Zustand des § 130 StGB“ ist hier zu finden.
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