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Wie Wissenschaft die politische Diskussion lenkt und anheizt

18.01.2025

| Lesedauer: 11 Minuten
Prinzipiell leuchtet ein, dass Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Rechtsextremismus für Staat und Gesellschaft schädlich sind. Die Gretchenfrage ist aber, wie diese martialischen Wörter konkretisiert werden. Wegen der politischen Sprengkraft von Studienergebnissen sollte nicht allzu sorglos mit den Begriffen umgegangen werden.

Die einzelnen Problempunkte der einschlägigen Untersuchungen sind im Folgenden mit beispielhaften Testfragen vor allem aus der Mitte-Studie (2022/23), der Autoritarismus-Studie (2024) und der großen Polizeistudie (2024) erläutert.

Methode: Schwierigkeit der Befragten, die passende Antwortkategorie zu finden

Es ist beliebt, bei der Abfrage von Einstellungen mit sehr allgemeinen, extremen Formulierungen/Items zu arbeiten, zu denen sich Umfrageteilnehmer mit den fünf Antwortkategorien „lehne völlig ab“, „lehne überwiegend ab“, „teils/teils“, „stimme überwiegend zu“, „stimme voll und ganz zu“ äußern sollen. Manchmal werden auch vierstufige Skalen ohne neutrale Mittelposition vorgegeben. Ein beispielhaftes Item lautet: „Die Ausländer [!?] kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“. Für den, der zustimmt, schnappt die Falle zu: erwischt, ein Fremdenfeind! Tatsächlich ist es jedoch oft schwer, sich exakt zu positionieren, vor allem wegen der inhaltlichen Verschwommenheit vieler Sätze, die der Befragte auf sich beziehen soll. Wie genau soll eine Person reagieren, die vermutet, dass ein quantitativ relevanter Teil der Zuwanderer, aber nicht „die“ Ausländer (/Migranten) insgesamt, von Sozialleistungen angezogen wird? Lehne überwiegend ab, stimme überwiegend zu?

Eine Reihe von Testfragen erreicht hohe „teils/teils“-Anteile, nicht selten 30 bis 60 Prozent, von Antwortverweigerern mal abgesehen, die „weiß nicht“, „keine Angabe“ sagen. Dies ist für Forscher verständlicherweise frustrierend. Man hofft ja auf Ablehnung oder Zustimmung. Deswegen wird in der Community auch immer wieder sinniert, ob sich Befragte vor klaren Antworten drücken, um keine unerwünschten Haltungen offenbaren zu müssen. In der mittleren Kategorie „schwingt“ eine „versteckte Zustimmung“ [gemeint: zu fragwürdigen Meinungen] „mit“, die „jedoch nicht als solche interpretiert werden kann“, heißt es bedauernd in der FES-Mitte-Studie 2016 „Gespaltene Mitte. Feindselige Zustände“. Ganz in diesem Geiste wird in einzelnen Studien dann, recht forsch, die Mittelkategorie als „latente Zustimmung“ vereinnahmt.

Allerdings: Fehlende Zustimmung bzw. Ablehnung dürfte auch oft die Irritation über den Sinn des vorgegebenen Statements ausdrücken, ggf. das Gefühl, zu wenig Ahnung vom Thema zu haben. Dafür könnte auch sprechen, dass bei den beiden Online-Befragungen der Polizei in der großen Polizeistudie nur Rücklaufquoten von 16 bzw. 14 Prozent erreicht wurden.

Meinungen müssen bekanntlich nicht zwangsläufig objektive Fakten widerspiegeln, können das meist gar nicht. Vielmehr dürften einige Umfrageteilnehmer gesellschaftliche und politische Zustände auch spontan aus dem Bauch heraus beurteilen. Inwieweit die in der Mitte-Studie für Menschenfeindlichkeit stehenden Aussagen „Sinti und Roma neigen zu Kriminalität“, „Langzeitarbeitslose machen sich auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben“, „Empfänger von Sozialhilfe und Bürgergeld neigen zu Faulheit“ „wahr“ sind, ist eine Frage an das BKA, Arbeitsämter, Sozialwissenschaftler. Der Normalbürger weiß oft nicht genau (der Forscher doch wohl auch nicht?), auf wie viel Prozent der gemeinten Bevölkerungsgruppe ein Merkmal zutrifft, und konstruiert sein Weltbild dann eben aus Vermutungen, Eindrücken, Pauschalisierungen. Weltbilder sind als sozial und durch Medien vermittelte Überzeugungssysteme, die Facetten der Wirklichkeit grob abschätzen, naturgemäß hochabstrakt. Gäbe es ein Syndrom Menschenfreund[!]lichkeit, würde es darin heißen „Empfänger von Sozialleistungen suchen ganz überwiegend einen Job und leben ungern vom Staat“. Das wäre dann sozusagen der schöne Gegen-Entwurf zur GMF – allerdings ebenfalls pauschalisierend.

Verwendung abstrakter Begriffe: Was ist ein „Verschwörungsglauben“?

Je undeutlicher verwendete Begriffe sind, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die verantwortlichen Forscher und die Befragten untereinander sie verschieden interpretieren. Der oft abgefragte „Verschwörungsglauben“ der Bevölkerung, als „Verleugnung der Realität“ eingeschätzt, wird erhoben mit Statements wie „Die verschiedenen in den Medien zirkulieren Verschwörungstheorien [?] halte ich für ausgemachten Unsinn“ (dies muss der Befragte verneinen), „Es gibt geheime Organisationen, die großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben“, „Die Medien und die Politik stecken unter einer Decke“.

Hier werden die Befragten wegen ihnen zugeschriebenen irrationalen Bedrohungsgefühlen „zulasten der Demokratie“ kritisiert. Es bleibt jedoch offen, ob die Bürger vielleicht nur zum Ausdruck bringen möchten, dass das Zustandekommen von politischen Entwicklungen auch auf internationaler Ebene für sie oft undurchsichtig ist, sie gleichzeitig einen diskreten Einfluss „der Politik“ auf Massenmedien vermuten – was nicht unbedingt ein irrationales Weltbild signalisieren muss. Interpretationsfähig sind genauso die Sätze „Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen“ und „In Deutschland kann man nicht mehr frei seine Meinung äußern, ohne Ärger zu bekommen“. Diese Ansichten werden als „völkisch-autoritär-rebellische Einstellungen“ beanstandet.

Interpretationsbedürftige Aussagen

Abstrakte Begrifflichkeiten sind der Stoff, aus dem uneindeutige, interpretationsbedürftige Testfragen entstehen, die bei Befragten wahrscheinlich höchst unterschiedliche Assoziationen auslösen. Als Rechtsextremismus/Chauvinismus firmieren zum Beispiel die Forderungen „Das oberste Ziel der deutschen Politik sollte es sein, Deutschland die Macht und Geltung zu verschaffen, die ihm zusteht“, und „Wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“. Nationalgefühl ist allerdings etwas anderes als Nationalismus. Immerhin kämpft die SPD auf Wahlplakaten derzeit „für dich und Deutschland“.

Als „Abwertung von Asylsuchenden“ interpretieren viele Umfragen die Aussagen „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein“ (dies muss der Befragte verneinen), „Die meisten Asylbewerber kommen nur hierher, um das Sozialsystem auszunutzen“, „Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt“. Hier werden Vermutungen über die Motivation von Zuwanderern und die Ablehnung einer „nicht großzügigen“ [?] staatlichen Behandlung mit Feindseligkeit gleichgesetzt.

Das Statement „Durch ihr Verhalten sind Juden an ihren Verfolgungen mit schuldig“ ist als Lackmustest für Antisemitismus sicherlich geeignet. „Die Juden haben einfach etwas Besonderes und Eigentümliches an sich und passen nicht so recht zu uns“ ist demgegenüber zumal in der aktuellen politischen Lage ein wachsweiches Kriterium. Das in der Forschung seit Langem herangezogene Statement „Bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man etwas gegen Juden hat“ macht genau das, was man eigentlich für falsch erklären will: Es vermengt die Ablehnung der konkreten Politik einer Regierung mit der allgemeinen Haltung zu Juden in aller Welt.

Auch die viel zitierte „Muslimfeindlichkeit“ wird in Studien überstrapaziert. Während die Bejahung der Ansicht „Die Mehrheit der Muslime findet islamistischen Terrorismus gerechtfertigt“ völlig zu Recht als Pauschalisierung einzuordnen ist, skizziert die Aussage „Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“ vor allem „harmloses“ Unbehagen gegenüber einer durch Migration geprägten Gesellschaft. Hier werden auf einen selbst bezogene Gefühle als menschenfeindlich kriminalisiert.

Zu unterscheiden wäre ohnehin immer, ob in Studien die persönliche Haltung des Befragten zu einer Gruppe oder seine Wahrnehmung von gesellschaftlichen Zuständen abgefragt wird, unabhängig von seiner eigenen Toleranz. Die für die Polizeistudie neu entwickelte Abfrage, ob, „wer anders als die Mehrheit der Bevölkerung aussieht, … in Deutschland … benachteiligt (wird)“, sagt primär etwas über den Eindruck, den der Befragte von Mitbürgern und gesellschaftlichen Institutionen hat, aus – jedoch nichts über seine eigene „Abwertung“ von „Black and People of Colour“.

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