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Volksverachtung in der Krise

Wenn sie kein Benzin haben, dann sollen sie doch ein Elektro-Auto kaufen!

11.03.2022

| Lesedauer: 4 Minuten
Während immer mehr Menschen in Deutschland durch Inflation und Energiekrise de facto enteignet werden, haben Politik und der öffentlich-rechtliche Rundfunk nur Verachtung für die Bürger übrig. Diejenigen, die früher über eine Erhöhung von 86 Cent jammerten, belehren heute andere über ihre Opferrhetorik bei 5 Mark Sprit.

Vielleicht weint Jürgen Trittin gerade – vor Freude. Was hatte es damals für Stiche und Hiebe gegen das Programm der Grünen gegeben, damals, im Jahre des Herrn 1998, als die Partei die legendären fünf Mark für Sprit festschrieb! Nun, nach all den Jahren, hat es das Schicksal gefügt – mit ein bisschen Hilfe von einem guten Freund. Die drückende Steuerlast auf Treibstoff und Mehrwertsteuer machen deutsche Tankstelle zum Luxusspaß in Europa.

An manchen Orten fällt sogar das gute alte „Dieselprivileg“, heißt: Trotz weniger Besteuerung ist Diesel teurer als Benzin – mit bis zu 10 Cent Preisunterschied. In NRW und Bayern gibt es Tankstellen, die weisen mittlerweile den Dieselpreis mit 2,65 Euro aus. Das sind 5 Mark und 18 Pfennig. Ein voller Kanister gilt bald als größerer Statusbeweis als eine Flasche Dom Pérignon.

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[inner_post] Auffällig ist, dass die Wut über den Grünen-Beschluss 1998 größer war als die Wut über den heutigen Ist-Zustand. Offenbar hat man sich nach zwei Jahren Corona an einiges gewöhnt. Und auch in Berlin hat man wohl registriert, was sich das Bundesvolk in zwei Jahren alles hat bieten lassen. Dass Deutschland sich eine allgemeine Impfpflicht verschreiben will, obwohl das Thema Corona in den meisten Nachbarländern gegessen ist, ist dafür ein weiterer Hinweis. Michel nickt apathisch ab.

Warum sollte man sich also vor dem Volkszorn fürchten, wenn bei explodierender Inflation keine Antwort aus den Ministerien kommt? Der Bürger scheint nicht einmal zu merken, dass der Sprit in Nachbarländern wie Polen, Österreich und Tschechien immer noch billiger ist. Hält man dem gerade Ukraine-bewegten Deutschen nur die Karotte „Putin“ hin, dann wird er schon nicht mehr viel nachfragen.

https://twitter.com/extra3/status/1501128682299174917

Der mickrige Vorstoß aus dem Wirtschaftsministerium, 3 Prozent der deutschen Erdölreserven freizugeben, sowie die Ankündigung von Finanzminister Lindner, dass man die Aufzehrung des deutschen Taschengelds „nicht auffangen“ könne, ist nicht nur Hohn angesichts der angekündigten insgesamt 300 Milliarden Euro für Militär und Klimaschutz in den nächsten Jahren. Die Alternativlosigkeit Merkels wurde in Lindners Satz „Wir werden alle ärmer“ wiedergeboren.

Dass der Zustand in Deutschland politisch gewollt ist, offenbart sich darin, dass andere Länder bereits Maßnahmen ergriffen haben – und zwar nicht erst seit dieser Woche, sondern schon seit Monaten, etwa bei der Deckelung des Erdgaspreises. Als Beispiel: In Italien will Premier Draghi die Mehrwertsteuer auf Gas um 5 Prozent reduzieren. In Deutschland hofft man dagegen, die ökologische Wende durch vermasselte Geopolitik gezielt herbeizuführen.

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Wir wissen jetzt, warum die FDP in den Koalitionsverhandlungen ihren Triumph feiern durfte, Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen verhindert zu haben – bei den steigenden Preisen fährt bald niemand mehr außerhalb der Elite mit dem Auto. Das Ende des Individualverkehrs, die eigentliche Losung des Autohassers Anton Hofreiter, rückt in greifbare Nähe. Diese Losung war übrigens einer der Gründe, warum die Jamaika-Koalition im Jahr 2017 nicht zustande kam; im Jahr 2022 helfen die Liberalen dagegen aktiv mit.

Doch nicht nur in der Politik, sondern auch in den Medien macht sich ein Duktus der Volksverachtung breit. Nicht, dass dieses Phänomen unbekannt wäre. Er erreicht nur eine neue Ebene. Wie kleinen Kindern, denen man beim nicht aufgegessenen Teller vorwirft, dass in Afrika Hunger herrscht, kommen gleich mehrere Vertreter des Staatsfunks vorbei und erklären einem, dass man nicht so jammern solle, es sei schließlich Krieg in der Ukraine.

https://twitter.com/janboehm/status/1501101072827535360

Whataboutism gegen Oma Ernas kalte Wohnung – das hört man doch gerne! Ausgerechnet jene Gestalten, die darüber jammerten, ohne 86 Cent mehr im Monat nicht überleben zu können, fährt jetzt dem Pöbel übers Maul. Georg Restle erklärt: „Diskussionen um Spritpreise in Deutschland, während hier in der Ukraine der Krieg tobt. Niemand hier im Land, niemand versteht die Debatte in Deutschland. Und ich schäme mich zutiefst, den Menschen hier erläutern zu müssen, wovor viele Deutsche sich gerade am meisten fürchten.“ Schande über Sie, wenn Sie die Regierung kritisieren, weil sich bald nicht einmal mehr die Anfahrt zur Arbeit lohnt. Von jemandem, den Sie monatlich nolens volens bezahlen.

Wenn gegen Leute gehetzt wird, die keine eigene Sendung moderieren dürfen, dann ist auch Jan Böhmermann nicht weit. Während gestandene Familienväter in Tränen ausbrechen, weil ihnen der Heizöllaster das Dreifache als sonst abknöpft, belehrt uns das moralische Gewissen des besten Deutschlands aller Zeiten: „Erzähl mal den Familien in Charkiw im Keller wie sehr dich ein Benzinpreis über 2 Euro wütend macht.“ Über 45.000 User beantworteten diese „Wenn sie kein Benzin haben, sollen sie doch ein Elektro-Auto kaufen“-Haltung mit einem Herzchen.

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Weitere hilfreiche Ratschläge? Autofreie Sonntage! Nicht nur auf Twitter, sondern auch anderswo liest man von diesem glänzenden Vorschlag der SPD. So aktuell wie die SPD-Politik kommt er aus den 70er Jahren. Bei jedem Krötentunnel braucht es eine staatliche Intervention aus dem Ministerium, aber bei einer galoppierenden Inflations-, Energie- und womöglich bald Lebensmittelkrise bestraft man den Bürger für sein eigenes Fehlversagen, indem man die aus Corona liebgewonnene Ausgangssperre etwas anpasst. Ist das bereits der Beginn die Umwandlung der Corona-Maßnahmen zu Klimamaßnahmen?

Und zuletzt: sparen! Die Regierung hat nicht den Fehler begangen, preisgünstige Energie anzubieten, die sowohl Geringverdienern als auch anderen sozial benachteiligten Gruppen des Landes zugutekommt, als auch die Wirtschaft in jeder Hinsicht ankurbelt; nein, sie hat den Fehler begangen, die Bürger nicht frühestmöglich aufs Sparen vorzubereiten. Hajo Schumacher bei Radio Eins: „Opferrhetorik verschleiert, was in den vergangenen Jahrzehnten von der Politik nicht geliefert wurde – nämlich ein kontinuierliches Absenken des Energieverbrauchs.“

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Ausgerechnet die Deutschen haben also nicht gelernt zu sparen. Das Land der Schwaben. Der dreimal jeden Kreuzer umdrehende Spießer. Der Joghurtbecherauswascher. Der Lichtausschalter. Der Fenster-wegen-Energieprasserei-Schließer. Der Isolierweltmeister. Der Fahrgemeinschaftsgründer und der aus der Heimat der Kampfradler. Ein Franzose oder Italiener würde derlei Aussagen nur mit einem tiefsitzenden calvinistischen Bestrafungs- und Puritanismusreflex erklären können. Muttis Geist schwebt immer noch über der Erde.

„Frieren für die Freiheit“ ist eben keine Freiheit. Wenn andere darüber entscheiden, ob Sie für die Freiheit frieren, etwa, weil Sie es sich schlicht nicht leisten können, ist das so ziemlich das Gegenteil von Freiheit: nämlich Not und Zwang. Aber Deutschland ist ein reiches Land. Solange dieser Mythos bestehen bleibt, dürfen die Geringverdiener unter einer sozialdemokratischen Regierung eben schauen, wo sie ohne E-Auto und Lastenrad bleiben. Angesichts dessen, was seit spätestens 2015, wenn nicht schon seit 2008 in Deutschland los ist, muss man konstatieren: die Französische Revolution hat aus geringeren Anlässen ihren Anfang genommen.

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