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Von der Leyen bessert Asylreform nach

Migrationszentren in Albanien: Von der Leyen lobt „unkonventionelles Denken“

17.10.2024

| Lesedauer: 3 Minuten
Das politische Spektrum gerät gerade bis in die Mitte hinein ins Wanken. Eilig wird die gerade erst beschlossene EU-Asylreform nachgebessert und nachgeschärft. Man will Rechts- und Verwaltungslücken zwischen den Mitgliedern schließen, aber dadurch wird kein weiterer Migrant abgeschoben.

Lieber spät als gar nicht, sagt man gerne. Aber manchmal ist das Spät-Handeln dem Gar-nicht-Handeln sehr ähnlich. Etwa, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Dann holt es keiner mehr heraus. So wird es nun vielen mit der EU-Migrationspolitik erscheinen: Neun Jahre Migrationskrise – und es waren eigentlich noch ein paar mehr anschwellende Bocksjahrgänge – haben den Kontinent geschüttelt und durchgerüttelt. In allen Ländern des alten, wohlhabenden Westens zeigen sich die seit Jahren oder Jahrzehnten angehäuften Probleme. Ebenso erschrickt der Osten vor den ersten Auswirkungen der Situation. Gemeint sind die Bürger, nicht die Regierungen, die sich eher wie ferngesteuerte Roboter bewegen.

Aber gerade wechseln einige von ihnen das Programm aus. So will Polen das Asylrecht aussetzen und damit quasi dem Beispiel Finnlands folgen, das an seiner Grenze zu Russland keine Asylanträge mehr annimmt. Aus dem Osten rollt eine Welle der Ablehnung der bisherigen, alten Migrationspolitik Richtung Westen. Für Deutschland bedeutet das aber auch, dass der Druck aus dem Osten weitergereicht wird und zunimmt. Die Migranten werden wie bisher auch illegal durch Polen reisen und versuchen, nach Frankfurt an der Oder zu kommen. Die polnische Entscheidung zeigt aber jedenfalls, dass es den Völkern nicht nur allmählich, sondern plötzlich zu viel wird. Die Desolidarisierung mit Deutschland nimmt in dem Maße zu, in dem die deutsche Politik sich unfähig zeigt, innere Anpassungen an die Migrationskrise vorzunehmen, etwa eine einschneidende Veränderung des Sozialstaats.

[inner_post 1] Daneben wollen die Innenminister der EU-Mitgliedsstaaten eine verschärfte Rückführungsrichtlinie, und die EU-Kommission scheint in dieser Hinsicht liefern zu wollen. Noch ist da viel unklares Verschärfungs- und Erleichterungsgerede. Der harte Kern des Vorschlags scheint zu sein, dass man die Schlupflöcher schließen will, durch die Migranten, die in einem Land keinen Schutz vor Abschiebung finden, ihn andernorts bekommen. Dass man das verhindern will, klingt sinnvoll, war bisher aber nicht als wesentliches Problem in der EU bekannt. Es scheint eher, dass Rückführungen den allermeisten EU-Staaten schwerfallen.

Eilige Nachbesserung der EU-Asylreform

Jedes EU-Mitglied soll künftig die Entscheidungen des anderen anerkennen: „Migranten, gegen die in einem Land eine Rückführungsentscheidung ergangen ist“, sollen „keine Lücken im System ausnutzen können, um eine Rückführung in einem anderen Land zu vermeiden“. Das scheint wirklich eine grundstürzende Neuerung zu sein für einen Staatenblock, der sich gerade auf ein neues Asylrecht geeinigt hat. Aber man scheint in der umfänglichen Asylreform vom Dezember keinen Platz für diese ‚Neuerung‘ gefunden zu haben. Umso schlimmer für die beteiligten Unterhändler. Es geht also um eine ziemlich eilige Nachbesserung, die den Angstschweiß auf der Stirn der Regierenden verrät.

Man erlebt ähnliche Dinge auch zwischen deutschen Bundesländern und verschiedenen Behörden, was freilich noch peinlicher ist. Denn wir leben in einem Bundesstaat, während die EU nur ein Staatenbund ist. Viel interessanter wäre es freilich, wenn sich die EU für effiziente Rückführungen einsetzen würde.

16 Männer ohne Familie kommen ins Schnellverfahren

In Italien – oder eigentlich vor Italien – werden in diesen Tagen erste Schritte zur tätigen Abmilderung der Migrationskrise unternommen. Die ersten 16 Migranten wurden von Lampedusa nach Albanien gebracht: zehn Ägypter und sechs Bangladescher, die man vor Lampedusa in internationalen Gewässern aufgelesen hatte, und denen kein gewöhnliches Asylverfahren zugestanden wird, sondern nur ein Schnellverfahren in einem Lager in Albanien. Der Grund ist der, dass sie aus einem sicheren Herkunftsstaat kommen und ohne Familie anreisen. Bis zu 3000 aus Italiens Sicht eher illegitime Asylbewerber sollen künftig in Albanien untergebracht werden.

[inner_post 2] Wenn pro Woche eine solche Anzahl von Menschen in Albanien ankäme, bräuchte es gut dreieinhalb Jahre, bis das Zentrum in Gjader zum ersten Mal gefüllt wäre. Allerdings kamen im ersten Halbjahr 2024 noch immer über 25.000 illegale Migranten in Italien an – also gut das Sechsfache des maximalen Fassungsvermögens von Gjader. Das Lager kann also nur durch den Abschreckungseffekt Wirkung zeigen. Es verfügt zudem über Abschiebeplätze. Freilich ist auch hier nicht klar, wie Italien die abgelehnten Migranten – eventuell auch mit Albaniens Hilfe – letztlich abschieben will. Aber immerhin passiert hier etwas, und man lässt die Lage nicht einfach laufen, sondern zeigt durch das gesonderte Verfahren immerhin auf, dass es ein Problem gibt und worin es besteht.

UvdL lobt „unkonventionelles Denken“

Sogar Ursula von der Leyen hatte ein launiges Lob für das italienisch-albanische Programm übrig. Es handle sich um ein Beispiel für „unkonventionelles Denken“ angesichts einer hohen Zahl von Migranten. Auch das ist ein sachter, aber doch ein Richtungswechsel, was die Rhetorik rund um das Thema Migration angeht. Möglich wurde es, weil Rom in kluger Voraussicht Frauen, Kinder, Alte und Kranke von der strikten Regel ausgenommen hat. Das wiederum erlaubt den Mitte-rechts-Repräsentanten ein zustimmendes Vorstoßen in ‚rechte Gewässer‘ unter dem Motto „Ordnung und Humanität“. Die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wankt damit einem erneuten inneren ‚Rechtsruck‘ entgegen, den sie wohl bald durch einen entsprechenden Links- oder Grünruck wieder entkräften wird. Auch von der Leyens EU-Präsidentschaft ist nur ein hingezogenes Hütchen-wechsel-dich-Spiel.

Nützt es langfristig? Vielleicht. Marine Le Pen macht es in Frankreich schon vor: Ihr ist nicht unrecht, dass ein konservativer Zentrist wie Michel Barnier die Zügel übernommen hat und den Regierungskarren zunächst leicht festzurrt. Das bereitet den Boden für weitere Manöver und schließlich auch für die eigene (erhoffte) Regierungszeit. Die Voraussetzung für diese Offenheit ist allerdings eine entsprechende Offenheit auf der anderen Mitte-rechts-Seite, die es in der Bundespolitik nicht gibt.

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