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Wie Wissenschaft die politische Diskussion lenkt und anheizt

18.01.2025

| Lesedauer: 11 Minuten
Prinzipiell leuchtet ein, dass Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus für Staat und Gesellschaft schädlich sind. Die Gretchenfrage ist aber, wie diese martialischen Wörter konkretisiert werden. Wegen der politischen Sprengkraft von Studienergebnissen sollte nicht allzu sorglos mit den Begriffen umgegangen werden.

Geschlechterfragen sind ein weiteres zentrales Stichwort. In der Leipziger Autoritarismus-Studie wird der „Antifeminismus“ mit Testfragen erhoben wie „Frauen machen sich in der Politik häufig lächerlich“ und „Frauen, die mit ihren Forderungen zu weit gehen, müssen sich nicht wundern, wenn sie wieder in ihre Schranken gewiesen werden“. Als Sexismus verbuchen es die Autoren, wenn das Statement „Eine Frau, die sich mehr [!] auf ihren Beruf als auf Haushalt und Kinder konzentriert, sollte kein schlechtes Gewissen haben“ verneint wird. Dass sich aber in konservativen weltanschaulichen Positionen zu Geschlechterrollen – in Zeiten, in denen das Bundeskriminalamt viele brutale Straftaten gegenüber Frauen zählt – pure Frauenfeindlichkeit äußert, ist zu bezweifeln.

Besonders interessant ist die Erhebung des „Autoritarismus“ der Bevölkerung. Dieser wird von den Leipziger Forschern traditionell unterteilt in Konventionalismus (u. a. Bejahung des Statements „Traditionen sollten unbedingt gepflegt und aufrechterhalten werden“), Unterwürfigkeit (u. a. „Menschen sollten wichtige Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen überlassen“), und Aggression (u. a. „Unruhestifter sollten deutlich zu spüren bekommen, dass sie in der Gesellschaft unerwünscht sind.“). Bei den vorgegebenen Statements ist allerdings entscheidend, was der Einzelne überhaupt mit ihnen assoziiert. Überlassen wir nicht alle zwangsweise „wichtige Entscheidungen in der Gesellschaft Führungspersonen“? Zumal dann, wenn sie demokratisch gewählt worden sind?

Die Autoritarismus-Studie arbeitet mit besonders grimmigen, martialischen Schlüsselwörtern. Hintergrund ist, dass die Autoren ihre Arbeit in einen sehr komplexen theoretischen Überbau aus sozial-psychologischen/psychotherapeutischen und philosophisch-soziologischen Bezügen einbetten, in Anlehnung an Sigmund Freud, Erich Fromm, Max Horkheimer, Theodor W. Adorno (Kritische Theorie mit ihrem Autoritarismus-Konzept und der Erklärung des Faschismus). So laufen die Autoritarismus-Dimensionen unter der Überschrift „Sadomasochismus“.

Die Einstellungsmuster Verschwörungsmentalität und Aberglaube werden als „Fetischismus“ zusammengefasst. Aberglaube wird dabei festgemacht am Vertrauen in Glücksbringer, Wahrsager, Wunderheiler und Horoskope. Als Verschwörungserzählung gilt etwa „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen“. Ferner fahnden die Leipziger nach psychischer „Ambiguitäts-Intoleranz“, sprich der „Unfähigkeit, Mehrdeutigkeiten, Unsicherheiten und Widersprüche aushalten zu können“. Hier könnte man sich glatt fragen, ob viele Politiker und Wissenschaftler selber Bürger nicht bevorzugt nach Gut und Böse trennen, also ein bisschen ambiguitäts-intolerant sind?

Konzepte von der idealen Demokratie

Die Erhebungen rund um die GMF und andere nicht wünschenswerte Haltungen sind in den Studien in der Regel verknüpft mit Demokratie-Konzepten. So wird etwa abgefragt, ob man meint, „unsere Gesellschaft sollte auf die Bedürfnisse von Minderheiten mehr Rücksicht nehmen“, ob man „staatlichen Institutionen wie Behörden, Gerichten und Universitäten in Deutschland vertraut“, ob sich „Politiker mehr Rechte heraus(nehmen) als normale Bürger“, ob „die demokratischen Parteien alles zerreden und die Probleme nicht lösen“. Die beiden letzten Fragen nennt die Mitte-Studie „populistisch“.

Hier kommt es selbstverständlich sehr darauf an, welche konkreten Assoziationen die Sätze beim Einzelnen wachrufen und was die Forscher hören möchten. Kritische Positionen gelten tendenziell als „problematische, nicht leitbildkonforme Haltungen“. Das ist ein Zitat aus der Polizeistudie, deren Autoren die Polizei in einer „rassifizierten Gesellschaft“ wähnen, und es bringt gut zum Ausdruck, dass die Messlatte für Einstellungen auf einem bestimmten Modell von „richtigen“ Vorstellungen der Bürger beruht. Wer wie die Leipziger Studie „die AfD als Profiteur einer ‚Migrationskrise‘, die sie selbst mit herbeigeredet hat“ sieht, legt nahe, dass es de facto eigentlich keine so bedeutende Migrationskrise gibt.

Alltägliche versus alltagsferne akademische Themen

Die in den einschlägigen Bevölkerungsumfragen verwendeten Items sind teilweise alltagsnah, das heißt thematisieren etwas, mit dem sich Befragte persönlich, in Gesprächen mit anderen Menschen sowie durch Medienberichte beschäftigen. Dazu gehören im Zweifel auch harsche Empfindungen wie „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Ausmaß überfremdet“ (Beleg für „Ausländerfeindlichkeit“). Andere vorgegebene Statements betreffen alltagsferne Fragestellungen, über die der ein oder andere wohl auch nach dem dritten Glas Wein nicht nachdächte, würde man nicht als Studien-Teilnehmer mit der Nase auf sie gestoßen. Zur zweiten Gruppe zählen sozialdarwinistische Aussagen wie „Es gibt wertvolles und unwertes Leben“. Und wer überlegt schon des Öfteren, ob „im nationalen Interesse unter bestimmten Umständen eine Diktatur die bessere Staatsform ist“. Dem stimmen in der Autoritarismus-Studie 2024 auch nur vier Prozent aller Befragten zu.

Bemerkenswert bleibt aber in diesem Zusammenhang der sehr große Rückhalt der „Demokratie als Idee“ in der Bevölkerung. Sie erntet in der Autoritarismus-Studie einen Zustimmungswert von 90 Prozent (in Ostdeutschland sogar 95 Prozent). Demgegenüber sympathisieren nur 42 Prozent der Bürger mit der realen „Demokratie, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland funktioniert“ (Ost 30 Prozent). Die Bundesbürger sind also keine Demokratie-Verächter, hadern aber in hohem Maße mit deren Umsetzung. Woran das liegen könnte, offenbaren andere Studien wie etwa die R+V-Umfrage „Die Ängste der Deutschen“.

Konkretisierung von Schlüsselwörtern in öffentlicher Diskussion unbedingt nötig

Unter dem Strich werden, dies gilt es sich zu vergegenwärtigen, Millionen von Bürgern (in der Polizeistudie qualifizierte Minderheiten der Beamten) als Menschen mit problematischen Einstellungen eingeordnet. So schätzt die Mitte-Studie 2022/23 acht Prozent der erwachsenen deutschen Wohnbevölkerung als „manifest rechtsextrem“ ein, weitere 20 Prozent werden im „Graubereich“ verortet. Die aktuelle Autoritarismus-Studie bescheinigt knapp fünf Prozent der Befragten mit und ohne deutsche Staatsangehörigkeit ein „geschlossen rechtsextremes Weltbild“, wobei vor allem die Einstellungsdimensionen manifest-rechtsextremer Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit immerhin 15 bzw. 22 Prozent der Umfrageteilnehmer zugeschrieben werden. Bei fast jedem zweiten Befragten meint man, eine autoritäre Aggression festzustellen, bei fast jedem fünften autoritäre Unterwürfigkeit, jedem vierten wird eine Verschwörungsmentalität nachgesagt.

Das sind Hausnummern, die, wenn sie als wissenschaftlich untermauerte Charakteristika der Bevölkerung Eingang in Politik und Medien finden, durchaus politische Sprengkraft entfalten und etwa den „Kampf gegen rechts“, einen AfD-Verbotsantrag oder die Etablierung von immer mehr Meldestellen legitimieren können. Genau deshalb wäre es wichtig, nicht allzu sorglos mit politischen Wort-Ungetümen wie Rechtsextremismus, Rassismus, Menschenfeindlichkeit umzugehen, bei denen es teilweise, wie gezeigt wurde, darauf ankommt, wie man sie versteht. Besser noch, die moderne Sozialforschung schaffte es, Antworten auf von ihr gestellte Fragen hier und da einfach mal so unkommentiert im Raum stehen zu lassen, ohne sie gleich reflexhaft in schmutzige Schubkästen zu werfen, die auch auf dem (politisch eher links angesiedelten) Weltbild der einschlägigen Forscher-Community aufgebaut sind.


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