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Leitfaden für "inklusiven Sprachgebrauch"

Wie italienische Politiker Weihnachten in Europa retteten

01.12.2021

| Lesedauer: 3 Minuten
Die EU-Kommission legte im Oktober einen Leitfaden mit Sprachanweisungen vor. Erst einen Monat später griffen die Medien das Thema auf. Auch in Deutschland wurde berichtet, dass der Begriff Weihnachten zu vermeiden sei, um andere Religionen nicht zu diskriminieren. Doch dann erreichte die Meldung Italien.

„Der Grinch fand Weihnachten fürchterlich. Fragt nicht warum, man weiß es nicht.“ So heißt es im Kinderbuch „Der Grinch oder die geklauten Geschenke“. Tatsächlich klingt der Versuch der Europäischen Union, das Weihnachtsfest aus dem Wortschatz zu streichen, wie nach einer Idee des Kinderbuchautors Doctor Seuss, Urheber des Kinderbuch-Klassikers. Die Kommission hatte bereits im Oktober einen Leitfaden vorgelegt, der sich an EU-Mitarbeiter wandte: „#UnionOfEquality. European Commission Guidelines for Inclusive Communication“. Dieses Handbuch für den inklusiven Sprachgebrauch stellte die maltesische Sozialistin Helena Dalli, EU-Kommissarin für Gleichstellung, am 26. Oktober vor.

Es dauerte jedoch einen ganzen Monat, bevor die Medien das Thema aufgriffen. Die 32 Seiten starke Broschüre besteht aus einer Liste von „Dos and Don’ts“, also Handlungsanweisungen, welche Sätze zu unterlassen seien, die inklusive Kritik daran sowie Vorschläge, was man besser sagen sollte. Dem Hauptteil sind dabei fettgedruckte Empfehlungen vorangestellt, etwa: „Verwenden Sie niemals geschlechtsspezifische Substantive wie Arbeiter, Polizisten oder männliche Pronomen (he, his) als eine Vorgabe“, oder „Stellen Sie bei der Verwendung einer Vielzahl von Bildern, Zeugnissen und Geschichten sicher, dass sie Vielfalt in allen ihren Sinnen widerspiegelt“. Abgeraten wird zudem von der Verwendung von Anreden wie Mr. oder Miss (vorgeschlagen wird Ms.), der Verwendung des Wortes „Bürger“ zur Adressierung aller Menschen oder der Begrüßungsformel „Damen und Herren“.

[inner_post 1] Im Hauptteil folgt eine haargenaue Aufstellung von Alltagsphrasen, die auf jeden Fall zu vermeiden seien. Themenfelder: Gender, LGBTQI, Rassischer und Ethnischer Hintergrund, Kultur/Lifestyle/Glauben, Behinderungen und Alter. Vom erhobenen Zeigefinger über Worte wie „bemannt“ über die Belehrung über das richtige Pronomen bis hin zum vorgegebenen Satz ist alles drin. Statt zu sagen „Afrikanische Einwanderer können nur unqualifizierte Jobs suchen“, soll es lauten „Strukturelle Aspekte wie fehlende Chancengleichheit führen dazu, dass afrikanische Migranten in unqualifizierten Jobs überrepräsentiert sind“. Auch den politischen Standardsatz, dass Familien Kern der Gesellschaft seien, sollte man vermeiden, um Singles nicht zu diskriminieren. So weit, so inklusiv, so sprachdystopisch.

Mediale Aufregung erzeugte davon nur der anti-christliche Aspekt. Auch in Deutschland berichteten die Medien darüber, dass der Begriff Weihnachten zu vermeiden sei, um andere Religionen nicht zu diskriminieren, und in Beispielsätzen sollte darauf Acht gegeben werden, dass christliche Namen vermieden werden sollten – statt Maria und Johannes etwa Malika und Julio. Dass die Gründerväter der EU allesamt gläubige Christen waren und die Europäische Gemeinschaft in ihrer Grundursache ein „abendländisches“ Projekt gegen den materialistischen Kapitalismus und den gottlosen Kommunismus war, schien überall vergessen. Doch dann erreichte die Meldung Italien.

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Hatten sich andere mit einer hochgezogenen Augenbraue begnügt, so entfachte die Abwertung des Geburtsfests Christi und die – vermeintliche – Cancel Culture an Maria und Josef (!) im Zentrum des römischen Katholizismus zentrifugale Kräfte. An vorderster Front schürte das konservative Il Giornale die Empörung, die Kommission wolle Weihnachten aus dem Sprachgebrauch ebenso tilgen wie Maria. Es folgten Wortmeldungen von Journalisten und Politikern in den sozialen Medien. Dass Lega-Chef Matteo Salvini die neue Brüsseler Frechheit aufspießte, erfolgte quasi mit Ansage: „Maria, die Mama, Josef, der Papa. Es lebe das heilige Weihnachten!“ Die Oppositionsführerin Giorgia Meloni sagte: „Im Namen einer finsteren Ideologie will die EU die Kultur eines Volkes unterdrücken.“

Schwung bekam die Affäre, als sich auch Antonio Tajani von Berlusconis Forza Italia einschaltete, dessen Wort als ehemaliger Präsident des Europäischen Parlaments besonderes Gewicht hatte. Der Leitfaden sei „absurd“, Inklusion bedeute nicht, dass man „die christlichen Wurzeln der EU leugnet“. Lega und Forza Italia sind Teil der Regierungskoalition von Premierminister Mario Draghi. Selbst der Vatikan – sonst in Angelegenheiten der EU sehr zurückhaltend, wenn nicht wohlwollend geneigt – meldete sich. Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin betonte, dass es richtig sei, Diskriminierungen zu beseitigen. Der von der EU eingeschlagene Weg sei aber nicht der richtige. „Denn am Ende besteht die Gefahr, dass sich das gegen die Person richtet und sie sozusagen annulliert“, sagte Parolin. Der Trend gehe zu einer alles umfassenden „Vereinheitlichung“, man verdränge das, was Realität sei.

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Die Auseinandersetzung war damit kein reines Oppositionstheater, auch wenn linksliberale Blätter wie der Guardian die ganze Aktion gerne als Angriff von Rechtsaußen auf legitime Inklusionswünsche framen wollte. Das Land von Don Camillo und Peppone zeigte trotz seiner nur noch als Kulturkatholizismus überlebenden Identität die Zähne. Und das mit Wirkung. Der Protest sorgte dafür, dass sich die EU-Kommissarin genötigt sah, das Papier zurückzuziehen. Das noch vor einem Monat gelobte Stück galt nun nicht mehr als „adäquat“ für seine beabsichtigten Zwecke. Es sei kein „reifes Dokument“ und erreiche nicht die „Qualitätsstandards“ der Kommission.

Die Konservativen Italiens feierten. Tajani twitterte: „Lang lebe das Europa des gesunden Menschenverstandes!“ Hinter den Kulissen droht in Brüssel bereits Ärger. Das Magazin Politico beruft sich auf einen offiziellen Vertreter, der Dallis Kurs in Sachen Inklusivität stark kritisierte. Sie kompensiere ihren Mangel an politischem Gewicht in der Kommission mit einem solchen Papier. „Wir werden verrückt. Mit Dalli erleben wir Surrealismus.“

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Provokativ zusammengefasst: Matteo Salvini hat Weihnachten gerettet. Das wäre allemal ein Kinderbuch wert – ohne inklusive Ansprüche.

Den kompletten „Guide“ für inklusive Sprache finden Sie hier.

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