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Wer war in Berlin?

Leute, die ihre Lebensart zurück haben wollen, politisch heimatlos gewordene Grüne und andere Nichtwähler

02.09.2020

| Lesedauer: 3 Minuten
Die Frage bleibt: Wer kam da zweimal auf Berlins Partymeile zusammen, ohne dass die üblichen Verdächtigen als Organisatoren oder Drahtzieher ausgemacht werden konnten, sondern nur ganz am Rande vorkamen?

Kommentare der Leser von Tichys Einblick sind immer wieder eine Fundgrube. Mitten in meinen Gedanken und zwischen Gesprächen mit Leuten, die sich wie ich fragen, wer ging da nach Berlin am Anfang und Ende des August, landeten diese Leserzeilen:

„Den herankommenden wirtschaftlichen und finanzpolitischen Sturm wird diese politische Klasse nicht überstehen, weder in Deutschland noch in Brüssel. Die Tage dieser Gurkentruppe sind bereits gezählt. Die Realität entsteht dort, wo produziert und Mehrwert erzeugt werden muß, der dann Menschen ernährt. Sie entsteht nicht dort, wo mithilfe wertlosen Papiergeldes hypermoralisiert wird. Die Inflation ist schon da, die Arbeitslosigkeit folgt ihr auf dem Fuße. Was damit einhergeht, wird auch die Zuwanderung beenden und die Themen Corona und Umweltgedöns sehr weit in den Hintergrund drängen. Auch die anderen Staaten in Europa sollten sich mit dem Gedanken anfreunden, dass Deutschland demnächst nicht einmal mehr imstande sein wird, sich selbst zu unterhalten. Die Verantwortlichen dafür sind allen bekannt.“

Gewissermaßen die Krönung dieser Meinungsäußerung liegt im Alias, das der Leser für sich nicht von ungefähr gewählt haben wird: Schweigende Mehrheit.

Um so tief Schürfendes ging es im vordergründigen Spektakel der zwei August-Events in Berlin nicht. Das offiziöse Deutschland steht vor einem Rätsel. Der die politmediale Klasse erlösende „Reichstagssturm“ als Reichstagsbrand en miniature tut nur sehr vorübergehend seine Wirkung.

Die Frage bleibt: Wer kam da zweimal auf Berlins Partymeile zusammen, ohne dass die üblichen Verdächtigen als Organisatoren oder Drahtzieher ausgemacht werden konnten, sondern nur ganz am Rande vorkamen? Dass sie zahlenmäßig und auch atmosphärisch so völlig unbedeutend waren, signalisieren zwei Dinge am deutlichsten. Die Antifa nahm ihren gewohnten Platz nicht ein und die Partei der Grünen schwieg unüberhörbar laut. Die beiden wussten nicht, mit wem sie es zu tun hätten. Also blieben sie real wie virtuell weg.

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Die Demo war im Kern vorbei, als sich das Geschenk namens „Reichstagssturm“ einstellte und der politmedialen Klasse fürs erste ermöglichte, die Frage vor sich selbst nicht beantworten zu müssen, wer kam da zweimal nach Berlin. Nein, diese „Stürmer“ sind nicht die Antwort.

Unterschiedlichste Beobachter sagen, den größten Teil dieser Berlin-Heimsucher haben wir früher auch schon bei Demos gesehen und zwar bei den Grünen. In Berlin waren sie, weil die heutigen Grünen nicht mehr die ihren sind, nicht mehr gegen die Obrigkeit, sondern für diese, neue Staatspartei statt gegen jede solche.

Dieser Kulturbruch zeigte sich in Berlin unübersehbar. Diese ehemaligen Wähler der Grünen werden nächstes mal ungültig wählen. Wie überhaupt das Gros der größten Partei, also der Nichtwähler, in größeren Zahlen nicht mehr einfach wegbleiben könnte, sondern ungültig gemachte Stimmzettel abgeben.

Ein gemeinsames politisches Anliegen hatte die Masse der Berliner Demonstranten nicht, auch wenn der Hauptorganisator Querdenken 711 solche formuliert hatte.

Doch ein gemeinsames Motiv, nach Berlin zu kommen, hatte die Masse der Demonstranten sehr wohl: Sie will wieder so leben wie vor Corona. Ich meine es nicht abwertend, wenn ich sage, die Leute wollen jene einzige Freiheit zurück haben, die ihnen die Massenmediengesellschaft gelassen hat – ihre Freizeit, ihre Lebensart von Freizeit. Und die ist in dieser unserer Zeit für viele das Gruppenerlebnis einer Party nach der anderen. Ich kann auch sagen: eine einzige Lebensparty mit leider notwendigen Unterbrechungen.

Nicht Corona selbst, sondern der politmediale Umgang mit Corona hat das Leben dieser Generationen zwischen 16 und 60 auf den Kopf gestellt, ihre Party ganz abgestellt oder in Käfige mit wenig Ausgang gesperrt, und selbst der ist permanent gefährdet.

Nebenbemerkung: In Österreich manifestierte sich der Ausbruchsversuch auf eine besonders makabre Weise. Als die Leute in urbanen Gegenden nur noch zu ganz wenigen Zwecken legal raus durften, setzte ein Run auf Tierheime ein. Plötzlich wollten unglaublich viele einen Hund, egal welchen, Hauptsache einen Hund. Denn die mit Hund durften raus. Was mit den meisten dieser Hunde nach dem Ende des Ausgangsverbots wird, ist leider vorhersehbar, im besten Fall landen sie wieder im Tierheim.

Zurück zu den beiden Berlin-Demos. Die Freizeit-Freiheit ist nicht das einzige, was die Leute nach Berlin trieb und in vielen kleineren Städten dort auf die Straßen und Plätze bringt. Aber das fand auf der Party-Meile keine Stimme.

Screenprint: via Instagram/alexavalerie

 

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Das Gefühl die dort oben und wir hier unten ist inzwischen tief in die Gesellschaften des Westens eingedrungen. Je mehr die Classe Politique sich nur noch um sich selbst drehte und weiter dreht und die mit kreisenden, weil abhängigen Einrichtungen von Staat, Medien, Verbänden, NGOs und organisierter „Zivilgesellschaft“, desto tiefer wird weiter der Riss. In Berlin (und anderswo wie in London) hat sich der diffuse Unmut unbeholfen und unpolitisch Luft gemacht.

Ich weiß nicht, ob es ein drittes Berlin geben wird. Aber eines weiß ich. Der Versuch des Berliner Senats, künftige Demonstrationen durch Maskenpflicht ausmanövrieren zu wollen, wird anderswo Nachahmer finden und überall nur den Riss zwischen unten und oben weiter vertiefen. Am Marsch der Classe Politique in die Sackgasse ändert sich nichts, sie missdeutet die Signale und erhöht die Geschwindigkeit.

Die schweigende Mehrheit hat sich in Berlin in Teilen gezeigt. Dabei bleibt es nicht. Denn die Großprobleme der westlichen Gesellschaften verschwinden durch Corona-Maßnahmen nicht.

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