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Nach Waffenruhe: Brüchiger Sieg für Trump und Netanjahu und Machtverschiebung im Iran

26.06.2025

| Lesedauer: 4 Minuten
Trump ist es gelungen einen Flächenbrand in der Nahost abzuwenden. Der Krieg mit Israel hat einen bereits vorhandenen Trend im Iran beschleunigt: die Schwächung theokratischer Elemente in der Islamischen Republik, den Aufstieg des Militärs sowie die Stärkung des Nationalismus.

Israel und der Iran hatten gute Gründe, den Krieg nach einem zwölf Tage andauernden Schlagabtausch zu beenden. Netanjahu hat sein größtes Ziel bereits erreicht. Er hat Trump zu einem Schlag gegen die iranischen Atomanlagen bewegt, den Israel in dieser Form selbst nicht hätte führen können. Teheran war im Abschreckungswettbewerb zuletzt erheblich ins Hintertreffen geraten, da Israel dem Land einige harte Schläge versetzt hatte. Zerschlagung der Hisbollah-Führung und Staatstreich in Syrien. Nach dem Iran-Israel-Krieg hat nun das iranische Atomprogramm, die wichtigste Säule der Abschreckungsstrategie des Landes, einen schweren Rückschlag erlitten.

Der Iran hat im Krieg gegen Israel nicht kapituliert und das Projekt „Regime Change” ist erneut gescheitert. Selbst wenn die Hälfte der iranischen Raketenabschussrampen nach Darstellung der israelischen Regierung zerstört worden sein sollte, verfügt der Iran noch immer über zahlreiche Abschussrampen. Im ganzen Land sind riesige unterirdische Raketenstädte verstreut, die bisher von israelischen Angriffen verschont geblieben sind. Somit ist die Schlagkraft des iranischen Raketenprogramms weiterhin intakt.

Atomanlagen im Iran und Vorräte an hoch angereichertem Uran

Von außen lässt sich zunächst nicht beurteilen, wie erfolgreich der US-Angriff auf die Atomanlagen im Iran war. Eine Einschätzung des US-Nachrichtendienstes kam nach der Waffenruhe zu dem Ergebnis, dass die Atomanlagen durch das Bombardement nicht zerstört werden konnten. Der Angriff habe das iranische Atomprogramm lediglich um einige Monate zurückgeworfen. Dies berichten die New York Times und der Sender CNN unter Berufung auf Regierungsvertreter, die mit dem Bericht des Militärgeheimdienstes (DIA) vertraut sind. Laut CNN glauben US-Beamte zudem, dass der Iran geheime Nuklearanlagen unterhält, die nicht Ziel des Angriffs waren und weiterhin in Betrieb sind.

Hinzu kommt: angesichts der aktuellen Situation wird schon darüber spekuliert, ob es dem Iran gelungen ist, das bereits hochangereicherte Uran sowie die wichtigen Komponenten vor Angriffen der USA und Israels in Sicherheit zu bringen. Nach Informationen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) verfügt der Iran über 400 Kilogramm hochangereichertes Uran (HEU) mit einer Reinheit von 60 Prozent.

US-Präsident Donald Trump hat als Reaktion den Angriff auf die iranischen Atomanlagen mit den Atombombenabwürfen über Japan vor fast 80 Jahren verglichen und damit den CNN-Bericht zurückgewiesen. Außerdem bestritt der US-Präsident Berichte, wonach der Iran vor den US-Angriffen hoch angereichertes Uran aus den Nuklearanlagen in Sicherheit gebracht habe. Der Vorrat an hochangereichertem Uran dürfte unter den Ruinen der Atomanlagen in Fordow und Isfahan unzugänglich sein. Das hoffen zumindest Netanjahu und Trump.

Dennoch ist es Trump gelungen, einen längeren Krieg zwischen dem Iran und Israel zu verhindern und einen Flächenbrand abzuwenden. Trump führte einen begrenzten Angriff auf den Iran durch. Dieser sollte das iranische Atomprogramm um mehrere Jahre zurückwerfen. Der Präsident wollte eine breitere Eskalation vermeiden und eine Waffenruhe zwischen den Erzrivalen in der Region herbeiführen. Die isolationistischen Teile der MAGA-Bewegung werden ihrem Idol einen einmaligen Schlag gegen Anlagen, die eine potenzielle nukleare Bedrohung darstellen, verzeihen. Der vergleichsweise kleine und eher symbolische iranische Gegenschlag auf einen amerikanischen Stützpunkt in Katar zeigt, dass dem Iran die militärische Überlegenheit der USA bewusst ist. Ein längerer Krieg, vor allem mit Beteiligung der USA, hätte das Herrschaftssystem im Iran stark unter Druck setzen können.

Machtverschiebung im iranischen Staatsapparat

Inzwischen stellt J.D. Vance eine neue außenpolitische Doktrin der Regierung vor. Am 24. Juni lobte Herr Vance diese neue Doktrin, die „die Welt verändern“ würde und aus „klar definierten“ US-amerikanischen Interessen, „aggressiven“ Verhandlungen und dem Einsatz „überwältigender Gewalt“ im Bedarfsfall bestehen würde.

Wird diese Strategie im Nahostkonflikt funktionieren? Das Ausmaß des Konflikts im Nahen Osten ist größer, als J.D. Vance denkt. Israel hat im Krieg gegen den Iran seine Möglichkeiten bereits ausgeschöpft, während der Iran seine Verteidigungslinie während der Waffenruhe wieder stärken würde. Die USA müssen Israel möglicherweise ständig mit Unterstützung und Waffen versorgen. Sie könnten aufgefordert werden, Israel und die Golfstaaten vor iranischen Angriffen zu verteidigen. Zudem könnten sie wieder US-Bomber entsenden müssen, um Ziele außerhalb der Reichweite Israels anzugreifen. Die USA sind somit zur Kriegspartei im Israel-Iran-Krieg geworden. Sollte das Regime im Iran zusammenbrechen, könnte Trump aufgefordert werden, das sich in der Region ausbreitende Chaos zu stoppen. Die Machtverschiebungen innerhalb des iranischen Staatsapparats bestärken zudem die These, dass der Iran immer unberechenbarer wird.

Der Iran-Israel-Krieg hat einen bereits vorhandenen Trend beschleunigt. Die Schwächung theokratischer Elemente in der Islamischen Republik, den Aufstieg des Militärs und die Stärkung des iranischen Nationalismus. Der Krieg hat eine Machtverschiebung vom Klerus hin zum militärischen Arm der Islamischen Republik, den iranischen Revolutionsgarden (IRGC), beschleunigt. In den ersten Tagen der Kämpfe war das iranische Staatsoberhaupt Ali Chamenei, der aus Sicherheitsgründen isoliert worden war, von der Bildfläche verschwunden. Ebenso wie der „verborgene zwölfte Imam“ der Schiiten. Er delegierte die Entscheidungsfindung an einen neuen Rat, die sogenannte Schura, der Insidern zufolge von der iranischen Revolutionsgarde dominiert wird. Dazu passt ein Bericht der New York Times, demzufolge Chamenei im Zuge des Kriegs drei Kandidaten für seine Nachfolge benannt hat.

Angesichts der jüngsten israelischen Attentate auf die Militärführung radikalisiert sich nun auch die Haltung der neuen, jüngeren Eliten in der iranischen Revolutionsgarde. Die erfahrenen Kommandeure, die jahrelang „strategische Geduld“ walten ließen und ihre Angriffe einschränkten, sind nun nicht mehr an der Macht. Ihr Tod hat den Weg für eine neue Generation geebnet, die enthusiastischer ist und den Nationalstolz des Landes wiederherstellen will. Die neu entstehende Machtkonstellation hat überraschend öffentliche Unterstützung gewonnen.

Mit den israelischen Bombardierungen sollte die Opposition gespalten und ein Regimewechsel herbeigeführt werden. Die Israelis haben sich jedoch bei den Reaktionen der iranischen Bevölkerung verkalkuliert. Der Krieg hat die Iraner vereint und jegliche Gefahr von Unruhen nach der Zerschlagung der Militärführung im Land gebannt. Ob die neu gewonnene Einheit einen Waffenstillstand überstehen wird, bleibt zunächst unklar. In einem Friedenszustand würde die Bevölkerung von den Herrschenden nicht nur Sicherheit, sondern auch Wohlstand und mehr Freiheit verlangen.

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